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26 SÜ.P ms
I
X
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GESCHICHTE
DES
OSTRÖMISCHEN REICHES
UNTER DEN KAISERN
ARCADIUS UND THEODOSIUS IL
VON
m ALBERT GÜLDENPENOTNG,
ORD. LEHRER AM KÖNIGL. BISMARCK- GYMNASIUM ZU PYRITZ.
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HALLE.
MAX NIEMEYER.
1885.
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^'JG. 23. 1924
FRAU SANITÄTSRÄTIN MASS
IN ANCLAM
EHRFURCHTSVOLL GEWIDMET.
K^.
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Hochverehrte Frau!
Die wohlwollende Aufnahme, welche meines Freundes
und meinem ersten Versuche, eine abgerundete Darstellung
aus der späteren Kaiserzeit in unserer gemeinsamen Arbeit
„Der Kaiser Theodosius der Grofse" Halle 1878, zu bieten,
von Seiten der Kritik zu teil wurde (vgl. Jenaer Litteratur-
zeitung 1879 No. 16. S. 223. und Theol. Litteraturzeitung 1S79
No. 16. S. 420), liefs in mir die Neigung zu den einst in Halle
begonnenen Studien auch unter den Anforderungen der Berufs-
pflichten nicht erstickt werden. Der Gegenstand jenes Beitrages
zur römischen Kaisergeschichte hatte mich bis zu dem Punkte
geführt, von dem ab sich das grofse Weltreich in einen west-
lichen und östlichen Teil schied, und es trat daher an mich
die Entscheidung heran, nach welcher von beiden Richtungen
ich mich zunächst wenden sollte. Ein näheres Eingehen auf
die den Occident behandelnde Litteratur überzeugte mich bald,
dafs dieser in weit höherem Grade das Interesse der neueren
Forschung erregt hatte als die östliche Reichshälfte, weil sich
auf seinem Boden die durch die Völkerwanderung angebahnte
Kulturentwickelung der germanischen Volksgenossenschaften
vollzog. Die gründlichen und umfassenden Werke E. v. Wieters-
heim's, Dahn's, Kaufmanns und Arnolds behandeln die letzten
Kämpfe zwischen dem sinkenden Römertum und dem an-
stürmenden Germanentum mit einer solchen Sachkenntnis und
in so ansprechender Darstellungsweise, dafs für den Forscher,
sofern er nicht besonders das römische Wesen zum Vor-
wurf seiner Studien erwählen will, in ihnen fast alles ge-
schehen ist.
VI
Anders dagegen liegen die Verhältnisse in Bezug auf
den östlichen Reichsteil. Dieser wurde von den Stürmen
der Völkerwanderung zu derselben Zeit, als der Westen ihnen
erlag, nur vorübergehend berührt und lenkte, wenn er auch
später ebenfalls staatliche Neugründungen einer anderen Nation
auf seinem ausgedehnten Gebiet entstehen sah, dennoch weit
weniger den Fleifs der deutschen Forschung auf sich. So
kommt es, dafs man, im Begriff die Anfänge des ost-
römischen Reiches darzustellen, fast allein auf die grund-
legenden Werke des Franzosen Tillemont (histoire des
Emper. Rom. VI. Bd. und memoires pour servir ä Thistoire
ecclesiastique) und des Engländers Gibbon angewiesen ist,
welcher die hierauf bezüglichen Abschnitte im VII. und VIII.
Bande seiner Geschichte des Verfalls und Untergangs
des römischen Reiches behandelt hat. Denn die neueren
deutschen Gelehrten, welche die Geschichte Griechenlands vom
Absterben des antiken Lebens bis ins Mittelalter und in die
Neuzeit verfolgt haben, wie Fallremayer, Zinkeisen, Hopf und
Hertzberg gehen über die älteste Periode byzantinischer Ge-
schichte schnell hinweg und konnten sich mit einer eingehen-
den Würdigimg engerer Zeitabschnitte dem Plane ihrer Werke
gemäfs nicht aufhalten. Auch die Stoffsammlung von Sievers
in seinen Studien zur röm. Kaisergeschichte bot wohl
ein angenehmes, aber durchaus nicht anleitendes Hülfsmittel
dar, da die einzelnen Teile ohne inneren Zusammenhang anein-
ander gereiht sind. Hingegen haben Volkmann in Synesius
V. Kyrene und Gregorovius in Athenais, eine byzantinische
Kaiserin, anziehende Einzelbilder aus der Kulturgeschichte des
Orients geliefert und so auch weiteren Kreisen des gebildeten
Publikums oströmisches Leben zugänglich gemacht.
Bleibt somit ohne Zweifel die profangeschichtliche Be-
handlung der Osthälfte gegen die der Westhälfte zurück, so
darf man dasselbe in Hinsicht auf die kirchengeschicht-
lichen Darstellungen keineswegs behaupten. Denn das kirch-
liche Leben im oström. Reich hat, wenn auch nicht an Tiefe,
VII
so doch an Lebendigkeit in den ersten Jahrhunderten dasjenige
des Westens weit übertrofFen, da nichts so sehr die orienta-
lischen Völker aufregte und im Innersten ergriff als streng
religiöse Fragen. Der Verfasser ist daher, um einen rein
historischen und möglichst vorurteilslosen Standpunkt zu ge-
winnen, überall zu den Quellen selbst herabgestiegen, doch
gingen ihm dabei aufser den neueren biographischen Dar-
stellungen die gröfseren kirchengeschichtlichen Werke von
Neander, A. F, Gfrörer, Gieseler und die Konzilienge-
schichte V. Hefele's vielfach hülfreich zur Hand.
Aus dieser vorausgeschickten Litteraturübersicht ist wohl
nun ersichtlich, dafs eine neue Bearbeitung der Anfänge des
Byzantinischen Reichs noch fehlte, eine andere Frage aber
ist es, ob dieser Gegenstand eine solche auch verdiente. Zwar
ist es richtig, dafs sich unter der grofsen Zahl der leitenden
Persönlichkeiten wenige befinden, welche etwas Charaktervolles
und Anziehendes an sich haben, gleichwohl aber werden Ge-
stalten wie die des Anthemius und der Pulcheria auf der einen
Seite, des Synesius und Johannes Chrysostomus auf der anderen
stets bei der Nachwelt einen guten Klang haben. Noch mehr
aber als durch diese Persönlichkeiten wird die Geschichte der
Jahre 395 — 450 durch den Aufstand des Alarich und des Gainas,
nicht minder durch das fortgesetzte Eingreifen des Ostreichs
in die Verwickelungen des Occidents und endlich durch die
engen Beziehungen zum Hunnenkönig Attila in den Rahmen
der allgemeinen Weltgeschichte hineingezogen.
Die Eigentümlichkeiten der Quellen dieser Epoche sind
im ganzen dieselben wie die derjenigen zur Geschichte Theo-
dosius des Grofsen, welche ich in meiner Inauguraldissertation
bereits besprochen und darum hier nicht näher zu kennzeichnen
habe. Nur auf eine, leider verstümmelte Quelle möchte ich
im voraus hinweisen, weil sie mit zu dem Besten gehört, was
wir überhaupt an Originalberichten aus der Kaiserzeit besitzen,
ich meine die Byzantinische Geschichte von Priscus. Sie
bietet in ihrem 8. Fragment ein so lebendiges Bild der Ver-
vm
hältnisse zwischen Hunnen und- Römerreich, dafs ich es mir
nicht versagen durfte, es bis auf geringe Zusammenfassungen
in deutscher Übersetzung wiederzugeben.
Indem ich nun diese Geschichte des oström. Reichs unter
den Kaisem Arcadius und Theodosius II. der ÖfFentUchkeit
übergebe, kann ich nicht unterlassen, den Herren Professoren
Dr. Dümmler und Dr. Kirchhoff in Halle a/S., insbesondere
dem Erstgenannten, und Dr. Seeck in Greifswald, welche mir
auf an sie gerichtete Anfragen bereitwillige Antwort und
Hinweisung gaben, meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
Ihnen aber, hochverehrte Frau, glaubte ich dies Ergebnis
meiner Studien widmen zu müssen, weil ich Ihnen „von anderen
Tagen" her unendlich viel zu danken habe. So nehmen Sie
denn mit der Güte, die Sie so sehr auszeichnet, dieses Buch hin
und lassen Sie mich schliefsen mit den Worten der Dichtung,
die Sie vor anderen lieben:
„Wenn Ihr zufrieden seid, so ist's vollkommen;
„Denn Euch gehört es zu in jedem Sinn!"
Pfingsten 1885.
Dr. Albert Güldenpenning.
INHALT.
I. Buch.
Seite.
Erstes Kapitel. Tod Theodosius I. — Allgemeine Weltlage. — Die
Reichsteilung. — Vergleichung des Orients und Occidents in Bezug auf
Flächeninhalt, Bodenbeschaffenheit und Erzeugnisse. — Die Reichseinheit.
— Die Osthälfte des römischen Reichs nach ihrer geographischen Lage,
administrativen Gliederung und militärischen Machtentfaltung. — Con-
stantinopel, bleibender Sitz der oströmischen Kaiser, am Ende des vierten
Jahrhunderts i
Zweites Kapitel. Arcadius bis zu seinem Regierungsantritt : Seine Geburt,
Erziehung durch Arsenius und Themistius, seine Erhebung zum August.
— Sein Bruder Honorius. — Der Minister Stilicho und Ruünus Ab-
stammung, Laufbahn, Charakter und Feindschaft. — Ruün hofft seine
Tochter mit Arcadius zu vermählen. — Arcadius heiratet auf Betreiben
des Oberkämmerers Eutrop die Eudoxia, Tochter des Bauto .... 22
Drittes KapiteL Erhebung Alarichs, Königs der Westgoten. — Verwüstung
Nordgriechenlands, Bedrängnis Constantinopels. — Zu derselben Zeit Ein-
fall der Hunnen durch die Caucasische Pforte. — Stilicho am Rhein. —
Erster Zug Stilichos gegen Alarich 395. — Rückkehr des orientalischen
Heeres. — Rufins Ermordung. — Verwüstung Griechenlands durch die
Westgoten. — Einnahme Athens. — Zweiter Zug Stilichos gegen Alarich
396. — Friedensschlufs mit Alarich. — Seine Befugnisse und Gegen-
leistungen 37
Viertes Kapitel. Der Verschnittene Eutrop an Rufins Stelle allmächtig.
— Seine Vorgeschichte. — Verhältnis zu Stilicho und Eudoxia. —
Arcadius und Eudoxia. — Mangelhafte Verbindung zwischen Orient und
Occident. — Gildo, comes Africae, wirft sich dem Ostreich in die Arme.
— Seine Tyrannis. — Hungersnot in Rom. — Gildo wird im Senat für
einen Feind des Vaterlandes erklärt. — Die Rüstungen. — Mascezel,
Gildos Bruder, Befehlshaber der römischen Truppen. — Überfahrt nach
Afrika. — Schlacht am Ardalio. — Gildos Niederlage und Tod ... 56
Fünftes Kapitel. Die Amtsverwaltung des Eutrop. — Seine Habgier und
Überhebung. — Ämterverkauf, Spione, falsche Ankläger. — Gesetz gegen
das Asylrecht der Kirche und gegen Verschwörungen. — Osius, Leo,
X
Seite
Suburmachius. — Eutrop auf der Höhe seiner Macht als Konsul und
Vatricius. — Johannes Chrysostomus wird Bischof von Konstantinopel.
— Seine Vorgeschichte, gesellschaftliche Stellung, Verhalten gegen den
Klerus, die Heiden und Häretiker. — Synesius von Kyrene als Gesandter
in Konstantinopel 72
Seohstes Kapitel. Die Germanen im Orient. — Wer ist der Typhos
der Allegorie des Synesius ? — Die römische Partei und Aurelian (Osiris).
— Beginn der Erhebung des Tribigild. — Sorglosigkeit des Eutrop. —
Die Rede des Synesius negl ßaoiXeiaq an Arcadius und ihre Bedeutung
für die Zeitgeschichte. — Gainas wird als Feldherr gegen Tribigild ge-
sandt. — Seine Vergangenheit und Zukunftspläne. — Aufreizung durch
Typhos und seine Frau. — Leos unglücklicher Feldzug gegen Tribigild
infolge der zweideutigen Haltung des Gainas. — Die Forderung des
Gainas führt zum Sturz des Eunuchen. — Eutrop flieht in die Sophien -
kirche. — Homilie des Johannes Chrysostomus auf- den gefallenen Günst-
ling. — Verbannung des Eutrop nach Cypern und das Absetzungs-
dekret. — Eutrop wird auf Gainas Drängen gegen das Versprechen bei
Chalcedon hingerichtet qi
*
Siebentes Kapitel. Zusammenkunft des Gainas und Arcadius bei Chalcedon.
Auslieferung des Aurelian, Saturnin und Johannes. — Sie werden be-
gnadigt und in die Verbannung geschickt. — Gainas Versuch, den Arianern
eine Kirche innerhalb der Stadt zu gewinnen, scheitert an der Stand-
haftigkeit des Johannes Chrysostomus. — Schwanken des Gainas und
Auszug aus Konstantinopel. — Überwältigung der Goten im Strafsen-
kampf. — Vernichtung der sieben Tausend in der Kirche. — Sturz
des Typhos. — Gainas versucht nach Asien überzusetzen. — Der Heide
Fravitta wird zum Feldherrn gegen ihn ernannt, — Seeschlacht im
Hellespont. — Gainas Flucht und Tod durch die Hunnen jenseits der
Donau. — Rückkehr Aurelians. — Poetische Darstellungen des Goten-
aufstandes 117
Achtes Kapitel. Alarich und Westrom in den Jahren 401 — 403. —
Arcadius und seine Familie. — Geburt und Taufe Theodosius II. —
Johannes Chrysostomus* Verhältnis zur Gemeinde und dem Klerus. —
Reise nach Ephesus. — Streit mit Severian von Gabala. — Eifersucht
der alexandrinischen Patriarchen auf den Bischof von Konstantinopel. —
Charakteristik des Theophilus. — Richtung der alexandrinischen Kirche.
— Theophilus und die Mönche von Nitria. — „Die langen Brüder"
in Konstantinopel. — Eudoxia nimmt sich ihrer an. — Johannes und
Epiphanius von Konstantia. — Johannes Predigt gegen die Frauen. —
Theophilus kommt nach Konstantinopel. — Synode inl öqvv bei Chal-
cedon. — Absetzung und Abführung des Johannes 131
Neuntes Kapitel. Volksauf lauf in Konstantinopel. — Theophilus flieht
nach Alexandrien. — Ein nächtliches Erdbeben erschreckt die Kaiserin.
— Der Kammerherr Brison holt den Bischof zurück. — Feierlicher Ein-
zug des Johannes. — Seine Antrittspredigt. — Ausbruch erneuter
Streitigkeiten nach zwei Monaten. — Die silberne Statue der Eudoxia
wird neben der grofsen Kirche aufgestellt. — Die untergeschobene
XI
Seite
Predigt des Johannes. — Zweite Synode in Konstantinopel, doch ohne
Theophilus. — Erste Auflforderung des Kaisers an Johannes seine Kirche
zu verlassen gegen Ostern 404. — Tumult in der grofsen Kirche am
Ostersabbat. — Die Johanniten. — Zweite Abführung des Johannes in
die Verbannung am 20. Juni 404. — Brand der grofsen Kirche , des
Senats und anderer Gebäude. — Untersuchung wegen der Feuersbrunst.
— Arsacius, des Nectarius Bruder, wird am 26. Juni zum Bischof er-
hoben. — Standhaftigkeit des Lektors Eutropius, des Presbyters Tigris
und der Olympias. — Beruhigungsedikte des Arcadius. — Verhältnis
der occidentalischen und orientalischen Kirche. — Innocenz, Bischof von
Rom, wird von beiden Parteien um Unterstützung angerufen. — Sein
Briefwechsel mit Theophilus, Johannes und dessen Klerus. — Schreiben
des Honorius an Arcadius in dieser Angelegenheit. — Unwürdige Be-
handlung der occidentalischen Gesandten. — Johannes stirbt in Comana
14. September 407. — Vergleichung des Ambrosius mit Johannes Chryso-
stomus 155
Zehntes Kapitel. Die Isaurer. — Ihr Verwüstungs- und Plünderungs-
zug im Jahre 403/404. — Arbacazius* erste Erfolge, seine Bestechung
und Freisprechung. — Fernere Streifzüge der Isaurer. — Zustand der
afrikanischen Grenzlande. — Die Maziken und Auxorianer. — Not der
Pentapolis zur Zeit des Arcadius. — Synesius Briefe. — Verhältnis des
Ostreichs zu Persien. — Das weströmische Reich von 403 bis 408. —
Der Einfall des Radagais wird durch Stilicho zurückgeschlagen. — Über-
schreitung der Rheingrenze durch Quaden, Alanen, Vandalen und andere
germanische Völker. — Stilicho beschliefst mit Hülfe des Alarich Ost-
rom zu züchtigen. — Alarich rückt in Epirus ein 407. — Der in Britan-
nien erhobene Tyrann Konstantinus setzt nach Gallien über. — Alarich
in Venetien und seine Forderungen. — Tod des Arcadius. — Seine
letzten Lebensjahre. — Äufsere und innere Eigenschäften. — Eudoxias
Einflufs. — Seine selbständigen Thaten 172
IL Buch.
IBrstes Kapitel. Übergang der Krone auf Theodosius II. — Unmündig-
keit der Kinder des Arcadius. — Zustand des Reichs beim Tode des-
selben. — Verhältnis zu Westrom. — Honorius zuerst, dann Stilicho
wollen sich nach Konstantinopel zur Ordnung der orientalischen An-
gelegenheiten begeben. — Stilichos Sturz und Hinrichtung 22. August
408. — Das Ostreich leitet der Präfektus praet. Anthemius. — Seine
Vorgeschichte und sein Verkehrskreis. — Troilus, der Sophist, die
Dichter Nicander und Theotimus. — Meinung des Synesius und Chryso-
stomus über Anthemius. — Annäherung an Westrom. — Freundliche
Beziehungen zu Persien. — Der persische Handelsvertrag. — Besiegung
des Uldes und Gefangennahme der Skiren. — Die Verteilung derselben
über die Provinzen. — Sicherung der Donaugrenze durch Vermehrung
der Flotten. — Hungersnot in Konstantinopel. — Verfügung über den
Transport des ägyptischen Getreides. — Versuch Illyrien aufzuhelfen. —
<
XII
Seite
Der Bau der Mauern Konstantinopels. — Die Ereignisse im Westen in
den Jahren 408 — 414. — Rücktritt des Anthemius 192
Zweitee Kapitel. Pulcheria beginnt teil zu nehmen an der Erziehung der
Geschwister und an den Staatsgeschäften. — Ihr Charakter. — Sie
nimmt den Titel „Augusta" an. — Aurelianus zum zweiten Male Prä-
fektus praetorio. — Pulcheria beschliefst Jungfrau zu bleiben. — Eben-
bürtigkeit der Ehen kaiserlicher Prinzessinnen. — Der Bischof Atticus
von Konstantinopel. — Echt religiöser Sinn der Töchter des Arcadius.
— Die Ausbildung Theodosius II. — Bischof Cyrill von Alexandrien.
— Öie jüdische Gemeinde in Alexandrien. — Streit zwischen Juden
und Christen. — Orestes, praefectus Augustalis, und Hierax. — Nächt-
liche Ermordung der Christen. — Cyrill vertreibt die Juden aus der
Stadt. — Die Mönche von Nitria in Alexandrien. — Das Heidentum
in Ägypten. — Der Mathematiker Theon und seine Tochter Hypatia.
— Ihre Studien, Sinnesart und Schönheit. — Ihr Einflufs in Alexandrien
und Verhältnis zu Orest. — Verschwörung der Parabolanen. — Ihre
Ermordung, März 415. — Ergebnis der Untersuchung durch Aedesias.
— Andere Ereignisse aus den ersten Jahren der Regierung Pulcherias 217
Drittes Kapitel. Die Ereignisse in Westrom bis zum Jahre 421. —
Emporkommen des Konstantius. — Sein Äufseres und Charakter. —
Durch Athaulfs Tod wird Placidia frei und von Wallia zurückgegeben.
— Ihre Vermählung mit Konstantius i. Jan. 417. — Geburt Valentinians.
— Erhebung des Konstantius zum Mitregenten 421. — Er wird in Ost-
rom nicht anerkannt. — Zu derselben Zeit Ausbruch eines Krieges mit
Persien. — Das Christentum in Persien seit dem 4. Jahrhundert. — Die
diplomatischen Sendungen des Bischofs Maruthas. — Fanatismus des
Abdas, Bischofs von Ktesiphon. — Christenverfolgung in Persien. —
Die Märtyrer Hormisda, Jacob und Benjamin. — Beginn der Feindselig-
keiten. — Pulcheria sucht eine Gemahlin für Theodosius. — Athenais,
Tochter des Leontius, aus Athen wird von Pulcheria und Theodosius
auserwählt und getauft. — Vermählung 421, 7. Juni. — Tod des Kon-
stantius. — Krieg mit den Persern. — Ardaburius, römischer Feldherr.
— Friede 422 236
Viertes Kapitel. Geburt der Eudoxia. — Verhältnis Placidias zu Honorius
nach dem Tode des Konstantius. — Verbannung der Placidia mit ihren
Kindern in den Orient. — Honorius stirbt 15. Aug. 423. — Geheime
Mafsregeln des oströmischen Hofes. — Johannes, primicerius notariorum,
wird in Italien zum Kaiser erhoben. — Seine Gesandtschaft nach Kon-
stantinopel. — Ardaburius, Aspar und Candidian werden gegen ihn ge-
schickt. — Valentinian zum Cäsar erhoben. — Des Ardaburius unglück-
liche Expedition zur See und Gefangennahme. — Aquileia genommen.
— Ardaburius und Aspar siegen durch Verrat. — Johannes wird hin-
gerichtet. — Valentinian wird von Theodosius in Rom zum August er-
nannt 23. Oktob. 425. — Sieg über die hunnischen Hülfsvölker. — Für-
sorge des Theodosius für lUyrien. — Aufserordentliche Besteuerungen
werden notwendig. — Professoren und Ärzte unter den Kaisem. — Die
Gründung der Universität Konstantinopel 253
•xin
Fünftes Kapitel. Die Verhältnisse in Westrom. — Aetius und Bonifacius.
— Ihr Vorleben und Charakter. — Die Intrigue des Aetius. — Auf-
stand des Bonifacius. — Mavortius, Galbio und Sinox werden gegen ihn
gesandt. — Bonifacius ruft die Vandalen zu Hülfe. — Diese setzen unter
der Führung Gaiserichs nach Afrika über. — Aussöhnung Placidias und
des Bonifacius. — Unglücklicher Kampf mit den Vandalen. — Theo-
dosius n. sendet seinen Feldherrn Aspar, der ebenfalls unterliegt. — Die
kirchlichen Zustände des Orients. — Nach dem Tode des Atticus und
Sisinnius wird Nestorius aus Antiochia Bischof in Konstantinopel. —
Zwiespalt der alexandrinischen und antiocheuischen Lehrrichtung. —
Streit über Maria als d-eoxoxoq. — Cyrill zieht den Kaiser und Hof in
denselben hinein. — Synode zu Ephesus 431. — Absetzung des Nestorius.
— Ende der Spaltung 433 279
Sechstes E^pitel. Die afrikanischen Grenzlande. — Veruneinigung mit
Rua. — Aetius tötet den Bonifacius und flieht zu den Hunnen. —
Friede zwischen ihm und Placidia durch Vermittelung des Rua. — Ver-
mählung Valentinians III. mit Eudoxia in Konstantinopel 437. — End-
giltige Abtretung Dalmatiens an Ostrom. — Veröffentlichung des Codex
Theodosianus 438. — Geschichte seiner Entstehung. — Überführung
der Gebeine des Johannes Chrysostomus nach Konstantinopel. — Erste
Reise Eudocias nach Jerusalem und ihr Aufenthalt in Antiochia. —
Rückkehr im Jahre 437. — Der Hof Theodosius II. und Antiochus, Chry-
saphius und der Dichter Kyros. — Vorübergehende Zurückdrängung des
Einflusses der Pulcheria. — Sturz der Eudocia. — Paulinus und die
Erzählung vom Apfel. — Eudocia zieht sich nach Jerusalem zurück . 305
Siebentes Kapitel. Die Beziehungen der Hunnen seit ihrem ersten Auf-
treten in Europa zu Ost- und West-Rom bis zum Tode des Rua. — Der
Schwerpunkt ihrer Macht rückt allmählich bis in das heutige Ungarn
vor. — In wiefern entsprach dieses den Lebensgewohnheiten der Hunnen }
— Attila und Bleda, Ruas Nachfolger. — Äufseres und Charakter
Attilas. — Sein Verhältnis zu Aetius und Gaiserich. — Austrag des
Streites zwischen Ostrom und Rua. — Gaiserich erobert Karthago und
greift Italien an. — Die Hülfesendung Ostroms. — Einfall der Perser,
Sarrazenen, Hunnen von Osten, Attila's und Bleda's von Norden. — Er-
oberung der Donaukastelle unti Verwüstung Thraciens. — Friede 443.
Ereignisse in Ostrom von 443—447. — Zweiter Raubzug Attila*^, Allein-
herrschers der Hunnen. — Die Friedensbedingungen 3^7
Die Gesandtschaftsreise des Priscus. -- Letzte Beziehungen des
Theodosius zu Attila • • 35^
Achtes Kapitel. Flavian B. v. Konstantinopel, Dioscurus B. v. Alexandrien,
Leo B. v. Rom. — Eutyches wird von der Synode zu Konstantinopel
abgesetzt. — Die Räubersynode zu Ephesus 449. — Flavian wird auf
Betreiben des Dioscurus verurteilt. — Einmischung Leo*s des Grofsen.
— Sein Briefwechsel mit Theodosius 11. — Anastasius, Nachfolger
Flavians. — Sturz des Chrysaphius und erneutes Übergewicht der
Pulcheria. — Furcht vor einem Aufstand des Zeno. — Beunruhigende
Rüstungen Attila's. — Tod des Theodosius und Regierungsantritt des
Marcianus. — Charakteristik und Würdigung Theodosius II 373
XIV-
Seite
Neuntes Kapitel. Die Zustände in Kirche und Staat in den
Jahren 395 — 450. Die religiösen Verhältnisse: Die orthodoxe
Kirche. — Die Häretiker, — Die Heiden. — Die Juden. — Die welt-
lichen Verhältnisse: Urteile der Geschichtsschreiber. — Aufser-
ordentliche Besteuerungen und Steuererlasse. — Die Lage der Curialen
und Senatoren. — Avancement und Rangverhältnisse der Beamten. —
Die Verwaltung. — Unregelmäfsigkeiten im Militärwesen. — Die Ge-
treidespenden. — Juristische Bestimmungen. — Die litterarischen
Erscheinungen dieser Epoche 390 — 425
>
I. Buch.
Erstes Kapitel.
Tod Theodosius I. — Allgemeine Weltlage. — Die Reichsteilung. — Ver-
gleichung des Orients und Occidents in Bezug auf Flächeninhalt, BodenbeschafFen-
heit und Erzeugnisse. — Die Reichseinheit. — Die Osthälfte des römischen
Reichs nach ihrer geographischen Lage, administrativen Gliederung und militaerischen
Machtentfaltung. — Constantinopel ,. bleibender Sitz der oströmischen Kaiser, am
Ende des vierten Jahrhunderts.
Am 17. Januar 395^) nach längerer Krankheit starb der Kaiser
Theodosius I. in Mailand, nachdem er wenige Monate vorher den
zweiten der unter seiner Herrschaft auftauchenden Usurpatoren, den
Eugenius, in den Engen der Julischen Alpen am Frigidus vernichtet
hatte.2) Anders wie seine jugendlichön Mitregenten Gratian und
Valentinian II. und wie so viele seiner Vorgänger hauchte der fromme
Monarch seinen letzten Atem aus, nicht hatte ihm der Mordstahl
gedungener Schergen den Lebensfaden durchschnitten, sondern im
Kreise trauter Angehöriger und im Beisein des ehrwürdigen Bischofs
Ambrosius entwich seine gewaltige Seele dem von den vielen An-
strengungen fast ununterbrochener Kriegszüge und aufregender Ereig-
nisse schon längst geschwächten Körper, Er hatte kein hohes Alter
erreicht, denn im Jahre 346 geboren «*) hatte er das 50. Lebensjahr
noch nicht überschritten, und es schien ihm daher nach menschlichem
Ermessen noch eine lange Regierungszeit beschieden zu sein. Nie-
mals wäre eine solche wohl erspriesslicher für das römische Reich
gewesen denn gerade jetzt, wo nach der Niederwerfung des Eugenius
die römische Welt in ihrer ganzen Ausdehnung unvermutet noch
einmal in einer einzigen Hand vereinigt war. Theodosius mit seiner
*) Socr. V. 26. Chron. Pasch, zu 394; vgl. Tillem. V. note 58 sur Th^odose.
Philost. XI. 2. Idac. chron.
^) Giildenpenning und Ifland: Der Kaiser Theodosius der Grosse. Halle»
Max Niemeyer. 1878. S. 221 £F., weiterhin citiert unter dem Zeichen G.
3) Ebend. S. 52.
I
zweischneidigen Politik: ebenso aufrichtig andrängende Germanen, wenn
sie Frieden und Freundschaft halten wollen, in die Grenzen seines
Reichs aufzunehmen wie energisch ihren feindlichen Angriffen entgegen-
zutreten, wäre es gewiss gelungen die Ueberschwemmung des Westens
durch die von den Hunnen getriebenen Völker noch eine Reihe von
Jahren aufzuhalten, während der Tod dieses weit auch unter den
Barbaren gefürchteten Gegners andererseits das Signal zu Aufständen
im Innern wie zu Einbrüchen von aussen geworden ist.
Die weit gespannten Grenzen des Reichs gegen Norden von der
Mündung des Rheins bis zu der der Donau boten dazu der Pforten
viele, während im Süden die nomadisierenden Wüstenvölker des
africanischen Erdteils wohl lästige Raubzüge in die Küstenländer unter-
nahmen, aber zur Erschütterung des Reichsbestandes viel zu schwach
waren, und der Westen am sichersten durch die Fluten des Oceans
gedeckt wurde. Auch der Erbfeind des römischen Namens, das alte
Partherreich an den Grenzen Armeniens und Mesopotamiens, war gerade
unter Theodosius' Regierung als Nachbar nicht gefährlich gewesen,
sondern die friedlichen Gesandtschaften zwischen Theodosius und
Schapur IIL beweisen, dass wenn auch nicht ein förmliches Bündnis
zwischen beiden geschlossen ward, so doch wenigstens die Beziehungen
zwischen ihnen äusserst freundschaftliche waren.*) So drohte dem
Reiche nur von Nordosten das Verderben, von dem aus der kaspischen
und pontischen Steppe allmählich immer weiter westwärts drängenden
Hunnenvolke, das aber zu Theodosius Zeiten kaum selbst in der
rumänischen Ebene angelangt war, sondern nur wie ein fernes Gewitter
seine schreckenden Vorboten in Gothen, Gruthungen, Alanen und
Skiren ö) voraussandte. Im Innern konnte dem Reiche die Aufsässig-
keit der entfernten in Gallien und Britannien gamisonierenden Legionen,
der Uebermut der in Dacien und Moesien als Foederaten angesiedelten
germanischen Westgothen nur dann gefährlich werden, wenn eben die
von der Klugheit gelenkte Hand des Theodosius das Staatsruder nicht
mehr führte, denn bei der Energie des Kaisers war vorauszusehen,
dass er, der so viel stärkere Gegner bezwungen, den Statthalter des west-
römischen Africas Gildo, welcher allein ihm zum Zuge gegen Eugen
die Heeresfolge versagt hatte,®) mit leichter Mühe bewältigen werde.
Ueber alle diese Sorgen und Aufgaben starb nun der Herrscher
hinweg, indem er das Reich seinen beiden Söhnen Arcadius und
Honorius hinterliess, von denen der erstere ein Jüngling, der letztere
*) S. 128 £F. vgl. Orosius VII. 34.
5) Zos. IV. 35 u. 38. vergl. Ifland S. 134 fF. Cod. Theod. V. 4, 3.
^) Claudian de bello Gildon. v. 240 fF. VI. cons. Hon. v. 108 — iio.
ein noch nicht einähriger Knabe war. Die ihnen zufallenden Reichs-
teile waren ihnen sicher, wenigstens, was Arcadius anbetrifft, längst
bestimmt; denn gewiss nicht erst auf dem Totenbette hat der vor-
sichtige Theodosius eine Anordnung darüber getroffen. Dem Arcadius
war wohl, als dem älteren Sohne, von jeher die vom Vater beherrschte
Osthälfte zugedacht gewesen, während für Honorius vor der Ermordung
Valentinians II. wahrscheinlich eine erneute Teilung des Occidents
zwischen diesem und ihm beabsichtigt war. Denn so dankbar Theodosius
auch gegen Gratian war, so ging doch das Gefühl der Ergebenheit
gewiss nicht so weit, dass er dem jugendlichen Bruder desselben,
Valentinian IL, die ganze Westhälfte des Reichs für immer überlassen
wollte; sein Besuch in Rom im Jahre 389 mit Honorius, bei welchem
er, diesen im Arm seinen Triumpfzug als Besieger des Maximus in
die Stadt feierte, war aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem Zweck unter-
nommen, um den zukünftigen Beherrscher Italiens und Africas den.
Römern zu zeigen, während Valentinian wohl auf Gallien, Britannien,
Spanien beschränkt worden wäre, eine keineswegs ungewöhnliche
Teilung, da schon Diocletian, Maximian, Constantius Chlorus, Galerius
und Gratian, Valentinian und Valens in solcher Abgrenzung regiert
hatten.'^) Aber die Verabredung, welche damals vielleicht zwischen
Theodosius und Valentinian stattfand, war durch das gewaltsame Ende ,
des jungen Fürsten gegenstandslos geworden und so war es nur
natürlich, dafs dem zweiten Sohne Honorius die erledigte westliche
Reichshälfte 7a) zufiel.
Sie bestand aus Britannien bis zum Grenzwall des Hadrian, Gallien,'
Germanien bis zum limes transrhenanus, Spanien, It;alien und dem
westlichen Theile der Provinz Illyricum, welche Noricum, Pannonien,
Dalmatien umfasste und deren Grenze gegen SO. vom Busen von*
Scodra (Scutari) über die bosnischen Berge am Drinus (Drina) entlang
zum Saus (Sau) verlief, aufserdem aus der ganzen Nordküste Africas vom
atlantischen Ocean bis zum Plateau von Barka. Der dem Arcadius
zugewiesene östliche Teil dagegen setzte sich zusammen aus der
Balkanhalbinsel mit der Donau als Nordgrenze, Klein-Asien, der Halb-
insel Taurica (Krim), Syrien, Palaestina, Aegypten, Unter-Libyen und
der Pentapolis. Schon der blofse Blick auf die Karte zeigt, dafs der
Flächeninhalt der anderen Hälfte die letzgenannte weit übertrifft und
') vgl. zu diesem Gedanken die Ausführung bei G. S. 174 ff.'
''a) Claud. in Rufin. IT. 154 AT. (Stilicho) ... regit Italiam Libyenque coercet
Hispanis Gallisque iubet.
160. ... Quid partem invädere tentat?
Deserat lUyricos fines; Eoa reihittat.
I*
in der That ergiebt eine nähere Vergleichung, dafs des Honorius
Reich etwa 70000 DM1., das des Arcadius nur 50000 DM1. enthält
und somit um ungefähr 20 000 DM1. hinter dem Occident zurückbleibt
Nicht minder übertreffen die einzelnen Teile des Occidents an
Fruchtbarkeit und Produktenreichtum diejenigen des Orients:
Britannien, 8) das entfernteste Glied des weströmischen Reichs, brachte
nach Strabos Bericht aufser dem Zinn der Halbinsel Comwales aus
seinem ebenen Südosten Getreide und treffliche Rinder, aus dem
gebirgigen Westen und Norden Gold, Silber und Erz in den Handel.
Die Gallier®) waren berühmte Schaf- und Schweinezüchter, führten
Flausmäntel und Pökelfleisch nach Italien aus, während der ebene Norden
und Osten Weizen in solcher Fülle hervorbrachte, dafs das volkreiche
Rom am Ende des 4. Jahrhunderts daran denken konnte Africas zu
entraten und sich aus Gallien sein Brodkorn kommen zu lassen; i<^)
Spanien, zwar im Innern Plateau und dem Getreidebau nicht günstig,
ist dafür durch seine Ebenen hinreichend entschädigt, in welchen in
Ueberfülle aufser dem Weizen herrlicher Wein gedeiht, während die
Flüsse Goldstaub mit sich führten, die Gebirge Silber, Kupfer, Erz enthielten
und das Meer einen wunderbaren Reichtum an Fischen in sich barg:^')
Africa ferner, seit Jährhunderten wegen seiner üppigen Fruchtbarkeit
die Kornkammer Roms, war so bevölkert, dass man im 4. Jahrhundert
in Numidien 123, in der Consularprovinz Africa 170 Bischofssitze
zählte, 1^) wogegen, weniger ^^a) allerdings als heute, Tripolis, hart an
der Grenze der Sahara gelegen, weitzurücktrat. Italien sodann war und
ist in sehr viel höherem Mafse als Griechenland ein Land des Acker-
baus, welchem dort heute 39,9^0 ^^^ ganzen Areals, hier nur i8,4'7o
zufallen; Illyricum endlich mit Ausnahme des südlichen gebirgigen
Teils (Bosnien) war ebenso wie jetzt ein dem Getreidebau und der
Viehzucht äufserst günstiges Gebiet, welches gerade in der späteren
Kaiserzeit die Producte derselben, insbesondere Häute und Wolle, in
grofser Menge nach Italien ausführte, und dessen intensiverer Acker-
®) Strabo ed. Kramer IV. 5, i. Kiepert Lehrb. der alten Geographie S. 528 ff.
^) Strabo IV. 4, 3. Mendelssohn, Das germanische Europa.
*^) Claudian. de cons. Stilichonis v. 91 ff.
>») Strabo m. 3. Kiepert a. a. O. S. 484 ff.
>«) Ebend. S. 215 flF. Bekker-Marquardt lU. i. S. 229 ff.
*^») Das Klima dieser Küste hat sich geändert; sie hatte mehr Niederschlag
und bei weitem reichlichere Vegetation; vgl. Theob. Fischer in Petermanns Mit-
teilungen 1883, I. Heft.
") Kiepert. S. 380, 354 ff.
") S. 362.
bau nur durch ausgedehnte Wälder und Sümpfe und die Unsicherheit
der Donaugrenze gehemmt wurde.
Das oströmische Reich andererseits zeigt auf den ersten
Blick einen bemerkenswerten Mangel an ebenen Teilen, wie einen
Reichtum an Gebirgsformen : Die BalkanhalbinseU^*) zunächst ist
fast völlig von Gebirgen durchzogen und zwar in so durchkreuzenden
Zügen, dafs sie bis auf den heutigen Tag sowohl am wenigsten durch-
forscht und bekannt geworden ist, als auch allein von den drei süd-
lichen Halbinseln des Europäischen Continents einer durchgehenden
mit den nördlichen Culturstaaten verbindenden Eisenbahnlinie entbehrt
und deshalb wie vor alters ihre Einfuhr ausschliefslich zur See empfangt
und zwar nicht von den benachbarten nördlichen Handelsvölkem,
sondern von den fernen Bewohnern Britanniens. Nie hat es an der
unteren Donau im späteren Altertum und Mittelalter eine Handelsstadt
wie Regensburg oder Augsburg gegeben, obwohl die türkische Herrschaft
sich weit nach Ungarn und bis zur Krim erstreckte, sondern stets
haben die beiden Häfen Constantinopel am Bosporus und Thessalonich
(Saloniki) am Aegäischen Meere unbestritten den Austausch der ein-
heimischen und fremden Erzeugnisse vermittelt, i^) Die gebirgige Natur
der Halbinsel hat von jeher nur eine teilweise Ausnutzung des Bodens
gestattet, von dem heute in der Türkei 30%, in Griechenland gar
58,9<^/q16) noch unproductiv sind: Der breite Norden war dem Getreide-
bau in den Thalebenen der Flüsse in so hohem Grade günstig, dafs
Thracien *'^) einst den Ruhm genofs den feinsten und schwersten Weizen
für die Ausfuhr nach Griechenland zu erzeugen, während von dem
eigentlichen Griechenland nur Thessalien und Boeotien durch seinen
Ackerboden ausgezeichnet war und die übrigen Landschaften den
unergiebigen Boden in erster Linie für die Viehzucht nutzbar machten.
Die verhältnismäfsig kalten Winter femer der Balkanhalbinsel bewirken,
dafs der Oelbaum, welcher in Italien südlich vom 44<^N.B. vortreftlich
gedeiht, hier erst südwärts einer Linie, die den Malischen Meerbusen
mit Istrien verbindet, zu finden ist.
Nochmehr ist Klein-Asien^^) und die Ostküste des Mittel-
meeres nur zum teil anbaufähig und lohnt die Arbeit, dort sind es
i*a) vgl. zu dieser Ausführung G. Hertzberg, Gesch. Griechenlands seitdem
Absterb. des ant. Lebens I. S. 33 ff.
^^) vgl. Güldenpenning. Über die Besiedelung der Meerbusen. Progr.
Pyritz 1883. S. 19 und 20.
^^) Hübners geograpb.-statistische Tabellen 1884.
") Kiepert, S. 236 und 323.
«) S. 88 ff.
nur die westwärts geöflfheten Thäler der ins Aegäische Meer sich
ergiefsenden Flüsse, welche an Südfrüchten, Wein, Ol und Getreide
gute Ernten liefern, und der zum Pontus abfallende kühlere Nord-
rand, die Mittelmeerküste dagegen läfst aufser der reichen Komebene
von Adana^'^) keinen nennenswerten Raum zu ergiebiger Bebauung
und leidet an miasmatischen Ausdünstungen der flachen Küstenlagunen,
während das innere Hochland vielfach entwaldet in der Mitte sich zu
ödem Steppenland bedeckt mit einer Anzahl salziger Seen, deren
gröfster der Tatta^o) (Tüz-Tschölü) ist, ausbildet, trotz des Wasser-
mangels aber ausgezeichnetes Weideland für Rinder, Schafe und
ganz besonders Pferde abgiebt; denn gerade in Phrygien und Cappa-
docien hatten die Kaiser dieser Periode ihre grofsen Staatsgestüte für
den Privatgebrauch und den Bedarf der circensischen Rennspiele.^*) Die
Ostbegrenzung des Mittelmeeres bildet das durch den Parallelismus
der nordsüdlichen Gebirgsaufrichtungen bemerkenswerte nach dem
Euphrat zu sich senkende Plateau von Syrien,*^^) welches von den
aus Südwest heranziehenden Winterregen nur an der Westseite
bestrichen wird und je weiter nach Osten einen immer wüstenartigeren
Character annimmt; es sind daher nur die geringen Ebenen an jener
Seite, welche überall bei der natürlichen Güte des Bodens und der
reichen Bewässerung überaus ertragreich, namentlich an Wein und
Ol, waren, während das Hochgebirge treffliches Bauholz, Eisen und
Kupfer lieferte und der phoenicische Strand die besten Purpurschnecken
aufwies. Auch in Aegypten femer betrug das vom Nilschlamm
befruchtete und deshalb allein aufserordentlich ertragfähige Areal
nicht mehr als 6cx) nNlLj^s) diese aber spendeten so ergiebige Ernten,
dafs Aegypten in Bezug auf die Getreidelieferung *^3aj f^^ Constantinopel
das wurde, was die Provinz Africa für Rom, obwohl es auf jenem
eng begrenzten Raum nicht weniger als 7 — 8 Millionen Menschen
nährte,23b) also auf der DMl. mindestens 11 — 12000. Dagegen ver-
mochten die geographisch zu Aegypten gerechneten, das fruchtbare Land
*•) S. 130.
«0 Strabo XII. 5, 4.
**) Ebend. 6, i : oficog 6h xalneg avvÖQoq ovaa ^ X^Q^ ngoßara ix-
XQtipei d-avixaaxdq, ZQaxsiag St i^iag. vgl. die Zusammenstellung bei Gothofredus
im Comment. zu Cod. Th. X. 6, i.
^ Kiepert S. 157 ff.
23) s. 193.
23 a) 80000 Brote wurden täglich in Constantinopel verteilt. Socrates bist.
cccl. II. 13, Soz. III. 7. Zos. II. 32, I.
23b) Zählung 1883: 6798230. vgl. Bekker- Marquardt Händb. der Rom.
Altertümer III. i. $. 207 ff.
•
einschliefsenden Wüsteneien freilich nur treffliches Bau- und Sculptur-
Material wie Granit, Porphyr, Basalt, Marmor u. a. herzugeben. Das
sich westlich an Aegypten anschliefsende Gebiet, Libya inferior,
endlich ist eine öde, steinige Hochfläche, die Pentapolis^*) (Plateau
von Barka) dagegen wird vom Winterregen reichlich befruchtet und
war ergiebig an Wein, Öl und Sylphion.
Steht aber die Osthälfte des römischen Reichs hinter der West-
hälfte an äufserem Umfang und Productenreichtum ohne Frage zurück,
so weist hinwiderum der Osten mancherlei Vorzüge auf, welche
dem andern Teile abgingen. Die räumlich gröfsere Ausdehnung des
Occidents bedingte einmal bei der Gestaltung des europäischen Erd-
teils eine gröfsere Entfernung der einzelnen Glieder vom Mittelpunkte
und konnte unzufriedenen Legionen und ehrgeizigen Officieren leichter
eine Erhebung gegen das rechtmäfsige Staatsoberhaupt und die Möglich-
keit ihres Gelingens an die Hand geben, andererseits bewirkte die
nordwestliche Erstreckung eine verhängnisvolle Verlängerung der öst-
lichen Grenzlinie, welche im ganzen durch leicht überschreitbare Ströme,
Rhein und Donau, gedeckt wurde. Der Orient dagegen bildete einzig
und allein die umgebende Küstenlinie und das Hinterland des längst
der Schiffahrt erschlofsenen und den Seefahrern bekannten Mittelmeers
und kein Glied war von dem andern durch unwegsame Landstrecken
getrennt, sondern das leicht befahrbare, allverbindende Meer vermochte
die Truppen des einen Teils in wenigen Tagen zum andern gelangen
zu lassen, dazu war nur die Donaugrenze eine schwache Barriere für
die von Norden her drängenden Barbaren, denn das Völkerthor von
Baku führte die Eindringenden nicht in das Thal eines Klein-Asien
aufschliefsenden Flusses, sondern in das schluchtenreiche, unschwer zu
verteidigende Armenien.-^) Aber selbst im Falle einer von Erfolg
begleiteten Invasion von Norden her führte der ganze östliche Teil
mit Ausnahme Aegyptens die Fremdlinge in ein ganz ungewohntes
Terrain, in dem sie sich gewöhnt an weite Flächen, auf denen der
Blick ungehemmt umherschweifen konnte und sich ihnen Acker- und
Weide-Land in Ueberflufs und mühelos bot, schwerlich wohl fühlen
konnten und sich einleben mochten; denn hier nahm das Ackerland
den geringsten, das unproductive den bei weitem gröfsten Teil ein.
Vor allen Dingen aber entsprach der Westen Europas in klimatischer
Beziehung mehr als der Osten den körperlichen Eigentümlichkeiten
>*) Kiepert. S. 211.
**) Man denke an den Zug der 10 000 Griechen unter Xenophon. vgl.
Strabo XI. 14, 4, *Ev avr§ 6h ty jiQfievia itoXka fihv oqtj, TioXXa 6h 0Q07te6ia,
SV oig ov6* afiTteXog (pvstcci ^a6i(oq, TtoXXol 6*avXc5v6g.
8
m
der aus dem Nordosten kommenden Völker, welche in der sarmatischen Tief-
ebene an einen Januar von bisweilen ^ö) — 30® C. gewöhnt waren, denn
in seiner Ausdehnung zwischen dem 35. und 55® N. Br. bot der Occident
Gegenden dar, in denen ein starker Winterfrost sich bis heute nicht
verleugnet, der Orient aber, zwischen dem 25. und 45® N. Br. gelegen,
also um volle 10 Breitengrade südlicher, kennt mit Ausnahme der
nördlichen Balkanhalbinsel und der sonst öden Hochflächen Armeniens^'')
keinen Winter: Constantinopel hat im Januar +5 <*C., Athen und Jerusalem
je + 8,500., Suez im Februar + 13,10c.
Aber nicht nur die klimatische Gleichartigkeit und die davon
bedingte Uebereinstimmung der Erzeugnisse verband allein die Glieder
des Ostens enger mit einander als diejenigen des Westens; es war
vielmehr noch die Gleichartigkeit der geistigen Bildung und die gleiche
Höhe auf der Stufe der Kultur, welche den Osten vor dem Westen
auszeichnete; hatte dieser ausgedehntere Ländermassen, so fiel ihm
hier auch eine gewaltige civilisatorische Aufgabe zu in zweierlei Be-
ziehungen, einmal die, die nordwestlichen Provinzen noch mehr als
bisher geistig zu durchdringen, andererseits ihnen allen die Segnungen
des katholischen Christentums zu bringen, deren sie immer noch ent-
behrten; der Osten dagegen umfafste nur Völker, welche entweder
Griechen waren oder doch schon seit 7 Jahrhunderten, nämlich
seit Alexanders glänzendem Siegeszuge zum Hydaspes unter seinen
griechischen Nachfolgern längst griechisch nicht nur zu sprechen,
sondern auch zu denken gelernt hatten und in denen schon längst
die vom Arianischen Irrglauben gereinigten Lehre in der Weise durch-
gedrungen war, dafs jede Verschiedenheit der Auffassung eines
Dogmas das ganze Reich gleichmäfsig von Norden nach Süden und
vom niedrigsten bis zum höchsten ergriff und erregte.^») Im Occident
dagegen gab es noch eine starke heidnische Hofpartei, welche durch
die Besiegung des Eugenius nur äufserlich niedergeworfen war und
sofern sich ihr die Gelegenheit bot, gern bereit war den Polytheismus
selbst auf Kosten des Patriotismus von neuem zu proclamieren,*^^)
während das Volk sich keineswegs in der Stärke wie das griechisch-
redende mit seinem Herrscher durch die Religionsgemeinschaft als
identisch fühlte und nicht immer notwendig in dem Feinde seine
26) Kiepert S. 339.
^) vgl. Joh. Chrysostomi ep. 4. 6. 109: anrix^^i^v eiq ;|rcö^£Ov xr^q
xaS^ ijliiag oixovfievT^g iQrifioratov u. a. a. O.
**) vgl. Finlay Griechenland unter den Römern I. S. 125 ff. 149.
^^) Zos. y. 41. während der Belagerung Roms durch Alarich.
Landes den eignen sah, sondern viel öfter den rettenden Befreier von
unerträglichem Steuerdruck.
Schwerlich ahnte der sterbende Theodosius, mehr, wie Ambrosius
behauptet ,30) auf dem Totenbette um das Heil der Kirche als das
des Staates besorgt, dafs die von ihm also getrennten Reichshälften
so ganz verschiedene Wege wandeln und Schicksale haben würden;
er starb vielmehr in dem guten Glauben, dafs die Herrscher, seine
Söhne und Nachfolger, niemals den Gedanken der Zusammengehörig-
keit aus den Augen verlieren, sondern stets die Gefahr des andern
auch für die eigne ansehen würden. Und äufserlich wenigstens wurde
die Reichseinheit noch Jahrhunderte hindurch dadurch aufrecht
erhalten, dafs die in beiden Teilen gegebenen Gesetze und Verord-
nungen alle ohne Ausnahme an d-^r Spitze stets die Namen der beider-
seitigen Regenten trugen, obwohl sie vor der erst durch Theodosius IL
erfolgten Codificierung nur einseitig erlassen waren,^*) und dafs sie in
lateinischer Sprache abgefafst wurden (bis Jusfinian); sodann wurde
das Jahr nach wie vor nach den beiden Consuln^»») benannt, von
denen regelmäfsig jedes Reich einen ernannte. Es kommt zwar oft
vor, dafs am Ende der Verfügungen nur einer genannt ist, allein dies
erklärt sich leicht daher, dafs man oft mit ihrer Ernennung, um hoch-
verdiente Männer dadurch auszuzeichnen, zu lange wartete, und in-
folge dessen der Name des Consuls am Beginn des Jahres im Nachbar-
reiche noch nicht officiell bekannt war.^^) Endlich sahen auch die
Zeitgenossen die Teilung des Reichs nicht als eine dauernde Trennung
an, wie denn der spanische Presbyter Orosius, welcher um 417 seine
sieben Bücher gegen die Heiden schrieb, ausdrücklich sagt:^^) „Der
Kaiser Arcadius, dessen Sohn Theodosius jetzt den Orient regiert, und
der Kaiser Honorius, sein Bruder, welchem jetzt unser Staat gehorcht.
^) De obitu Theod. orat. c. 35. Doch ermahnte er die Söhne die Steuern
herabzusetzen ibid. 5.
3*) Vgl. Cod. Theod. ed. Hänel. I. 1,5. u. De Theodos. cod. auctoritate
bei Hänel p. 94. § 5. u. 6.
3»a) Vgl, Walter Geschichte des röm. Rechts I. S. 437 ff. Finlay a. a. O.
S. 139.
32) Vgl. Richter de Stilichone et Rufino. Dissert. Halae 1860, p. 3 u. 4.
Sievers Stud. zur Gesch. der Röm. Kaiser S. 546—548. Synesius ep. 132.
33) VII. 36. Arcadius ... et Honorius . . . commune Imperium divisis
tantum sedibus tenere coeperunt, eine Stelle, welche weder Richter a. a. O. noch
Sievers S. 337. anfuhren. Der von ihnen citierte Marcellinus Com. hat seine
Notiz aus Orosius entnommen, wie Holder-Egger im Neuen Arch. der Ges. für
alt. deutsche Gesch. Untersuchungen über einige annalist. Quellen zur Gesch. des
5. und 6. Jahrh. 1876, 1, i. nachgewiesen hat.
lO
begannen das Reich gemeinsam zu beherrschen, nur dafs die Residenzen
verschieden waren."
Gleichwohl sind die Unterschiede in den politischen, socialen und
religiösen Verhältnissen bei der Verschiedenheit der geographischen
Beschaffenheit der beiden Länder und ihrer Bewohner trotz aller Gemein-
samkeit in den Interessen so gewaltig, dafs man bereits von 395 an eine
gesonderte Geschichte des Ostens und Westens schreiben kann, wenn
man nurden andern Reichsteil und die Veränderungen in demselben stets
dabei im Auge behält, um jedesmal, wenn die Ereignisse eine Gesammt-
action der Reiche erforderten, überall über die Veranlassung derselben
und ihre Folgen genau orientiert zu sein.
Will man das nun mit der Osthälfte für mehr als ein halbes
Jahrhundert versuchen, so mufs man sich vor allen Dingen ausser über
die allgemeine physische Gliederung derselben auch über die
administrative und militärische klar sein: das ganze oströmische
Reich zerfiel in zwei ungleiche Hälften Oriens und lllyricum,^*)
von denen jene weitaus die gröfsere war; beide wurden von einem
PraefecLus praetorio^***) verwaltet, doch hatte nur der Praefectus pr.
per Orientem seinen Sitz und seine Kanzlei in Constantinopel, während
der Praefectus pr. per lllyricum seit 395 zumeist in Thessalonich und
nur kurze Zeit (in den Jahren 424 — 447 etwa) in Sirmium residiertet^)
Die Praefectur des Orients zerfiel ihrerseits in fünf gröfsere Verwaltungs-
bezirke, Dioeceses: Oriens, Aegyptus, Asiana, Pontica, Thracia. Die
Dioecese Oriens wurde von einem comes mit dem Amissitze in der
nur Rom und Alexandria an Volkszahl nachstehenden Hauptstadt
Syriens Antiochia verwaltet; ihm unterstanden die Provinzen Cilicia
secunda 36) mit dem Hauptort Anazarbus, (Syria salutaris, mit Apamea),
Euphratensis,^'') Foenice Libani mit Damascus,^^) Palaestina secunda
mit Scythopolis, Palaestina salutaris mit Petra, Mesopotamia mit Amida,^^*)
Osrhoena mit Edessa, Isauria mit Seleucia,40) welche ein praeses
(Regierungspräsident) leitete; ferner Palaestina prima mit dem Haupt-
^) Im folgenden ist die Notitia dignitatum et administrationum ed.
Ed. Böcking Bonnae 1839 — 1853 und ed. O. Seeck. Berlin 1876 zu Grunde
gelegt. Vgl. Walter § 366—370.
3*a) Üeber seine Amtsbefugnis und sein officium Walter a. a. O. S. 431 ff.
38) Hertzberg Gesch. Griechenlands seit dem Absterben d. antik. Lebens I. S. 62.
3«) Vgl. Bekker-Marquardt Handb. der Rom. Altertümer III. i. S. 171 und
Joh. Malal. XIV. p. 365.
37) Bekker-Marquardt III. I. S. 175.
3«) S. 201.
39) S. 207.
*o) Not. Dign. I. 313. Bekker-Marquardt S. 171.
II
orte Caesarea,"*^) Foenice mit Tyrus, Syria prima mit Antiochia, Cilicia
prima mit Tarsus, die Insel Cyprus mit Constantia (Salamis*^), welchen
ein consularis vorgesetzt war; endlich die Provinz Arabia mit Bostra,*^)
welche jedoch einen Militairgouvemeur (dux) hatte.
Die Dioecese Aegyptus unter einem praefectus, welcher wegen
der Wichtigkeit des Landes für das Reich speciell der „Kaiserliche"
Augustalis genannt wurde und seinen Sitz in Alexandria hatte,*-*)
teilte sich in die Provinzen Aegyptus am Delta bis Memphis, Arcadia
bis nördlich von Antinoe, Thebais bis Philae am Nil, in das an der
Meeresküste westlich gelegene Libya inferior und die Pentapolis oder
Libya superior an der kleinen Syrte mit dem Hauptort Kyrene;^«'»)
diese verwaltete je ein praeses, die Provinz Augustamnica dagegen,
östlich vom Delta bis nach Rhinocolura reichend, wurde von einem
corrector verwaltet.
Von der Dioecese Asiana war der schmale Küstenstrich am
Aegäischen Meer von Assus bis zum Maeander mit der Hauptstadt
Ephesus'*^) abgetrennt und genofs allein im ganzen Ostreich die Ehre
einem proconsul Asiae unterstellt zu sein, der in Bezug auf diesen
Teil seine Befehle direct jedesmal vom Kaiser empfing, während er
für die ebenfalls von ihm ressortierenden Provinzen Hellespontus mit
Cyzicus,46") Lydien mit Sardes und die insulae den Anordnungen des
praefectus praetorio Orientis unterworfen war. Diese letztgenannten**?)
waren 53 an der Zahl und umfafsten fast alle Cycladen und Sporaden,
besonders Rhodus, Cos, Samos, Chios, Lesbos, Tenedos, Andros,
Naxos, Paros, Thera, Amorgos, Astypalaea, deren Metropolis Rhodus war.
Sie wurden von einem praeses, Hellespontus und Lydia von einem
consularis geleitet. Dagegen unterstanden dem vicarius Asianae die
Provinzen Pisidia, Lycaonia*^) mit dem Hauptort Iconium , Frygia
Pacatiana mit Laodicea, Frygia Salutaris mit Eukarpia,*^) Lycia,^''^)
**) S. 201. Not. Dign, p. 341 seq. 511 seq.
*^ Bekker-Marqnardt S. 133. Not. Dign. p. 130.
*^) Bekker-Marquardt S. 203.
**) S. 219 fF. •
**) S. 221 — 224.
*8) S. 144. Not. Dign. p. IG, 51, 167, Vgl. Hertzberg Gesch. Griechen-
lands unter den Römern III. S. 236.
*8a) Hierocles synecdem. ed. Bonnel p. 393. Bekker-Marquardt S. 144.
*^) Hertzberg a. a. O. S. 233. Bekker-Marquardt S. 145.
*8) s. 142. vgl. Malal. XIV. p. 364 seq.
*^) Bekker-Marquardt S. 144.
«>) S. 163.
12
Carla mit Aphrodisias, welche alle je ein praeses verwaltete, allein
Pamphylia ein consularis.
Die Pontische Dioecese unter dem vicarius Ponticae zerfiel in
die Provinzen Cappadocia prima 5*) mit der Hauptstadt Caesarea,
Cappadocia secunda mit Tyana, Hellenopontus, Pontus Polemoniacus,
Armenia prima und secunda mit Melitene und seit Theodosius IL
in Galatia Salutaris mit Pessinus , Honorias mit Heraclea unter je einem
praeses, Bithynia mit Nicomedia, Galatia mit Ancyra unter je einem
consularis ^2) und endlich Paphlagonia unter einem corrector. Aber
die Praefectur des Orients beschränkte sich nicht auf Asien und Africa,
sondern sie griff noch mit der Dioecese Thracia nach Eunopa über
und umfafste denjenigen Teil der Halbinsel südlich der Donau, welcher
im Westen durch eine etwa von Philippi ziemlich nordwärts bis zur
Mündung des Cebrus (oder Ciabrus = Tzibritza) in den Ister verlaufende
Linie begrenzt wird. Es waren dies die Provinzen Haemimontus,
Rhodopa, Moesia secunda, Scythia, welche unter einem praeses, Thracia
und Europa, welche unter einem consularis standen. Der Statthalter
Moesiens hatte zugleich die Oberaufsicht über die Vorgänge an der
Nordküste des Pontus und speciell auf der Taurischen Halbinsel, welche,
wenn sie auch nicht in der Notitia dignitatum aufgeführt wird, gleich-
wohl dem Unterthanenverbande des Reichs, wie durch inschriftliche
und Münzenfunde hinreichend beglaubigt ist, angehörte ; '^^) doch scheint
eine Zufuhr von Getreide, wie sie im Altertum nach Griechenland
stattfand, in diesen Zeiten zunächst nicht vorgekommen zu sein, wohl
infolge der ungeordneten Verhältnisse, welche die Völkerwanderung
grade auf dem so fruchtbaren Boden nördlich jenes Meeres hervor-
gerufen hatte.**)
Im Verhältnis zu der weit ausgedehnten orientalischen Praefectur
nahm das oströmische Uly ric um einen weitaus geringeren Raum ein;
es zerfiel nur in die beiden Dioecesen Macedonia und Dacia, aufser-
dem genofs die Provinz Achaia, den Pelopomes und das eigentliche
Hellas mit Euboea und Lemnos umfassend, ebenfalls die Auszeichnung
von einem proconsul verwaltet zu werden, doch unterstand dieser
nicht wie der Asiens direct dem Kaiser, sondern dem praefectus pr.
**) Not. Dign. p. 146 — 148. Bekker-Marquardt S, 160.
52) S. 154 und 157, vgl. Malal. XIII p. 348.
^^) Bekker-Marquardt S, 107 ff.
^*) Procop Bell. Goth. IV. 5. 'Ex öh BoanoQov tioXbcoq ig tcoXlv XsQOwva
iovxL, TJxetTai fihv iv ry TtccQalia, ''P(Ofial(ov ob xccl avTtj xaxrixooq ix naXaiov
iazi, ßagßaQOL .... ra fiera^v anavxa exovai. Vgl. Soc. IV. 16.
Hertzberg a. a. O. m. S. 268 und Kiepert S. 347.
13
per Illyricum; seine Hauptstadt war Korinth.'^*) Die Dioecese Macedonia
hatte sechs Provinzen, von denen Thessalien mit Larissa, Epirus vetus,
Epirus nova (mit einem Teile von Macedonia salutaris) mit Dyrrhachium,^*)
Macedonia salutaris je einem praeses, Macedonia und Greta je einem
consularis unterstellt waren. Die Dioecese Dacia endlich zerfiel in
Dacia Mediterranea mit der Hauptstadt Serdica unter einem consularis,
Dacia Ripensis mit Ratiaria, Moesia prima, Dardania mit Scupi und
Praevalitana mit Scodra je unter einem praeses.
Man mufs gestehen, diese ganze administrative Gliederung war
in einer Weise angelegt, dafs, wenn geeignete Männer die Verwaltungs-
posten bekleideten, das Wohl und Wehe des Reichs vortrefflich besorgt
war; zwar fällt im Gegensatz zur Gegenwart die geringe Anzahl der
Provinzen im Verhältnis zu dem riesigen Flächeninhalt auf, aber ein-
mal war die Dichtigkeit der Bevölkerung (ausgenommen Aegypten)^
wie natürlich bei einem gebirgigen, zum grofsen Teil aus Plateaus
bestehenden Lande eine sehr schwache, andererseits machte sich seit
Theodosius I. auch das Princip gröfserer Teilung mehr und mehr
geltend.
Nicht minder überlegt und sorgfältig durchdacht war die Ver-
teilung des stehenden Heeres über das Reich. An der Spitze des-
selben standen die magistri militum (oder utriusque militiae), Heer-
meister oder kommandierende Generäle,^**^) deren es 5 gab, nämlich
zwei für den Orient und einer für Jllyrien, aufser diesen befanden sich
zwei stets in der Umgebung des Kaisers, welche deshalb den Namen
magistri militum praesentales führten. Ihnen unterstanden'»'') die in
Constantinopel und Umgegend garnisonierenden Truppen, nämlich im
ganzen an Reiterei 1 1 vexillationes Palatinae ^^) imd 1 3 vexillationes
Comitatenses, an Fufsvolk 12 legiones Palatinae, 35 auxilia Palatina
und die Auxiliarii sagittarii; der magister militum per Orientem hatte
IG vexillationes Comitatenses, 9 legiones Comitatenses, 2 auxilia Palatina,
6*) Bekker-Marquardt S. 121 ff.
^) S. 119. Not. Dign. p. 152. 153.
Ma) Über ihre Befugnisse und Officium Walter a. a. O. S. 434.
") Diese Verteilung der Streitkräfte trifft allerdings nicht auf die Zeit der
Reichsteilung zu, weil die Heere noch in Italien waren; erst nach ihrer Rück-
kehr nahmen sie die Stellungen ein, wie sie die Notitia Dignitatum angiebt. Die
Haus- und Palasttruppen (domestici und scholae) hatten ihre eigenen comites,
beziehungsweise standen sie unter dem magister ofificiorum. Böcking, Cap. Xu. XIV,
vgl. Walter a. a. O. S. 494.
**) Über die Unterschiede der Truppengattungen giebt das gelehrte Paratitlon
Gothofreds zu Cod. Th. lib. VII, p. 252 seq. Auskunft, vgl. Walter S. 495.
aber lO legiones Pseudocomitatenses, der magister militum per Thracias
führte 3 vexillationes Palatinae, 4 vexillationes Comitatenses und 2 1 legiones
Comitatenses und endlich der magister militum per lUyricum 2 vexillationes
Comitatenses, i legio Palatina, 8 legiones Comitatenses, 6 auxilia
Palatina und 9 legiones Pseudocomitatetenses. Leider sind die Gamisons-
orte aller dieser Truppen uns nicht erhalten,^®*) sondern wir müssen
uns auf die allgemeine Bemerkung beschränken, dafs sie in den
genannten Provinzen zerstreut lagen, und dafs selbstverständhch die
Hauptorte derselben je nach ihrer militairischen Wichtigkeit auch durch
gröfsere Truppenmassen gedeckt waren. Glücklicher dagegen sind
wir in dieser Hinsicht mit der Überlieferung derjenigen Heeresteile
daran, welche den Gouverneuren der Grenzprovinzen unterstellt waren,
da die Notitia Dignitatum sie fast überall bewahrt hat, wenn auch
über die Lage der Ortschaften mitunter sicheres nicht gegeben werden
kann. Die Truppenbefehlshaber an den Grenzen hiefsen entweder
comites rei militaris oder duces,^^) einen comes finden wir nur am
Limes Aegypti und in Isauria, woselbst aber mit dieser Würde noch
das Amt und der Titel eines Statthalters (praeses) verbunden war;*^)
in den übrigen Grenzdistrikten des Orients commandierten duces:
In Libyen, Thebais, Palaestina, Arabia, Foenice, Syria, Osrhoene,
Mesopotamia und Armenia.^**) Aus dieser Zusammenstellung geht
hervor, von wo die Oströmer den Feind hier im Osten und wen sie
erwarteten, nämlich in Africa die wilden Völker der Sahara und in
Vorder asien die nomadischen Reitervölker der arabisch-syrischen Wüste
und die Perser. Besonders stark war die Besatzung der Thebais, weil
diese oft von den libyschen Stämmen ^^j beunruhigt wurde: 2 Regimenter
Reiterei, 16 alae derselben Truppengattung und an Fufsvolk 4 legiones
und 9 cohortes, welche zum gröfsten Teil in den Nilstädten Hermopolis,
Cusae, Coptus, Hermonthis, Thebae, Latopolis, Syene, Philae und der
Oasis maior gamisonierten, wogegen die Angabe über die Besatzung
Libyens leider verloren gegangen ist. Doch wissen wir aus den Briefen^^)
des späteren Bischofs der Pentapolis Synesius von Kyrene, dafs sie
nicht zahlreich genug war, die einfallenden Maziken und Auxorianer
in Schranken zu halten. Die Provinzen Vorderasiens waren alle stark
geschützt, es lagen vom Pontus bis zum roten Meer, dem ersten
58 a) Walter S. 495 : Sie lagen, vielfach gemischt, im Reiche umher verteilt.
*®) Über ihren Rang vgl. a. a. O. p. 256, .
«>) Böcking a. a. O. L S. 313.
61) vgl. Notitia Dign. I. Cap. 27 — 35.
•2) z. B. Die Blemmyer. Euagrius hist. eccles. ed. Valesius I. 7.
®3) z. B. ep. 129, 131, 132 u. a. a. O. vgl. Philostorg. hist. eccles. XI. 8.
15
AngriiF zu begegnen, nicht weniger als 6i Abteilungen Reiter und
38 alae, dazu an Infanterie 13 praefecturae von Legionen und 37
cohortes, im ganzen überwog die Reiterei das Fufsvolk, weil auch der
Feind dieser Grenzen meist zu Pferde kämpfte. Von den bekannten
Gamisonorten sind anzuführen: Aila an dem Busen der Sinai-Halb-
insel, Bostra, Aelia (Jerusalem), Palmyra, Callinicum, Circesium, Amida,
Melitene, Satala und Trapezunt. Ganz besonders gedeckt waren
Syrien und Foenice, weil sie den Weg durch die schon seit Alexanders
des Grofsen Feldzug bekannte sehr wichtige Amanuspforte zu schliefsen
und den Feind von der reichen, gewifs sehr begehrten syrischen Haupt-
stadt Antiochia abzuhalten hatten ; auch die ebenen Provinzen Osrhoene
und Mesopotamien waren mit zahlreicher Reiterei belegt, wogegen das
gebirgige Armenien nur 2 Abteilungen equites, 8 alae und lo cohortes
aufzuweisen hatte.
In Europa drohte der Feind seit alters von Norden über die
Donau her, deshalb waren die hier liegenden Grenzprovinzen Scythia,
Moesia Secimda, Dacia Ripensis und Moesia prima ö^) mit starken
Truppenmassen belegt, ebenfalls unter dem Befehle von duces. Die
Truppen: 31 Abteilungen Reiterei, 39 auxiliares, wovon eine Abteilung
im Kundschafterdienst geübter Leute (exploratores)*"»*»), ^2 legiones
riparenses, wovon 3 exploratores, dazu 3 Compagnien Marinesoldaten
(nauclarii) lagen in den zahlreichen Castellen, welche entweder an
der Donau selbst oder in ihrer nächsten Nähe angelegt waren,
besonders in Noviodunum^^), Durostorum*^), Viminacium^''), Cebrum^s)
und Margus.ö^) — Diese ganze Streitmacht besteht, soweit das Fufsvolk
in Betracht kommt, schon an sich aus 70 Legionen "^o), welche, wenn
^*) Not. Dign. cap. 36—39. und S. 441 ff,
"a) Vgl. über diese Böcking. S. 488 ff.
e^) S. 449.
6«) Heute Silistrija S. 465 ff.
«') S. 479 ff
6*) Heute Dschibra-palanka am Zibru (Ciabrus) S. 494.
. 69) S. 483 ff
■'®) So berechnet sie wenigstens Bekker-Marquardt a. a. O. S. 357. Die
Legion wird von dem Zeitgenossen Vegetius epitoma rei militaris (ed. C. Lang) II, 2.
ausdrücklich zu 6000 Mann angegeben : Romani legiones habent, in quibus singulis
sena milia, interdum amplius militare consuerunt; während die Stelle I, 17. an und
für sich nichts beweist. Doch weist ebendasselbe cap. 3 auf die Umstände hin,
welche einen forwahrenden Rückgang der Zahl herbeiführten. Wenn nun aber
andererseits O. Seeck Forschungen zur Deutschen Gesch. 1884, Heft i: Über die
Glaubwürdigkeit Claudians in seiner Schilderung des Gildonischen Krieges auf
Grund von Ammian XIX. 2, 14 die Legion zu etwa 2000 Mann berechnet, so
i6
sie vollzählig waren, ein Heer von 420000 Mann darstellen und somit
den heutigen Friedensstand des auf diesem Gebiete gehaltenen türkischen
Heeres von 151 129 Mann (im Kriegsfalle 758000 M.) weit übertreffen
würden; allein aus mancherlei Anzeichen geht hervor, dafs der Präsenz-
bestand des oströmischen Heeres dieser Periode durch geringere Aus-
hebung, Desertion, ungesetzliche Urlaubsbewilligungen ^*) jene Zahl bei
weitem nicht erreichte.
Waren die Grenzen des Reichs auf solche Weise gegen die
Feinde zu Lande nachdrücklich geschützt, so ist anzunehmen, obwohl
die Nachrichten darüber nur spärlich fliefsen, dafs auch zur See eine
respectable Macht an Schiffen und Marinesoldaten von Staatswegen
gehalten wurde. Diese Flotten '^j dienten zur Deckung der Militair-
transporte und der Getreideschiffe, zum teil auch zur Überfahrt der
Truppen selbst und des Kriegsmaterials. Bekannt ist aus der früheren
Zeit die classis Pontica*^«*), welche abwechselnd in Trapezus, Byzantium
und Cyzicus lag und zu unserer Zeit gewiss in Constantinopel ihre
Station hatte, dazu kommt die classis Carpathia ''*) , so genannt
von der Insel Carpathos auf halbem Wege zwischen Alexandria und
Constantinopel, die classis Seleucena'^) (wohl die alte classis Syriaca)
mit dem Standort Seleucia, der Hafenstadt Äntiochias, und endlich
die Aegyptische Flotte, classis Alexandrina oder classis Augusta IV.,
mit der Station in Alexandria, doch wohl zu unterscheiden von der
gleichnamigen aegyptischen Getreidefiotte, welche das Brodkorn alljähr-
lich nach der Reichshauptstadt anfuhr.
Aufserdem unterhielt das Ostreich, wie das Westreich auf dem
Rhein, so auf der Donau '^^) eine Kriegsflotte, welche den Kommandeuren
der dortigen Landtruppen untergeordnet war und deren einzelne Stationen
geographisch nicht alle mit Sicherheit zu bestimmen sind.
Die Waffen für die ganze Streitmacht zu Wasser und zu Lande
wurden in grofsen Staatsfabriken von einer besonderen Zunft, den
fabricenses, welche ebenso wie die Decurionen an ihren Stand erblich
ist es einmal sehr schwer auf diese Stelle ein sicheres Urteil zu stützen, sodann ist
§12 und 13 ein heftiger Kampf vorausgegangen, in dem viele getötet und ver-
wundet waren.
") Vgl. Novell. Theod. II. VII. 3. Walter S. 496.
'2) Bekker-Marquardt S. 392 ff.
'3) S. 405.
''*) Cod. Theod. XDI. 5, 72. Ebenda wird auch die classis Alexandrina
erwähnt.
'6) Cod. Th. X. 23, I.
'ö) NotDign. Cap.37 — 39. Cod. Theod. VII. 17,1. Bekker-Marquardt S, 407.
17
gebunden waren, hergestellt Sie standen unter der Aufsicht des
magister officiorum.'''^) Im Orient wurden in Damascus und Antiochia
Sohilde und Waffen geschmiedet, in Antiochia ausserdem noch Panzer-
stücke für Mann und Ross, in Edessa Schilde und Schiffsausrüstungen,
•
in Irenopolis (Cilicia) Speere und Lanzen; in der Dioecese Pontus in
Caesarea (Kappadocien) Panzer und in Nicomedia ausser diesen noch
Schilde; in Asien war nur in Sardes eine Fabrik für Schilde und Waffen;
in Thracien für dieselben Gegenstände in Adrianopel und Marcianopel;
in lllyrien in Thessalonich, Naissus (Dacia Mediterranea), heute Nisch,
an der Morawa; in Ratiaria (Dacia Ripensis) an der Donau und in
Horreomargus (Moesia 1.) , jetzt serbisch Morawa EUsar "'s), ebenfalls an
der Morawa (Margus).
Die Hauptstadt des nunmehr für immer von dem Westen
getrennten Reiches wurde seit dieser Zeit bleibend Constantinopel,
welches bis dahin neben Rom die zweite Stelle eingenommen hatte«
Es. konnte sich, wenn auch aus dem uralten Byzanz'^^) hervorgegangen,
freilich mit seiner Geschichte und seinen Erinnerungen keineswegs mit
denen Roms messen, dagegen Hess es in Bezug auf die Gunst seiner
Lage dieses weit hinter sich zurück, und es wäre der grösste Missgriff
Constantins des Grossen gewesen, wenn er im Begriff ein Neu -Rom
im Osten zu gründen Serdica, Thessalonich, den Boden Iliums oder
auch Chalcedon, zwischen denen er eine Zeit lang geschwankt hat,^^)
gewählt hätte. Denn alle diese Orte, so günstig sie auch sonst von
der Natur ausgestattet sein mochten, würden in jedem einzelnen Falle
mehr oder weniger als das Erzeugnis einer Fürstenlaune erschienen
sein, während die Meerengenstadt des Bosporus bis auf den heutigen
Tag. und wohl für alle Zeiten die natürliche Beherrscherin der Balkan-
halbinsel, Klein -Asiens und aller der Meere und Wasserstrafsen ist,
welche dort von allen Seiten zusammenfliessen und münden ^i). Wie
könnte man wohl eine andere nicht am Weltmeer gelegene Stadt auf
dem Erdboden suchen und finden, wo so viele begünstigende Umstände
ebenso freigebig gespendet worden sind! Es endigen hier von der
'') Not. Dign. c. 10 u. S. 237 ff. Früher bis zum Sturze Rufins standen
die Fabriken unter dem praefectus praetorio, vgl. Job. Lydus de mag. II. 10,
III. 40 u. Walter a. a. O. S. 500.
'«) Not. Dign. S. 244 vgl. S. 483 ff.
'9) Vgl. zu diesem Abschnitt O. Frick in Pauly's Realencyclopaedie : By-
zantium.
**) Zosim. II. 30, 2. Sozomen. II. 3. Vgl. Hertzberg Gesch. Griechenlands
unter den Römern III. S. 252 ff.
**) Kohl Die Hauptstädte Europas, Abschnitt Constantinopel, u. G. Über
die Besiedelung der Meerbusen. Progr. Pyritz 1883. S. 19 u. 20.
2
i8
Landseite her die Strassen, welche über Thessalonich und Dyrrhachium
in den Ocddent, über Philippopel, Adrianopel, Sophia und die Morawa
entlang in das Herz Europas und andererseits quer durch das Plateau Klein-
Asiens zu den grossen Metropolen des Ostens Antiochia, Babylon, ja im
weiterem Verlaufe zu dem an Gewürzen, Perlen und Edelsteinen reichen
Indien fahrten; von der Seeseite dagegen münden die Linien, welche sie
nordwärts mit dem reichen Kornland an der Küste des Pontus, ostwärts
mit Trapezunt, Phasis und in dieser verlängerten Richtung über Tiflis
mit dem Kaspischen Meer und Central -Asien, südlich mit den
blühenden Griechen -Colonien der Westküste Klein -Asiens und über
Rhodus mit dem so wichtigen Culturland Aegypten, südwestwärts
endlich mit der Inselwelt des Aegäischen Meeres, mit Athen und den
Emporen des westlichen Mittelmeerbeckens verbinden. Zur Aufnahme
eines so riesigen Schiffsverkehrs aber war Constantinopel ^2) ausser-
ordentlich geeignet, weil es in dem tief einschneidenden „goldenen
Hom" einen vor der reifsenden Nord-Südströmung des Bosporus und
allen Stürmen wohlgeschützten Hafen besass, dessen günstigsten Anker-
plätze zu unserer Zeit im Bosporion und Neorion (in dem Stadtteil
der Blachemen) sich befanden, während sich an der gegenüberliegen-
den Westseite der dreieckigen Landzunge, auf welcher die Stadt sich
erstreckte, der weniger sichere Theodosianische (Eleutherische) und
Julianische Hafen 83) den Ankommenden darbot.
Zur Ernährung der Bewohner hatte schon von jeher das Meer
reichlich beigetragen, denn zu Millionen, heifst es, drangen in den
ältesten Zeiten die Thunfische alljährlich durch die Propontis, wurden
hier gesalzen und geräuchert 8^), und wenn sich dieser Reichtum auch
im Laufe der Jahrhunderte gemindert . hatte, so konnte doch noch
ein grosser Bruchtteil der Einwohner darin seinen Unterhalt finden,
zumal da bis auf den heutigen Tag aufser jener Art auch noch der
Schwertfisch, Sardellen und eine Menge anderer Fische hier gefangen
werden.85) Die nächste Umgebung bot an Wild Hasen, Wildschweine,
Fasanen, treflfliche Wachteln und Rebhühner, während das im Winter
kühle, aber doch im ganzen milde Klima ausser unseren Obstsorten
^) Diese Ausführung stützt sich besonders auf das umfangreiche mit zwei
Karten ausgestattete Werk Jos. v. Hammer's Constantinopolis u. der Bosporus.
Pesth 1822. 2 Bände.
®^) O. Frick a. a. O. S. 2622.
^) Kiepert a. a. O. S. 327. Guthe- Wagner Lehrb. der Geographie S. 418.
Daniel ü. S. 54 fF.
8«) Hammer I. c. Xm.
I
»9
die nahrungsspendende Feige wohl gedeihen liefs. Hatte die weitere
Umgebung — Thracien — in früherer Zeit ausgereicht, die Zahl der
Bewohner mit Brodkom zu versorgen, so wuchsen mit der steigenden
Menge auch ihre Bedürfnisse, welche dann durch die Zufuhr pontischen
und aegyptischen Getreides befriedigt wurden. Allerdings ging die
pontische Zufuhr, welche einst in athenischer Zeit einen Durchfahrtszoll von
15 Talenten jährlich abwarf, in den Wirren der Völkerwanderung
ganz ein, doch sind Anzeichen vorhanden, dafs sie im 5. Jahrhundert
zeitweise energisch wieder aufgenommen wurde. ^ö)
Dagegen wurde diese sonst so herrlich gelegene Stadt häufig
von Erdbeben 8'') heimgesucht, mit denen sich oft ein Seebeben verband,
allein trotz der Unsicherheit, besonders der hervorragenden Bauwerke,
versäumten die Kaiser nicht die von Constantin dem Grolsen 330^8)
erneute Stadt mit solchen zu schmücken. Schon er selbst hatte mit
nie versiegender Baulust versucht den von ihm um 15 Stadien nach der
Landseite erweiterten Raum des Stadtgebietes mit Gebäuden jeder
Art und Anlagen auszufüllen, die folgenden Kaiser waren hierin nicht
hinter ihm zurückgeblieben, so dafs die Residenz der Oströmischen
Kaiser zur Zeit der Reichsteilung auf ihren sieben Hügeln (nach dem
Vorbilde Roms) und in den 14 Regionen s^) etwa dieses Äufsere bot:
In dem ersten Bezirk, welcher die Ostspitze der vom goldnen
Hörn und dem Bosporus bespülten Landzunge umfafste, lag der
grofse Kaiserliche Palast ö<^), welcher aufser dem beständigen Wohnhaus
des Kaisers mit dem Thronsaal und dem ganz aus Porphyr her-
gerichteten Gemach, in welchem die Prinzen und Prinzessinnen das
Licht der Welt erblickten, die Wohnungen hoher Hofbeamten, die
Kasernements der Leibwache und eine Zahl von sonstigen Prach-
gebäuden, Hallen, Höfen und Gärten umschlofs, sodann mehrere andere
Paläste wie der der Tochter Theodosius L Placidia und aufser den
fünfzehn Privatbädern die Thermen des Arcadius. Durch den von
Säulenhallen mnrahmten mit vergoldeten Erzziegeln gedeckten Vorhof,
*ß) Wenigstens spricht Socr. IV. 16 von einer Einfuhr pontischen Getreides
wie von etwas gewöhnlichem: dsi yag örj xcovoravrivovTtokig , xal ansi^a
rQe<povaa nl'^S-ij, rä noXXa eiS-wslrai r(j) ze öid öaXdooijQ exBiv x(Bv Ttavta-
XoS-ev iTtiTi^öeicDV xbv TCQOoxofjiiÖTjv xal ozi 6 sv^sivog novzoq naQaxsifisvog
a^d-ovov avt^ ^vixa TCQOOÖei^dy Ttagexsi zbv alrov. Doch vgl. damit Procop.
Bell. Goth. IV. 5.
*■') Hammer c. Xu. Auch noch heute treten hier Erschütterungeii auf.
83) Vgl. Hertzberg a. a. O. S. 253 ff.
*9) Notitia urbis Constantinopolitanae ed. O. Seeck 1876. Du Gange Con-
stantinopolis Christiana. A. Schmidt, Der Aufstand in CP. unter Kaiser Justinian I.
80) Hammer Cap. XXVI. O. Frick. S. 2621.
2*
20
die Chalce,®^) gelangte man in das zweite Quartier, in welchem die
von Constantin erbaute „grofse Kirche", später von Justinian neu auf-
gebaute ayla Ö0(pla und das in feinstem Styl und kostbarstem Marmor
aufgeführte Senatsgebäude ^2), vor welchem die rücksichtlose Hand des
Constantin die ihrem eigentlichen Standort entrissenen Bildsäulen des
Dodonäischen Zeus und der Athene von Lindos aufgestellt hatte, und
endlich die Bäder des Zeuxippus^^) im Hain des Hercules auffielen,
ein Bau von solchem Umfange, dals täglich darin zwei Tausend Menschen
ein Bad nehmen konnten. Ein anderes, das Schneckenthor (Kochlias),
führte auf der Seite des Bosporus in die dritte Region, in welcher
der Hippodrom®^) oder der Circus, eines der grofsartigsten Bauwerke
der damaligen Welt, lag. Es war von Septimius Severus errichtet und
von Constantin mit zahlreichen Statuen geschmückt worden, welche
er aus Athen, Cyzicus, Caesarea, Chalcis, Antiochia und anderen Orten
hatte hierher bringen lassen. Aufser weniger bekannten Bildwerken
wie die säugende Wölfin^ Scylla und Charybdis, der Esel des Augustus
mit dem Eselstreiber, dem Löwenbändiger, stand dort die sogenannte
Schlangensäule, ein ehernes Gewinde dreifach verschlungener Schlangen,
auf deren Häuptern ursprünglich ein goldner Dreiftifs ruhte, das
Weihegeschenk der Hellenen, welche am zweiten Perserkrieg teil-
genommen hatten, und der unter Theodosius I. von dem praefectus
urbi Proclus errichtete Obelisk.^*) In dem nördlich hieran sich an-
schliefsenden Stadtteil (4.) lag das Augustaeum,®^) ein von Säulenhallen
umgebener grofser Platz, mit der Statue der Helena und Theodosius
des Grofsen, in dessen Mitte sich der goldene Meilenzeiger (Miliarium
aureum)**) befand, von welchem die Strafsen nach allen Richtungen
hin sich verzweigten. Weiter nördlich am goldenen Hom dehnte sich
die fünfte Region aus, in welcher das Strategium, der Exercierplatz
und das Hauptquartier der Kaiserlichen Garde lag, während die sechste
westlich davon den Mittelpunkt der ganzen Stadt bildete. Hier befand
sich das berühmte Forum Constantinum ^7) , ein von zweistöckigen
Hallen umschlossener .Platz mit zwei Triumphbögen, in dessen Mitte
»>) Du Gange a. a. O. S. 113.
•*) Heute steht an der Stelle der Palast des Grofsveziers. Hammer I.
S- 553. Vgl. Zos. X. 24.
93) o. Frick S. 2620. Hammer Cap. UV. Du Gange S. 88 ff.
»3a) Zos. n. 31. Du Gange S. loi ff. Hammer Gap.XXH. O. Frick S. 2621
»*) Gorpus J. L. in. I. 737.
9») O. Frick S. 2621. Vgl. Hertzberg a. a. O. S. 259.
»*) Vgl. Über die Heerstrafsen des röm. Reichs II. Die Meilensteine. Von
F. Berger. Progr. der Luisenstädt. Gewerbeschule zu Berlin 1884.
^) O. Frick a, a. O. Hertzberg a. a. O. S. 259 ff. Vgl. Zos. II. 31.
21
sich die columna purpurea G)nstantiiii erhob. Die Kirche der heiligen
Irene, der Anastasia und des Apostels Paulus schmückten die wieder
am Bosporus gelegene siebente Region, in welcher sich auch später
die bis zur höchsten Spitze auf Stufen ersteigbare Säule Theodosius I
befand. Der nordwestlich vom Forum Constantini westlich der Umfassungs-
mauer des alten Byzanz gelegene Bezirk war bemerkenswert durch
das, ebenfalls in Beziehung auf das Alte Rom, sogenannte Kapitolium ^s),
welches von Constantin den Wissenschaften gewidmet und zur Stätte
der neuen Universität Constantinopel erhoben war, während die neunte
und zehnte Region kein besonders hervorragendes Bauwerk aufzu-
weisen hatte. Dagegen glänzte das elfte am Polyandrischen Thor der
neuen Ringmauer gelegene Quartier durch die aus buntem Marmor
erbaute, hochgewölbte Kirche der Aposteln,*®) welches die Kaiser und
Patriarchen von Constantinopel als Mausoleum benutzten, und südlich
davon das zwölfte durch die Troadensischen marmornen Säulenhallen
die Münze und das die Strafse von Thessalonich her aufnehmende
goldene Thor, die porta aurea,^<^®) welcher die in erhabener Arbeit in
Marmor ausgeführten bildlichen Darstellungen der Arbeiten des
Hercules, ^^^) der Qualen des Prometheus und andere zum Schmucke
dienten. Durch einen weiten Zwischenraum geschieden von der übrigen
Stadt lag ganz im Nordosten von einer eigenen Mauer umgeben die
vierzehnte Region, die Blachemen, in welchem sich der von Q)nstantin
erbaute Palast des Hebdomon befand. Jenseits endlich des goldenen
Homs dehnte sich der dreizehnte Bezirk, die Vorstadt Sycae, heute
Galata und Pera, aus, in welchem eine Schiffswerft und die Thermen
des Honorius erbaut waren.
In dieser Einteilung zählte die seit 359^®^) einem eigenen
Praefectus, der im Range den übrigen praefbcti illustres gleich stand,
unterstellte Stadtgemeinde nach dem Berichte des unbekannten Ver-
fassers der notitia urbis CP. im ganzen 4388 Häuser, 14 Kirchen
20 öffentliche und 120 private Bäckereien, 8 Thermen und 153 private
Bäder, 4 grofse und 5 Fleischmärkte, 4 Häfen, 5 grofse Staatsspeicher,
**) O. Frick a. a. O. Hertzberg S. 271 ff. Du Gange S. 149 und 150.
ö9) Hertzberg S. 261.
^^) Der Bau dieses Thores wird im Corp. In L. III. i, 735. auf Grund der
Inschrift: Haec loca Theudosius decorat post fata tyranni
Aurea saecla gerit qui portam construit auro.
mit Recht Theodosius I. zugeschrieben. Mala!. XIV. dagegen, welcher ihn dem
jüngeren Theodosius zuweist, irrt, weil sich gegen denselben kein „Tyrann*
erhoben hat. Vgl. G. S. 197.
wi) Hammer I. cap. XX.
*<«) Hertzberg S. 265 ff. Walter a. a. O. S. 447.
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4 Cistemen und 2 Hauptwasserleitüngen und dehnte sich von der
potta aurea bis zum goldenen Hom 4,4 Km. in die Länge und 2 Km.
in die Breite aus. Bei einem solchen Umfang, bei einer so grofsen
Häuserzahl, so viel öffentlichen und privaten Anstalten kann die Ein-
wohnerzahl hinter derjenigen des heutigen Constantinopels kaum
zurückgeblieben sein, wurden do(:h allein täglich von Constantin 1^3)
80000 Brodportionen verausgabt, welche Theodosius I. noch utn 125
vermehrte und unter seinen Nachfolgern gewifs nicht vermindert worden
sind. Denn rechnen wir die auf Staatskosten unterstützten Hausstände
des Proletariats nur zu je drei Personen, so erhalten wir bereits für
die Bewohner des niedrigsten Standes eine höchst ansehnliche Zahl.
Erinnert man sich dazu des lebhaften Handelsverkehrs, der in Con-
stantinopel statthatte, so wird man sich von dem lebendigen, bunten
und volkstümlichen Treiben, welches auf den Märkten und am Quai
des Goldenen Horns und des Bosporus herrschte, eine annähernde
Vorstellung machen können, ohne dafs dabei schon an die zahlreiche
Garnison mit ihren malerischen und bei Gardetruppen sicherlich reichen
Uniformen ^^*) gedacht ist. Allerdings konnten im Anfang Alexandria
und Antiochia mit der neuen Reichshauptstadt in Bezug auf Aus-
schmückung und Leben und Treiben wetteifern, aber je länger je
mehr zog Constantinopel als bleibende Residenz der oströmischen
Kaiser alles, was durch äufseren Reichtum und Wissen glänzte, an
sich und wurde so allmählich die Sonne, von der allein die belebenden
und erwärmenden Strahlen nach allen Seiten hin auf das Reich aus-
strömten.
Zweites Kapitel.
Arcadius bis zu seinem Regierungsantritt : Seine Geburt, Erziehung durch Arsenius
und Themistius, seine Erhebung zum August. — Sein Bruder Honorius. —
Der Minister Stilicho und Rufinus Abstammung, Laufbahn, Character und Feind-
schaft. — Rufin hofft seine Tochter mit Arcadius zu vermählen. — Arcadius
heiratet auf Betreiben des Oberkämmerers Eutrop die Eudoxia, Tochter des Bauto.
Der Kaiser Arcadius oder, wie er mit vollem Namen heifst,
Flavius Arcadius Pius Felix, 1) welchem durch den Tod Theodosius I.
die Osthälfte des römischen Reichs zufiel, war dem Vater aus der
»03) S. 267 ff.
*o*) Synesius negl ßaaiXelag cap. 18.
^) Corpus J. L. in. I, 413.
23
ersten Ehe mit Aelia Flaccilla,^) der Tochter eines vornehmen spanischen
Geschlechtes, wahrscheinlich noch in Spanien geboren. Stand er 408,
als er starb, in seinem einunddreifsigsten Lebensjahre 3), so wird seine
Geburt in das Jahr 377 oder 378 fallen, also kurze Zeit vor der
Erhebung seines Vaters zum Augustus. Seine erste Erziehung in der
neuen Heimat am Bosporus leitete zunächst seine dem nicaenischen
Glaubensbekenntnisse eifrig zugethane Mutter, bis sie dieselbe einem
durch den Ruf seiner Frömmigkeit ausgezeichneten Diaconus Arsenius *)
aus Rom abtrat, welcher ihn und seinen jüngeren schon im Porph3rr-
saal geborenen Bruder Honorius auf den Wunsch des kaiserlichen
Vaters in strenge Zucht nahm; doch die höhere Bildung und die
Einführung in die schönen Wissenschaften verdankte der Prinz
dem als Sophisten durch seine Gelegenheitsreden neben Libanius
glänzenden Heiden Themistius,^) welcher sich in einer derselben
den Hinweis nicht versagen kann, dafs ihm der Kaiser den Arcadius,
als er gegen die Gothen zog, vor allem Volke feierlich als Schutz-
befohlenen übergeben habe. Damit aber ein reger Wetteifer die
geistige Kraft des Prinzen mehr entwickele und belebe, wurden ihm
und seinem erst am 9. September 384**) geborenen Bruder Honorius
die Söhne von Anverwandten des Kaiserlichen Hauses und treuer,
verdienter Staatsdiener zu Genossen gegeben; es war dies in erster
Linie ein etwas älterer Vetter der Prinzen Nebridius*^), der Sohn einer
2) So der Name auf Münzen. Cohen döscription des monnaies. VI. S. 462.
Tafel XVI. und bei Ambrosius de obitu Theod. § 40. Claudian de nupt. Hon.
et Mar. v. 43; laus Serenae v. 69 und 137. Die griechischen Quellen nennen
sie TikaxlXka ; unrichtig nXaxLöia nur Nicephorus Callista chronogr. und Joh. Malal,
vgl. Ifland S. 55 und 56.
3) Cedren avvoxpig IotoqkSv p. 334.
*) Zonaras XIII. 19. Cedren p. 327. Doch beruhen die näheren Angaben
über die Art des Unterrichts bei Zonaras ohne Frage auf Erfindung.
*) Themistii orationes XVI. XVII. In XVIII. sagt er: ov fJLOi slg xslgaq
6&T]xev Tjvlxa iXavvstv ägfirixo inl ttjv hani^av.
*) Idac. Fast. Chron. Alex. Socr. V. 10. Im Septemb. Marc. Com. Vgl.
Ifland S. 128.
'') Wir erfahren das aus S. Hieronymi ep. 79 ad Salvinam § 5. Nutritus
in palatio, contubernalis et condiscipulus Augustonim ... in primo aetatis flore
tantae verecundiae fuit, ut virginalem pudorera vinceret et ne levem quidem obsceni
rumoris in se fabulam daret. Deinde purpuratorum propinquus, socius, consobrinus,
iisdem cum ambobus studiis eruditus, non est inflatus superbia nee caeteros homines
adducta fronte contempsit. und § 2. quod de sorore generatus Augustae et in
materterae nutritus sinu. Sind diese Angaben, wie nicht zu bezweifeln ist, that-
sächlich, so kann dieser Nebridius, wie die Anmerkung des Maffei will,
weder der Sohn des bei Ammian. Marcell. XIV. 2 ; XX. 9; XXI. i ; 5.8;
XXVI. 7. bezeugten praefectus praet. unter Constantin dem Jüngeren noch der
Schwester Aelia Flaccilla's, dessen Mäfsigkeit, Enthaltsamkeit, Bescheiden-
heit und Leutseligkeit der heilige Hieronymus nicht genug zu rühmen
weifs, sodann die Kinder des tapferen Generals Promotus,^) der zu
früh für Theodosius durch Rufins Tücke ins Grab gesunken war.
Aber war auch das Leben des jungen Thronerben von Elternliebe
und Freundschaft umwebt und geschützt, so gelang es diesen doch
nicht den Keim der Schlauheit und Energielosigkeit, welcher in der
Seele des Knaben schlummerte und durch das üppige Hofleben und
sein übertriebenes Ceremoniel genährt wurde, zu unterdrücken und
auszurotten. Denn immer mehr zeigte sich, dafs in seinem kleinen,
wenig entwickelten Körper kein königlicher, männlicher Geist wohne,
sondern eher eine zum Gehorchen geschaffene Seele.^) Gleichwohl
überkamen ihm die seiner Abstammung gebührenden Ehren frühzeitig,
schon 384^®) am 16. Januar verlieh Theodosius dem erst sechsjährigen
die Würde eines Augustus und Mitregenten, wohl aus keinem anderen
Grunde als um aller Welt zu zeigen, dafs er beabsichtige, die Kaiser-
würde in seinem Hause erblich zu machen und um allen Zufallen,
welche sein plötzlicher Tod hervorrufen konnte, von vornherein die
Spitze zu bieten. Die Erhebung ging auf dem grofsen Marsfelde
Constantinopels, welches sich aufserhalb der Mauern neben dem Palaste
des Hebdomon ausdehnte, vor sich und war mit die Veranlassung
zu dem Steuerlafs und der Erhöhung der Getreidespenden, welche
Themistius 385 in einer Lobrede ^^) begeistert feierte. Schon im
folgenden Jahre wurde ihm die Ehre des Consulats zu teil, welches
er vor seiner Thronbesteigung nach 392 und 394 bekleidete. ^^j In
seiner Eigenschaft als Mitregent war Arcadius daher von Theodosius
394 in der Hauptstadt zurückgelassen worden, als dieser nach dem
382 als comes rer. priv. im Cod. Th. X. 10, 16. 383 X. 5, 4. VI. 30, 5. und 386
als Praefectus U. XIV. 12, i. III. 4, i. auftretende N. sein, weil er für eine
Erziehung zusammen mit Arcadius und Honorius in jedem Falle viel zu alt wäre,
sondern er mufs der Enkel des erstgenannten sein, den ich im Vicarius Asiae
Nebridius Cod. Th. V. 11, 2. aus der Zeit 395 — 402 vermute. Vgl. Hänel Series
chronol. constit. und Palladius dial. de vita S. Joh. Chrys, p. 90. 2ikßivy.
8) Er hatte die Greothungen besiegt und im Kriege gegen Maximns die
Reiterei befehligt und kam bei einem Überfall durch die Bastamen um,
den man allgemein dem Rufin in die Schuhe schob. Die Belege bei G. S. 198
und 201.
9) Zos. V. I. Socr. VI. 23. Philost. XI. 3.
^0) Socr. V. 10. Idac. Fast, zu 383. Chron. Pasch. 25. Jan. — Soz. XII. 12.
Idac. chron. Prosper Aquit. Marc. Com.
") Orat. XVIII. p. 269 flF.
*2) Hänel Series chronol. constitut.
25
Occident zog, um den Eugenius niederzuwerfen und an dem Kaiser-
mörder Arbogast Rache zu nehmen; er war auch, als die Trauerkunde
von der tötlichen Krankheit des Vaters eintraf, nicht an das Toten-
bett geeilt, ^3) sondern hatte auf Befehl des Vaters seinen elfjährigen
Bruder Honorius dahin entsandt, um dem Sterbenden auch in
seinem Namen die letzten Grüfse eines Sohnes zu überbringen. Wohl
nur mit schwerem Herzen hatte er sich darin gefügt fernzubleiben und
in der Überzeugung, die berechtigt genug war, dafs seine Abwesen-
heit, zumal beim Tode des Kaisers, leicht die bequeme Veranlassung
zu Unruhen und Aufständen abgeben könnte. So blieb er denn allein
zurück, um, ein achtzehnjähriger Jüngling, ohne Unterbrechung das
Staatsschiflf aus der Hand eines bewährten Steuermannes in seine eigene
schwache zu übernehmen, nur geleitet und beraten von dem ihm von
Theodosius noch zur Seite gesetzten Minister Rufinus.
Es war dies an und für sich kein MifsgrifF des Kaisers, denn
fast alle die Vorwürfe, welche diesem Manne hüben und drüben,
aus christlichem und heidnischem Lager, gemacht werden, sind allgemeine
Laster des Beamtenstandes der damaligen Zeit überhaupt. ^4) Sieht man
von dem parteiischen Standpunkt des zeitgenössischen Dichters Claudia-
nus,^^) des Sophisten Libanius und des Schmeichlers Symmachus *6) ab, so
stellt Rufin sich in einem etwas günstigerem Lichte dar, als ihm gemeiniglich
bewilligt wird.* '') Er war ein Aquitanier von Geburt aus Elusa *s) (Euse en
Gascogne) und es würde schon von einem thatkräftigen Geist zeugen,
dafs es ihm, schwerlich von edlen Eltern geboren, bald gelang an
dem Hofe des ersten Theodosius zu den einflufsreichsten Stellen zu
gelangen, wenn es uns nicht ausdrücklich überliefert*^) wäre, dafs er
13) Rufin. II. 34. Philost. XI. 2. Socr. V. 26. Soz. VII. 29. Claud. VT. cons.
Hon. V. 88 flF. III. cons. Hon. v. iio ff. Dagegen sprechen nur Theod. V. 25. und
chron. Pasch, vgl. note 56 des Tillem. V. sur Th^odose.
1*) Vgl. Zos. V. I. Eunap frgm. 62 und 63. Joh. Antioch. frgm. 188.
1*) Vgl. G. S. 17 — 21, wo auch die Litteratur angeführt ist, zu welcher
noch nachzutragen ist : Edm. Vogt in der Festschrift zur Begrüfsung der 34. Vers.
Deutsch. Phil, und Schulm. zu Trier. Bonn 1879 und Volz Programm des
Gymnas. zu Cöslin 1864.
16) Vgl. G. S. 16 und 17.
") Eine meisterhafte Darstellung seiner Amtsthätigkeit giebt Gibbon Gesch.
des Verfalls und Untergang des röm. Reichs VII. S. 164 — 182. Vgl. Richter Diss.
cap. I. G. S. 200 ff. Für die Beurteilung Rufins fallen besonders ins Gewicht :
Claudian in Ruf. I. und II. Vgl. Symmach. ep. III. 81 — 90. Libanius ep. 445,
900, 972, 1025, 1028b, 1029, 1328. Ambros. ep. 52. Eunap frgm. 63. 88. Joh.
Ant. frgm. 188. Soz. VIII. 17; Theodoret V. 18. Philost. XI. 3. Zos. IV 51. V. i. ff.
^8) Claud. in Ruf. I. v. 137.
»») Phüost. XI. 3.
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eine einnehmende, hohe, schlanke Gestalt von der Natur mit auf den
Weg bekommen, dafs aus seinen lebhaften Augen ein jugendliches
Feuer gestrahlt, das Zeichen einer energischen Seele, und dafs
ihm die Gabe der Rede wie selten einem Menschen zu Gebote
gestanden habe. Dazu kam gewifs ein hoher Grad persönlicher Klugheit
und Gewandtheit 20), Eigenschaften, die niemand zur Schande gereichen,
andererseits aber für jemand, der an einem intriguenreichen Hofe
seine Laufbahn machen will, ganz unentbehrlich sind. Der scharfe
Blick des selbst aus dem Volke emporgekommenen Kaisers hatte die
Fähigkeiten des gallischen Hofmannes bald unter den übrigen heraus-
gefunden, und es ist sicher anzunehmen, dafs nicht die Gunst eines
anderen mächtigen ihn gehoben hat, sonst würde der Hofdichter
Stilichos nicht versäumt haben es ihm vorzuwerfen, während er
so nichts weiter über seine Vergangenheit anzuführen weifs als die
abgeschmackte Erfindung-*), dafs die Furien selbst ihn aus seiner
Heimat herbeigeholt hätten, um die Ruhe und den Frieden unter
Theodosius Herrschaft zu stören imd in das Gegenteil zu verkehren.
Historisch sicher verfolgen läfst sich Rufins Thätigkeit aber erst
seit dem Jahre 390,22) wo ihm von Theodosius das einflufsreiche Amt
des magister officiorum übertragen wurde, ein Amt, dessen Ausübung
ihn fast stets in der unmittelbaren Nähe des Kaisers festhielt. 23) Hier
mögen seine glänzenden Gaben wohl nun erst recht ihren Einflufs auf
Theodosius ausgeübt haben, wenigstens wirft ihm Claudian24) vor,
dafs er ganz besonders auf den Kaiser eingewirkt habe Thessalonich
die Strafe wegen des Aufruhrs nicht zu erlassen, sondern ein ab-
schreckendes Beispiel für ähnliche x\usschreitungen zu geben. Wie
dem aber auch sein möge, jedenfalls erfreute sich der kühne und
gewandte Mann der zunehmenden Gunst und des aufrichtigsten Ver-
trauens des Kaisers, aber dies erbitterte natürlich diejenigen, auf deren
Rat Theodosius sonst am meisten gehört hatte, die Generale Timasius
und Promot,25) aufs heftigste. Hatten diese, wie erklärlich, die Absicht
Rufin zu verdrängen, so war es nur Selbstverteidigung, wenn derselbe.
20) Claud. a. a. O. v. 97 ff.
2») V. 25 ff.
22) Cod. Theod. X. 22, 3. De fabricensibus.
23) Walter a. a. O. § 343.
2*) In Ruf. I, V. 182. Ingeminat crimen commoti pectoris 'ignem
Nutrit et exiguum stimulando vulnus acerbat.
Über das Ereignifs selbst vgl. G. S. 181 ff.
25) "Was von diesen sonst bekannt, ist zusammengestellt bei G. S. 198 ff.
einmal von Promot vor versammeltem Consistorium gröblich beleidigt,28)
die Hülfe des Kaisers anrief seiner Ehre genug zu thiin. Die Folge
war bei dem leicht erregten Gemüt desselben die Verbannung des
Promot zu seinem Truppenteil, von wo allerdings bald die Nachricht
die Hauptstadt überraschte, dafs er von den feindlichen Bast&rnen
überfallen und getötet worden sei; ein Ereignis, dessen Schuld man,
vielleicht mit Unrecht, allgemein dem Rufin beimafs.^"^) Einen klareren Blick
können wir bei dem Sturze 28) eines anderen hochgestellten Beamten,
des praefectus praetorio Tatian und seines Sohnes Proclus, auf die
Teilnahme des Rufin werten, weil er selbst zum Vorsitzenden des
Richtercollegiums ernannt wurde, das über jene aburteilen sollte. Es
unterliegt nun keinem Zweifel, dafs Tatian bei Proscriptionen seine
Hände nicht rein erhielt, Unschuldige verurteilte und zum Schaden
der Staatskasse der Bauwut mehr als gewöhnlich ergeben war, und es
ist andererseits der Gedanke nicht zurückzuweisen, dafs diese Anklagen
dem Rufin wie gerufen kamen, um das höchste Staatsamt im Reiche
an seine eigene Person zu bringen und so dürfen wir ihn nicht von
dem Vorwurf der Parteilichkeit freisprechen, um so mehr, als er
den bereits glücklich entflohenen Proclus durch falsche List zur Rück-
kehr veranlafste und seine Eünrichtung so sehr beeilte, dafs der
Gnadenbote des Kaisers trotz aller Eile zu spät in Sycae ankam.
Endlich aber hat er gewifs sein Teil dazu beigetragen den Kaiser zu
jener grausamen, unserm Gefühl ganz unverständlichen Verfügung 29)
zu veranlassen, welche dem ganzen Volkstamm der Lycier eben um
jenes Tatian und Proclus willen die Fähigkeit absprach Ämter im
Staate zu verwalten.
86) Zos. VI. 51. Näheres bei G. S. 201.
8'') Mit Recht macht Edm. Vogt. De Claudiani carminum quae Stilichonem
praedicant fide historica. Diss. Bonn 1863. S. 12 und Progr. des kath. Gymnas.
der Apostelkircbe zu Cöln 1870 S. 22, darauf aufmerksam, dafs Claudian, der
doch sonst Rufin alle Schandthaten vorzuwerfen sich Mühe giebt , ihm nicht den
Tod des Promot zuschiebt.
88) Hierüber ist ausführlich gehandelt von G. S. 203 — 207. Ebendaselbst
finden sich auch die Belege für diese Bemerkungen.
**) Cod. Th. IX. 38, 9. . . Nee unius viri illustris Tatiani tantum valuerit
temporalis offensio taeterrimi iudicis inimici, ut adhuc macula in Lycios perseveret.
Diese Bestrafung des ganzen Volks der Lycier erscheint verständlicher, wenn man
weifs, dafs auch unter Theodosius II. die Karthager und Aegypter wegen ihrer
unbeugsamen Sitten vom Staatsdienst ausgeschlossen waren nach Isidor Peius,
ep. 485 und 489. Vgl. Walter a. a. O. S. 500. und Kuhn Beitr. zur Verf. des
röm. Reichs. S. 197. Claud. in Ruf. I. v. 232.
Non notos egisse sat est; exscindere cives
Funditus et nomen gentis delere laborat.
28
Auf diese Weise stieg Rufin zum Praefectus des Orients^®) empor,
bekleidete zugleich 392 mit dem Kaiserlichen Prinzen Arcadius das
Qjnsulat und erhielt sich in jener Stellung, in welcher er dem Kaiser
am nächsten stand, bis ihm nunmehr, als Theodosius nach dem
Occident zog (Mai 394), die ehrenvolle Aufgabe zu teil wurde im
Namen des abwesenden Monarchen das Ostreich mit Arcadius zusammen
zu verwalten. Und jetzt, wo Theodosius unvermutet nicht zurück-
kehrte, sondern in Mailand für inimer die Augen schlols, schien dem
ehrgeizigen eine noch höhere Gunst des Schicksals das ganze Reich
unter seine Botmäfsigkeit zu geben.
Aber eben dieses unverhoffte Geschenk der Fortuna, die ihn
bisher so begünstigt hatte, wurde ihm von einem anderen bestritten,
welcher ihm schon früher in den Weg getreten war und gegen den
er einen glühenden Hafs im Busen nährte: dieser Mann war der
Vandale Stilich o.^^) Auch er verdankte seine Stellung neben der
Vorliebe des Theodosius für die Germanen einzig und allein seinen
militärischen Fähigkeiten. Etwa 360 in Pannonien geboren folgte er
dem Berufe des Vaters, welcher unter dem Kaiser Valens einige Reiter-
schwadronen nicht unrühmlich geführt hatte, und erregte schon als
gemeiner Soldat durch seine hohe, stolze Gestalt, seinen ruhigen Blick,
sein festes, männliches Auftreten überall Aufsehen. Von seiner niederen
militärischen Laufbahn wissen wir wenig, nur das eine wird berichtet,
dafs er noch ziemlich jung als Gesandter nach Persien ^2) geschickt
wurde, wo der schöne Germane wohl mehr durch seine körperlichen
Eigenschaften sich Achtung errang als durch seine diplomatischen
Künste. Seit 385 gehörte er zu der Schule der Feldherm, die Theodosius
sich selbst in den Gothenkriegen ausgebildet hatte; diese gaben auch
Stilicho hinreichende Gelegenheit durch seine Kühnheit und Tapfer-
keit gepaart mit Ruhe und Besonnenheit das Auge des Kaisers auf
sich zu lenken , welcher mit richtigem Blick die einstige Bedeutung
30) Zuerst 392 26. Aug. Cod. Th. VIII. 6, 2. Tatian zuletzt 30. Juni. Cod.
Th. XII. I, 127.
31) Richter Diss. pag. 2. G. S. 199 und 200. — Hauptquelle ist Claudian
in Ruf. I. und II. , wo die glänzende Gestalt Stil, überall dem dunklen Bilde,
das der Dichter von Rufin entwirft, gegenübergestellt ist. De nupt. Hon. et Mar.
De laud. Stilichonis I. und II. Laus Serenae. vgl. Eunap frgm. 53. Zos. IV. 57.
(Job. Ant. frgm. 187). V. i. V. 34. Soz. VIII. 28. Symmach. ep. IV. i — 14.
Olympiod. frgm. 2. Orosius VII. 38. Orelli No. 1133 und 1134.
32) Doch ist das bezweifelt worden, weil er vix primaevus, wie ihn Claud*
de laud. Stil. I. v. 51 bei dieser Gelegenheit nennt, Vorsteher der Gesandtschaft
nicht gut sein konnte. Vgl. Sievers a. a. O. S. 330. Joh. Lydus de mag. III. 52.
und 53.
29
des Mannes erkennend ihn durch ein besonders enges Band seinem
Hause verbindlich zu machen und an ihm demselben eine mächtige
Stütze zu gewinnen trachtete. Er gab ihm nämlich die Tochter
Seren a seines verstorbenen Bruders Honorius, welche er adopiert^s)
hatte, zur Gemahlin, eine Auszeichnung, die dadurch an Bedeutung
nichts verliert, dafs es für die Kaiserlichen Princessinnen kaum andere
Gemahle gab als verdiente Unterthanen. Wollte man dem oft
genannten Hofdichter Stilicho's glauben, so würde Serena eine mit den
seltensten Gaben ausgestattete Frau gewesen sein, die sich einer
Penelope an häuslichen Tugenden und einer Tanaquil an Klugheit
wohl zur Seite stellen konnte; jedenfalls scheint sie von ihrem Kaiser-
lichen Oheim sehr geliebt worden zu sein, der mehr als den Mahnungen
der Aelia Flaccilla Serena's beruhigenden Worten seinen leicht zu er-
regenden Zorn preis zu geben pflegte.^^)
Es liegt nun überaus nahe, dafs Serena selbst wünschte auch
ihren Gemahl als ersten Ratgeber der Krone zu sehen, aber da war
Rufinus ihm zuvorgekommen und deshalb herrschte von vornherein
eine natürliche Abneigung 3*) zwischen den beiden Männern, die
dadurch keineswegs an Schärfe einbüfste, dafs Stilicho, als er, um den
Tod des Freundes Promot zu rächen, gegen die Bastamen und deren
Bundesgenossen zu Felde lag und schon im Begriff war sie zu ver-
nichten, auf Theodosius Befehl oder richtiger auf Rufins Anordnung
plötzlich die Feindseligkeiten abbrechen und Friedensunterhandlungen
anknüpfen mufste.^^) Gerade dieser Befehl ist von den Gegnern
Rufins dahin ausgenutzt worden, als ob er die Barbaren gerufen und nun
schonen wollte, aber wer sich erinnert, wie sehr es die Politik des
Theodosius war, mit den Barbaren Frieden zu halten, der wird nicht
notwendig diesem Vorwurf beistimmen. Das Verhältnis zwischen Stilicho
und Rufinus aber wurde seit dieser Zeit ein immer gespannteres, doch
wurden sie 394 einander aus den Augen gerückt, als Stilicho mit
Theodosius neben Timasius^"') als commandierender General (magister
militum) des gegen Eugenius gerüsteten Heeres gen Westen zog.
^ Laus Seren, v. 104 ff. Zos. V. 4 und 34.
3*) V. 134 ff.
^) Claudian Laus Serenae v. 233 ff. deutet an, als ob Rufin dem Stilicho
nach dem Leben getrachtet habe; das ist gewifs übertrieben.
3«) Claud. De laud. Stil. I. 94 — 115. Richter S. 13 und 14, wo auch die
Belege. Vgl. G. S. 202.
^) Zos. IV. 57. Officiell beglaubigt erscheint Stilicho allerdings als magister
utriusque militiae erst 398 Cod. Theod. I. 7, 3. Doch ist klar , dafs er nur in
dieser Würde neben Timasius den Oberbefehl über die Römer führen konnte.
Allein der unerwartete Tod des Kaisers fern seiner Hauptstadt
in Italien brächte die durch seine Anwesenheit sonst gezügelten ehr-
geizen Absichten der beiden feindlichen Männer von neuem an die
Oberfläche zu unsäglichem Unheil für das ganze Reich. Man kann
sich denken, dafs Rufins Gedanken neben der Trauer eines treuen
Dieners bei dieser Nachricht zugleich die frohlockende Zuversicht war,
nunmehr aller Fesseln ledig über seinen Kaiserlichen Herrn und
damit über das weite Ostreich als allgebietender schalten und walten
zu dürfen; wie peinlich und beleidigend mufste ihm daher die Forderung
des Stilicho bedünken, nicht nur den Honorius leiten, sondern auch
auf die andere Reichshälfte seine Fürsorge erstrecken zu wollen, und
wie natürlich war daher sein Streben diese Zumutung mit aller Ent-'
rüstung zurückzuweisen und auch dem Arcadius eine solche Bevor-
mundung als einen räuberischen, anmafsenden Eingriff in seine Selbst-
ständigkeit darzustellen !
Und sieht man sich nach einer urkundlichen, unparteiischen
Beglaubigung für eine derartige Stellung des Stilicho um, so wird
man sie vergeblich suchen und fast ausnahmslos die Bemerkung machen,
dafs nur Stilicho als alleiniger Zeuge für eine dahinlautende Bestimmung
des Theodosius aufgetreten ist;^») denn die vielfachen 39) Andeutungen
und Behauptungen, welche Claudian in seinen Gelegenheitsgedichten
überall anbringt, entbehren deshalb des historischen Kernes, weil der
Dichter selbst eingestehen mufs, niemand sei zugegen^®) gewesen, als
der sterbende Kaiser dem Stilicho die Sorge für das ganze Reich
übertrug. Aber mufs einerseits bestritten werden, dafs Stilicho officiell f
noch von Theodosius zum Vormund der be iden Söhne eingesetzt sei,^^) [
so braucht man sich nur an das Sterbebett des Theodosius und in
die ganze Situation des Januar 395 zu versetzen, um in Stilicho doch
mehr zu sehen als in dem oströmischen Minister: Denn, da Theodosius
kurz vor seinem Zuge gegen Eugenius zum zweiten Male Witwer
geworden war,^^) so umstanden sein Schmerzenslager von Verwandten
38) Zos. V. 4; 34.
30) In Rufin. II. 5 ff. III. consul. Honor. 142 ff. 152 ff. In Eutrop. II. 600 ff.
IV. cons. Honorius 432 ff. De laud. Stilich. I. 40 flF. II. 52 ff. De nuptiis Honor.
et Mar. 306. Vgl. Richter Diss. p. 24 fi". v. Wietersheim Geschichte der Völker-
wanderung II. 2. Aufl. S. III und 112. Sievers a. a. O. S. 337 und 338. Hertzberg
Geschichte Griechenl. unter den Römern III. S. 380. und Geschichte Griechenl.
seit dem Absterben des antiquen Lebens S. 52.
^ö) HI. consul. Honor. v. 142.
♦*) Orosius VII. 37. Zosim. IV. 59. Vgl. Eunap frgm. 62. Philost. XI. 3.J
— Behauptet wird es nur von Olympiod. frgm. 2.
*^) Eunap. frgm. 61. Zos. IV. 57. Vgl. G. S. 223.
31
nur sein Sohn Honorius, vielleicht Pladdia,*^) seine Tochter aus
zweiter Ehe mit Galla, seine Adoptivtochter und Nichte Serena und
deren Gemahl Stilicho; der letztere war also der einzige erwachsene
Angehörige der Familie und an ihn, nicht an das achtjährige Kind
Honorius oder den greisen Ambrosius, werden sich daher alle Wünsche
und Ratschläge des um sein Reich besorgten Kaisers und des um
seine Kinder sorgenden Vaters gerichtet haben; dafs er in dieser
seiner letzteren Eigenschaft die Fürsorge für seine Kinder, ihre Eintracht
und damit, aber erst in zweiter Linie, auch für Thron und Reich dem
Adoptivschwiegersohn recht innig ans Herz gelegt hat, wer möchte das
bezweifeln? Die Seele eines Mannes und Monarchen, welche im
Begrifi ist von der irdischen Staubhüllle sich zu lösen, denkt dabei
nicht an die kleinen Wünsche des Menschenehrgeizes, sondern hat
nur das grofse Ganze und Gute im Auge.
Stilicho hat daher einerseits ganz recht gehabt, wenn er behauptete,
ihm seien von Theodosius Söhne und Reich anvertraut worden, doch
nicht in irgend welcher amtlichen Stellung, sondern nur in derjenigen
des älteren Verwandten und Oheims, und darauf zielte auch nur der
heilige Ambrosius, wenn er in seiner Leichenrede**) erklärte: „In
Betreft der Söhne hatte der Verblichene nichts Neues anzuordnen,
denen er das ganze Reich gegeben, als dafs er ihr Wohl dem an-
wesenden Verwandten empfahl!" Andererseits gab Stilicho diese
Vertrauensstellung keinerlei Gewalt über das Ostreich, sein Heer und
seine Verwaltung in die Hand, sondern, wollte er den Wünschen des
Verstorbenen nachkommen, so mufste er einzig und allein durch die
Verwandtschaft des Blutes, sein höheres Alter und seine Erfahrung
auf freundlichem Wege auf Arcadius einzuwirken trachten. Eine der-
artige Wirksamkeit des klugen Germanen würde ohne Zweifel von
erspriefslichen Folgen für das Gesammtreich gewesen sein, um so
mehr als sein ganzes Verhältnis zur Familie des Theodosius doch
ein ganz anderes war als das seines Gegners im Osten. Denn war
diesem die Leitung des jugendlichen Thronerben von Theodosius
übergeben,*^) so war ihm damit diese Stellung keineswegs auf lange
Zeit gewährleistet, sondern nur so lange, als er sich gegen die Intriguen
des Hofes im Sattel zu halten vermochte, Stilichos Verhältnis dagegen
♦3) Sievers a. a. O. S. 447.
**) De obitu Theodos. c. 5 : De filiis enim nil habebat novum quod conderet,
quibus totum dederat, nlsi ut eos praesenti commendaret parenti. Dafs Stilicho
den Ambrosius erst zu diesen Worten bewogen habe, wie Richter S. 25 will, ist
nicht anzunehmen, weil sie an uüd für sich natürlich genug klingen.
♦») Zosim. IV. 57.
I
3«
zu Honorius und dem Westreich war von vornherein ein dauerndes,
weil auf die Bande der engsten Verwandtschaft gegründetes, und
mochte Honorius später den Stilicho seiner Stellung als Ratgeber
entbinden, er blieb doch stets als Oheim der Krone nah, während
der etwa in Ungnade gefallene Rufin ein Nichts geworden wäre.
Nun lagen allerdings beim Tode des Theodosius die Verhält-
nisse so, dafs Stilicho leicht in die Versuchung geraten konnte, sein
vertrauliches Mandat dadurch zu einem officiellen zu naachen, dafs
er sich auf das Heer stützend , seinen Wünschen in Bezug auf das
Ostreich besonderen Nachdruck verleihe. Denn, wenn er auch keines-
wegs, wie der Hof dichter behaupten will, zum Vormimd der beiden
Brüder und damit zum Oberbefehlshaber aller römischen Truppen von
Theodosius noch ernannt worden ist ,^6) so stand doch thatsächlich
fast die ganze römische Macht noch in Oberitalien, im Begriff mit
Theodosius zum teil in den Orient zurückzukehren.^"^) Wohl mufsten
diese Truppen eigentlich in Arcadius ihren Herrn sehen, aber dieser
war entfernt, gegenwärtig dagegen der Oheim der beiden Kaiser, der
Vertraute des Verstorbenen, ein Mann, der wie selten jemand es
verstand die Herzen der Krieger durch Leutseligkeit, Freigebigkeit,
aber auch strenges Gebot, alles zu rechter Zeit angewandt,^^) an sich
zu fesseln und durch kühnes Vorangehen mit fortzureifsen. Dazu
kam, dafs die verschiedenen Heeresteile, die des Eugenius, des Besiegten,
und des Teodosius, des Siegers, nicht recht zusammenstimmen wollten
und nahe daran waren den Bürgerkrieg in ihre eigenen Reihen
♦®) Die Entscheidung über die Frage, ob Stilicho zum Feldherm beider, des
occidentalischen und orientalischen Heeres, von Theodosius eingesetzt ist, mufs eine
sprachliche Vergleichung von Zosim. IV. 57 fin. und 59. init. geben. Dort heifst es:
(Theod.) dnekiTiev avToS-i (Constantinopel) ''Povtplvov afia T€ zfjg avkfjg maQXOV
ovza xal ia näv oziovv ^zsqov vfjg eavzov xvQievovza yvwfiriq . . .; Hier;
iniStjfii^aag zy ^Pcifjiy zov vibv ^Ovwqlov dvaSeixvvai ßaaiXea 2ze}.lx(ova
azQoztjyov zs dnoipijvag afia zwv avzoS-c zayfidzwv xal btiLzqotiov xazaXi7i<av
Z(ji naiöL Wer dies unbefangen liest, wird bei dem ersten a^ia gewifs nicht an
eine andere früher dem Rufin verliehene Würde denken, sondern, da er in der
That nur praefectus praetorio war und zugleich allmächtiger Minister, so ist ifxa
nichts anderes als eine Verstärkung der Partikel ze = sowohl. Demgemäfs bedeutet
afia aber auch an der zweiten Stelle nur, dafs Stilicho in Rom zum Befehlshaber
der dortigen (occidentalischen) Truppen und zugleich zum Ratgeber des Honorius
ernannt wurde, ohne dafs darin eine Verschmelzung der beiden Commandos liegt;
auch spricht entschieden dagegen, dafs Stilicho zurückgelassen wurde und dafs
Theodosius, gewifs doch mit dem orientalischen Heere, nach Constantinopel
zurückkehren wollte. Vgl. G. S. 230. Anm. Richter S. 17 und Sievers S. 338.
*') Zosim. IV. 59.
^«) Claudian De laudib. Stilich. II. 147 ff.
33
zu übertragen,^öj wenn nicht eben Stilicho durch richtige Behandlung
Ruhe und Gehorsam in die aufgeregten Massen gebracht hätte. Zur
rechten Zeit für diese Verhältnisse, doch nicht fürs Wohl des Reichs,
rief eine dringende Notwendigkeit die Truppen ins gefährdete Ost-
reich zurück.
Hier genofs inzwischen Rufinus das seltene Glück, ungestört
als Diener über ein Weltreich, seine Hülfsquellen und Bewohner
schalten zu können*®), und man darf ihn nicht von der Schuld frei-
sprechen, dafs er das ihm anvertraute Amt eigennützig und mit Partei-
lichkeit verwaltet habe. Zwar werden die Vorwürfe, die ihm gemacht
wurden, fast gegen alle hochgestellten Beamten der damaligen Zeit
erhoben, wie wir im Laufe dieser Darstellung noch mehrmals sehen
werden, jedoch scheint Rufin, ganz unbehelligt vom Auge eines ein-
sichtigen Herrn, seine Machtmittel vielfach ausgenutzt zu haben, um
sich an dem Gute von Reich und Arm zu bereichem und unermefs-
liche Schätze in seinem Palaste anzusammeln. Nicht nur, dafs ihn,
wie natürlich, eine Schar von Schmeichlern *i) umdrängte, von Leuten,
welche eben noch hinter dem Schenktisch gestanden, die Treppen
gekehrt oder die Fufsböden gereinigt hatten, und jetzt die mit
dem Purpursaume verbrämte und von goldener Schnalle zusammen-
gehaltene Toga und an der Hand in Gold gefafste Siegelringe trugen,
sondern er verkaufte auch die Ämter *2) an die meistbietenden,
♦9) Claudian in Rufin. II. 117:
Et quamvis praesens tumor et civilia nuper
Classica bellatrixque etiam nunc ira caleret,
In ducis exitium conspiravere favorem.
De hello Gild. 294:
Stringebat vetitos etiamnum exercitus enses
Alpinis odiis alternaque jurgia victi
Victoresque dabant.
300: .... Dissensus acerbus
Sed gravior consensus erat.
Doch erwähnt Claudian davon nichts De laudibus Stilich. I. 147 ff,
162: In quo tarn vario vocum generumque tumultu
Tanta quies iurisque metus servator honesti
Te moderante fuit nullis ut vinea furtis
Vel seges exsecta fraudarit messe colonum u. s. w.
60) Eunap frgm. 62. Zosim. V. i. Philost. XI. 3.
^^) Eunap frgm. 63. (Joh. Ant. firgm. 188.)
*2) Zosim. V. I. Claudian in Rufin. I. 178:
niico ambitio nasci, discedere rectum,
Venum cuncta dari. Profert arcana, clientes
Fallit et ambitos a principe vendit honores.
34
brachte Staatssclaven für seine eigene Kasse unter den Hammer^^)
und begünstigte endlich die falschen Anklagen s^), welche manchen
begüterten Mann in kurzer Zeit an den Bettelstab führten. Und für
wen dies alles? Nur für sein einziges Kind, eine Tochter, welche
damals grade in die Jahre der Mädchenreife getreten war.
Aber gröfser als die Goldgier des allmächtigen Mannes war doch
sein Ehrgeiz, der wohl herausfühlte, dafs seine Stellung dadurch sich von
der des verhafsten Gegners im Occident unterschied, dafs Stilicho durch
seine Verwandtschaft dem Jlerrscher gleichbürtig geworden war, und
darum trachtete er danach, sich die Jugend des noch nicht zwanzigjährigen
Arcadius zu nutze zu machen und durch eine Vermählung s^*) seiner
Tochter mit demselben sich selbst eine dauernde Gewalt zu verschaffen.
Aber während er nur im geheimen mit seinen Vertrauten über diese
Lieblingsidee sprach und meinte, niemand ahne seine Absicht, hatte
sie doch das Haupt der Gegenpartei am Hofe, der Oberkämmerer
und Verschnittene Eutropius, längst durchschaut und seinerseits alle
Hebel in Bewegung gesetzt, das Auge des unerfahrenen Jünglings auf
eine andere Dame zu lenken.
Es war das die Tochter eines hochverdienten Militärs, des Franken
Bauto,*^^) welcher einst von Gratian neben Arbogast dem von neuem
in Bedrängnis geratenen Theodosius 380 gegen die Gothen zu Hülfe
geschickt, im Jahre 385 Consul gewesen war und dann im Orient
geblieben und gestorben zu sein scheint: er war ein Ehrenmann in
des Wortes bester Bedeutung gewesen, jeder Bestechung abhold, ein
53) Eunap. 63.
*•) Ibid. und Zosim. a. a. O. Besonders austührlich ist seine Goldgier
geschildert von Claudian in Rufin. I. v. 187 ff.
5**) Zosim. V. I. Sievers S. 339 meint, weil Stilicho die Aussicht hatte
durch die Verheiratung seiner Tochter mit Honorius sein Verhältnis za demselben
noch enger zu gestalten, sei Rufin auf den Gedanken gekommen ähnliches zu
betreiben. Doch brauchte ihm diese fragliche Aussicht nicht vorzuschweben,
sondern überhaupt die nahe Verwandtschaft Stilichos mit Honorius. Eher könnte
man annehmen, dafs Stilicho des Rufin Gedanken glücklicher 398 durch Vermählung
seiner Tochter Maria mit Honorius (vgl. Clinton fasti Rom. zu diesem Jahre)
verwirklicht habe. Wenn nun Zos. V. i. sagt, Rufin habe nach dem Tode des
Theodosius nach der Herrschaft selbst getrachtet und als Gelegenheit dazu die
Heirat ersonnen, so ist das in dem Sinne, als ob er Kaiser werden wollte, gewifs
nicht zu verstehen, vielmehr wollte er nur seine Stellung als Schwiegervater
des Herrschers befestigen und vor allen Intriguen sicherstellen. • So auch
Gibbon VII. S. 174.
^^) Zosim. IV. 33. Marceil. comes 385. Philost. XI. 5. Symmach. ep. IV. 15
und 16 sind an ihn gerichtet; er war vielleicht comes Italiae (vgl. Ambrosius ep.
24 jind 57) unter Valentinian IE. vgl. Böcking a. a. O. II. S. 584.
35
schneidiger Officier, doch ob ihn der Taufe heiliges Band mit Christus
vereinte oder ob er Heide war, mufs dahin gestellt bleiben.s«) Jeden-
falls konnte ein Kaiser zu einer Zeit, da in der ganzen cultivierten
Welt nur ein legitimes Herrscherhaus existierte und wo der Begriff
der Mesalliance^') daher noch nicht vorhanden war, keinen besseren
Griff thun, als wenn er die Tochter eines ausgezeichneten, treuen
Beamten oder Generals ehelichte, und das war hier der Fall. Dazu
empfahl die Eudoxia,^^) denn so hiefs Bau tos Waise, ein schönes
Äufsere und ein hoheitsvolles, kühnes Benehmen, Dinge, welche Arcadius
abgingen und deshalb ihren Eindruck auf das Gemüt des jungen
Herrschers sicher nicht verfehlten; aufserdem war sie nach dem Tode
des Vaters in dem Hause der Witwe und der Söhne des Promot,
von denen der älteste verheiratet war,^®) der Gespielen des Arcadius,
aufgewachsen und erzogen. Wie natürlich machte sich daher eine
Annäherung der beiden, die gewifs aufser von Eutropius noch von
jenen Freunden selbst begünstigt wurde, welche durch ihre Vermählung
mit dem Kaiser für sich selbst eine goldene Zeit allmächtigen Ein-
flusses und der Rache für den Sturz des Vaters kommen sahen* Alles
^) Aus Ambros. ep. I. 57, 3: Aderat amplissimus honore magisterii militaris
Bauto comes et Rumoridus, et ipse eiusdem dignitatis, gentilium nationum cultui
inserviens, a primis pueritiae siiae annis will O. Seeck in seiner Ausgabe der
Briefe des Symmachus p. CXL Anna. 709 schliefsen, dafs B. Christ war, indem
er sich dabei auf den Singularis ,inserviens' stützt. Indes einmal beweist derselbe
nichts, weil auch das gemeinsame Praedicat, aderat' singularisch ist, andererseits
widerspricht dem das hohe Lob des Zosimus a. a. O. , welches derselbe sonst
nur Heiden zukommen lafst : afKpo) (B. und Arbogast) dh ijaav ^QayxoL xo
y^voq evvoize OipoÖQa "^Pwfiaioiq xccl ;f()j/.«aT<wr wg fidXiara dSfOQOXcctoi xal
Tte^l xa nokifiia <pQOV^aai xal dXxy 6ia<p€Q0vxsg. Arbogast war bekanntlich
Heide. Vgl. G. S. 9 Anm. 20 und S. 11. Doch ist nicht ausgeschlossen, dafs B.
sich später taufen liefs.
") Valentinian und Valens verboten allerdings 365 die Ehe zwischen
Römern und Barbarinnen. Cod. Theod. III. 14.; doch war dieses Gesetz sicherlich
nicht streng innegehalten worden, wie schon die Vermählung Stilichos mit Serena
zeigt ; in diesem Falle konnte man die Eudoxia schon als Römerin rechnen. VgL
Gaupp die germanischen Ansiedelungen S. 208.
M) Philost. XI. 5. Zosim. V. 3. Vgl. Cedren p. 334. Zonar. XIH. Erst
Nicephorus Call. XIII. 4. ist in Zweifel, ob sie die Tochter Gratians oder
Bautos sei.
*®). Sievers S. 339 will bei Zos. V. 3. awav(xaxQ£fp6fjL€voi, nicht avvavaxQ6<p6-
fi€voi lesen, weil im letzteren Falle die Söhne des Promot noch zu jung waren,
um das Mädchen bei sich haben zu können, doch wenn wir annehmen, dafs
wenigstens der eine etwas älter als Arcadius war, so konnte er gleichwohl schon
verheiratet sein und ohne Anstofs die Tochter Bautos bei sich haben. Aufser-
dem lebte noch Marsa, die Witwe des Promot. Palladius dialog. de vita S. Joh.
Chrysostomi p. 35.
3*
36
dies entging dem Auge des Rufin, denn sonst \\ürde er nicht, kurz
bevor Arcadius sich entschied, Q)nstantinopel , wenn auch nur auf
kurze Wochen, verlassen haben.
Vielleicht hing diese Reise doch mit seinem Heiratsproject
zusammen, denn Eucherius,^") ein Grofs- Oheim des Arcadius väter-
licherseits, der sonst ohne Einflufs am Hofe lebte, aber gerade
jetzt von Rufin um Unterstützung seiner Pläne angegangen war, hatte
sich über den von Rufin begünstigten Comes orientis Lucian,öi) den
Sohn des früheren praefectus praetorio in Gallien Floren tius, bei
Arcadius beschwert, weil er ihn mit einer unziemlichen Forderung
zurückgewiesen hatte. Da nun der Kaiser dem Rufin deswegen
Vorwürfe machte, wollte dieser einerseits den Eucherius völlig zufrieden
stellen, andererseits veranlafste ihn der Arger über die Störung seines
guten Einvernehmens mit demselben zu einer aufserordentlich grausamen
Bestrafung jenes hohen Beamten. Ohne jemand seine Absicht kund
zu thun, verliefs er die Hauptstadt mit nur wenigen Begleitern und
langte in Antiochia, dem Amtssitze des Lucian, mitten in der Nacht
an; unverzüglich liefs er denselben verhaften, zog ihn, ohne dafs
jemand ihn anklagte, zur Rechenschaft und hiefs ihn mit Bleikugeln
zu Tode knuten; aber obwohl er den Leichnam in einer Sänfte ins
Amtsgebäude zurücktragen liefs, wie wenn Lucian noch lebe, so verbreitete
sich dennoch das Gerücht von der Schreckensthat mit Schnelligkeit
in der Stadt und versetzte sie in grofse Aufregung. Nur die
Erinnerung an die harte Bestrafung des bekannten Aufstandes ^2) vor
mehreren Jahren hielt die Bewohner von Tumulten zurück, welche
Rufin noch dadurch zu besänftigen suchte, dafs er eine „Kaiserliche
Säulenhalle" erbauen liefs, nachmals das herrlichste Bauwerk der
Stadt.«»)
Aber nach Constantinopel zurückgekehrt mufste er bald erkennen,
dafs er um die Hofihung, seine Tochter als Kaiserin zu sehen, arg
betrogen wurde und zwar von dem Oberstkämmerer Eutropius, der,
8") Aurelius Vict. epit. c. 48. Vgl. Ifland S. 50. Er ist wohl der consul 381.
Übrigens deutet sein Name auf eine enge Verbindung mit der Familie des Stilicho,
dessen Sohn ebenfalls Eucherins heifst.
^*) Die Erzählung nur bei Zosim. V. 2. Eine Andeutung bei Claudian
in Rufin. I. v. 241 ff. Lucian ist wohl derselbe, mit dem es Libanius zu thun
hatte. Vgl. Sievers Leben des Lib. Cap. XVI. S. 202. A. 87. Florentius war
praef. praet. Gall. 367. Cod. Theod. XTII. 10, 5. Vgl. Gothofred's Prosopogr.
*2) Vgl. den Verlauf desselben bei A. Hug : Antiochia und der Aufstand
im Jahre 387. Winterthur 1873 und Ifland. S. 142 fF.
63) Euagrius hist. eccles. I. 18.
37
nachdem er durch Rede und Bild**) das Herz des jungen Kaisers
für die schöne Germanin entflammt hatte, keinen Augenblick verlor
und den Arcadius zu schnellem Handeln antrieb. Auch von Seiten der
Religion stand der Verbindung nichts im Wege, da Eudoxia bereits
von Pansophus, dem späteren Bischof von Nicomedien, im katholischen
Christentum unterrichtet war,®^) während das Bedenken wegen der
Hoftrauer um den jüngst verstorbenen Vater wohl durch den Hinweis
auf die nicht allzukräftige Constitution des jungen Kaisers und die
Notwendigkeit, bald für einen Nachfolger zu sorgen, leicht beseitigt
wurde. So liefs denn Eutropius eines Tages dem Volke von Con-
stantinopel einen Wink zukommen, Häuser und Strafsen zu bekränzen und
fröhlich zu sein, denn der Kaiser beabsichtige dem Reiche eine Herrscherin
zu geben; er selbst aber nahm das königliche Gewand, den Schmuck
und das Diadem aus der Schatzkaniimer und führte den von zahl-
reichen Dienern in prächtigen Uniformen geleiteten Hochzeitszug
unter dem Jubel der hinzuströmenden, schaulustigen Menge in das
Haus der Söhne des Promot, während die feierliche Vermählung
erst am 27. April 395®®) stattfand. Doch konnte weder Rufin seinem
gekränkten Ehrgeiz gegen Eutrop Luft machen noch sich Arcadius
den Freuden des jungen Ehestandes ungestört hingeben, denn die
politische Lage der Balkanhalbinsel, ein Aufstand im Innern und ein
Einfall äufserer Feinde, drohten gerade in jenen Tagen den Thron
des Kaisers ganz in Frage zu stellen.
Drittes Kapitel.
Erhebung Alarichs, Königs der Westgotheh. — Verwüstung Nordgriechenlands,
Bedrängnis Constantinopels. — Zu derselben Zeit Einfall der Hunnen durch
die Caucasische Pforte. — Stilicho am Rhein. — Erster Zug Stilichos gegen
Alarich 395. — Rückkehr des orientalischen Heeres. — Rufins Ermordung. —
Verwüstung Griechenlands durch die Westgothen. — Einnahme Athens. —
Zweiter Zug Stilichos gegen Alarich 396. — Friedensschlufs mit Alarich. — Seine
Befugnisse und Gegenleistungen.
Eine der dunkelsten Partien der Geschichte ist die Erhebung
der Gothen in Bezug auf Motive und Absichten und das Verhalten
**) Claudian spielt darauf an De nupt. Honor. et Mar. v. 24 ff.
®®) Sozom. VIII. 6. Ganz falsch ist die Bemerkung des Idac. zu 404:
Johannes . . . qui ob fidem catholicam Eudoxiam Arcadii uxorem infestissimam
patitur Arianam. ©enn Socrat. VI. 8. giebt sie, abgesehen von der inneren
Unwahrscheinlichkeit, selbst Geld her zu einer Demonstration gegen die Arianer,
^) Das Datum nur im Chron. Pasch.
38
Rufins dazu, endlich auch die Hülfeleistung des Stilicho.*) Dem
letzteren kam die Beunruhigung des Ostens gewifs sehr erwünscht
da sie ihm Gelegenheit zu geben schien,- persönlich an der Spitze
siegreicher Truppen nach Constantinopel zurückzukehren und der ihm
von Theodosius vertraulich gewordenen Aufgabe gerecht zu werden;
demgemäfs kann Rufinus den Aufstand der Westgothen nur mit
Besorgnis begrüfst und ihn am allerwenigsten veranlafst haben; denn
gesetzt den Fall, er habe von Anfang an die Absicht zu erkennen
gegeben sich zum Mitkaiser im Orient ernennen zu lassen, so würde
Stilicho, der von dem ganzen Heere geliebte Feldherr und im Besitz
der gröfseren Streitkräfte, sicher sich nicht früher beruhigt haben, als
bis er der Herrschaft des verhafsten Nebenbuhlers ein Ende gemacht
hätte. Andererseits, nachdem einmal der Aufstand auf der Balkan-
halbinsel emporgelodert war, lag es im Interesse des oströmischen
Ministers ihn nicht so bald beseitigt zu sehen, weil eine Stärkung der
Westgothen bis zu einem gewissen Grade Stilichos Sieg in die Länge
ziehen, ja wohl ganz vereiteln konnte. Ebenso ausgeschlofsen ist,
ihrer inneren Unwahrscheinlichkeit wegen, die Annahme, als ob Rufin
selbst den Einfall der Hunnen durch die Caucasische Pfprte von Baku
veranlafst habe. Gleichwohl sind diese Anklagen gegen Rufin nicht
nur von dem Dichter ^ *) erhoben worden, welcher Stilichos Person und
Thaten verherrlicht, sondern auch fast von allen anderen zeitgenössischen
und späteren Quellen, welchen es nicht begreiflich ist, dafs ein
allmächtiger Mann zu damaliger Zeit einem schwachen Kaiser treu dienen
konnte. Da aber Claudian der einzige Zeitgenosse ist, welcher über diesen
*) Vgl. Tillem. note 6. Gibbon VII. Richter S. 24 ff. v. Wietersheim
S. 112 ff. Sievers S. 339 ff. Dahn Könige V. S. 33 ff. Finlay I. S. 145 ff.
Hertzberg a. a. O. III. S. 380 ff. — Über Rufinus handelt besonders Claudian in
Rufin. II. Die sogen, praefatio erwähnt nicht nur die Verwüstungen der Gothen
in Griechenland, sondern auch des Alpheus als Kampfstätte. Da aber in dem
Gedicht selbst vom Kampfe keine Rede ist, so pafst sie nicht dazu. Ferner folgt
aus dem Gedichte, welches wohl die Verwüstungen Achaias kennt, aber
nicht Stilichos Hülfeleistung, dafs diese nicht noch vor der dort erzählten
Ermordung Rufins stattgefunden hat.
*a) Aufser an anderen Stellen erhebt der Dichter den Vorwurf des Strebens
nach der Tyrannis gegen Rufin auch in Rufin. I. 306 ff. Es ist nun z. B. von
Gesner (in seiner Ausgabe 1759) diese Stelle auf die Zeit Theodosius I.
bezogen worden, weil es im v. 317 heifst
Ulta ducis socii letum
unter welchem derselbe Promotus versteht. Aber, da Rufinus unter Theodosius I.
gar nicht an eine Erhebung denken konnte, so mufs diese ganze Partie von
V. 306 — 322 auch auf die Zeit des Arcadius bezogen werden, doch wer ist dann
der dux socius? Vgl. Edm. Vogt Diss. S. 12 und Programm S. 22.
39
Punkt mitten aus den Ereignissen heraus geschrieben hat und die
Thatsachen wenigstens und ihre Reihenfolge nicht hat erdichten können,
so bleibt er trotz seines parteiischen Standpunktes dennoch die beste
und lebendigste Quelle, aus der man schöpfen kann.2)
Mit freigebiger Hand hatte Theodosius nach seinem Siege über
Eugenius an sein siegreiches Heer Ehren und Geld verteilt^) und
auch, nicht der bundesgenössischen Germanen und Hunnen vergessen,
welche ihm nur zeitweise für diesen Krieg ihre Macht zur Verfügung
gestellt hatten und die er selbst über die Alpen zurückzuführen gedachte.*)
Nun hatte sein unerwarteter Tod das Band früher gelöst, und sie
waren alle heimgezogen in ihre heimatlichen Gefilde, nur die regulären
römischen Truppen, welche aus Armeniens fernen Bergen, aus Syriens
grofsen Städten, vom Orontes und Halys hergezogen waren*) und
von denen Stilicho grade die tauglichsten und ergebensten dem west-
lichen Heere eingereiht hatte,^) harrten noch ihrer Rückführung.'')
Zu denen aber, die bereits Italien verlassen, gehörten auch die
Foederaten der Römer, die in Thracien und Moesien angesiedelten
Westgothen, welche ein Sprofs des edlen Geschlechtes der Balthen,
das heifst „Kühnen", der kaum zwanzigjährige Alarich^), gen Westen
geführt hatte. Er gehörte zu den wenigen Unzufriedenen, welchen
Theodosius mit Huld und Gnadenbezeugung nicht genug gethan hatte,
denn seine ehrgeizige Seele hatte im stillen die Würde eines magister
militum erhofft und sich schmählich darin betrogen gesehen. Diese
2) Edm. Vogt Programm u. s. w. S. 19 fF. G. S. 19 ff,
3) Claud. IV. cons. Hon. 118: Magnarum largitor opum, largitor honorum.
*) Zosim. IV. 59.
^) Claudian spricht von der Zusammensetzung des Heeres III. cons. Hon.
68 ff. De hello Gild. 245 ff. In Rufin. II. 105 ff. und 174 ff. De laudibus
Stilich. I. 154 ff.
ß) Zosim. V. 4.
'^) Hätte Stilicho, wie v. Wietersheim S. 112 annimmt, die untauglicheren
römischen Soldaten schon vorher zurückgesandt, so würden diese doch irgendwie
gegen die Gothen verwandt worden sein, wovon aber nirgends die Rede ist.
Man müfste denn annehmen, dafs diese als Schutzmannschaft die Leiche des
Theodosius nach Constantinopel geleitet haben, welche dort am 8. oder 9. November
395 anlangte. Socr. VI. i. Chron. Pasch.
8) Zosim. IV. 57. V. 4. Socr. VII. 10. Vgl. Joh. Antioch. frgm. 186. Claudian VI.
cons. Hon. 105. Er war auf der Donauinsel Peuce geboren. Vgl. Aschbach
Gesch. d. Westgothen S. 65 ff. Köpke die Anfange des Königtums bei den
Gothen S. 121 ff. Dahn, Die Könige der Germanen V. S. 24 ff. .G.Kaufmann,
Deutsche Geschichte bis auf Karl den Grofsen I. S. 307 ff. Arnold, Deutsche
Geschichte II. S. 20 ff. G. S. 223. Hertzberg S. 382 ff. Dahn, Urgeschichte der
germ. und roman. Völker I. S. 337.
i
40
aber, wie Alarich meinte, ihm angethane Schmach verdrofs sein Volk
um so mehr, als es im Treffen vor der Schlacht am Frigidus allein
an loooo Kampfgenossen eingebüfst hatte ,^) dazu mochte die nicht
ungerechtfertigte Besorgnis sich gesellen, dafs mit dem Gothenfreunde
Theodosius auch ihre beste Zeit ins Grab gesunken sei, und dafs die
Söhne nicht fort£adiren würden sie mitten im eignen Reich als fremden
Bestandteil zu hegen und noch femer durch Geld und Naturalien in
freundlicher Stimmung zu erhalten. War es femer nur die Aufregung,
welche einem Thronwechsel zu folgen pflegt oder ein wohlüberlegter
Entschlufs — genug Arcadius zahlte ihnen grade jetzt nicht die fälligen
Subsidien.*®) Das hiefs Oel ins Feuer giefsen, die längst erregten
Gemüter schäumten wild über und indem sich die Gothen bei der
Jugend der beiden Kaiser und der offenkundigen Eifersucht der beiden
Minister ihr Unternehmen leichter dachten, als es war, stellten sie
wieder einen Volkskönig an ihre Spitze, eben jenen Balthen Alarich. ^i)
Fragt man nach dem Endziel seiner Wünsche und dem Zweck
der Erhebung, so waren jene gewifs nicht höher gerichtet als auf die
römische Generalswürde, ein entsprechendes Konmiando auch über
römische Truppen und eine ungestörte Herrschaft als König über sein
westgothisches Volk; jedenfalls dachte er nicht daran auf den Trümmern
des römischen Reiches ein eignes westgothisches zu gründen. Die
Zeitverhältnifse und das Glück waren Alarich aufserordentlich günstig:
denn wären die römischen Truppen nicht noch m Italien, wären die
Städte durch ihre alten Garnisonen geschützt gewesen, sein Au&tand
würde nie die Ausdehnung gewonnen haben, die er wirklich annahm,
und würde audi niemals von so verheerenden Wirkungen gewesen
sein; dazu benutzten nicht die Gothen allein die Jugend der Herrscher,
denn zu gleicher Zeit brachen, die günstige Gelegenheit klug erspähend,
auf bis dahin ungewohntem Pfade, die Hunnen i*) durch die caucasische
^ Zos. IV. 58. Oros. VIT. 35. Thcod. V. 24. Rnfin II. 33. Soor. V. 25.
V^. G. S. 225.
••) Jordan, c. 29.
»<) Jordan, a. a. O. VgL v. Wieteisheim S. 118 ff. Dahn a, a. O. S. 337 ff.
**) SocT. VL I. S02- YII. I. (Übrigens eine der SteUen, wo eine Xicht-
benutznng des ersteren durch Sozomenus bei £i$t völliger Übereinstunmnng im
Ausdruck kaum anzunehmen ist.') Gothofir. bezieht hierauf Cod. Theod. YIH. 5, 57.
Es ist sehr fraglich , ob PhUost. XI. 8. auf diesen Einfell geht. Dag^oi
spricht ganz deutlich davon Oaudian in Rutin. IL 28 ff.
.... alii per Caspia daustra
Anneniasque nives inopino trandte ducti
Invadunt Orientis opes seq.
Es ist feiner möglich, dafs, wie Sievers a.a.O. wül, in Eutrop. It. 243 ff.,
sich auf den Hunnenangriff bezieht; doch ist das entschieden ausgeschlossen bei in
41
Pforte von Baku am Kaspischen Meer und ergossen ihre ungezählten
Reiterschwärme durch Armenien nach Mesopotamien, Osrhoene, Euphra-
thensis und Syrien, während die südlicheren Gebiete mit dem Schreck
davon kamen. *3)
Auch hier fehlten die Besatzungen**) und schutzlos lag das
reiche und bevölkerte Land den rohen Horden preisgegeben da: da
sanken die Klöster in Asche und mischte sich das unschuldige Blut
der Mönche mit den Fluten des Euphrat und Tigris, da wurden die
Städte am Halys, Cydnus und Orontes berannt, vor allem das reiche
Antiochia, auf das es die goldgierigen Barbaren am meisten abgesehen
hatten. Unverhofft, mit Blitzeseile waren sie da und kamen dem
Gerücht durch Schnelligkeit zuvor, schonten nicht Religion, nicht
Würde, nicht Alter, ja erbarmten sich nicht des Säuglings. Schon
fürchtete Jerusalem für seine Sicherheit und besserte eiligst seine
Mauern aus, während Tyrus die Meeresströmung verwünschte, welche
es seit Alexanders Belagerung von Jahr zu Jahr mehr mit dem Fest-
lande verbunden hatte, und sich in seine insulare Lage zurücksehnte.
Wen Alter und Mittel fliehen liefsen, der entrann ans Gestade des
rettenden Meeres wie der heilige Hieronymus und seine Genossen von
Betlehem, zimmerte ein rohes Boot und sorgte sich weniger vor den
wütenden Winden und Schiffbruch denn vor den Barbaren.
Wohl zeigten diese Stätten noch nach Jahren die Spuren der
Verwüstungen, doch nachhaltiger und systematischer ist wohl nie ein
Land durch einen Krieg verheert worden als die Heimat der alten
Griechen durch Alarich und seine Gothen. Kaum war nämlich die
Nachricht von ihrer Erhebung und ihrem Abfall von Ostrom über den
Ister gedrungen, als die den Hunnen unterworfenen germanischen
Völker ihre kämpf liebenden Freischaren über den eisigen Flufs hin-
übersandten *s) und die Zahl der Krieger Alarichs vermehrten, und
während die Gothen doch noch ein nationales, höheres Ziel im Kampfe
verfolgten, dachten diese Abenteurer an nichts anderes als an Brand,
Eutrop. II. 114 ff., da hier vorher von der Glanzperiode des Eutrop und dem
Sommeraufenthalt in Ancyra 398 die Rede ist. Vielleicht ist bei beiden
Stellen an fortgesetzte Einfalle der Hunnen zu denken.
*3) Hierfür ist Quelle der Augenzeuge Hieronymus epist. 60, 16. adHeliodorum
und ep. 77, 8. ad Oceanum.
^♦) A. a. O. 77. Aberat tunc Romanus exercitus et bellis civilibus in Italia
tenebatur.
^^) Claud. in Rufin. 11. 26 alii per terga ferocis
Danubii solidata ruunt expertaque remos
Frangunt stagna rotis.
Vgl. V, Wietersheim S. 113. und Sievers S. 341 zu dieser Stelle.
42
Mord und vor allen Dingen an Raub. So schwoll die waffenfähige Mann-
schaft Alarichs zu einem gewaltigen Heerhaufen an, welchem die ost-
römische Regierung nichts entgegen zu stellen vermochte, da ihre
Truppen fast ausschliefslich noch in Italien standen, und ergofs sich
wie eine riesige Springflut über das schutzlose Land; alles, was konnte»
flüchtete in die grofsen Städte, aber die kleineren und das platte
Land wurden eine leichte Beute der Gothen; von den Gestaden des
schwarzen Meeres bis zu den bereits in neuem Laub ergrünenden
dinarischen Alpen *^') wurden die Bewohner getötet oder gefangen,
ihre Habe vernichtet, das Vieh fortgetrieben und zum Unterhalt ver-
wendet; immer weiter dehnte sich das überschwemmte Gebiet aus
über Moesiens Gefilde, Pannonien, Macedonien und Thracien, und
schon nahte der Feind der Hauptstadt Constantinopel selbst.*'')
Wohl durften die Einwohner von vornherein die Ueberzeugung
hegen, dafs sie in ihren Befestigungen sicher seien, gleichwohl wurde
Tag und Nacht auf den Mauern Wache gehalten und der Hafen
durch eine feste Reihe durch Ketten verbundener Schiffe gesperrt.*^)
Dieser Gefahr gegenüber wäre selbst ein anderer als der wenig
energische Arcadius mehr oder weniger ratlos gewesen, um wieviel
mehr er, der unerfahrene, fem dem Kriegsleben erzogene Sohn des
Theodosius, und sein Minister Rufin mag, noch immer verletzt durch
die ihm ungenehme Heirat des Fürsten, nicht viel aufrichtige Lust
gehabt haben ihm Mut einzuflöfsen, obwohl er, erfahrener und mit
den Kräften der Diplomatie wohl vertraut, ihn wohl hätte spenden
können. So war denn ganz Constantinopel in Angst und Aufregung,
als die Gothenscharen immer näher und näher heranzogen ihren
Weg durch Feuerbrand fernhin erhellend; schon leuchteten ihre
Fackeln nachts den Wächtern entgegen, schon schreckte der dumpfe
Ton ihrer Hörner die Bewohner aus dem ruhigen Schlummer, schon
sauste ab und zu von einem Übermütigen geschleudert ein matter
Speer in das Gebälk imd das Dach der nächsten Häuser: Aber, wie
sehr sich die Gothen auch als Herren fühlen mochten, eines Mannes
Besitzungen schonten sie doch,*^) nämlich die des Rufin; sie thaten
^) Claudian in Rufin. IX 36. ff.
") Zosim. V. 5. kennt diesen Zug nicht.
^®) Claud. a. a. O. 55 ff. Jam non finitirao Martis terrore movetur,
Sed proprius lucere faces et rauca sonore
Cornua vibratisque peti fastigia telis
Adspicit.
*®) V. 70. videt omnia late
Exceptis incensa suis.
I
43
es, in der Hoffnung dadurch bei dem dereinstigen Friedenschlusse
günstigere Bedingungen zu erhalten, zu dem Arcadius von Rufin
bewogen jetzt bereits sich in Unterhandlungen einliefs. Von einer
eigenen Leibwache umgeben,'^) in barbarischer, nicht römischer Kleidung:
Das gelbe Fell um die Schulter gehängt und mit Köcher und Bogen
bewaffnet, also zog der Praefectus praetorio des römischen Kaisers
in das Lager des Alarich, eine Auszeichnung für diesen, den Römern
ein Hohn. Doch eine Verständigung kam noch nicht zu stände, denn
wahrscheinlich gingen die Forderungen des Germanen selbst für einen
Arcadius zu hoch; nicht mit Unrecht hoffte nämlich dieser auf eine
Abwehr durch seine eignen Truppen, deren Rücksendung er schon
früher von Stilicho gefordert hatte.
Stilicho war gewifs nie gewillt gewesen sie abzulehnen, wohl
aber hatte er von vornherein die Absicht gehabt, selbst die
Truppen zurückzuführen und den Kaiser mit Rat und That zu unter-
stützen. Er würde diesen Vorsatz schon längst ausgeführt haben,
wenn ihn nicht seine Pflichten gegen das Westreich genötigt hätten,
die germanischen Grenzen von neuem zu sichern,^*) da Gallien und
Germanien dem Eugen angehangen hatten. Mit bewunderungswürdiger
Schnelligkeit eilte der Feldherr nur von wenigen begleitet über die
rhätischen Alpen, durcheilte im Fluge die östlichen Grenzmarken,
versicherte sich der Ergebenheit der Alamannen, Bastarnen, Cherusker,
Bructerer, Sygambrer und Franken, nahm ihre Bittgesuche freundlich
entgegen und schlofs gegen Gestellung von Geiseln neue Verträge
mit ihnen ab. Zwar wird er sicherlich mehr Tage gebraucht haben
als Drusus Jahre zur Bezwingung der germanischen Nachbarn, obwohl
Claudian das Gegenteil behauptet, dennoch nahm seine ganze Reise
verhältnismäfsig nur kurze Zeit in Anspruch und so konnte er
bereits, als die Frühlingssonne eben erst angefangen hatte den Winter-
schnee zn schmelzen,22) sich fast mit seinem ganzen Heere nach den
Alpen hin in Bewegung setzen, um dem Ostreich seine Krieger
und zugleich die Hülfe zu bringen.
«>) V. 75 fr.
*^) Claudian IV. cons. Honor. 439 ff. (In diesem Gedicht ist der Dichter
nur dann den Beweis, dafs auch an das 3. Consulat des Honorius sich die
Erinnerung eines Sieges knüpft, schuldig geblieben, wenn die Seefahrt Stilichos
nach dem Peloponnes nicht 396 stattfand.) De laudib. Stilich. v. 189 — 245 fuhrt
das noch weiter aus. Im Gegensatz zu v. Wietersheim S. 1 1 5 nehme ich an, dafs
Stilicho den ganzen Weg zu Fufs machte, da sich nirgends eine Hindeutung auf
eine teilweise Fahrt zur See findet.
^) Claud. in Rufin. v. loi ff.
i
44
Es war ein seltsames Gemisch von Sprachen und Trachten in
diesem aus allen Teilen des grofsen Reiches zusammengewürfelten
Heere : 23) hier konnten der blondgelockte Gallier und der Armenier mit
gekräuseltem Haare sich von den Wundem ihrer Heimat erzählen,
jener von der wilden Wut des unbekannten Oceans, dieser von seinen
Schneebergen und weiten Hochflächen, dort reichten einander der
Germane vom Rhein und der Phryger vom Halys die Hand;
aber alle diese verschieden gearteten Massen, welche eben noch das
Schwert zum Bruderkrieg zu zücken im Begriff gewesen waren,^*) hielt
die Achtung vor dem gemeinsamen Führer und das Vertrauen, er
werde sie zum Siege führen, fest zusanmien. Stilicho zog über die
Julischen Alpen durch das heutige Bosnien auf Thessalien zu, wohin
Alarich, welcher Constantinopel nur schrecken wollte, mit seinen
Völkern marschiert war, und suchte diesen zur Schlacht zu bewegen;
aber Alarich, welcher eben beim Versuch den Pindus zu überschreiten
durch die Bürgermiliz von Thessalien einen grofsen Verlust erlitten
hatte^ö) und wohl wufste, welchem Gegner er gegenüberstehe, wagte
keine offene Feldschlacht, sondern, weil seine Scharen noch weithin
zerstreut waren, suchte er hinter einem regelrechten Wall und Graben
und einer Wagenburg in einer weiten Ebene, wahrscheinlich am
Peneus, Schutz.^ß)
So lagen die beiden Gegner, in deren Händen später das
Geschick des Westreiches ruhte und die so oft noch sich begegnen
sollten, zum ersten Male feindlich sich gegenüber, und nicht nur
Stilichos Heer brannte darauf den Feind zu besiegen, sondern auch
Stilicho selbst, der hier zum ersten Male allein den Oberbefehl
hatte. Zwar ist es uns nicht überliefert worden, aber wir dürfen es mit
Bestimmtheit annehmen, dafs er den Kaiser Arcadius von seiner Ankunft
auf oströmischem Boden in Kenntnis gesetzt hatte. Diese Nachricht
*') Über Stilichos Heer vgl. Claud. in Rufin. IT. 105 ff. und 174 ff. und
De laudib. Stilich. 154 fF., wo aber immer nur die Truppen des äufsersten Westens
und Ostens genannt werden. III. cons. Hon. 68 ff. dagegen bei der Erzählung
von den Rüstungen des Theodosius, werden auch die kleinasiatischen Bewohner
erwähnt, während erst De belle Gild. v. 245 ff. der Unterstützung der Gothen
gedacht wird.
24) Claud. in Rufin. II. 1 17 ff. De hello Gild. 294 ff. De laudib. Stüich. I. 145 ff.
**) Mehr läfst sich aus der verworrenen Darstellung von Socr. VII. 10 über
Alarichs Züge nicht entnehmen und auch dies selbst erscheint nicht ganz sicher,
da Socr. an dieser Stelle, wie v. Wietersheim S. 116 gegen Richter S. 51 mit
Recht bemerkt, die Ereignisse der Jahre 395 — 408 kurz zusammenfäfst. Vgl. Dahn
Könige V. 32 ff. Hertzberg S. 388.
2«) Claud. in Rufin. II. 125 ff.
45
nun wirkte auf Rufin geradezu vernichtend; eben das, was er am
meisten gefürchtet hatte, war eingetreten, sein Todfeind Stilicho nahte
sich der Hauptstadt, und wurde er nicht am Kampfe gehindert,
gewifs als Sieger, und dann war es aus mit seiner unumschränkten
Herrschaft! Daher mufste eine entscheidende Schlacht auf jeden Fall
vereitelt werden, und noch war die Gewalt des Ministers trotz der
Kaiserin Eudoxia und ihres Anhangs so grofs über seinen Herrn,
dafs dieser sich völlig überzeugen 27) Hefs, es sei ein höchst strafbarer
Eingriff in seine Souveränitätsrechte , dafs Stilicho unaufgefordert mit
Alarich auf oströmischem Gebiete zu Felde liege, und dieser werde, wenn
ihm nicht ausdrücklich verboten würde weitervorzurücken, in Con-
stantinopel selbst ihm Gesetze vorschreiben.
Diese Vorstellungen hatten auch wirklich den gewünschten Erfolg;
der durch den Aufstand schon sehr in Angst gesetzte Kaiser unter-
zeichnete willig den Befehl, welcher Stilicho aufgab sofort die ost-
römischen Grenzen zu verlassen und zugleich die ihm nicht gehören-
den Truppen nach Constantinopel zurückzusenden. Die Nachricht,
welche gerade im Lager eintraf, als Stilicho immer enger und enger
seinen Feind eingeschlossen hatte imd im Begriff war den Haupt-
schlag zu thun, erregte unter seinen Truppen eine gerechte Entrüstung,
während Stilicho die Notwendigkeit des Gehorchens, wenn auch
schweren Herzens, doch sogleich einsah-^"?*) Es war das ein ver-
hängnisvoller Schritt Rufins, diese Zurückweisung der weströmischen
Hülfe, welche, hätte er sie angenonmien, das bis dahin von nachhaltiger
Verwüstung freigebliebene Griechenland vor den schrecklichsten Leiden,
Zerstörung von Städten und Dörfern und vor der Verheerung blühender
Gefilde sicherlich bewahrt hätte. So gab Rufin, um- die Not des Augenblicks
zu kehren und seinen politischen Gegner von der Hauptstadt fernzu-
halten, die bis jetzt noch verschonten Teile der Illyrischen Praefectur
den wilden Horden der Gothen und ihrer Bundesgenossen preis.
Bevor Stilicho seinen Weg nach Salonae an der Dalma-
tischen Küste, wo er zunächst stehen bleiben wollte, um den Gang
der Ereignisse zu beobachten, mit seinen eigenen Truppen antrat,*^7bj
hielt er noch an die gen Osten ziehenden, über welche er
27) V. 141 — 170.
27 a) V, 170—277.
27 b) Aschbach Geschichte der Westgothen S. 67 ff. nimmt nur einen Zug
Stilichos an. (Er begeht dabei Anm, 47. den merkwürdigen Irrtum Claud. in
Rufin. II. 30 ff. auf Verwüstungen der Gothen zurückzuführen und sagt deshalb
im Text: „ja selbst die asiatischen Provinzen wurden von ihnen geplündert."!)
Köpke a. a. O. S. 124. Dahn Könige V. 33 und Urgeschichte I. Dagegen
läfst Kaufmann a. a. O. S. 309 und 310 Stilicho zweimal Hülfe bringen.
46
den General Gainas^») setzte, eine Abschiedsrede, in welcher er sie
zur Ruhe ermahnte, gewifs aber nicht verfehlte durch leisen Hinweis
ihren Zorn auf den Urheber der Abberufung hinzulenken. Da die
Hoffnung auf Sieg und Beute vorher so grofs für sie gewesen war,
so bedurfte es bei diesen rohen Kriegsleuten nur noch eines solchen
Anstofses, um sie einen für Rufinus höchst verhängnifsvoUen Entschlufs
fassen zu lassen, der von Gainas sicherlich befürwortet wurde; nämlich,
wenn der Kaiser zur Begrüfsung der Truppen vor die Mauern
Constantinopels ziehen werde, den verhafsten Minister zu umringen
und zu töten, wie schon so oft ein lästig gewordener Kaiser früher
sein Leben geendet hatte. Während die Gothen sich wieder sammelten
und unbehelligt aus der thessalischen Ebene weiter nach Süden zu eilten,
rückte das von Stilicho entlassene Heer langsam durch die verwüsteten
Gegenden, oft gewifs auch mit zurückgebliebenen Feinden plänkelnd,
durch Macedonien auf der via Egnatia über Heraclea^J*) (Perinth) der
Hauptstadt immer näher, und Gainas versäumte nicht dem Arcadius
seine Ankunft mitzuteilen und ihn zu bitten, sie der Sitte gemäfs feier-
lichst einzuholen.30)
Inzwischen schwamm Rufinus, dem es gelungen war die Absichten
seines ärgsten Feindes zu vereiteln, in einem Meer von Wonne,
und sein letzter diplomatischer Sieg hatte seine Stellung so weit befestigt,
dafs er, der die Gothen und Stilicho von der Hauptstadt ferngehalten
hatte, sich dem Glauben hingeben konnte, Arcadius werde ihn zur
Belohnung zum Mitregenten, zum Caesar, neben sich ernennen.
Wenigstens berichtet uns so der am meisten in diese Verhältnisse
eingeweihte Claudian, welcher Rufins Freude und Vorbereitungen zur
Erhebung mit den lebhaftesten Farben ausmalt: ^i) „Schon verteilt er
unter seine Anhänger Ehren, Würden, Provinzen und läfst am Morgen
des 27. NovemberS)^^) an welchem der Empfang stattfinden sollte, die
weiten Hallen seines Palastes mit königlicher Pracht zum Kaisermahle
herrichten und nicht zufrieden mit den Statuen und Bildsäulen, die
ihm vielfach in Stadt und Dorf und an der Strafse gesetzt waren,
28) Im Kriege gegen Eugenius befehligte er ein Corps barbarischer Hülis-
truppen. Johannes Ant. frg. 187. Zosim. IV. 57. Joh. Ant. frg. 190: 6 xoTs rwP
hansQlwv axQaxonköüiv i^agxoq rjv.
29) Claud. in Rufin. Jl. 292.
^) Zosim. V. 7. Es ist merkwürdig, dafs sowohl Zosimus als auch Joh,
Ant. frg. 190. Socr. VI. I und Soz. VIII. I. betonen, diese Einholung sei
alte Sitte gewesen.
31) In Rufin. n. 293—347.
32) Dies Datum bringt nur Socr. VI. i, der in der Chronologie überhaupt
meist zuverlässig ist.
4>
heifst er bereits Goldmünzen prägen mit seinem Bildnis, um sie als
Donativum an die Soldaten zu verschenken. Er selbst schreitet im
Festzuge stolzer als der Kaiser einher und dreht nach Weiberart den
Kopf, wie wenn ihn schon der Purpur und das Diadem schmücke.**
Aber nicht nur der Hof begab sich auf das Paradefeld beim
Hebdomon, sondern auch das schaulustige Volk der Hauptstadt eilte
hinaus, um, wenn auch nicht immer einen Sohn oder Bruder oder
Freund unter den Zurückgekehrten zu begrüfsen, sich doch wenigstens
an dem seltenen militärischen Schauspiel zu ergötzen, das sich dort
dem Auge bot. Die Truppen waren in Paradeaufstellung, das Fufs-
volk auf dem linken Flügel; aber mehr lenkten die Reiter auf dem
rechten Flügel die Aufmerksamkeit durch ihre wehenden Helmbüsche
und die im Winde flatternden bunten Mäntel auf sich, und besonders
die ganz mit Einschluss des Pferdes in Eisen gehüllten Kürassiere.
Der Kaiser begrüfst die Krieger zuerst ,*3) welche seinen freundlichen
Grufs auf das lebhafteste erwidern, auch Rufin kommt mit der liebens-
würdigsten Miene heran und sucht die Gemüter sich dadurch zu
gewinnen, dafs er diesen und jenen bei Namen nennt und ihm berichtet,
wie es seinen Eltern oder Kindern ergeht. Und wirklich scheint das
den Soldaten zu gefallen, sie drängen sich immer näher an ihn heran
und umschliefsen ihn allmählich, während er von den übrigen abge-
schnitten wird. Er aber merkt nichts davon oder hält es für Zuneigung
und giebt dem zögernden Kaiser einen Wink, nun doch das Tribunal
zu besteigen und seine Erhebung zu proclamieren. Da zücken die
nächsten drohend die Schwerter, er stutzt, doch schon trifft ihn des
ersten StaRl, die anderen folgen und zu den Füfsen des fassungs-
losen Kaisers wälzt sich zuckend sein Minister mit dem Tode ringend
am Boden, eben noch ihm gebietend, nun nichts mehr denn ein toter
Mann — sie transit gloria mundi! Aber nicht zufrieden mit der
blofsen Ermordung senken die wutschnaubenden Krieger immer von
neuem ihre Schwerter in seinen Leib, bis nichts mehr übrig von ihm
ist als ein unförmlicher Klumpen ;34) und als die Truppen wieder ab-
rücken, da eilt nun erst das leicht bethörte Volk herzu und ergötzt
sich herzlos an dem schauerlichen Anblick des gestürzten Mannes,
33) Aufser Cläud. in Rufin ü. ä. a. O. berichtet über die Ermordung Rufins
noch genau Zosim. V. 7. Philost. XI. 3, während Socr. VI. i. Sozom. VIII. i.
Tiro Prosp. Idac. Marceil. comes. Chron. Pasch, nur kurze Notizen geben.
**) In Rufin. II. 407 — 415. Es ist dies eine der unschönsten Stellen bei
Claudian, an der man eher einen Anatomen als einen Dichter zu lesen meint. Vgl,
das häfsliche Bild, das er von der Schlacht am Frigidus entwirft III. cons. Hon.
V. 99 ff. und G. S. 19.
I
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steckt das abgeschnittene Haupt auf eine lange Stange und tragt es
durch alle Gassen, während ein Steinhagel noch über das leblose sich
ergiefst; auch die rechte Hand des Rufin, mit der er so viele Reich-
tümer in seinem Hause aufgetürmt hatte, trägt ein raffinierter Spafs-
vogel durch die Tabernen und Kaufläden herum und heimst durch
den begleitenden Ruf: „Gebet dem Unersättlichen ein Almosen !"35)
noch blutigen Gewinn ein.
Und Arcadius, der Kaiser? hiefs er nicht die Mörder ergreifen
und die auf der Strafse noch Unfug mit der Leiche treibenden gefangen
setzen!? Nichts von alledem! so weit reichte die Macht des einst als
Gott verehrten Augustus nicht, er mufste sich schaudernd der Lynch-
justiz fügen und bestätigte gewissermafsen das ungesetzliche Vor-
gehen der Soldateska, indem er alle bewegliche und unbewegliche
Habe Rufins consfiscierte.^®) Rufins Frau und Tochter blieben von
der Rache der wütenden Menge verschont, doch waren sie aus Furcht
in die Kirche geflohen 3*^) und hatten das Asylrecht derselben in
Anspruch genommen, später wurde ihnen durch Eutrops Vermittelung
gestattet an allerheiligster Stätte zu Jerusalem ^8) ihr unrühmliches
Dasein zu beschliefsen und für die Seele des Vaters zu beten, der
übrigens äufserlich stets ein guter Christ gewesen war und zu Chalcedon
die Apostelkirche erbaut hatte.^^)
Sie waren gewifs aufser wenigen die einzigen, die diesen Mann
betrauerten, obwohl er, als er hoch dastand, selbst von den bedeutendsten
Geistern der Römerwelt über das Mafs hinaus gefeiert war ; denn noch
vor kaum drei Jahren berichtete Libanius**^) an einen Freund, Rufinus
Name sei in aller Mund und die Frauen thäten Gebete für ihn, und
einem anderen ^i) pries er seine Gerechtigkeitsliebe, und dafs er zwar
geringer denn Gott, aber besser denn ein Mensch sei; hätte dieser
wetterwendische Sophist noch gelebt, oder besäfsen wir noch eine
3*) Hieronym. ep. 6o, i6. Rufini caput pilo Constantinopolim gestatum est
et abscissa manus dextra ad dedecus insatiabilis avaritiae ostiatim stipem mendicavit.
Philost. XI. 3. „J6t€ X(5 dukrjaTq) !*' vgl. Zosim. V. 7. Asterius in fast. Kai. p. 59.
— Das letzte Gesetz an Rufin ist datiert vom il. Octob. 395. Cod. Th. II. 9, 3;
also ist falsch datiert I. 14, 2 vom 4. Dec, da Caesarius schon am 30. Novemb.
praef. praet. war X. 6, i. vgl. Clinton fast. Rom.
^) Cod. Theod. IX. 42, 14. Synmach. ep. VI. 14. Vgl. Zosim. V. 8.
^) Zosim. ebend. Joh. Antioch. frgm. 190. natdsq, während Zosim. nur
eine Tochter kennt.
*•) Zosim. ebend. Marc. Comes.
8») Sozom. Vin. 17.
*^) epist. 1025 an Patriarches.
**) epit. 1028 b. d-s(3v fihv rjTtiov, dvS-^iOTitov Sh ccfzslvoDV.
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Aüfserung seinerseits über Rufin aus dieser Zeit, sein Urteil würde
sich, wie wir es schon bei Tatian und Proclus bemerken konnten,
gewifs nun auch in das Gegenteil gewandt haben gerade so wie im
Occident das des Schmeichlers Symmachus, welcher einst des Theodosius
scharfen Blick und Menschenkenntnis gelobt hatte, '*2) weil er den
Rufin an sich herangezogen hätte, und nach seinem Sturze keinen andern
Titel für ihn übrig hat als den eines „alten Spitzbuben ".^^j
Der reiche Besitz des Ermordeten blieb vorläufig auf ausdrücke
liehen kaiserlichen Befehl unberührt in den Händen des Fiscus, obwohl
die Schar der früheren Besitzer und der Petenten täglich wuchs,
welche daraus für sich einen Teil erhofiten; und es mufste wiederholt
sowohl vor eigenmächtiger Aneignung als auch vor lästigen Bittgesuchen
gewarnt werden.*'*) Dagegen erhielten die Bewohner der Provinz
Lycien die ihnen besonders auf Rufins Zureden genommene Fähig-
keit wieder, Ehrenstellen nicht nur von neuem zu bekleiden, sondern
auch die alten Würden wieder annehmen zu dürfen, was Arcadius
durch ein sehr huldvolles Edict*^) im ganzen Reiche bekannt machen
liefs. Eine weitere Folge endlich war die Beschränkung der Gewalt
des Praefectus praetorio ,*®) da Arcadius vielleicht der Meinung war,
dafs ein Minister, in dessen Händen weniger Dienstzweige ruhten, auch
weniger sich anmafsen und gefährlich werden könne ; er trennte daher
von der- Amtsbefugnis des Praefecten die Aufsicht über die WafFen-
fabriken ab, welche wir demgemäfs in der Notitia Dignitatum im
Dienstkreise des magister officiorum finden,*') und die nicht minder
wichtige Entscheidung über die Erlaubnisscheine (evectiones) zur
Benutzung der Staatspost (cursus publicus), welche ihm aber aus Nützlich-
lichkeitsrücksichten später wieder beigelegt wurde.*^) Doch vermochte
sich die schwache Seele des Arcadius 'nicht zu der Einsicht emporzu-
schwingen, dafs gegen alle Übergriffe der Beamten nichts sicherer
schützt als das eigene Auge des Herrschers, und dafs durch solche
Mittel die Gefahr der Überhebnng nicht verringert wird; denn leider
hatte der tapfere Theodosius keine Söhne hinterlassen, die seiner
*^) epist. in. 8i. vgl. 82 — 90 und G. S. 203 und 204.
*3) epist. VI. 14. praedo annosus.
**) Cod. Theod. IX. 42, 14. X. 10, 21.
*^) IX. 38, 9. 31. Aug. 396. Devotissimae nobis provinciae Lyciae priorem
famam meritumque inter ceteras renovari censemus seq.
**) Jod. Lydus de magistr. II. 10. III. 23. 40. 4t. vgl. Walter a. a. O. S. 432.
♦') Böcking I. cap. X.
**) In der Notitia Dign. haben die praef. praetorio und der magist. officior.
die freie Verfügung über die evectiones. Vgl, Cap. II. III. X.
' 4
50
würdig waren, sonst würde Arcadius nun, wo er im Besitz von aus-
reichenden Truppen war, nichts eiliger unternommen haben, als sich
selbst an die Spitze des Heeres zu stellen und das bedrängte Griechen-
land von seinen Peinigem zu befreien.
Denn diese Provinz, welche bisher von den barbarischen Ein-
fallen freigeblieben war und an Einwohnerzahl zugenommen hatte,
weil sich die im breiten Norden der Balkanhalbinsel nicht mehr
sicheren Landbewohner in das südlicher gelegene Achaia zurückgezogen
hatten, war, ohne nennenswerte Besatzung und feigen Officieren, den
Werkzeugen Rufins, anvertraut, inzwischen eine leichte Beute Alarichs
geworden. Dafs der Proconsul Antiochus, des hochgebildeten Musonius
Sohn,*9) von Rufin Befehl hatte keinen Widerstand zu leisten, ist
ebenso wenig anzunehmen, als dafs Gerontius ,^ö) der Wächter des
Thfermopylenpasses, beauftragt war den wichtigen Durchgang ohne
Kampf frei zu geben ; sie bewog vielmehr die Überzeugung, dafs sie weder
Spartaner unter sich hatten noch eine zahlreiche Mannschaft, langsam
vor dem übermächtigen Feinde zurückzuweichen, und man darf zugleich
nicht vergessen, dafs die Haltung der Regierung, welche offenbar eine
nachsichtige und schwache gegen die Gothen war, naturgemäfs auf
diese gewils nicht ausgezeichneten Feldherrn oder kriegskundigen
Beamten zurückwirken mufste.
So zog sich denn Gerontius, als die Feinde den Thermopylen
nahten, ohne Kampfzurück,^!) und die Gothen ergossen sich nun wie
eine wilde Meereswoge durch den Pafs in das reichgesegnete Hellas ;52j
die fruchtbaren Äcker der boeotischen Niederung wurden verwüstet,
die kleinen Städte ohne Mühe erobert und zerstört, die Männer
getötet, die Weiber und KLinder in die Knechtschaft getrieben, nur
Theben wurde geschontes) wegen seiner Befestigungen und weil Alarich
*8) Zosim. V. 5, Musonius selbst war früher Professor in Athen, dann
in den Verwaltungsdienst übergetreten und magister officiorum geworden. Hertzberg
a. a. O. S. 333.
50) Zosim. V. 5.
^^) Claud. de hello Getico 1 86. : Ipsae qua durius olim
Restiterant Medis, primo conamine ruptae
Thermopylae etc.
Eunap. Vita. Max. p. 52 sagt von Alarich : öia rtav nvXwv naQtjXS-ev, äansQ öia
OTaöiov xal iTiTtox^OTov 71 eölov T()f;fo>v! und schreibt frgm. 65. die OefFnung der
Thermopylen der Gottlosigkeit der (arianischen) Schwarzröcke (zäiv nQoana^eaek-
d'OVTWV) zu und der Aufhebung des heidnischen Cultus. vgl. Hertzberg S. 313.
52) Die Verwüstung Griechenlands berichten Claudian praefat. in Rufin 11.
— In Rufin. IL 187—215. IV. consul. Hon. 464 ff. 471 ff. De hello Getico
175 — 194. 513 ff. Zosim. V. 5 — 7. Philost. XII. 2. Vgl. Hertzberg S. 390 ff.
Finlay S. 130. »3) Zosim. V. 5.
51
eilte sich Athens und seines wichtigen Hafens zu bemächtigen. Und
in der That gelang es ihm den Piraeus zu besetzen, doch die unter
Valerian wiederhergestellten Mauern der Hauptstadt Griechenlands s^)
schienen dem klugen Gothenkönig mit Recht nur durch eine längere
Belagerung einnehmbar, zu welcher er weder die nötigen Maschinen
noch die Zeit hatte; andererseits war aber auch die stille Musenstadt,
in welche sonst nur das Treiben der Studenten Leben brachte und
deren Bewohner längst des Schwertes entwöhnt waren, in nicht
geringer Verlegenheit, weil ihr durch die Wegnahme des Hafens
die Zufuhr abgeschnitten war und bei einer längeren Belagerung
grofse Leiden bevorstanden. Es wurden deshalb von beiden Seiten
Unterhandlungen angeknüpft,*^) welche bei der Lage der Umstände
bald zum Ziele fährten und Alarich als Freund und Gast in Athen
einziehen liefsen.
Aber mochte der König auch sich die überaus freundliche Auf-
nahme von Seiten der Bügerschaft gern gefallen lassen, mochte er
dort baden, speisen und Geschenke annehmen, seine Gothen scheinen
die Heiligkeit der Capitulation dennoch nicht gewahrt zu haben, denn
es wird uns mit Bestimmtheit berichtet, dafs sowohl Proterius, einer
der bekanntesten Professoren, den Barbaren zum Opfer fiel als auch,
dafs die athenischen Frauen nicht glimpflich behandelt wurden.*^®)
Doch mag das erst nach Alarichs Abzug, der gewifs bald erfolgte,
von der dort zurückgebliebenen Besatzung ve^ibt worden sein,
Alarich aber wandte sich, nachdem Eleusis und in demselben der
berühmte Tempel der Eleusinischen Mysterien in Flammen aufgegangen
war, mit seinen Gothen südwärts nach Megara,*^) wo ebenfalls von
römischer Seite ein Widerstand versäumt wurde; er nahm die Stadt
im ersten Anlauf und durfte nun die durch langen Frieden zu Wohl-
stand und Reichtum emporgediehenen Landschaften des Peloponnes
w) Zosim. I. 29.
w) Zosim. V. 6. läfst freilich den Gothenkönig dadurch zu Unterhand-
lungen bewogen werden, dafs ihm Athene Promachos, die Schutzherrin der Stadt,
auf den Mauern und der homerische Achill vor denselben zu stehen schien. —
Nach der Stelle bei Eunap vita Prisci p. 57 ist allerdings der Philosoph Proterius
in Athen getötet worden, doch schliefst das eine Capitulation nicht aus. Vgl.
Miiller frgm. bist. Graecor, zu frgm. 65 des Eunap ; Sievers S. 347 und Hertzberg
S, 391 ff. Wenn Philost. XII. 2. ausdrücklich sagt Alarich slXsv ÄSi^vaq, so
bezieht sich das auf den Piraeus; ganz falsch endlich fafst Tillem. V. S, 435 die
Sache auf, wenn er die Aufnahme Alarichs in Athen auf die Zeit, da dieser
Gouverneur von Illyrien war, bezieht.
^) Claud. in Rufin. II. 191. Nee fera Cecropias traxissent vincula matres.
") Zosim. V. 6. Philost XJI. 2. Vgl. Hertzberg S. 395 ff.
4*
\
52
eine nach der anderen ausplündern und verheeren, da die Städte
grade im Vertrauen auf den Schutz des Isthmus unbefestigt waren:
So sank denn Corinth in Asche, Argos und seine Nachbarstädte,
selbst Sparta fielen in seine Hände, während andere Scharen sich dem
Westen der Halbinsel zuwälzten. Hier aber wurde den übermütigen
Feinden ein Halt geboten, welches sie nicht erwartet hatten.^^)
Stilicho nämlich, ob gerufen durch des Oberkämmerers Eutropius
Vermittelung oder, weil der unerwartete Erfolg und die ungeahnte
Zunahme der gothischen Erhebung ihm auch für das Westreich
Gefahren zu bringen schienen, brach in genialer Entscheidung
nicht zu Fufs, sondern auf einer Flotte von Salonae in Dalmatien
auf und landete mit seinen Truppen an der Küste des Busens
von Corinth.*^) Alsbald trat ein sofortiger Stillstand in dem Vor-
dringen der Gothen ein, welche am Alpheus in der weiten Ebene
von Elis von ihrem Raubzuge aufgeschreckt sich sammelten. Auch
hier ging Stilicho nicht sogleich zum Angriff über, weil er auf seinen
Schiffen, wenn auch auserlesene, doch nicht sehr zahlreiche Mann-
schaften hatte mitführen können; es kam zu mehreren Gefechten,®^^
in denen die Gothen, wahrscheinlich mehr in Trupps abgefangen,
bedeutende Verluste erlitten, bis es Stilicho endlich gelang, den Alarich
wie ehedem in Thessalien auf der Hochebene von Pholoe einzuschliefsen,
so dafs es den Gothen, welche infolge des klimatischen Wechsels und
des unmäfsigen Lebens viel durch Krankheit litten,® i) bald an Lebensmitteln
und durch die Klugheit Stilichos, welcher einen am Lager vorbeifliefsen-
den Bach in ein anderes Bett lenkte, vor allen Dingen am nötigen
Trinkwasser fehlte.^^j Und merkwürdig! wiederum konnte Stilicho
^8) Ich nehme nun gegen v. Wietersheim S. Ii6 — 117 mit Tillemont note 6.
sur Arcade, welchem Finlay S. 146, Sievers S. 343, Clinton fasti Rom. zu 396,
Hertzberg S. 395 ff. gefolgt sind , an , dafs Stilicho überhaupt zwei Expeditionen
unternahm und zwar die zweite nach Rufins Tod. Am schlagendsten ist
für mich, dafs Claudian in Rufin. II., obwohl er den Tod des Rufin noch berichtet
und auch schon die Verwüstung Griechenlands andeutet, doch von einem Siege
am Alpheus noch nichts weifs.
w) Zosim. V. 7. Claud. De laudib. Stilich. 170—187.
«ö) De hello Getico 514 ff. 575. In Rufin. II. praef. 9:
Alpheus late rubuit Siculumque per aequor
Sanguineas belli rettulit unda notas
Agnovitque novos absens Arethusa triumphos
Et Geticam sensit teste cruore necem.
«*) IV. cons. Hon, 466.
Plaustra cruore natant: metitur pelUta inventus
Pars morbo pars ense perlt. . . .
6*) Claud. IV. cons^ Hon. 475. De hello Getico 513 ff.
53
nicht den entscheidenden Schlag thun. War es eine neue Botschaft
aus Constantinopel, welche ihn aufforderte abzuziehen — kaum denkbar,
da der Rufins Erbschaft am Hofe antretende Eutropius kein Gegner
Stilichos war — oder wollte er nicht durch die gänzliche Vernichtung
der Gothen seine Hülfe für die Zukunft überflüssig machen®^)? —
wiederum ®4) gab er Alarich Gelegenheit und Zeit sich eiligst aus der
furchtbaren Lage, in der er sich befand, herauszuziehen und denselben
Weg, den er gekommen war, rückwärts zu verfolgen, wobei alles, was
auf dem Hinwege verschont geblieben war, nun ebenfalls noch den
räuberischen Scharen in die Hände fiel und geplündert wurde. Damals
war es, wo Griechenland jene Wunden geschlagen wurden, von denen es
sich Jahrhunderte öS) hindurch nicht erholen konnte und zu deren
Heilung besonders der Nachfolger des Arcadius eifrig mit Wort
und That bemüht gewesen ist; und damals sanken auch viele Denk-
mäler antiker Erinnerung in Staub und Asche, da die Gothen, wenn
auch Arianer, nicht weniger fanatisch gegen das Heidentum waren
als die Katholiken.
Aber indem Alarich, während Stilicho unverrichteter Sache nach
Italien zurückkehrte, noch einmal Griechenland brandschatzte, hatte er
wohl nur die Absicht das zögernde Ostrom zu einem ihm vorteilhaften
Frieden zu bewegen, denn weiter konnten seine Pläne damals noch
nicht gehen. Dieser Friede kam nun endlich, auch Alarich nicht
unerwünscht, da ihm die Lebensmittel für ein so grofses Heer auszu-
gehen anfingen, durch Eutropius Vermittelung wahrscheinlich noch im
Jahre 396 zu stände und brachte den herabgekommenen Ländern
südlich von der Donau bis zum Mittelmeer die ersehnte Ruhe und
Rückkehr zu geordneten Zuständen. Wo der Vertrag abgeschlossen
wurde, wissen wir ebenso wenig, als uns die einzelnen Punkte desselben
klar überliefert sind: Nach Claudians^^) Darstellung erhielt Alarich
ö3) So nimmt v. "Wietersheim an S. 117.
*♦) Hierauf geht Orosius VIT. 37. Taceo de Alarico rege cum Gothis suis
saepe victo, saepe concluso semperque dimisso.
**) Zosim. V. 5. ZTjv ef ixsivov fiBx^i tov vvv xaxaaxQOipriv öiöovra
xolq d-£Q}fi6voig bgäv. Vgl. Hertzberg Gesch. Griechenl. seit dem Abst. u. s. w.
S. 58 ff. 63 ff.
^) Eine andere als diese poetische Quelle haben wir leider nicht, deshalb
gehen die Forscher meistenteils nicht näher auf eine genauere Feststellung des
staatsrechtlichen Verhältnisses ein. Vgl. Gibbon VII. 237. Sievers S. 346,
v. Wietersheim S. 117. und 124, Hertzberg S. 408. — Die wichtigsten Stellen
sind In Eutrop. II. 216.
Praesidet lUyrico. Jam quos obsedit amicus
Ingreditur muros Ulis responsa daturus etc.
54
den Titel Dux und die Verwaltung des ganzen westlichen Dlyriens,
also der Dioecesen Dacien und Macedonien. Aber diese Nachricht
erscheint wenig glaublich, da Alarich, schon 394 Anführer des gothischen
Hülfscorps, schwerlich mit der Würde eines dux zufrieden war, nach-
dem er, wenn auch nicht allein durch eigenes Verdienst, Ostrom voll-
standig gedemütigt hatte; es ist daher eher anzunehmen, dafs ihm
die höhere Würde des magister militum übertragen wurde; dafür
spricht auch der Umstand, dafs ihm zugleich die Wafifenfabriken in
Thessalonich, Naissus, Ratiaria und Horreomagus unterstellt und zu
eigenem Bedarf überlassen wurden.^') Die andere Seite seiner Stellung
ist diejenige, welche derselbe Dichter mit „responsa daturus'* und
„praesidet Illyrico" bezeichnet, Ausdrücken, welche kaum anders auf-
gefafst werden können, als dafs Alarich auch die Gerichtsbarkeit in
Ulyricum gehabt habe oder mit einem Worte praefectus praetorio
gewesen sei. .
Allein gegen eine solche Auffassung spricht einerseits die Über-
legung, was denn bei einer solchen Stellung Alarichs dem Kaiser tür
Hoheits- und Herrscherrechte übrig geblieben wären als der eitle
Schein einer Lehensherrlichkeit ,®'^*) zumal, wie ebenfalls behauptet
worden ist, wenn gar auch noch die Steuern in seine Tasche flössen.
Andererseits widerspricht dem die unbestreitbare Thatsache, dafs es in
den Jahren 397 — 399 einen Praefectus praetorio von Illyrien gab. Denn
wir haben aus dieser Zeit im Theodosianischen Gesetzbuch vier Ver-
fügungen ,^8) welche alle an ein und denselben Praefectus Anatolius
gerichtet sind, und von denen das zweite auf einen Übergriff Alarichs,
der sich an den in den Staatsspeichern angesanmielten Naturalien
vergreifen wollte, hinzuweisen scheint. Demgemäfs ist die staatsrecht-
liche Stellung Alarichs dahin zu praecisieren, dafs er Oberbefehlshaber
(magister utriusque militiae) aller, auch der römischen Truppen der
Illyrischen Praefectur war und als solcher zugleich die Oberaufsicht
über die Waffenfabriken hatte, dafs er aber nicht auch Praefectus
praetorio war und die Civilgerichtsbarkeit dieser Länder, sondern nur
als oberste Militärbehörde die zwischen den Soldaten und Bürgern aus-
tind De hello Getico 535 ff.
At nunc lUyrici postquam mihi tradita iura
Meque suum fecere ducem
*^ V. 537 ff.
*'*) Hieronym. ep. 60, 16 sagt allerdings: Quid putas nunc animi habere
Corinthias, Athenienses, Lacedaemonios , Arcadas cunctamque Graeciam, quibus
imperant barbari?
«8) 397. XVL 8, 12. XI. 14, 3. — 398: IV. II, 8. — 399. VI. 28, 6. Vgl.
Tillemont tom. V. note 13 sur Are. und zu XVI. 8, 12. Haenel p. 1596 k.
55
gebrochenen Streitigkeiten zu entscheiden und beizulegen hatte. Die
römische Civilverwaltung bestand in denjenigen C^ebieten, welche den
Gothen nicht eingeräumt waren, nach wie vor fort^^)
In Bezug auf das von den Gothen von dieser Zeit an bewohnte
Land sind zwar die Grenzen genau nicht zu bestimmen, doch scheint
soviel sicher zu sein, dafs sie nicht etwa durch ganz Illyricum zerstreut
lagen, sondern sie nahmen, wahrscheinlich in erweitertem Umfange
nach Südosten zu, das alte ihnen von Theodosius in Dacien und
Mpesien angewiesene Gebiet wieder ein und bebauten und bewohnten
es bis zum endgiltigen Abzüge nach dem Occident;''^) ein zeit-
genössischer Schriftsteller nennt es daher geradezu „das barbarische",
weil es mitten im römischen lag. Sind wir über die Zugeständnisse
Ostroms schon nicht ohne mancherlei Zweifel, so wird uns erst recht
nichts genaues über die Gegenleistung Alarichs berichtet, denn das
ganze Verhältnis wird nur als Foedus''*) bezeichnet, und es scheint
sonach, als ob Alarich, wie einst die Foederati dem Theodosius, sich
ruhig in seinen Grenzen zu verhalten und im Kriegsfalle für das Ost-
reich die Waffen ergreifen zu wollen, dem Arcadius versprochen hat.
Diese neuen Beziehungen mufsten aber für das Ostreich je länger, je
mehr überaus peinlich sein, da Arcadius den Gothen nicht wie Theodosius
nach ihrer Besiegung und im Gefühl der Stärke aus kluger, politischer
Überlegung ihre Forderungen bewilligt hatte, sondern, nachdem seine
Ohnmacht ihnen gegenüber überall zu Tage getreten war; das mufste
in den Gothen ein Gefühl des Stolzes und des Übermutes wach
*^) So nehme ich meiner Auffassung des ganzen Verhältnisses entsprechend
gegen Sievers S. 346 an.
■^0) Aschbach S. 71 nennt Alarich „Oberfeldherr des östlichen lUyricuras",
über das den Westgothen überlassene Gebiet äufsert er sich nicht. Köpke S. 124:
dux von Illyricum und das Land der Molosser und Thesprotier bis Epidamnus.
Dabn Könige V. S. 35.: dux oder vielleicht magister militum. Kaufmann a. a. O.
S. 310: Das Land zwischen dem 39. und 42. Parallelkr. zu beiden Seiten des Pindus ;
Dyrrhachiura war Alarichs Haupthafen. Das ist entschieden zu weit gegriffen.
V. Wietersheim und Hertzberg a. a. O. behaupten, dafs Alarich Epirus eingeräumt
sei, doch dürften sie sich dabei auf nichts anderes als auf Claud. de hello Getico
496 und Zosim. V. 26 stützen. Sie haben die Stelle Sozom. IX. 4 nicht in
Erwägung gezogen, wo es von Alarich heifst : xal 6 fxhv ÄXd^ixog ix f^q TtQoq
T^ daXfxaxia xal Hcivvovicc yfjq ßaQßaQOv, ov öirjys itaQaXaßwv zovq
Vit avxbv riyev eiq xaq ^neiQOvq. Diese Worte lassen durchaus zu, eine
Erweiterung des ehemaligen Gebietes (Jord. c. 26). über einen Teil des alten
Macedoniens (Emathia) anzunehmen.
^1) Cluud. de hello Get. 496.
.... servator ut icti
Foederis Emathia tutus tellure maneres.
56
erhalten, das jeden Augenblick zu Abfallsgedanken übergehen konnte,
andererseits bei den römischen Bewohnern des Reichs ein Gefühl der
Demütigung und versteckten Grolles hervorrufen gegen alles, was
germanisch und nicht römisch war. Es befand sich also in den durch
den Frieden mit Alarich geschaffenen Zuständen schon der Keim
einer späteren Reaction des Römertums gegen die germanischen
Fremdlinge im Staate ; während auf der anderen Seite auch für Westrom
darin eine ernste Mahnung lag auf der Hut zu sein, da nicht anzu-
nehmen war, dafs ein so hochstrebender Volkskönig wie Alarich zu-
frieden sein würde auf kleinem Raum und in einem schon ausgesogenen
Lande für immer zu hausen; es lag vielmehr die Befürchtung nahe,
dafs er bald auch nach dem reicheren und fruchtbareren Italien seine
verwegene und räuberische Hand ausstrecken werde.
Viertes Kapitel.
Der Verschnittene Eutrop an Rufins Stelle allmächtig. — Seine Vorgeschichte. —
Verhältnis zu Stilicho und Eudoxia. — Arcadius und Honorius. — Mangelhafte
Verbindung zwischen Orient und Occident. — Gildo, comes Africae, wirft sich
dem Ostreich in die Arme. — Seine Tyrannis. — Hungersnot in Rom. — Gildo
wird im Senat für einen Feind des Vaterlandes erklärt. — Die Rüstungen. —
Mascezel, Gildos Bruder, Befehlshaber der römischen Truppen. — Überfahrt nach
Africa. — Schlacht am Ardalio. — Gildos Niederlage und Tod.
Nachdem der Friede mit Alarich abgeschlossen war, hatte das
Ostreich in seinem Innern einige Jahre Ruhe, welche aber nicht von
Arcadius benutzt wurden, um die durch Rufins Amtsverwaltung an-
gerichteten Schäden abzustellen und zu beseitigen. Vielmehr vollzieht
sich von Arcadius ab ein Umschwung in der Leitung des Reichs
dahin, dafs die Kaiser nicht mehr überall selbst sehen und hören
wollen, wie es in den einzelnen Reichsteilen aussieht, geschweige denn
sich selbst an die Spitze der Truppen stellen, um durch ihre Anwesen-
heit und ihr Beispiel anfeuernd auf die Krieger einzuwirken, sondern
dafs sie sich fortan hinter ein steifes Hofceremoniel zurückziehen und
fast immer in den Mauern ihres Palastes bleiben, gleichsam, als wollten
sie im Gefühl der eignen Schwäche durch ein vornehmes Femhalten
von den Unterthanen die Ehrfurcht vor ihnen und den Gehorsam
gegen die Staatsgewalt erhalten. Infolge dessen haben in Zukunft
meist nicht mehr diejenigen Männer den gröfsten Einflufs auf den
Fürsten, welche ihm durch Verdienste im practischen Leben sei es* im
Heere oder in der Verwaltung nahe treten, sondern diejenigen Diener,
57
welchen das körperliche Wohl und die Bequemlichkeit des Herrschers
anvertraut worden ist, und deren Dienst sie naturgemäfs beständig an
die Person desselben fesselt: die praepositi sacri cubiculi, Oberkämmerer.
Sie, die fortwährend um den Fürsten herum sind, erspähen alle seine
kleinen Neigungen und Schwächen und wissen unter kluger Benutzung
derselben so die Fäden aller am Hofe gesponnenen Intriguen in ihre
Hand zu bringen, dafs sie, wenn auch nicht immer an die Oberfläche
tretend, dennoch die Herren der ganzen Situation und die Triebfedern
der Handlungen des Monarchen sind. So beginnt mit ArcadiusV
Regierung zugleich die geheime Herrschaft der Kammereunuchen, und
merkwürdig, wie wenn Constantinopel dazu bestimmt ist, allein in
Europa noch die schmähliche Erinnerung an dies orientalische Geschenk
zu bewahren, noch heute spinnt dort der Praepositus sacri cubiculi
seine Ränke wie zur Zeit der Wende des vierten zum fünften Jahr-
hundert
Grade der erste dieser entmannten Creaturen, welcher mit der
Männlichkeit auch alle Mannhaftigkeit eingebüfst und dafür nur in
verstärktem Grade Bosheit, Eitelkeit und Falschheit eingetauscht hatte,
hat an seinem Beispiele gezeigt, wie nichtssagend der eigne Wille des
Fürsten und wie übermäfsig anspruchsvoll ein Emporkömmling aus der
Heefe des Volks werden kann. Anscheinend in Armenien, jedenfalls im
fernsten Osten geboren und bald castriert, hatte Eutropius^) zahl-
reichen Herren gedient und war aus einer Hand in die andere über-
gegangen, bis er sich durch die Übernahme eines Kupplergeschäftes
selbständig machte. Er war dabei alt und kahlköpfig, seine Haut
schon runzlich geworden, so dafs nach menschlichem Ermessen
das Ende seiner Laufbahn bald erreicht schien; aber im letzten
Viertel seines an Erfahrungen so reichen Lebens bot ihm noch
einmal das Glück .die Hand, um durch die Höhe, auf die es
den Verschnittenen erhob, zu zeigen, wie blind es selbst und die
Menschen sind, über die es triumphiert. Wer den alternden Mann
in den Hof dienst gebracht hat, das ist stets unbekannt geblieben, aber
das andere steht fest, dafs es der verdiente General Abundantius^)
war, durch dessen Gunst er aus den niedrigeren Regionen der Diener
in die Reihe der Cubicularii aufgenommen, vielleicht auch schon zum
*) Die Hauptquelle über ihn ist Claudian in Eutrop. I. und IL, von denen
das erste zur Zeit seines Consulats 399, das zweite nach seinem Sturze geschrieben
worden ist.
2) L 154.: Donec Abundanti furiis, qui rebus Eois
Exitium primoque sibi produxit ab imis
£vectu3 thalamis summos invasit honores.
58
Oberkämmerer befördert wurde. Als solcher war er nach der ost-
römischen Hofrangordnung mit einem Schlage fast in die erste Rang-
klasss des Reiphes der Illustres (Excellenzen) 3) erhoben, nicht weil seine
Obliegenheiten etwa so schwerwiegender Natur waren — denn er
hatte nur aufser den übrigen Cubicularien und ihrem Primicerius
(Vicekänunerer) noch den Hausmeister des Kaiserlichen Palastes
(castrensis Sacri palatii) und den Vorsteher der Kaiserlichen Garderobe
(comes Sacrae vestis) mit ihren zahlreichen Beamten und Dienern
unter sich*) — , sondern, weil derjenige, welchem die Sicherheit des
Monarchen anvertraut war und welcher immer in seiner Gesellschaft
verweilte, notwendig dadurch geadelt und geehrt sein mufste.
Es scheint, als ob Eutrop diese Stellung bereits unter Theodosius I.
einnahm, dessen Vertrauen er in dem Mafse genofs, dals er vor dem
Aufbruch des Kaisers gegen Eugenius nach Aegypten entsandt^)
wurde, um den thebäischen Einsiedler Johannes, dem Gott die Kraft
der Prophetie und sonstige wunderbare Gaben nach der Behauptung
der christlichen Zeitgenossen verliehen hatte, über den Ausgang des
Krieges zu erforschen; doch schützte das offene Auge eines welt-
erfahrenen Mannes und Kriegers den Theodosius vor einer Abhängig-
keit von seinem Diener, und wir erfahren sonst nicht, dafs er irgend-
wie hervorgetreten sei oder mitgewirkt habe. Die steigende Gunst
des Rufin zu damaliger Zeit brachte ihn wahrscheinlich dem Stilicho
nahe, gleich dem er jenen allmächtigen Minister so bald als möglich
gestürzt sehen wollte ö). Aber gleich nach Theodosius Tod, als die
Jugend des neuen Kaisers ihm keine Schranken mehr auferlegte und
Gelegenheit mehr als genug bot, sich in seine Schwächen hineinzufinden
und sie zu benutzen, beginnt der Stern des Eutrop am politischen
Himmel des Orients emporzusteigen; wir sahen bereits, wie er in der
Angelegenheit der Heirat des Arcadius dem Rufin geheim und äufserst
geschickt entgegenarbeitete und wie es ihm gelang, den Arcadius mit
Bautos Tochter zu vermählen. Seit dieser Zeit hatte er durch die
Gunst, welche er unzweifelhaft bei der jungen Kaiserin genofs, mehr
als je das Heft in den Händen, sonst würde ihn Rufin, ohne Erbarmen
8) Notitia Dign. ed. Böcking I, cap. I. IX. und S. 232 — 234; doch vgl.
Cod. Theod. VI. 8, i.
*) Walter Gesch. des röm. Rechts I. § 340.
*) Sozom. VI. 28. VlI. 22. Rufin IE. 19 und 32. Theodor. V. 24. August,
de civ. Dei V. 26. Vgl. Acta Sanct. in. p. 602 seq. Prosp. Aquit. Tiro Pr.
Claudian in Eutrop. I. 312 — 318. praefat. in Eutrop. II. 37 — 40. J. H. Stuffken
dissertatio de Theod. M. in rem christianam meritis. Lugd.-Batav. 1828 p. 15.
*) Zosim. V. 8. EvxQOTtioq 6h nQoq navrce 2xBki%Q)va avvsQyiqadq xa
?caxa xovxov ßsßovlevfxiva t<5v iy xy avXy TCQaxxofjtivwv 9€VQcog fjv.
59
gestürzt und vernichtet haben. Doch das Glück war noch femer dem
Eunuchen hold, denn nachdem die zurückkehrenden Krieger auf
Gainas Zeichen jenen ermordet hatten, da war kein Mann im ganzen
Ostreich, der ihm an die Seite gestellt werden konnte: und er beeilte
sich Rufins Erbe in jeder Beziehung voll und ganz anzutreten«
Zunächst nahm er die Hinterlassenschaft desselben zum grofsen
Teile selbst in Besitz''), sodann wufste er trotz der Praefecti
praetorio Caesarius, Eutychian und Anatolius, welche in den Jahren
397 und 398 genannt werden^), so die Leitung auch der politischen
Angelegenheiten in seine Hand zu bringen, dafs der Zeitgenosse
Claudian immer nur von ihm und seinem Anteil daran redet: Überall
hat Eutrop seinen Einßufs im Spiele, den Kaiser verläfst er nie, und
dieser hat auch gar keine Lust einmal etwas anderes zu sehen als
seine Palastmauem und inuner dieselben Gesichter; nur dafs er auf
Eutrops Rat, dem eine Kräftigung der schwächlichen Gesundheit des
Kaisers aus eigenem Interesse geboten war, und in dessen Begleitung
im Hochsommer bisweilen das staubige, überheifse Constantinopel
verläfst und sich mehrere Wochen auf dem Nordrande des Taurus
auf der luftigeren Hochebene Kleinasiens bei Ancyra^) in Sommer-
frische ergeht. Dafs Arcadius dabei die Gelegenheit wahrnahm, von
der Lage der Bewohner oder dem Zustande der Städte und Festungen
Kenntnis zu gewinnen, ist nirgends gesagt und kaum anzunehmen,
und so erhielt der Kaiser eben nur das zu wissen, was Eutrop für
gut befand ihm mitzuteilen.
Daher erklärt sich auch zum Teil das wenig herzliche Verhältnis,
welches zwischen den kaiserlichen Brüdern obwaltete, indem Eutrop
die aus dem Occident kommenden Nachrichten dem Arcadius so über-
mittelte, wie es ihm beliebte. Dazu war eine officielle Verbindung
zwischen den beiden Reichshälften überhaupt nicht vorhanden,
obwohl sich das Bedürfnis ständiger Gesandtschaften doch hätte fühl-
bar machen sollen; nur bei besonderen Veranlassungen wurden Special-
geschäftsträger ernannt, deren Dienst nach Erledigung der Angelegen-
') ibid.
^) Series chron. constit. bei Haenel. Tillem. note ii. sur Arcade sucht
vergeblich in die unsichere Überlieferung der Praefecti pr. Klarheit zu bringen.
Vgl. note 13.
®) Etwa 45 Meil. graden Weges von Constantinopel, Hauptstadt Galatiens,
jetzt Angora, türk. Engiiri. Kiepert S. 89 und 102. Arcadius war dort i) 397
Cod. Theod. VI. 3. IX. 14, 3. 2) 398, denn am 27. Juli war er in Mnyzum. XI. 40,
16. u. a., welches 5 Meil. westlich davon liegt. 3) 399 war er im Begriff dorthin
zu gehen, als der Aufstand des Gainas ausbrach. Claud. in Eutrop. II. 97 ff.
4) 405 zum letzten Male. Vil. 10, i. VL 30, 18,
6o
heit alsbald aufhörte, so dafs die Höfe gegenseitig vielfach nur aut
Privatbriefe und auf Gerüchte angewiesen waren, i®) gewifs eine Art des
Verkehrs, bei der die aufrichtige Gesinnung der Herrscher gegen ein-
ander immer zu kurz kommen mufste. Infolge dessen nistete sich
von vornherein ein Mifstrauen zwischen Arcadius und Honorius ein,
das, wenn sie öfter direct in persönlichen Verkehr getreten wären,
sicherlich leicht hätte beseitigt werden können.
Von Arcadius wurde dem Honorius wahrscheinlich mitgeteilt, er
sei nicht zufrieden, dafs die ganze Regierung in eines Mannes Hand
liege, während umgekehrt dem Arcadius hinterbracht wurde, was ihn
schwer beleidigen mufste: man rede dem Honorius ein, er sei könig-
licher als sein Bruder, der noch im Privathause und nicht in dem
officiellen Räume des Porphyrgemaches am Bosporus geboren sei^*);
auch die Art, wie Arcadius zur Eudoxia gekommen sei,^^) war der
Gegenstand spöttelnder Bemerkungen am weströmischen Hofe und dafs
Eudoxia nicht aus fürstlichem Geschlechte war. Dagegen wurde
Honorius von den Höflingen gepriesen, dafs er Maria, den Sprofs der
Serena heimführen werde, was 397 allerdings noch in Aussicht stand, i^)
Schoben sich in solcher Weise die Schatten des Mifstrauens und
kleinlicher Überhebung zwischen die beiden Brüder, so dauerten
andererseits auch zwischen Stilicho und Eutrop die guten Beziehungen
nicht lange, weil immer von neuem das Gerücht auftauchte, Stilicho
wolle nach Constantinopel kommen,^*) um dort im Auftrage des
sterbenden Vaters die Regierung zu ordnen und seinen Einflufs zu
befestigen. Denn wie eng auch bis nach Rufins Tod die Interessen
beider mit einander verknüpft waren, hier, wo Stilicho dem Eutrop
die Herrschaft beschränken wollte, hörte die Freundschaft bald auf
und schlug in das gerade Gegenteil um. Es bedurfte nur eines
geringen Anlasses, um den Rifs zwischen den beiden Reichen recht
deutlich zu tage treten zu lassen, und diese Gelegenheit trat bald ein
in der zweiten Hälfte des Jahres 397 durch den Versuch des Statt-
halters von Africa Gildo die Provinz von Westrom loszureifsen.
*oj Eunap. frgm. 74 sagt, es sei zu Eutrops Zeiten schwer gewesen verbürgtes
über die Ereignisse im Occident zu schreiben teils wegen der weiten Entfernung
zu Wasser und zu Lande, teils, weil jeder Reisende berichtete, was ihm gut dünkte
und endlich, weil die Kaufleute desto mehr logen, je mehr sie verdienen wollten.
Vgl. übrigens den Brief des Honorius an Arcadius bei Mansi Acta concil. p. 1 1 22.
") Claudian lU. consul. Honor. v. 10 — 15. IV. consul. Honor. 121 ff.
*^) De nupt. Honor. et Mar. 24.
13) V. 30 ff.
") Zosim. V. II.
6i
Africa zerfiel seiner administrativen Einteilung*^) nach in das
eigentliche Africa, welches ein Proconsul grade so wie im Ostreich
Asia im Namen des Kaisers verwaltete, mit der Hauptstadt
Carthago und in Africa im weiteren Sinne unter einem Vicarius,
welchem in den Provinzen Byzacium und Numidia je ein Consular, in
Tripolis, Mauretania Sitifensis und Caesariensis je ein praeses unter-
stand, Tingitana, das heutige Fes und Marokko, dagegen gehörte zu
dem Amtsbezirk des Vicarius HispaniaeJ^) Die militärische Besatzung
wurde von einem comes rei militaris befehligt und umfafste zur Zeit
der Notitia Dignitatum an Infanterie 3 legiones Palatinae, i Abteilung
auxilia palatina, 7 legiones comitatenses und i Abteilung pseudo-
comitatenses, an Cavallerie 19 vexillationes, unter denen 6 sagittarii
waren ; ^'^) aufserdem empfingen noch i 6 Grenzcommandeure (praepositi
limitis) von ihm ihre Befehle. *8) Diese starke Besatzung aber war
durchaus notwendig, weil der Besitz Africas von jeher für die Römer
kein ungestörter war^^); denn unter den zahreichen numidischen
Stämmen, den Nachkommen der alten Numider, hatte städtisches Leben
im Gegensatz zu allen übrigen römischen Provinzen niemals Wurzel
geschlagen, sondern sie blieben bis zu Justinians Zeit unter ihren
eigenen Häuptlingen (principes) und, obwohl dem Namen nach dem
römischen Reiche unterthänig, verhielten sie sich doch meistens feind-
selig gegen dasselbe ähnlich wie die Isaurier im Orient, von denen
wir noch zu reden haben werden.
Nun war aber Africa auch zur Zeit des Arcadius ein überaus
fruchtbares und reich gesegnetes Land,^«) dessen Volksdichtigkeit am
besten aus den Concilacten erhellt, welche in Africa proconsularis
54 Bischofssitze, in Numidien 125, in Byzacium 116, in Mauretania
Caesariensis 116, M. Sitifensis 49 und nur in dem fast ganz von
Barbaren bewohnten Tripolis 5 Sitze aufzählen 22) , und das für
die Römer aufser durch seinen Umfang, seine Lage und Steuern
noch besondere Wichtigkeit durch seine Kornlieferungen nach der
Hauptstadt hatte. Diese flössen aus den riesigen Latifundien, welche
«) Notit. Dign. ed. Boecking II. cap. L XVII. XIX. ; femer S. 418—426.
447—458. Bekker-Marquardt III. S. 225 — 232.
»6) Bekker-Marquardt S. 86. Not. Dign. II. S. 458 flF.
") Not. Dign. cap. VII. S. 38—40. S. 217 ff. S. 500 flF.
") cap. XXin. S. 514 flF.
1*) Kuhn die städt. und bürg. Verfassung des röm. Reichs II. S. 451 — 459.
20) Kiepert S. 215 flF.
2*) Not. Dign. II. S. 635 flF. ist die notitia omnium episcopatuum ecclesiae
Africanae abgedruckt ; ebenso beiHarduin collect, concil. II. 869 flF. Vgl. ebend. lU.
S. 739 flF. — Kuhn S. 436. Kiepert S. 218 und 219.
62
schon unter der Karthagischen Herrschaft bestanden und sich unter
der römischen erhalten hatten.^!*)
Schon oft hatten hier Aufstände und Einfälle stattgefunden, von
denen der letzte im Jahre 379 der Versuch des Maurenfiirsten Firmus
gewesen war sich zum unumschränkten Herrscher des reichen Landes
aufzuwerifen, aber die Feldhermkunst und unbestechliche Energie des
älteren Theodosius hatte ihn in die Flucht und in den Tod getrieben.^^j
Auch der Verrat war hinzugekommen Theodosius die Aufgabe
zu erleichtern, indem der eigne Bruder des Firmus Gildo gegen den-
selben die Waffen erhob und sich auf die Seite der Römer schlug,
eine Thatsache, welche sich an ihm selbst wiederholen sollte. Für
seine eifrigen Dienste war Gildo durch ein Kommando in der
africanischen Armee belohnt worden und im Laufe der Zeit seit 385
oder 38623) bis zum comes Africae und der aufsergewöhnUchen Charge*^*)
eines magister utriusque militiae aufgerückt, während Theodosius L,
um ihn an sein Haus zu fesseln, seine Tochter Salvina mit Nebridius,
dem Neffen der Aelia Flaccilla, vermählt hatte.25)
Trotzdem wagte es Gildo, als Theodosius gegen Eugen 394 zu
Felde zog, ihm unter nichtigen Vorwänden die Heeresfolge zu ver-
sagen 20), obwohl er sich dem Tyrannen nicht angeschlossen hatte.
Ohne Zweifel würde der energische Theodosius den unbotmäfsigen
General streng zur Rechenschaft gezogen haben, wenn ihn nicht ein
frühzeitiger Tod dem Erdenleben entrissen hätte; man darf aber
21a) Kuhn S. 442.
^) Amraian Marc. üb. XX VII. — XXIX. Pacatus Drepanius paneg. in
den XII. paneg. Lat. ed. Em. Baehrens Lpz. 1874. c. 5. Claud. III. consul. Honor.
V. 52 flF. IV. consul. Honor. v. 24 fF. Orosius bist. libr. VII. 33. Eine austuhrliche
Darstellung bei H. Richter das Weström. Reich besonders unter den Kaisem
Gratian, Valentinian 11. und Maximus S. 389 ff.
23) Claudian Bell. Güd. v. 164
.... Jam solis habenae
Bis senas torquent hiemes cervicibus ex quo
Haeret triste iugum.
2*) Cod. Theod. 393 IX. 7, 9 heifst er comes et magister utriusque militiae
per Africam. Diese Verfügung, nach der Ermordung Valentinians II. erlassen, ist
aus Constantinopel datiert und beweist somit, dafs Gildo sich an Eugen nicht
angeschlossen hatte.
^) Hieronym. ep. 79 ad Salvinam 2. über Nebridius: . . . invictissimo
principi ita carus fuit, ut ei coniugem nobilissimam quaereret et bellis civilibus
Africam dissidentem hac velut obside sibi fidam redderet und ep. 123. ad Ageruchiam
18. legito . . . librum .... ad Furiam atque Salvinam, quarum altera Grildonis,
qui Africam tenuit, ülia est.
2«) Claud. Bell. Güd. 240 ff. VI. consul. Honor. 105 ff. Vgl. Marc. Com.
zu 398.
63
annehmen, dafs, als er mit Stilicho über die Lage des Westreichs
sprach, er gewifs den Auftrag hinterlassen hat, den abtrünnigen Vasallen
in Africa um jeden Preis zu züchtigen. Etwas derartiges aber hatte
der verwegene Maure auch selbst gefürchtet und bei der scheinbaren
Schwäche des Reichs, welches so jugendlichen Herrschern überkommen
war, den Plan entworfen, ebenso wie einst sein Bruder Firmus die
Hoheit Roms abzustreifen und die fruchtbare und volkreiche Nord-
küste der africanischen Provinz unter sein eignes Scepter zu bringen.^^)
Die Unsicherheit, welche während der Wirren des westgothischen Auf-
standes auch den Thron des Honorius beherrschte, gab ihm hinreichend
Zeit seine Absicht ins Werk zu setzen.
Er knüpfte vor allem mit den Häuptlingen der numidischen und
anderen nomadisierenden Wüstenvölker Verbindungen an, welche
natürlich gern bereit waren, wo es Beute zu machen galt, dabei zu
sein und auf seine Seite zu treten, während er das ihm unterstellte
Heer durch die Bestechung der Führer zu gewinnen trachtete. So
ging das Jahr 395 und 396 ohne Entscheidung dahin, denn es läfst
sich nachweisen, dafs die Civilbeamten nach wie vor von Rom aus
ihre Befehle empfingen ,28) wenn auch Gildo die Getreidezufuhr nach
Italien zeitweise zu hindern wufste.^®) Erst im Sommer 397 fafste er
einen festen Entschlufs und suchte seinem Unternehmen durch einen
äufserst feinen Schachzug das Gelingen im Voraus zu sichern. Er
benutzte nämlich die zwischen dem West- und Ostreich grade damals
eingetretene kühlere Stimmung, um Africa dem Arcadius als Lehens-
provinz anzutragen ,3<^) und glaubte nicht anders, als dafs er in dem
^) Über den Gildonischen Krieg handeln Gibbon VII, S. 200 ff. Sievers
S. 351—356. Vgl. Orosius VII. 36 über Gildo*s Absichten.
**) 395 war Hierius vicarins Africae Cod. Theod, XVI. 2 , 29. , Ennoius
proconsul XI. 30, 53. XII. 141 — 145. An die provinciales Africae ist gerichtet
XIII. 5, 24 vom 26. Mai 395. Aus dem Jahre 396 fehlt ein Anhalt, dagegen
wird noch am 17. März 397, also kurze Zeit vor dem Aufstand, der proconsul
Probinus XII. 5, 3 erwähnt. Dann erscheint ein solcher erst wieder 13. März 398.
Victorias. IX. 39, 3. Zur Chronologie der Ereignisse vgl. Clinton fasti Rom. zu
397 und 398.
*>) Claudian Bell. Gild. 70 ff.
äo) Über das Verhältnis zwischen den beiden Höfen in dieser Zeit ist die
reichste Quelle Claudian in Bell. Gild. vgl. besonders v. 236 ff. 256 ff. 277.
..... Quem respuit alter in hostem,
Suscipis in fratrem? long! proh dedecus aevi!
Cul placet australes Gildo condonat habenas.
ferner v. 206. 309. 314 (Hon.):
Sed tantum permitte cadat. Nil poscimus ultra.
64
zwischen beiden Reichshälften darob entbrennenden Kriege den gröfsten
Vorteil ziehen und höchstens unter nomineller Aufsicht, in Wahrheit
aber als souveraener König über Africa herrschen werde. Am liebsten
wäre es ihm allerdings gewesen, Honorius hätte aus Furcht vor
einem Bruderkriege nachgegeben und er wäre unter die Botmäfsig-
keit Constantinopels gekommen, das gewifs noch einmal so weit von
Carthago entfernt liegt als Rom,
Indessen die Energie und Klugheit des Leiters des Occidents
machte alle seine Entwürfe zu Schanden und wufste so geschickt zu
operieren, dafs das Ostreich der Niederwerfung des Gildo ruhig zusah.^i)
Es war das kein geringes Verdienst Stilichos, denn die Kriegspartei
am Hofe zu Constantinopel hatte nicht übel Lust die Gelegenheit zur
Schwächung des Westreiches zu ergreifen, und besonders Eutrop wird
uns als die Seele derselben bezeichnet^*») Schon drohte der Krieg
ganz nahe, denn Eutrop liefs den Stilicho bereits von dem gefügigen
Senat der Hauptstadt öffentlich für einen Feind des Vaterlandes
erklären 32)^ wogegen es nicht erwiesen ist, dafs er feige Schergen
mietete, um seinem verhafsten Gegner den Garaus zu machen. •'^3)
Manche Briefe und Gesandtschaften gingen in dieser Zeit hin und
her, an denen auch der berühmte, ehemalige Stadtpraefect von Rom
Symmachus teilgenommen zu haben scheint.^*) Endlich siegte die
Festigkeit der Sprache Stilichos,^^) der sich selbst durch den Gedanken
an den etwaigen Verlust seiner im Osten gelegenen zahlreichen Liegen-
schaften nicht einschüchtern liefs, über die Hohlheit und Schwäche
des Orients, während das Band der Blutsverwandtschaft wohl erst in
zweiter Linie den Ausschlag gab.
und Arcadius Antwort 323 :
• . ; commissa profanus
nie luat; redeat iam tutior Africa fratri.
In Eutrop. I. 306 ff. De laudibus Stilichonis I. 269 ff. II. 79 ff. De consulatu
Stil. 81 ff.
8») Bell. Güd. 4. und 218.
3»a) In Eutrop. I. 281 ff.
^) Zosim. V. II. Elissen Der Senat im oström. Reiche. Götting. 1881.
S. 44 ff. geht über dieses merkwürdige, mit dem Vorgehen Stilichos im Occident
gleichzeitige Hervortreten des Senats in Bezug auf äufsere Politik S. 47 kurz
hinweg, und doch wird gerade von Claudian besonders dieses Aufleben früherer
Zustände mehrfach betont.
■33) De laudib. Stü. I. 293. II. 84 ff.
3*) ep. IV. 5. sagt Sym. in Bezug auf die Kriegserklärung gegen Gildo:
reperies et facti huius me adseruisse iustitiam et apud d. n. Arcadium causam
publicae egisse concordiae.
3«) De laud. Stil. I. 295 ff.
65
Gildo aber war inzwischen zu Handlungen offener Feindseligkeit
übergegangen und konnte nicht mehr zurück Zunächst hatte er Rom
die Zufuhr entzogen ,^6) seine Hülfsvölker herbeigerufen und mit den-
selben das ganze fast völlig dem katholischen Christentum bereits
gewonnene Land überschwemmt^ beraubt, geplündert, die alten Colonisten
vertrieben 37) oder gemordet und nicht einmal des eignen Blutes
geschont, indem er die beiden Söhne seines römisch gesinnten und
christlichen Bruders Mascezel im blühendsten Alter töten liefs.^®)
Alles Land mit Ausschlufs der Hauptstadt Carthago^s») und der übrigen
festen Städte wurde eine Beute der wilden heidnischen Wüstensöhne,
welche noch weniger als die arianischen Gothen zur Menschlichkeit
gegen den Gegner erzogen waren. Gildo selbst,^^) der eine so genaue
Personenkenntnis dieser Gegenden besafs, wufste mit leichter Mühe
die reichen Römer herauszufinden, welche entweder gutwillig ihre Habe
hergaben oder unter der Wucht falscher Anklagen erlagen. So wütete
er mit dem Henkerbeil, mit Gift und Schwert gegen alles, was ihm
mifsliebig war, ja so wenig vermochte er seiner natürlichen Roheit die
Zügel anzulegen, dafs er jeden, der, etwa von ihm zu Gaste geladen,
nicht trotz der mifslichen Lage ein heiteres Gesicht zeigte, mitten
während der Mahlzeit von seinen Dienern niedermachen liefs. War
ihm der Wein dann zu Kopfe gestiegen, da begann er erst recht
Orgieen zu feiern und nicht selten mufsten dann die edlen Frauen
der eben Hingemordeten, den Schmerz im Herzen, ihm und seinen
Genossen zum Spiel und zur Befriedigung der Lüste dienen. Aufser
dem Gute der Privatleute rifs Gildo auch den Kirchenbesitz, die
Krongüter und die Kaiserlichen Domänen an sich. Ländereien, welche so
umfangreich waren, dafs sie später durch einen besonderen comes
Gildoniaci patrimonii verwaltet wurden.^«) Er benutzte dieselben, um
sich durch Freigebigkeit der Treue seiner Anhänger zu versichern, die
er aufserdem mit schönen Africanerinnen , deren er sebst überdrüssig
geworden war, beschenkte.^ 9 Auf solche Genossen sich stützend
36) Bell. Gild. 66.
Hanc quoque nunc Gildo rapuit sub fine cadentis
Antumni; pavido metimur caerula voto etc.
37) V. 155 fr.
38) Orosius VII. 33, 4. Mascezel; ebenso Claudian. Zosim. V. ii. MaoxeX'
ÖTjXog. — Zur Sache Bell. Gild. 395.
38a) Zosim. V. II. riXöcDva Tcdarjg exovxa xijg vnb KccQXV^ova /lißvrjg
TTjv ^ysfzovlav,
39) Die Schreckensherrschaft Gildo's schildert Claudian Bell. Gild. 154 — 186.
*o) Cod. Theod. VII. 8, 7.
«) Bell. Gild. 191 ff.
5
66
wähnte er sich sicherer denn je, schritt stolzer einher als der Kaiser selbst
und war stets, wenn er an die Öffentlichkeit trat, von Reitern umgeben,
während die Fufstruppen und die Clientelkönige ihm voranschritten.*^)
Inzwischen war zu Rom die Not*^) immer gröfser geworden, da
die wenigen Schiffe, welchen es gelang von Africa mit Ladung zu
entkommen oder von Carthago geschickt waren, bei weitem nicht den
Bedarf zu decken vermochten, und wäre nicht Stilicho gewesen,
der die Kräfte des Reiches durch energisches Auftreten und umsichtige
Befehle stets auszunutzen verstand, es hätte in Rom zu gefährlichen
Aufständen kommen können. Aber Stilicho allein wufste noch im
letzten und rechten Augenblicke Rat zu schaffen, schnell hatte er seine
Anordnungen nach Gallien und Spanien entsandt, und so langte denn
zum Erstaunen der Römer eine Getreideflotte in Ostia an, welche
nicht von Süden, sondern von den Gefilden an der Sequana (Seine),
Matrona (Marne), Mosa (Maas), Arar (Saöne) und vom Ebro und
Baetis (Guadalquivir) das Brotkorn landete.^*) Mit Recht rühmt dies-
mal Claudian seinen Helden, der auf diesem Wege eine neue Hülfs-
quelle für die ELauptstadt gewonnen hatte und sie von der Zufuhr
Africas entband.
Aufserdem waren auch die nötigen Mafsregeln gegen Gildo nicht
verabsäumt worden. Jedenfalls auf Stilichos Wunsch , von dem man
nicht weifs, hat er dem Eutrop in Ostrom nachgeahmt oder dieser
ihm, wurde auch hier die Autorität des Senats gegen den Reichsfeind
angerufen, indem Stilicho eine Botschaft des Honorius verlas, in
welcher alle Gewaltthaten Gildos aufgeführt waren.45) Die Mitteilung
dieses Schriftstückes brachte in den Versammelten eine tiefe Erregung
hervor, welche mit dem gemeinsamen Beschlufs endigte, gegen Gildo als
Feind des Vaterlandes eine Flotte und ein Heer auszurüsten. Für
diese Rüstungen hatte Stilicho schon seit längerer Zeit Sorge getragen,
'^) V. 195 ff.
*3) Vorübergehende Befürchtungen wegen einer Hungersnot waren dort
nichts Ungewöhnliches, vgl. Symmach. ep. IL 52. 56. 57. und IV. 4 in Bezug auf
397; vgl. Claudian in Eutrop. I. 401: quantum discriminis urbi.
**) In Eutrop. I. 402 ff. De laud. Stilich. I. 277 ff. De consul. Stilich. 91 ff.
*') Symmach. ep. VI. 4. Claudian de laud. Stil. 325 ff.
Hoc quoque non parva fas est cum laude relinqui,
Quod non ante fretis exercitus adstitit ultor
Ordine quam prisco censeret bella senatus etc.
De consul. Stilich. 86.
.... bellaturoque togatus
Imperat, exspectant aquilae decreta senatus.
Cod. Theod. VH. 8,7: Gildo hostis publicus.
I
67
bereits im Sommer hatte Honorius eine Verfügung**) erlassen, durch
welche die Aushebung der Rekruten, sogar auch von den Kaiserlichen
Privatgütem, angeordnet worden war; aufserdem hatte Stilicho Anfang des
Winters allmählich die zur Überfahrt der Truppen bestimmten Schiffe
angesammelt, während er zugleich die Bildung einer Reserveflotte
für den Fall eines Unfalls der Expedition in Aussicht nahm.*')
Erwägt man dazu, dafs die Bedrängnis Roms durch Hungersnot eine
Transportflotte für das Getreide notwendig machte, so mufs man ohne
Hinterhalt zugestehen, dafs Stilicho *s) in diesen Verhältnissen eine
wunderbare Spannkraft, Erfindungsgabe und Umsicht in höchstem
Mafse bewiesen hat.
Das zur Überfahrt nach Africa bestimmte Heer war nur gering
an Zahl ;**'*) es wurden marschbereit gemacht die in Germanien
garnisonierende legio Augusta,^<^) die Sagittarii Nervii Gallicani,^!)
die Honoriani Felices Gallicani,^^) eine legio comitatensis , die Invicti
Seniores^^) (oder Juniores) und Leones iuniores (oder seniores) **),
welche zu den auxilia palatina gehörten, femer die cohors prima
Herculea Tingitaniae^*») und cohors prima Jovia. Es waren meist
Gallier,^^') welche im ganzen wenig mehr als loooo Krieger ausmachen
mochten.^'') An die Spitze derselben stellte sich gegen die Erwartung
*^) Cod. Theod. VJI. 13, 12. 17 Juni 397 Mailand.
") De laudib. Stilich. I. 364—368. Vgl. BeU. Gildon. 6.
Necdum Cinyphias exercitus attigit oras,
Jam domitus Gildo.
**) Mit vollem Rechte preist ihn Claudian De laud. Stil. I. 300 ff.
Dividis ingentes curas teque omnibns unum
Obicis inveniens animo quae mente gerenda,
Efficiens patranda manu u. s. w.
*^) Claud. De laudib. Stil. I. 330 ff. 336. supecto Martis graviore paratu.
Bell. Gild. 415 ff. Über die Truppenteile hat kürzlich O. Seeck eine eingehende
Untersuchung angestellt im i. Heft 1884 der Forschungen zur deutschen Geschichte
unter dem Titel: Über die Glaubwürdigkeit des Claudian in seiner Schilderung
des Gild. Krieges, Vgl. auch Edm. Voigt Festschrift u. s. w. Bonn 1879. und
Gibbon VIT. S. 207.
50) Notit. Dign. ed. Boecking II. S. 81 und 27 ff.
") S. 18, 19, 24, 26, 35, 37.
6*) S. 27 und 36.
") S. 25 und 37.
") S. 18, 24, 33. Vgl. O. Seeck. Hermes IX. 232.
**) s. 79.
66) Bell. Gildon. 429 ff.
6') O. Seeck a. a. O. berechnet die Truppen auf 8000 Mann, indem er die
Legion zu 2000 und die Cohorte zu 500 annimmt. Doch ist schon cap. i. Anm.
70 auf die Unsicherheit dieser Berechnung hingewiesen worden.
5*
68
aller weder Honorius noch Stilicho selbst. Den ersteren bewog wahr-
scheinlich mehr seine Jugend zurückzubleiben, als die Furcht, dafs,
wie Claudian bezeichnend sagt, seine Anwesenheit den Nimbus,
welcher die Kaiserliche Majestät umgebe, zerstören könnte,^^) Stilicho
dagegen wollte gewifs für alle Fälle in Italien gegenwärtig bleiben,
um jeder etwa von anderen Reichsgegenden her drohenden Gefahr
persönlich die Spitze zu bieten. Auch wufste der tapfere und kluge
Germane sicherlich, wie die Angelegenheiten standen, dafs die römischen
Soldaten längst ihre Sache aufgegeben hatten, nachdem Ostrom seine
Hand von Gildo zurückgezogen, und hatte gewifs selber durch Mascezels
Vermittelung, der an den Hof in Mailand sich begeben hatte, bereits
die geheimen Wege gefunden, um in Gildos Reihen Verrat und
Zwietracht zu säen. Deshalb ernannte er den mit diesen Verhält-
nissen vertrautesten, den Bruder Gildos selbst, zum Befehlshaber der
römischen Truppen, welche sich in Etrurien sammelten und in Pisa^^)
am Ende des Winters ^^) 397 einschifften.
Die Flotte vermied Corsica, nahm auf der Insel Capraria (Capraja)
eine Anzahl mönchischer Einsiedler an Bord, mit denen Mascezel nach
der Behauptung eines geistlichen Zeitgenossen Tag und Nacht dem
Beten und Psalmodieren oblagt'), um auf diese Weise den Himmels-
herm für sich zu gewinnen und gewissen Sieg an seine Fahnen zu
heften; sie hatte von widrigen Südwinden viel zu leiden, so dafs sie
in zwei Abteilungen getrennt in den Häfen von Sulci (S. Antioco) und
Olbia (n. o. von Terranova) ^2) auf Sardinien Schutz suchen mufste.
Darauf vereinigten sich die Schiffe wieder im Hafen von Caralis
(Cagliari) und warteten auf günstigen Westwind, der sich auch bald
einstellte und sie schnell Africa, wahrscheinlich bei Carthago, er-
reichen liefs.
Gildo , dessen Hauptstütze neben den geringeren römischen
Truppen die barbarischen Hülfsvölker der Nasamonen, Garamanten
und Mazaken waren, zog sich unterdessen in die Nordafrika von West
nach Ost durchziehenden schluchtenreichen Hochflächen des Atlas
hart an den Rand des zur numidischen Wüste abfallenden Gebirges
*8) Bell. Gild, 385 : minuit praesentia faraam.
*•) Sievers S. 354 nimmt Genua als Hafen an, aber da Bell. Gild. 483 Pisa
genannt wird und erst v. 504 die Flotte auf die hohe See fährt, ferner auch bei
dieser Auffassung Ligurien rechts, Etrurien links liegen bleibt, so wird es richtiger
sein Pisa anzunehmen.
60) Bell. Gild. 490. De laud. Stilich. I. 282.
6») Orosius VII. 36, 5. Der Curs der Flotte wird von Claud. Bell. Gild.
V. 505 bis zu Ende beschrieben.
62) Kiepert S. 476.
I
69
zurück mit einem Heere von ungefähr 70000 Mann, eine gewaltige
Macht gegenüber der siebenmal schwächeren römischen, wenn sie in
sich einig war und von einem höheren Gedanken beseelt gewesen
wäre.^3) So aber drohte allen für den Fall der Niederlage, sofern
nicht die Flucht den Schuldigen dem Arme der Gerechtigkeit entzog,
die gleiche Strafe für Landesverrat und Aufruhr, und diese Über-
zeugung gewann immer mehr die Oberhand, je näher Mascezel mit
seinen kampfesmutigen Galliern dem Lagerorte Gildos zwischen Thebeste
(Tebessa) und Ammedera am Flusse Ardalio rückte.
Mindestens ebenso sicher nun als die Erzählung, dafs, als
Mascezel sich auf den Weg machte den Pafs eines vor ihm liegenden
Thaies zu überschreiten, ihm der heilige Ambrosius in Trauer erschienen
sei und mit seinem Stab auf diese Stelle weisend dreimal: Hier! gerufen
habe, ist die Annahme, Mascezel habe die hierdurch ihm empfohlenen
Ruhetage damit ausgefüllt, dafs er durch seine früheren Beziehungen
mit den numidischen Häuptlingen und mit den römischen Soldaten
im geheimen Unterhandlungen anknüpfte und durch Versprechungen,
Geld und Drohungen eine ganze Anzahl ehemaliger Anhänger des
Maurenfürsten auf seine Seite brachte.
Jedenfalls fand, als Mascezel nach zweitägigen geistlichen Vor-
bereitungen das Heer gegen die Scharen Gildos führte, eine eigent-
liche Schlacht kaum statt ,ß*) denn sobald Mascezel den Fahnenträger
der ersten Cohorte vergeblich zur Ergebung aufgefordert und am
Arm verwundet hatte, so dafs das Feldzeichen zu Boden sank, da
glaubten die übrigen Coh orten, die ersten hätten sich ergeben, und
streckten ebenfalls die Waffen. Dieses Ereignis raubte den Numidem
die letzte Lust zum Kampfe, schnell wandten sie ihre nur mit einer
Rute als Zaum gelenkten Rosse zur Flucht, und in kurzer Zeit war
die stolze Heeresmacht des verwegenen Usurpators auseinandergesprengt
oder gefangen. Die schroffen Felsen des Atlas schützten die barbarischen
Hülfsvölker vor einer Verfolgung der Römer, welche nur aus Fufsvolk
bestandenes) xind den wenigen in Africa zu ihnen gestofsenen Reitern. Aber
63) Die Hauptquelle für die Entscheidungsschlacht ist Orosius VII. 36.
Über die Hülfstruppen des Gildo vgl. De laudib. Stilich. I. 250 — 264.
ö^) Die Tendenz des Werkes des Orosius würde seinen Schlachtbericht
unglaubwürdig machen, wenn nicht auch Claud. De laudib. StUich. 351 — 357
damit übereinstimmte. Vgl. Pauli vita Ambros. c. 51. Dagegen sagt Zosim. V. II.
fjtaxi]g xaQXBQäq ysvo/aevrjg.
66) Die gallischen Truppen waren samt und sonders Fufssoldaten , aber
es ist undenkbar, dafs Mascezel gegen den fast nur aus Reiterei bestehenden
Feind nicht ebenfalls Cavallerie ins Feld geführt habe.
I
70
Gildo, vielleicht in der Überzeugung, dafs er auch bei seinen Stammes-
genossen nicht sicher sein, und dafs selbst in die Wüste das römische
Gold seinen Weg finden werde, nahm die Meeresküste zum Ziel,^^)
die er auch glücklich erreichte. Zwar gelang es ihm auf einem kleinen
Fahrzeuge aufs Meer zu entkommen, doch von widrigen Winden und
Verzweiflung ergriffen kehrte er aus freiem Antriebe ans Land zurück,
wo ihn in Tabraca die Hand der Gerechtigkeit ereilte,*"') doch nicht
auf Befehl seines Bruders, wie der Zeitgenosse Orosius ausdrücklich
hinzufügt
Die Nachricht vom Siege kam bald nach Rom,*®) wo inzwischen
der vierzehnjährige Honorius die noch jüngere älteste Tochter des
Stilicho und der Serena, Maria, unter grofsen Festlichkeiten eben heim-
geführt hatte, und machte die Aussendung der Reserveflotte überflüssig.
Die aufsergewöhnlichen Zustände, welche Gildos Schreckensherrschaft
geschaffen hatte, wurden allmählich beseitigt, die Liegenschaften gingen
wieder in die Hand der rech tmäfsigen Besitzer über, die von Gildos
Pächtern*^) verweigerten Steuern wurden nachträglich eingefordert
und der ganze Gildonische Besitzstand für die Zukunft einem besonderen
hohen Verwaltungsbeamten unterstell t''^) Auch die von dem heid-
nischen Usurpator arg mitgenommnen Kirchengüter wurden den
Gemeinden wieder zurückgegeben und die gegen die katholische Kirche
erlassenen Verordnungen aufgehoben. '^^) Andererseits traf die Anhänger
und Parteigänger Gildos die Strafe der Hinrichtung und der Proscription,
und zahlreiche Processe'^^^ wurden gegen sie geführt, die sich bei
den fortgesetzten Denunciationen bis ins Jahr 408 hinzogen, in vielen
Fällen aber auch auf Grund eines besonderen Kaiserlichen Befehls''^)
gegen die falschen Ankläger niedergeschlagen wurden. Aber selbst
Mascezel zog aus seinem Siege nicht die Vorteile, welche er erhoffen
««) Orosius VII. 36, II. Claud. De laud. Stilich. 357 ff.
^) Dafs er in Tabraca gerichtet wurde, berichtet Claud. a. a. O. v. 357 ff.
in Eutrop. I. 410. Praefat. in Eutrop. II. 70 ff. Orosius; post aliquot dies strangu-
lattts interiit. Ähnlich Idat. fast. Chron. von Rav. Marcell. com. : manu propria,
obwohl er sonst dem Oros. gefolgt ist. Vgl. Zosim. V. 11. De laudib. Stilich. 362
deutet mehr auf eine Hinrichtung; de consul. Stilich. 99 ff. und 107 ff. auf eine
Mitwirkung des Volks bei der Hinrichtung.
68) Bell. Gild. II— 12. De laudib. StUich. I. 3 ff.
69) Cod. Theod. IX. 42, 16.
To) Vir. 8, 7.
'«) XVI. 2, 34. 399.
'^^) De consul. Stilich. 105. Cod. Theod. IX. 40, 19. 408. IX. 42, 18.
^^) 1 3. März 398 an Victorius proc. Africae IX. 39 , 3. Man kann mit
Sievers S. 356 dies Gesetz auf den Gild. Aufstand beziehen, ohne mit der Chronologie
des Krieges in Conflict zu geraten.
7»
durfte, nachdem er mit so geringem Kostenaufwand und Blutvergiefsen
dem Westreich eine reiche Provinz wiedergewonnen hatte. War es die
Eifersucht Stilichos '^*) oder, wie andere wollen, die Strafe für eine
Verletzung des Asylrechtes der Kirche '^^), genug, er scheint bald in
Ungnade gefallen und sein Leben verloren zu haben.
Für das Verhältnis der beiden Reichshälften aber zu einander
war der Aufstand des Gildo und seine unblutige Niederwerfung
notwendig von bleibenden Folgen, denn wenn es auch schliefslich
Stilichos Klugheit gelungen war, eine Einmischung des Orients in diese
rein occidentalische Angelegenheit zurückzuhalten, so blieb doch das
Schwanken des orientalischen Cabinets bei der Frage, welche Antwort
dem Empörer zu erteilen sei, im Westen nicht unbemerkt und
in stetiger Erinnerung, Andererseits wurde der schnelle Sieg
für Honorius von neuem eine Veranlassung, eine wenig entgegen-
konmiende Haltung gegen den Bruder einzunehmen, der die Bande
des Blutes so wenig geachtet zu haben schien. ''ß) Auch Stilicho, der
im geheimen mit den orientalischen Germanenführem, vor allem mit
Gainas in Verbincftmg blieb, wird keine Veranlassung gehabt haben,
der im Entstehen begriffenen Gährung gegen die oströmische Regierung
und besonders gegen Eutrop, mit dem er nun völlig zerfallen war,
entgegenzuarbeiten. Die Aufstände des Alarich und Gildo haben somit
die Interessen beider Reiche, so lange Arcadius lebte, getrennt, und
erst Theodosius 11. war es vorbehalten, für eine Reihe von Jahren die
Gemeinsamkeit derselben wiederherzustellen.
^*) Zosim. V. II. läfst ihn auf Befehl Stilicho*s aus Neid in den Po (?)
gestofsen werden, so dafs er ertrinkt.
76) Orosius VII. 36. fin.
76) Für diese Bemerkung liefert der Hofdichter Claudian einen unbe-
absichtigten Beweis, indem er im Bell. Gilden, über den Streit mit dem Orient
sich recht zart ausdrückt und ganz besonders die Blutsverwandtschaft betont,
vgl. V. 236 ff. 257 ff. 276 ff. 309. 314:
Sed tantum permitte cadat. Nil poscimus ultra.
Dagegen 399, als Eutrop nahe seinem Fall war, tritt die Feindschaft und das
wahre Gefühl über das Verhalten des Arcadius schon deutlicher hervor. Vgl. in
Eutrop. II. 396 ff. De laud. Stilich. I. 269 ff. und De consul. Stilich. 81 ff. :
Jam non praetumidi supplex orientis ademptam
Legati^ poscit libyam famulosve precatur,
Dictu turpe, suos.
72
Fünftes Kapitel.
Die Amtsverwaltung des Eutrop. — Seine Habgier und Überhebung. — Ämter-
verkauf, Spione, falsche Ankläger. — Gesetz gegen das Asylrecht der Kirche
und gegen Verschwörungen. — Beseitigung des Abundantius und Timasius. —
Seine Gesellschaft. — Osius, Leo, Suburmachius. — Eutrop auf der Höhe seiner
Macht als Consul und Patricius. — Johannes Chrysostomus wird Erzbischof von
Constantinopel. — Seine Vorgeschichte; gesellschaftliche Stellung, Verhalten
gegen den Clerus, die Heiden und Haeretiker. — Synesius v. Kyrene als Gesandter
in Constantinopel.
Man wird dem zeitgenössischen, wenn auch parteiischen Dichter,
welcher in zwei Büchern^) uns das schätzbarste Material für die
Characteristik und Herrschaft des Eutrop geliefert hat, gewifs ohne
Bedenken das Eine glauben, dafs das allgemeine Gefühl des Abscheus
vor diesem Manne besonders stark war, weil er, nicht Mann, nicht
Weib 2), zur Allgewalt sich emporgeschwungen hatte. Diese über-
mächtige, leitende Stellung aber konnte er sicherlich nur im Einver-
ständnis mit der Kaiserin bekleiden, die ebenfalls im Gegensatz zu
dem germanenfeindlichen Rufin zu ihrem Range gelangt war; doch
verachtete die kühne Eudoxia, welche mehr als Arcadius selbst zum
Herrscher geboren war, im Innersten ihres Herzens den unwürdigen
Emporkömmling, wenn sie auch zunächst ihm gewogen zu scheinen
für gut hielt. Nur so ist es erklärlich, wie es möglich war, dafs ein
Mensch, der seiner ganzen Vergangenheit nach auf der niedrigsten
gesellschaftlichen Stufe stand, der Lenker eines ganzen Reichs werden
konnte.
Auch gegen seine Amtsverwaltung werden die schwerwiegendsten
Vorwürfe erhoben, doch wer sie näher betrachtet, wird finden, dafs
sie denen, die einst Rufin gemacht wurden, fast aufs Haar gleichen,
und wird nicht übersehen, dafs ein gleichzeitiger Schriftsteller 3) grund-
sätzlich, wie früher Stilicho und Rufin, so nun auch Stilicho und den
Eutrop als gleich geartete Wesen zusammenstellt, und dafs derselbe
ausdrücklich hervorhebt,*) Eutrop habe so lange in gutem Rufe
gestanden, als sein Stern im Steigen begriffen war. Man wird daher
gut thun auch in Bezug auf die dem Eunuchen vorgeworfenen Vergehen
vorsichtig zu sein und nie aus den Augen verlieren dürfen, dafs alles.
■*) Claudian in Eutrop. I. und II.
») z. B. I. v. 8 ff. 105 ff. 170 ff. II. 49 und a. a. O. I. 297 :
quodcunque virorum
Est decus, eunuchis scelus est.
3) Eunap-Zosimus V. 12. Vgl. c. i.
*) Eunap frgm. 75.
73
was an einem anderen Manne unangenehm berührte, bei ihm wegen
seiner Entmannung noch ganz besonders auffiel.
Wer wie Eutrop mit dem Schicksal hatte ringen müssen,
der hatte vor allem die Macht des Geldes in dieser verworfenen
Römerwelt schätzen gelernt, und daher kann es nicht wunderbar
erscheinen, wenn der Eunuch eine ungemeine Freude daran empfand
Schätze in seinem Palaste anzusammeln, 5) obwohl ihm nach seiner
körperlichen Beschaffenheit Nachkommenschaft versagt war. Es ist
eben diese Goldgier ein characteristisches Laster der sinkenden Römer-
welt, welche sich im byzantinischen Reiche forterbte, und scheint in der
Luft dieser letzten Jahrhunderte gelegen zu haben, da die Zeitgenossen
von einem hochgestellten Mann nichts Rühmlicheres hervorzuheben
wissen, als wenn sie ihn von jener Sucht freisprechen.**) So war es
das erste nach Rufins Fall gewesen, der ebenfalls unermefsliche Reich-
tümer erworben hatte, dafs sich Eutrop in den Besitz des gröfsten
Teiles derselben setzte ;'') aber aufserdem gab es im Ostreich gewöhn-
liche und ungewöhnliche Quellen genug, aus denen dem Eunuchen
noch mehr zufliefsen mufste.
Einmal zwang seine vertraute Stellung beim Kaiser, der doch
schliefslich die Entscheidung zu geben hatte, alle diejenigen, welche
etwas am Hofe für sich oder ihre Gemeinden durchsetzen wollten,
mit freigebiger Hand sich die Gunst des Oberkämmerers zu erwerben;
eine besonders reichlich fliefsende Quelle sodann bot der Ämterverkauf ^)
dar, der leider eine bleibende Pestbeule des Reiches war, so dafs die
Vorwürfe in dieser Beziehung gar nicht aufhören, und der nicht am
wenigsten mit zur Aussaugung der Provinzen und den Leiden der
unglücklichen Dekurionen beigetragen hat : , JDa lenkte der eine Asien,
das er für sein Landhaus erstanden, der andere gab die Ehre seiner
Gattin für die Statthalterschaft Syriens dahin, dieser erkaufte Bithynien
für sein väterliches Haus, und an der Thür des Vorzimmers des
Eunuchen waren die erledigten Provinzen mit Preisangabe verzeichnet
des Inhalts, dafs Galatien für soviel, der Pontus für so viel feil sei,
dafs Lycien und Lydien für soviel Tausende zu haben seien, und wollte
einer Phrygien haben, er noch ein wenig zulegen müfste." So schildert
*) Zosim. V. 12. Claudian I. 190 ff.
ö) So Zosim. die Heiden Modar, Bauto, Arbogast IV. 33, 53, 54, 55; den
Fravitta V. 20 ; den Generidus V. 46. Vgl. G. S. 9 und 1 1 dazu. /
7) Zosim. V. 8.
*) Eunap frgm. 66 und Suidas v. EvxQomoq. Joh. Ant. frgm. 189.
Claudian I. 198 ff.
74
der Dichter^) das schamlose Treiben, und wenn es auch übertrieben
sein mag, so ist es desto anschaulicher.
Aber der gemeine Sinn des aus der Hefe des Volks hervor-
gegangenen Günstlings schreckte auch vor unehrenhafteren Mitteln des
Gelderwerbs nicht zurück, denn überall hatte er seine Spione,i*^) welche
ihm berichteten, was in jeder Provinz vorging und in welcher Lage
sich der Einzelne befand, und unbekümmert um die Bande des Blutes
brachte er durch falsche Ankläger Hafs und Zwietracht in die glück-
lichsten Familien, ^1) um nur seiner Habsucht zu fröhnen. Dafs er sich
dadurch im geheimen zahlreiche Feinde machte, wufste er selbst genau
und um diesen auch die letzte Rettung vor seiner allgewaltigen Hand
zu nehmen, hob er auf oder beschränkte er das Asylrecht der Kirche, ^^j
doch, wie sein Ende lehrt, nur zu seinem eigenen Verderben.
Nicht minder grausam femer ist das gegen Verschwörer und
Verschwörungen in Ancyra 397 auf seine Veranlassung von Arcadius
erlassene Gesetz ^3), welches von der Furcht des Eunuchen vor
einer etwaigen Rache und von der Bosheit und Niedrigkeit seiner
Seele den deutlichsten Beweis ablegt: „Wer, heifst es darin, mit
Soldaten oder Privaten, auch Barbaren eine Verschwörung ange-
stiftet hat oder Teilnehmer gewesen ist, den Mord von Räten oder
Senatoren^*), endlich überhaupt eines kaiserlichen Dieners geplant
hat,^5) soll selbst, der Majestätsverletzung schuldig, mit dem Schwerte
hingerichtet werden und seine Güter dem Fiscus zufallen. Den Söhnen
läfst eine besondere Milde zwar das Leben, aber sie sollen weder von
der Mutter, Grofsmutter noch sonstigen Verwandten und Bekannten
erben, sondern elend und mit Infamie behaftet durchs Leben gehen
und zu keinen Ehren und Ämtern gelangen, so dafs ihnen der Tod
ö) V. 199 — 205.
10) Zosim. V. 10.
^•) V. 12. Eunap a. a. O. und frgra. 67. Claudian L 188. Vgl. Eunap
frgm. 69 und 75.
*2) Socr. VL 5. Sozom. VIII. 7. Neander Joh. Chrys. II. S. 58. Job.
Chrysost. opera ed. Montfaucon. Editio altera 1835. III. S. 381 ff. o/niXia siq
EvtQoniov c. 3: aTterelxtcfS <priai trjv ivzavB'a xara^vyrjv yQafifiaai xal
voßOiQ ÖLa^OQOig. Zu ihnen mag das Cod. Theod. IX. 45, 3 erhaltene G-esetz
auch gehört haben, doch mufs Eutrop aufser diesem, welches durchaus keine
harte Bestimmung enthält, noch andere gegeben haben, auf Grund deren er z. B.
die Pentadia, des Timasius Gattin, dem Asyl entrifs. Vgl. Tillem. note 8 sur
(3) Cod. Theod. IX. 14, 3. Vgl. Gibbon VIH. S. 20 ff.
**)... nam et ipsi pars corporis nostri sunt.
^^) . . . eadem enim severitate voluntatem sceleris qua effectum puniri
iure voluerunt.
75
eine Erlösung, das Leben eine Strafe sei. Die Töchter allerdings
werden wegen der Schwäche ihres Geschlechts weniger hart bedroht,
ihnen soll vom mütterlichen Vermögen die Falcidia (d. h. '/4 als
Pflichtteil) zufallen, aber mehr zum dürftigen Unterhalt denn als Erb-
schaft; uiid damit nicht die Strenge des Gesetzes umgangen werde,
sollen die Scheinabtretungen der Väter an die Kinder keine Gültig-
keit haben und ebenso wenig eine Mitgift und Schenkung der Männer
an die Frauen von dem Augenblick an, wo sie Teilnehmer der Ver-
schwörung geworden sind. Und was von den Söhnen, das gilt
auch von den Dienern und Helfershelfern und deren Kindern. Wer
aber im Beginn der Verschwörung von rühmlichem Eifer getrieben
zum Verräter wird, der soll eine Belohnung und Auszeichnung erhalten
und auch der, welcher erst später die Geheimnisse der Verbindung
verrät, soll wenigstens der Verzeihung teilhaftig werden."
An dieser berüchtigten Verfügung ist einmal die Strenge auf-
fallig, mit welcher nicht nur der Verschwörer selbst, sondern auch
seine Frau, Kinder und Angehörige gestraft werden, sodann das ver-
fängliche Princip, dafs die That und die böse Absicht auf gleichem
Fufse behandelt und geahndet werden, und endlich die Verheifsung
hohen Lohnes für die Verräterei; ein Symptom, welches, wenn wir an
die heutigen irischen Verhältnisse denken, ein weitverzweigtes Netz
von Verschwörungen gegen die Staatsverfassung, das Oberhaupt des-
selben und alle Besitzenden zur Voraussetzung hat; aber von einer
so verzweifelten socialen Lage ist uns nichts weiter bekannt, sondern
das Gesetz kann nur aus der unbestimmten Furcht des Eunuchen
hervorgegangen sein, man möchte ihm nach dem Leben trachten.
Auch rief dasselbe eine solche Menge falscher Denunciationen von
Sclaven gegen ihre Herren hervor, ^ö) dafs Arcadius wenige Wochen
später diesem Unfug einen Damm entgegensetzen mufste und bestimmte,
wer von den Hausgenossen den Hausherrn anklage, um seinen Ruf,
Kopf oder sein Vermögen zu treffen, der solle, während er seine De-
nunciationen noch zu Protokoll gebe, vom rächenden Schwerte ereilt
werden.
Je sicherer sich der Eunuch im Sattel fühlte, desto weniger
bescheiden trat er gegen die Männer auf, welche durch ihre Verdienste
im Heer und in der Verwaltung zu den höchsten Ehrenstellen gelangt
waren und denen es schwer wurde, einen so unwürdigen Günstling der
Fürstenlaune durch Schmeichelei zu gewinnen; und grade derjenige,
welcher ihn an den Hof gebracht hatte, der magister militum Abundantius,
") 8. Nov. 397. IX. 6, 3.
76
mufste die Tücke seines nun zu höchster Macht emporgestiegenen Werk-
zeuges zuerst fühlen. Denn Eutrop, den der schon seit Gratians Zeiten
ruhmgekrönte Feldherr und Consular^'^) vielleicht immer noch mehr mit
den Augen des ehemaligen Gebieters ansah, von Hafs und Habsucht
getrieben bewog den willenlosen Kaiser, da schwere Vergehen dem
Abundantius nicht vorzuwerfen waren, ihn vom Hofe nach Sidon^®)
zu verbannen, wo der hochverdiente Mann unrühmlich sein Leben
beschlofs.
Hielt in diesem Falle vielleicht noch ein Rest von Scham den
Eutrop zurück eine verschärfte Verbannung eintreten zu lassen, so
sehen wir ihn gegen einen anderen nicht minder bekannten und
hochgestellten Mann, den Timasius, mit aller List seines verschlagenen
Sinnes vorgehen. Timasius, vielleicht mit der Familie der Aelia
Flaccilla noch verwandt,^®) war ein Römer und schon seit des Valens
Zeiten mit hohen Armeeämtem betraut gewesen, 20) auf dem Zuge
gegen den Tyrannen Maximus befehligte er die Infanterie, bekleidete
389 mit Promo t zusammen das Consulat, erscheint 394 als erster
Feldherr des römischen Heeres neben Theodosius und war nach
Beendigung des Krieges magister militum per orientem geworden. Er
war ein stolzer, hochgemuter und kriegserfahrener Mann, dem als
höchstes Ziel Ehre, Ruhm und Reichtum vorschwebten und der gern
Veniger nach Befehl anderer als nach seinem eigenen Bedünken
handelte. Damals war er nun mit einem Syrier Bargos^^) aus Laodicaea,
welcher früher Knackwürste auf dem Markte feilgehalten hatte und
wegen einiger Vergehen nach Sardes geflohen war, bekannt geworden
und hatte sich durch das einschmeichelnde Wesen des Flüchtlings so
einnehmen lassen, dafs er ihm nicht nur die Stelle eines Cohorten-
führers anvertraute, sondern ihn auch, als er durch Eutrop an den
kaiserlichen Hof befohlen wurde, mit nach Constantinopel nahm.
Hier aber erfuhr Eutrop bald durch die Behörden, dafs dem Bargos
schon von früher her der Aufenthalt in der Hauptstadt wegen ver-
schiedener Vorkommnisse untersagt war, und so fand er leicht in diesem
") Zosim. V. 9. Clandian I. 167. Consul 393; mag. utr. milit. Cod. Th.
VII. 4, 18; VII. 9, 3. V. 13, 33.
**) So berichtet Zosim. a. a. O. Hieronymus dagegen ep. 60, 16 ad
Heliodorum und Asterius in fast. Kai. p. 60. nennen Pithyus, weshalb Tillem.
eine doppelte Verbannung annimmt.
*ö) O. Seeck. Q. Aurelii Symmachi quae supersunt 1883. p. CXXXVII.
20) Suidas v. Ti/ndoiog. Zosim. IV. 45, 49, 51, 57. Eunap frgm. 70. 71. 72.
Joh. Ant. frgm. 187. Sozom. VIII. 7. Philost. IX. 8. Ambrosius ep. 41. Symmach.
ep. in. 70—73. Prosp. Aquit. 389. Vgl. G. S. 198 ff.
2') Zosim. V. 9. Eunap trgm. 70.
77
treulosen und undankbaren Menschen ein treffliches Werkzeug für
seine verleumderischen Absichten gegen Timasius, welcher von Bargos
bald darauf auf Grund gefälschter Schriftstücke des Strebens nach
der Tyrannis beschuldigt wurde.
Wegen des aufserordentlichen Falles wurde ein aüfserge-
wöhnlicher Gerichtshof von Arcadius eingesetzt, dessen Urteil, da
der Kaiser selbst präsidierte, Eutrop in der Hand hatte; doch bewog
der allgemeine Unwille darüber, dafs ein ehemaliger Wursthändler
einen so hochgestellten Mann anklage, den Kaiser die Sitzung zu
verlassen und den Vorsitz an Satuminus und Procopius zu übertragen,
von denen der erstere ein alter Diener des kaiserlichen Hauses — er hatte
382 die letzten Gothenhaufen nach Athanarichs Übertritt besiegt und
deswegen ^S^ die Consulwürde bekleidet 22) — und gewohnt war,
in seinen Urteilen auf die Meinung der dem Kaiser zunächststehen-
den zu hören; Procopius dagegen war ein Verwandter des Valens 2*)
und schien, von heftigem und nicht leicht zu leitendem Charäcter, in
manchen Dingen mit Freimut die Wahrheit zu bekennen, diesmal aber
schlofs er sich dem Saturninus an, welcher auf die Verbannung des
Timasius nach der grofsen Oase drang.
In der That wurde dieses Urteil über einen der höchsten
militärischen Würdenträger des Ostreichs ausgesprochen, welches einer
Hinrichtung gleich kam, denn einmal war der Weg zur Oase durch
die libysche Wüste von Natur und durch Räuber äufserst gefährdet,
andererseits mufste ein Leben auf diesem kleinen Stückchen Erde
zusammen mit vielen anderen Verbannten und bewacht von der hierher
gelegten römischen Garnison ^4) für Männer, die hoch oben nahe dem
Thron gestanden hatten, mehr ein langsames nnd qualvolles Absterben
bedeuten. Ist nun Timasius wirklich hierher gebracht worden oder
ist er dem Durst unterwegs erlegen oder hat ihn sein Sohn Syagrius
durch einen Überfall befreit, jedenfalls erscholl niemals wieder eine
Kunde von ihm.^^) Selbst seine Gattin war vor den Nachstellungen
des Eunuchen nicht sicher geblieben, sondern wurde von ihm auf
Grund des erwähnten Gesetzes aus dem Asyl, in das sie geflüchtet
war, herausgerissen, doch liefs er sie, durch die Fürsprache des Erz-
bischofs bewogen, ihr weiteres Leben unbehelligt als Diaconissin ver-
bringen.
^2) Vgl. Themistii oratio XVI., welche zu Ehren seines Consulates gehalten
worden ist. G. S. 80. Richter das weström. Reich u. s. w. S. 515.
23) Zosim. V. 9. OvaXevtog xrjSsat^g, Vgl. dazu Sievers S. 351.
2*) Not. Dign. cap. XXVin. S. 326 ff. Olymp, frgm. 33. Kiepert S. 204.
25) Hieronym. ep. 60, 16. Aster, p. 59. Sozom. VIII. 7. Zosim. a. a. O.
78
Aber auch sein unwürdiger Ankläger erntete bald die Strafe für
seine Treulosigkeit, denn Eutrop, der wohl eine ähnliche Undankbar-
keit des nichts scheuenden Mannes gegen sich befürchtete, belohnte
ihn zwar mit einem höheren Kommando, welches ihn nötigte Con-
stantinopel zu verlassen, überredete aber zugleich seine ihm abgeneigte
Frau, beim Kaiser eine Schrift voll der schwersten Beschuldigungen
gegen ihren Mann einzureichen, auf Grund deren Eutrop den Bargos
alsbald verhaften 2«) und nach seiner Überführung hinrichten liefs. —
Fielen aber so die mächtigsten und berühmtesten Männer des Reichs der
Herrschsucht und Habsucht des Eunuchen zum Opfer, wie viele
weniger bedeutende Beamten und Officiere erst mögen in die Ver-
bannung oder den Tod geschickt wordem sein!'-^'')
Auf solchem vielfach blutigen Wege erreichte der Oberkänamerer
Eutrop eine Ehrenstelle nach der anderen, und sein Beispiel hatte
eine so verhängnisvolle Wirkung, dafs die Zahl der Verschnittenen
unverhältnismäfsig zunahm und „viele, die bereits einen Bart trugen,
mit ihrer Männlichkeit auch das Leben einbüfsten." 28) Zwar reihte
die Würde des Praepositus sacri palatii den Eunuchen an sich schon
unter die Zahl der höchsten Würdenträger, aber das genügte ihm
nicht; er konnte es nicht ertragen, dafs über ihm noch die Praefecti
praetorio und magistri militum standen, deshalb setzte er, da er die
einflufsreiche Stelle des Oberkämmerers um keinen Preis aufgeben
mochte, es beim Kaiser durch, dafs er im Range wenigstens jenen
gleichgestellt wurde.^^) Daher erklärt es sich, dafs uns von seiner
Richterthätigkeit berichtet 3^) wird, indem er nämlich von Arcadius
wahrscheinlich zum Beisitzer und später als Consul zum Vorsitzenden
einer aufserordentlichen Commission eingesetzt wurde, welcher alle
Rechtssachen, die an den Kaiser gebracht wurden, und die Cognition
über Majestätsverbrechen hochgestellter Personen zugewiesen zu werden
pflegten. Aber wirklicher praefectus praetorio ist Eutrop nie gewesen,
denn dagegen spricht, dafs als solcher 396 Caesarius und Eutychian,
397 dieselben und aufserdem Anatolius als Prf. pr. per Illyricum,
398 ganz eben dieselben und 399 Aurelian, Eutychian und Anatolius
**) Zosim. y. IG. Eunap frgm. 71. n
87) Claudian I. 177—186.
88) Suidas V. EvxQomoq.
8ö) Denn bis 422 stand der praepositus s. c. den Praefecten im Range nach.
Cod. Theod. VI. 8, i.
30) Gibbon VIII. S. 8 und 9 geht um die Erklärung herum. Claudian nennt
den Eutrop iudex. I. 230 ff. 286 und 297. Vgl. Walter I. S. 441.
79
officiell überliefert sind; 3^) mithin ist für eine Praefectur des Eutrop
in diesen Jahren kein Raum vorhanden und ebenso wenig wird er
ein bestimmtes militärisches Kommando gehabt haben.
Zwar deutet Claudian^i) an, dafs er zum Hohn des ganzen
Soldatenstandes Waflfen getragen hate, aus Gefechten mit zweifelhaftem
Ausgang prunkvoll als Sieger heimgekehrt sei umgeben von Fufsvolk
und Reiterei, während die Clienten ihm glückwünschend aus den
Thoren entgegenkamen, aber diese Nachricht bezieht sich entweder
auf die Zeit, wo Eutrop mehrfach als Gesandter mit den Gothen nach
Rufins Fall zu verhandeln hatte, oder man erklärt sie aus analogen
Verhältnissen der Jetztzeit dahin, dafs Eutrop, um nicht in äufserem
Glänze hinter den Generalen zurückzustehen, sich vom Kaiser die
Würde eines dux und magister militum verleihen liefs.
Jedenfalls hat Eutrop das Amt des praepositus sacri cubiculi nie
aufgegeben, da seine ganze Macht einzig und allein auf den ihm
durch dieses Amt gebotenen nahen Beziehungen zum Kaiser beruhte;
auch würde sein Absetzungsdekret ^3) von jenen Stellungen, wenn sie
wirklich amtliche gewesen wären, Notiz genommen haben; es sagt
vielmehr nur von ihm: „der einst Oberkämmerer gewesen ist" (qui
quondam praepositus sacri cubiculi fuit), wogegen diese Würden sehr
wohl in dem Passus : Patriciatus enim dignitate atque omnibus inferioribus
spoliatum se esse cognoscat, eben weil die Patricierwürde auch kein
Amt war, eingeschlossen sein können. Am meisten erregte aber die
Bürger des ganzen Reichs, nicht nur des oströmischen, sondern auch
des westlichen die schmachvolle Ernennung des Eutrop zum Consul
des Jahres 399, welche man vielfach nicht glauben wollte, weil man
meinte „eher könne eine Schildkröte fliegen und trage der Geier
Homer", als dafs ein Eunuch dem Jahre den Namen geben könne.
Denn obwohl die Consulwürde blofs äufsere Ehre und Lasten
brachte und nur ein Schatten ihrer einstigen Bedeutung war, so galt
sie doch als die erstrebenswerteste Auszeichnung ,3*) welche einem
Unterthan zu teil werden konnte , und wir hören den Claudian nicht
sowohl über die Verleihung der noch höheren Würde eines Patricius
an Eutrop klagen als über die des Consulats,^^) zumal dieses die
einzige Bezeichnung war, welche die Kaiser neben ihrem Imperatoren-
titel gemeinsam mit den übrigen Sterblichen anzunehmen geruhten;
3^) Seiaes chron. const. cod. Theod. Vgl. Tillem. note ii und 13.
32) In Eutrop. I. 236 ff.— 286. 297.
33) Cod. Theod. IX. 40, 17.
34) Themist. oratio XVI. ßsyiaxrj 6h zdtv av^Qwnwv Tifiwv vndreia.
3*) In Eutrop. I. 296. Nusquam spado consul in urbe.
8o
und nicht nur der andere Consul im Westen, Theodonis, desselben
Jahres, nein alle vorangehenden schienen durch diesen unwürdigen
Collegen geschändet zu sein.
In Constantinopel freilich wagte niemand aus Furcht vor dem
Allgewaltigen von dieser Schmach* des römischen Namens zu reden,
vielmehr beeiferten sich alle 3*) Senatoren, Offiziere, Beamten und das
Volk dem mit den Abzeichen seiner neuen Würde bekleideten Ver-
schnittenen ihre Glückwünsche und Huldigungen darzubringen; sie
alle machten ihm den Hof, neigten sich tief vor ihm oder fielen nach
orientalischer Sitte ihm zu Füfsen, haschten nach seinem ELändednick,
küfsten die häfslichen Runzeln und hiefsen ihn schmeichelnd „Beschützer
der Gesetze" und „Vater des Fürsten". Ja, viele Denkmäler wurden
ihm in Dorf und Stadt, von Gemeinden und Privatleuten*'') gesetzt,
von denen die einen ihn als Richter, die anderen als Bürger, oder
gar in Uniform darstellten ^8), und auch der gefügige Senat stellte
sein Bildnis in der Curie auf. Selbst Wege wurden mit seinen Bild-
säulen geschmückt und diese mit Inschriften versehen des Inhalts wie
z. B. „Edlen Geschlechts" oder „Zahlreiche Schlachten hat er allein
geschlagen" oder „Der dritte Gründer der Stadt".*^) Selten sah Con-
stantinopel solche Festlichkeiten, wie sie der Eunuch aus seinen un-
ermefslichen Reichtümern bei dieser Gelegenheit dem Volke gab; er
feierte Gelage, streute Geld unter die Menge, um den Beifall sich zu
erkaufen und viele Tage veranstaltete er verschwenderische Spiele
im Hippodrom.
Bei einer solchen Machtstellung, wie sie Eutrop einnahm, ist es
natürlich, dafs er um sich einen entsprechenden Anhang geschart
hatte, welcher von dem Höchsten bis zum Niedrigsten sich in den
demütigsten Schmeicheleien gegen ihn erschöpfte; überall hatte er
seine bezahlten Freunde an der Hand, welche sein Lob auf allen
Gassen sangen und jeden nicht zu ihrer Sippe gehörenden übermütig
behandelten ^^), die aber, sobald sie merkten, dafs die Sonne der Gunst
ihren Zenithstand über dem Eunuchen verlassen habe, wie die Spreu
vor dem Winde zerstoben und nichts mehr von ihm wissen wollten.
Wie sollten sie auch anders diese sogenannten Freunde! knüpfte sie
doch an den Günstling nicht etwa der Adel seiner Seele und die
3«) In Eutrop. II. 63—70.
37) Cod. Theod. IX. 40, 17: Omnes statuas, omnia simulacra ... ab omnibus
civitatibus oppidis locisque privatis ac publicis praecipimus ahol«ri.
3») In Eutrop. II. 70—75.
39J V. 76—87.
^0) joh. Chrysost. Homilia sig EvtQ. p. 381. 01 aoßovvtSQ inl XTJg dyoQccg.
8i
Achtung und Ehrfurcht vor seinen Talenten, sondern nur der krasseste
Eigennutz und die gemeinste Gewinnsucht, die sogar auf Befehl des
Eunuchen vor dem Verbrechen nicht zurückschreckten, ,3s sind das,
sagt ein Zeitgenosse 4^), schamlose Jünglinge und schlüpfrige Greise,
die sich im Essen und in der verschiedenartigen Herrichtung fein-
schmeckender Speisen einen ausgezeichneten Ruhm erwerben, die den
Bauch einladen durch den Preis und dem Gaumen die besternten
Vögel der Juno und den sprachkundigen Papagei aus dem farben-
reichen Indien übergeben ; deren tiefen Schlund nicht das aegaeische
Meer, nicht die Propontis, nicht der Maeotische See mit weitherge-
holten Fischen ausfüllen können. Ihr Eifer geht auf schmuckvolle
Gewandung, das höchste Lob erringt, wer durch faden Witz ihr
Lachen erregt; ihre Eleganz ist nicht mehr männlich, die Haare sind
zierlich geschniegelt und die schweren Seidengewänder müssen ihnen
lästig sein. Klopft der Hunne, der Sarmate an die Pforten — was
thuts? sie denken nur an die Rennbahn, gewohnt Rom zu verachten
und ihre Häuser zu bewundem, die der Bosporus bespült, sie, die
Meister im Tanz und kundigen Wagenlenker ; sie vergessen der Sorgen
und lassen Krieg Krieg sein, fangen an ihre gewöhnlichen Späfse zu
treiben und um den Cirkus sich zu streiten. Ein grofser Wortkampf
entsteht ganz zwecklos über die Frage, welcher Knabe besser die
Glieder mit sanfter Wendung überschlagen läfst, wer den Marmor-
boden beim Kopfgehen mit den Haaren streift, wer am geschmeidigsten
die Gliedmafsen drehen kann, wer der Stimme die Finger, den Be-
wegungen die Augen anpassen kann.
Ein Teil der Führer ist aus dem niedrigen Volke, ein anderer
zeigt an den Knöcheln die Spuren der Fufsfessel, und die Schien-
beine sind bläulich vom schwarzen Eisen ; diese sprechen das Recht,
obwohl sich die gezeichnete Stirn durch ihren Titel verrät Aber
den höchsten Rang nimmt Eutrop ein, während Osius den zweiten.
Süfser ist dieser fürwahr als alle und schlau das Recht *2) zu ver-
drehen und glühend schmort er alles im Dampf, doch den entzündeten
Zorn versteht er gut zu schüren. Da sitzen sie, die beiden Spitzen
des Ostreichs, dieser ein Koch, jener einer Kuppler voll Striemen,
*^ Dieses Citat ist entnommen aus Claudian in Eutrop. II. 325 — 365 mit
einer leichten Umstellung der Verse 357 — 365. Vgl. Synesius tcsqI TtQOVolag
ed. Krabinger. I. cap. 3, 13 und 14.
*^ Diese Stelle bezieht sich wahrscheinlich auf die Verfügung Cod. Theod.
X. 22, 4, welche an Osius gerichtet ist und anordnet, dafs die Arbeiter in den
Staatsfabriken (fabricenses) ähnlich den tirones durch eine nota kenntlich gemacht
werden sollen. Vgl. dazu Gothofr. Comment.
6
82
durch den Knechtesdienst, nicht an Klugheit sich gleichend; dieser
oft verkauft, der andere als Sclave aufgewachsen im heimatlichen
Spanien." So weit Claudian.
Sonstige zuverlässige Quellen belehren uns, dafs Osius zuerst
395 Comes Sacrarum Largitionum (Finanzminister) war, in demselben
Jahre zum Magister officiorum (Reichskanzler) befordert wurde und
diese Würde noch im Jahre 398 bekleidete*^); der Dichter hat
also durchaus recht ihn in zweiter Stelle neben Eutrop zu nennen.
Aufserdem gehörte noch zu den Spitzen der Eutropischen Partei der
ehemalige Wollarbeiter Leo**), jetzt der Ajax und Vorkämpfer des
Eunuchen, ein kleiner, corpulenter, trunkliebender Prahlhans, sonst
aber gutmütig und ein ganz besonderer Verehrer von Damen, deren
er in seinem Feldlager, wie Eunap mit Übertreibung sagt, mehr als
Soldaten hatte, und der Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache
Suburmachius**), ein Kolchier aus königlichem Geschlecht, dem
Eutrop sehr ergeben, aber ebenso wie Leo unmäfsig im Trinken.
Diese Gesellschaft, in welcher Eutrop die Hauptrolle spielte, war
damals in Constantinopel die tonangebende und würde, hätte sie noch
lange am Staatsruder gestanden, den ohnehin schon verderbten und
durch die freiwilligen Getreidespenden und die öffentlichen Circus-
spiele angekränkelten Sinn der Bevölkerung der Hauptstadt noch
mehr entnervt haben; denn qualis rex, talis grex gilt nicht nur
vom Herrscher selbst, sondern auch von allen denen, auf die die
grofse Menge als auf ihre Vorbilder zu blicken gewohnt ist Da war
es nun gewifs eine nicht zufallige Schickung des Himmels, dafs gerade
damals ein Mann reinsten , edelsten Charakters und der innigsten
Hingabe an seinen Beruf zur Leitung des Patriarchats von Constantinopel
gerufen worden war, Johannes Chrysostomus (Goldmund)*«), der,
wie sein Name andeutet, durch den Adel des aus seinem Herzen und
Munde quellenden Worts die verirrten Gemüter von dem eitlen Schein
des irdischen Getriebes zu dem Baume des wahren Lebens zurück-
zuführen fort und fort bemüht war.
*3) Vgl. Haenel Series chronol. constit. Cod. Theod.
**) Claudian in Eutrop. n. 376 ff. 386 und 559. Zosim. V. 14. Eunap frgm.76.
**) Eunap. frgm. 77.
*^) Diese Darstellung stützt sich neben der Benutzung der Quelkn selbst
auf Neander Der heil. Johannes Chrysostomus und die Kirche, be-
sonders des Orients, in dessen Zeitalter. Berlin 1821. und auf seine
späteren Bemerkungen in den entsprechenden Abschnitten der Allgemeinen Ge-
schichte der christlichen Religion und Kirche. Vgl. dazu Böhringer die Kirche
Christi und ihre Zeugen I. S. i — 160. — Palladii dialogus de vita S. Johannis
Chrysostomi XIII. B. der opera ed. Montfaucon.
83
Geboren zu Antiochia wahrscheinlich 347 von vornehmen Eltern
— sein Vater Secündus hatte ein hohes Amt im Officium des magister
militum per Orientem bekleidet, und seine Mutter Anthusa war aus
angesehenem und begütertem Geschlecht*') — schien ihm eine nicht
gewöhnliche weltliche Laufbahn sicher, zu der ihn die früh verwitwete
Mutter, obwohl eine eifrige und bibelkundige Christin, durch einen
Lehrcursus bei dem berühmten heidnischen Sophisten Libanius und
dem Philosophen Andragathius fähig zu machen trachtete.*^) Deshalb
trat Johannes auch nach Vollendung seiner Ausbildung zunächst in
die Kammer der Anwälte seiner Vaterstadt ein, doch ohne in diesem
Berufe rechte Befriedigung zu empfinden, er wandte sich vielmehr
bald auf Anregung seines Freundes Basilius dem Studium der heiligen
Schrift zu unter der Leitung des damaligen Bischofs Meletius, welcher
ihn drei Jahre später taufte und zum Vorleser (anagnost) weihte, um
ihn dem practischen Ejrchendienst zu erhalten. Indes ergriff ihn,
nachdem er mehrere Jahre *ö) sich diesem Amte mit aller Treue
gewidmet hatte, wahrscheinlich nach dem Tode der Mutter die Sehn-
sucht nach der Einsamkeit und frommen Betrachtungen, und er trat
in das Kloster der Abte Diodor und Carterius ein, hochgebildeter
Geistlichen, denen Johannes bei seinen fortgesetzten biblischen Studien
wesentliche Förderung verdankte und von denen er zusammen mit
Theodor, dem späteren Bischof von Mopsuesta in Cilicien, die Ab-
neigimg gegen spielendes Allegorisieren und Verdrehen des einfachen,
biblischen Sinnes sich aneignete.
Im Jahre 380 kehrte er, weil seine Gesundheit durch die fort-
gesetzten ascetischen Übungen gelitten hatte ^^), aus den einsamen
Mauern seines Klosters nach Antiochien zurück und wurde von Meletius
sogleich zum Diacon ernannt; diese Stellung bekleidete er fünf Jahre
und wurde dann von Flavian, dem Nachfolger des Meletius, mit dem
wirksameren Amte eines Presbjrters betraut, in dem er als Gehülfe
des Bischofs für die öffentliche Predigt zu sorgen imd die Verwaltung
der Sakramente imter sich hatte. Damals nun begann der Ruf seiner
bewunderungswürdigen Beredtsamkeit sich immer weiter zu verbreiten
und besonders gab ihm der antiochenische Aufstand 387 Gelegen-
heit, dieses Talent zur Beruhigung der geängstigten Bevölkerung und
zum Hinweis auf ihr gottloses, üppiges Treiben zu verwerten.^ ^) Aber
*') Socr. VI. 3. — Sozom* Vin. 2. nennt die Eltern nicht.
«) Ebend.
*•) Cedren p. 329.
•®) Cedren a. a. O. vsxQOvtai za vnoyaaxQia.
»1) Vgl. G. S. 37 und 147.
6*
84
auch später hob er immer gern seinen Lieblingsgedanken hervor, dafs
nichts Äufseres an und für sich dem Menschen schaden oder nützen
könne, sondern dafs alles auf seine Willensrichtung ankomme. Den
tiefen Spalt, der durch die Erhebung des Meletius von Seiten der
Arianer in die antiochenische Gemeinde gerissen war, suchte er nach
Kräften mit dem Mantel der christlichen Liebe zu überdecken; anderer-
seits liefs er es sich angelegen sein, seine Gemeinde über die Irrlehren
des Eunomins, welche in Antiochia einen starken Anhang hatten,
aufzuklären und ermahnte sie zu sanftem, liebevollem Vorgehen gegen
die Heiden (Homilie 4. in Corinth.); dagegen trat er energisch gegen
die vielfach noch heidnischen Sitten der Christen wie gegen die aus-
gelassene Feier von Hochzeiten, Leichenbegängnissen, insbesondere
des Jahreswechsels und die Unsitte der Amulette und für die Feier
des schon längst im Occident eingebürgerten Weihnachtsfestes am 25.
December*2) ein.
Da starb Nectarius am 27. September 397*^*), ein Mann ohne
hervorragende geistliche Bildung, da er aus seinem Senatorenamte
erst in hohem Alter zum Bischof erhoben worden war. Sein Tod
erregte die ohnehin für theologische Angelegenheiten sehr empfind-
lichen Constantinopolitaner in sofern auf höchste, als es galt, nun einen
tüchtigen Nachfolger für ihn zu finden ; es entstand ein heftiger
Streit &4) um die Nachfolge, da die Auswahl unter den dazu Befähigten
infolge der Veraltung und Vernachlässigung des 15. Canons des
Concils von Nicaea, welcher die Versetzung von Bischöfen, Presbytern
und Diakonen von einer Kirche zur anderen verbot, im Orient wieder
gröfser geworden war.**) Die Zahl der Parteien war somit nicht ge-
ring, doch war der Hof von Constantinopel schon seit Constantin ge-
wohnt, wenn es ihm gut dünkte, auf Volk und Clerus zu Gunsten
seines Candidaten einzuwirken. So machte auch diesmal Arcadius
oder vielmehr Eutropius, welcher den grofsen Redner bereits auf einer
Reise in Antiochien kennen gelernt hatte*®), von seinen Machtmitteln
den ausgiebigsten Gebrauch, und in Übereinstimmung von Geistlichkeit
und Bevölkerung ging Johannes als Sieger aus dem Wahlkampfe hervor.
Damit nun aber das leicht erregbare Volk von Antiochia nicht gegen
die Entführung seines trefflichen Geistlichen Verwahrung einlege, wurde
nur der Comes orientis Asterius von dem Ausfall der Wahl in Kenntnis
^) Neander Allgem. Gesch. der christl. Relig. und Kirche V. 3. S. 431.
'^») Socr. VI. 2.
") Sozom. Vm. 2. Socr. VI. 2.
*») Vgl. Neander V. 3. S. 232 flF.
M) Neander Job. Chrys. I. S. 299. Palladius p. 43.
85
gesetzt, dieser liefs den Johannes rufen, teilte ihm den Willen des
Kaisers mit, setzte sich mit dem Widerstrebenden in einen Wagen,
brachte ihn bis zur Station Pagrae und übergab ihn hier erst den Abge-
sandten aus Constantinopel.^'')
Um seiner Ordination die rechte Weihe zu geben, wurden sowohl
andere Bischöfe eingeladen als auch Theophilus von Alexandrien.
Dieser erschien in der Hauptstadt, aber weniger in der Absicht, die
Ordination vorzunehmen als sie zu hintertreiben und an Stelle des
Johannes seinen eigenen Presbyter Isidor zum Patriarchen wählen zu
lassen, ein Vorhaben, welches den Machthabern in der Hauptstadt
nicht gefallen konnte, weil es zu deutlich das Streben zeigte, den
Bischof von Constantinopel dem von Alexandrien unterzuordnen. Der
alexandrinische Patriarch hatte daher in der Synode, obwohl er den
Vorsitz führte, mit seinem Wahlprotest keinen Erfolg, vielmehr erhoben
sich gegen ihn von manchen Seiten Klagen, welche in bissigen
Pamphleten den Bischöfen zur Kenntnis gebracht wurden, und Eutrop
stellte ihn mit kluger Benutzung dieser Sachlage vor die Entscheidung,
Johannes zu ordinieren oder sich gegen jene Anschuldigungen zu ver-
teidigen. Theophilus war verstandig genug diesen Wink zu verstehen
und ordinierte daher den Johannes am 26. März 398 zum Bischof
von Constantinopel.^8)
Als solcher konnte er einmal durch sein hohes geistliches Amt
auf die grofse Menge der Bewohner den heilsamsten Einflufs ausüben,
andererseits aber nahm er auch in der vornehmen Hofgesellschaft der
Hauptstadt einen hervorragenden Platz ein, wie er denn selbst sagt:^*)
„Die Häupter der Regierung geniefsen keine solche Ehre wie der
Vorsteher der Kirchen. Wer ist der erste am Hofe, wer, wenn er in
die Gesellschaft der Frauen, wer, wenn er in die Häuser der Grofsen
kommt? Keiner hat den Rang vor ihm." Aber da er durch seine
ganze Vergangenheit mehr einem enthaltsamen, einfachen Leben zu-
neigte, so zog er sich von vornherein aus den Zerstreuungen der feinen
Gesellschaft zurück, lebte sehr sparsam und baute aus den Ersparnissen
wohlthätige, gemeinnützige Anstalten. Galt er schon vor seiner Erhebung
wegen seines zu grofsen Eifers in der Mäfsigkeit für etwas herb®^)
und war er, wie ein Jugendgenosse von ihm sagt, mehr zum Zorn
geneigt als zu bescheidener Zurückhaltung, so mufsten grade diese
") Diese Bemerkung hat nur Sozom. VIII. 2. und daraus entlehnt Nicephor.
Callist. Xm. 2. Aufserdem Palladius a. a. O.
<**) Socrat. Sozom. a. a. O., doch der letztere kürzer.
^ Homilla 3. act. apost
^ Socrat. VI. 3.
86
Eigenschaften bei ihm, der nunmehr „die grofse Leuchte des Erdkreises"
geworden war, desto mehr zur Geltung kommen und auffallen, je
umfangreicher und verantwortlicher sein Wirkungskreis gewordön war.
So beeinträchtigte denn seine herzliche Offenheit und Leutseligkeit
der Umstand, da(s er die Zunge ohne Mafs gegen alle ohne Unter-
schied gebrauchte, um die verderbten Sitten seiner Gemeinde zu
bessern.
Zunächst mufste er, der gewohnt war rücksichtslos durchzugreifen
und seiner Meinung Nachdruck zu verischaffen, bei seinem eignen Clerus
anstofsen®*) und nicht minder bei einem Teile der Mönche.^^) Johannes
war ja selbst Mönch gewesen und hatte das einsame Leben derselben
in ungestörter Anbetung Gottes lieb gewonnen und schätzen gelernt,
auch war er ein eifriger Förderer eines ruhigen und sorgenlosen
Lebens im Kloster, aber ebenso wenig liebte er das nutzlose Umher-
laufen der Mönche auf den Gassen, und das war grade unter Nectarius
in Constantinopel etwas Gewöhnliches gewesen. Indes, mochte er auch
gleich im Anfang durch die unbeirrte Gewalt seiner Beredtsamkeit
hie und da und besonders bei den Reichen und Wohlhabenden
anstofsen, so gewann ihn doch seine Gemeinde eben um dieses
Talentes und seines reinen, seinem Character entsprechenden Wandels
willen von Herzen lieb, und der Ruf seiner gottbegnadigten Redegabe •^)
zog nicht nur die Anhänger des katholischen Bekenntnisses zu Tausen-
den in seine Predigten, sondern auch Heiden und Haeretikef**)
strömten in seine Kirche.
Gegen die letzteren ging er gleichwohl von Anfang an mit aller
Schärfe seines Geistes und allen Waffen seines Amtes vor, indem er
seine Gemeinde gleich in seiner ersten Predigt vor den Eunomianem
warnte und bald nach seinem Amtsantritt auch mit den Arianern
in einen ernsten Konflikt geriet. In Konstantinopel nämlich, einst
der Burg des Arianismus unter Valens, war zwar durch Theodosius
die Macht dieser Sekte selbst mit Anwendung der Waffengewalt und
besonders unter dem, wenn auch kurzem, Einflufs des Bischofs Gregor
für immer gebrochen, doch nicht völlig beseitigt worden ^5) ; sondern
noch immer gab es unter der Bevölkerung eine starke arianische
*') Socrates VI. 4. Sozom. VIII. 3.
^2) Sozom. c. 9.
**) Vgl. das Wort des sterbenden Libanius. Sozom. VIII. 2. Theophan.
chrbnogr. zu 392.
ö*) Sozom. Vm. 5.
^5) Vgl. G, Kaufmann Deutsche Geschichte bis auf Karl den Grossen I.
S. 293 ff. G. S. 94 — loi.
87
Pattei, welche in der Masse der germanischen Söldner einen nicht
geringen Nachhalt hatte, wie der kurz vor Theodosius Zug gegen Eugen
ausbrechende Streit zwischen Eriulph und Fravitta, zwei* gothischen
Offizieren, deutlich bewiesen hatte; dazu war der Nachfolger des
Gregor, Nectarius, nicht die Persönlichkeit gewesen, dem Arianismus
Anhänger zu entziehen. So durften die Arianer zwar nicht innerhalb der
Stadt selbst ihren Gottesdienst abhalten, aber des Sonnabends und
Sonntags versammelten sie sich doch unter den Säulenhallen der ver-
schiedenen Foren, thaten sich dann zusammen und sangen respondie-
rende Hymnen.^^) Nachdem sie damit den gröfsten Teil der Nacht
hingebracht hatten, durchzogen sie singend die Stadt und aus den
Thoren hinaus zu den ihnen erlaubten Versanmilungsplätzen, indem
sie zugleich die Homoousianer in ihren Worten nicht schonten und
sie spöttisch wohl fragten: „Wo sind, die da sagen, die Dreiheit sei
ein Wesen?"*')
Dieser Herausforderung konnte Johannes unmöglich stillschweigend
zusehen, auch er hiefs seine Katholiken nachts Hynmen singen, und
um es den Arianem zuvorzuthun, silberne Kreuze und auf diesen
Wachskerzen zu tragen, wozu die Kaiserin Endoxia bereitwilligst die
Mittel zur Verfügung stellte. Darüber waren die Arianer, von früher
her an die Herrschaft auf der Strafse gewöhnt, gewaltig erzürnt und
liefsen ihrer Erregung in der Weise die Zügel schiefsen, dafs bald
darauf ein mächtiger Kampf zwischen den beiden Religionsparteien
ausbrach, in welchem der Kammerherr der Kaiserin, der Verschnittene
Briston, welcher die Hymnensänger unterrichtet hatte, von einem Stein
an der Stirne getroffen wurde, und es auf beiden Seiten Tote und
Veifwundete in Menge gab. Nun trat natürlich der Stadtpräfekt mit
seinen Trabanten dazwischen, und so endete dieser äufsere Kampf
zwischen Arianem und Athanasianern in der Hauptstadt, während der
innere im geheimen unter der Decke stetig weiterglühte.
Aber trotz der mannigfachen Ereignisse in Konstantinopel selbst,
welche die Kraft eines gewissenhaften Bischofs wohl in Anspruch
nehmen konnten, verlor der umsichtige Patriarch auch nicht die ferner
liegenden Aufgaben aus dem Auge: Nach dem schwer zugänglichen
und deshalb noch sehr dem heidnischen Aberglauben anhängenden
Phönicien^s) sandte er ascetisch lebende Mönche als Glaubensboten
und ganz besonders liefs er sich die Mission unter den (jrothen und
*®) Über diese Episode Socr. VI. 8. Sozom. VIQ. 8 ; sie stimmen mit Aus-
nahme unwesentlicher Punkte fast wörtlich überein.
^^ Uov elolr oi Xiyovxe^ xa x^ia filav ^vva/iiv;
«•) Theodor. V. 29 und 30.
88
scythischen Völkern ••) an und jenseits der Donau am Herzen liegen. Um
seinem Unternehmen mehr Aussicht auf Erfolg zu geben, beauftragte er
nur solche Missionare zu den Gothen, welche selbst gothisch sprechen
konnten, und es schien ihm ein herrlicher Triumpf zu sein, als er in
einer Kirche zu Konstantinopel einen regelmäfsigen Gottesdienst in
gothischer Sprache ins Leben rufen konnte; auch an den Bischof
Leontius v. Ancyra''®) wandte er sich mit der Bitte, ihm passende
Männer als Prediger für die nomadischen Scythen an der Donau zu-
senden, welche gern getauft sein wollten, und £0 hat Johannes gewifs
nicht wenig zur Herstellung der erfreulichen Thatsache beigetragen,
welche den heiligen Hieronymus''^) 403 in einem Briefe an Laeta zu
dem stolzen Ausruf veranlafste: ,JDie Hunnen lernen den Psalter, die
Scythen mit ihrer Kälte erglühen im Feuer des Glaubens, der Geten
rötlich- und blondgelocktes Heer trägt seine Kirche im Zelte mit sich
umher und kämpft vielleicht deshalb gegen uns einen gleichen Kampf,
weil es auf die gleiche Religion vertraut!" und in seiner Antwort an die
Gothen Sunnias und Fretelas : „ Fürwahr, es ist an uns das apostolische
und prophetische Wort wahr geworden: In alle Welt ist ein Ton von
ihnen ausgegangen und an die Grenzen des Erdkreises ihre Worte!
^er hätte geglaubt, dafs die barbarische Zunge der Geten die hebräische
Wahrheit . suchen, und während die Griechen schlafen oder — was
sage ich? — mit einander hadern, Germanien selbst die Aussprüche
des heiligen Geistes erforschen würde?"''*)
Ein solcher Feuergeist, durchglüht von der Begeisterung für die
reine Lehre und ihre Verbreitung, pafste notgedrungen nicht in jene
üppige, herzlose Gesellschaft des Eutrop und seiner Genossen, die
im Grunde ihres Herzens sicherlich das Ende ihrer Herrschaft
ahnten und nach dem Prinzipe eines antiquen apr^s nous le d61uge
schnell noch die kurze Spanne Zeit bis zur Neige auszukosten trach-
teten. Doch trat vor der Hand der Gegensatz zwischen der edlen
Natur des Bischofs und der niederen Seele des Verschnittenen deshalb
nicht schroff hervor, weil Johannes keine Veranlassung haben wollte,
sich mit dem ganzen Hofe, der hinter jener Partei stand, zu über-
werfen, vielmehr bahnte sich äufserlich ein freundliches Verhältnis
zwischen ihnen an, das Johannes benutzte, um durch geistlichen Zu-
w) Theodoret a. a. O. und Nicephor. Call. XIII. 3.
™) Theodoret c. 31.
'*) epist. 107.
^^) epist. 106. Er fährt fort: Dudum callosa tenendo capulum manus et
digiti tractandis sagittis aptiores ad stilum calamumque mollescunt et bellicosa
pectora vertuntur in mansuetudinem Christianam.
89
Spruch öfters den Eunuchen auf die Hinfälligkeit alles irdischen Be-
sitzes und Glückes aufmerksam zu machen''^)» doch hat gewifs das
grausame Vorgehen Eutrops gegen die das Asylrecht der Kirche in
Anspruch nehmenden und besonders gegen Pentadia ''f), des Timasius
Gattin, nicht verfehlt einen Schatten zwischen sie zu werfen, obwohl
Eutrop sich aufrichtig nnd aus Klugheit um das Wohlwollen des Bi-
schofs eifrig bemühte.
Aber das Bild des gesellschaftlichen Zustandes des damaligen
Constantinopels würde nicht vollständig sein, würde nicht noch mit
einem Worte des Heiden Synesius'*) Erwähnung gethan, der zu
ebenderselben Zeit in der Hauptstadt weilte. Denn Synesius, von
der heidnischen Welt als bedeutender Sophist und Stilist verehrt, ist
auch durch seinen späteren Übertritt zum Christentum der christlichen
Kirche bekannt geblieben als Hymnendichtef; Er war um 370 im
Schofse einer reichen und vornehmen Familie in Kyrene geboren,
einer Stadt, welche durch die Philosophen Aristipp und Karneades in
der alten Welt einen rühmlichen Klang hatte, und wuchs mit seinem
älteren Bruder zusammen auf, mit welchem er auch zugleich Schüler
derselben Lehrerin Hypatia in Alexandria wurde. Hier vertiefte er
sich imter ihrer Leitung in philosophische, geometrische und mecha-
nische Studien und behielt sie auch in der Folgezeit in so gutem
Andenken und hoher Verehrung, dafs er mit ihr bis in die Zeit seiner
bischöflichen Thätigkeit in einem lebhaften Briefwechsel verblieb, der
überall die innigste Dankbarkeit und Anhänglichkeit atmet ''^) Ob
Synesius nach dem Aufenthalt in Alexandria auch die athenische
Hochschule besuchte, ist noch immer streitig ''), jedenfalls hielt er
sich in seine Vaterstadt zurückgekehrt vom öffentlichen Leben fem
und lebte der Müsse und körperlichen Übungen wie Jagd und
Gartenbau.
''3) Vgl. bfiiXla eiq EvtQ. im Anfang.
7*) Sozomen. VUI. 7.
'^^) Tillemont m^moir. pour servir ä Phistoire eccl6siastique XII. p. 499—554*
Claussen de Synesio philosopho. Kopenh. 1831. Sievers Studien Cap. YIII.
Volkmann Synesius v. Kyrene. Berlin 1869. Synesii Cyrenaici orat. ethomil.
frgm. ed. Krabinger. Landshut 1850. Synesii epist. ed. D. Petavius Paris 1605.
Migne Patrol. Graec. Bd. 22. Photius Biblioth. ed. Bekker c. 26.
7") Vgl. epist. 10. 15. 16: lATixfiQ xal aöskfptj xal öiöaaxaXe xal 6ia
navTCDV xovxmv evci^ysTiXTj xal anav Sri xifAiov xal ngay/ia xal ovofia,
epist. 33. 80. 124. 150: Er übersendet ihr den Dio, de insonmiis und tov negl
xov ö(OQov naXai yevofievov iv z^ xaiQ(p zijg TtQeaßeiag ngoq avÖQa nuQo,
ßaaiXeX naQadwaoxsvovxa (Paeonius).
") Vgl. Volkmann S. 375.
\
90
Doch gehörte er als reicher Mann gewifs der Curie an und so
wurde er trotz seines Sträubens, um seiner Vaterstadt bei Überreichung
eines goldenen Kranzes an den Kaiser pekuniäre Erleichterung vom
Steuerdruck zu erbitten, Ende 397 oder Anfang 398 als Gesandter
nach Constantinopel geschickt.''^) Da sich die Erledigung seiner An-
gelegenheiten länger hinzog, als er erwartet hatte, und unvorhergesehene
politische Ereignisse ihn länger, als er wünschte, an die Hauptstadt
fesselten, so ist er im ganzen drei Jahre dort geblieben''*), hat alte Ver-
bindungen erneuert, neue angeknüpft und giebt uns durch den Brief-
wechsel, welchen er in der Folge mit seinen Bekannten und Freunden
unterhielt, und die Schriften, zu welchen ihn seit Aufenthalt veranlafste,
eine wesentliche Ergänzung des Bildes der hauptstädtischen Gesell-
schaft um die Wende des vierten Jahrhunderts. Das gröfste Interesse
unter den Männern, welche S3niesius dort kennen lernte und mit denen
er verkehrte, nimmt ohne Zweifel Aurelianus ein, der später noch
zweimal zum höchsten Civilamt der Praefectur des Praeteriums 399
und 415 gelangte, dessen achtungsgebietender Character und rege
Fürsorge für die Wissenschaften Synesius in den begeistertsten
Ausdrücken gefeiert hat, und in dem er auch in den folgenden Jahren
stets einen bereiten Helfer für seine Feunde fand 80) ; aber an keinen
hat er mehr Briefe gerichtet als an Polyaemon^i), einen Sachwalter
und Rhetor, doch nicht Lehrer der Beredtsamkeit, von dem wir leider
nicht mehr wissen, als dafs er grolsen Einflufs und Aussicht auf höhere
Würden hatte. Ganz natürlich aber brachte die gleiche Geistesrichtung und
Ausbildung den Synesius mit den Spitzen der hauptstädtischen Gelehrten-
und Dichterwelt zusammen; so vor allen mit dem Sophisten Troilus
aus Sidon^^), dem späteren Ratgeber des Staatsmannes Anthemius,
•
■'*) Sievers S. 377. — Volkmann S. 13 wundert sich, dafs Synesius immer
nur von sich als Gesandtschaft spricht, da doch nach Cod. Theod. XIl. 12, 7. 380.
die Gesandtschaften der Städte aus drei Mitgliedern bestehen mufsten. Doch
schon Gothofred. im Comment. bemerkt dazu, dafs dieseis Gesetz nur gegen die
Unsitte gerichtet war, dafs einzelne Gemeinden je einen Spezialgesandten ab-
schickten^ statt sich zusammenzuthun und ihre Wünsche gemeinsam vorzubringen.
Theodosius läfst also durch diese Verfugung den Gemeinden die Möglichkeit
einen Gesandten zu schicken, was übrigens eod. tit. 1. 9. von Valentinian II.
ebenfalls gewährleistet wird. Das arme Kyrene schickte daher nur einen Ge-
sandten. Vgl. Gothofr. im Comment. zu 1. 3 über die Zahl der Gesandten.
'») De insomniis p. 148 C. ») Vgl. epist, 31. 34. 38. 61.
") epist. 48. 61. 71. 74. 87. 99. 100. 102* 103. 129. 130. 133. 149—153.
Ebenso wenig wissen wir von Paeonius (Sicvers 385. Volkmann S. 40). An ihn:
TtQog Haionov inh^ xov öwqov doxQoXaßiov Xoyoq ed. Petavius 1633. S. 307 ff.
^) Socrat. Vn. i. 12. 27. Suidas v. T(>a»l>to$. epist. 73. 118. 90. in.
112. 118. 119. 123.
91
und dessen Freunde» dem Sänger der Thaten des Anthemius,
Theotimus**), dem Nicander**), welcher demselben Kreise ange-
hörte und dessen Urteil er sein „Lob der Kahlheit'' unterbreitete, und
endlich mit dem Philosophen Marcianus^^), einem Bekannten des
Troilus — sie alle bildeten eine Welt für sich, in welcher der sich
leicht anschliefsende Sophist schöne und für seine ganze fernere Geistes-
durchbildung folgenreiche Stunden verlebt hat
Sechstes Kapitel.
Die Germanen im Orient. — Wer ist der Typhos der Allegorie des Synesius ? —
Die römische Partei und Aurelian (Osiris). — Beginn der Erhebung des Tribi-
gild. — Sorglosigkeit des Eutrop. — Die Rede des Synesius tisqI ßaaiXeiag
an Arcadius und ilire Bedeutung für die Zeitgeschichte. — Gainas wird als Feld-
herr gegen Tribigild gesandt. — Seine Vergangenheit und Zukunftspläne. —
Aufreizung durch Typhos und seine Frau. — Leos unglücklicher Feldzug gegen
Tribigild infolge der zweideutigen Haltung des Gainas. — Die Forderung des
Gainas führt zum Sturz des Eunuchen. > — Eutrop flieht in die Sophienkirche. —
Homilie des Johannes Chrysostomus auf den gefallenen Günstling. — Verbannung
des Eutrop nach Cypem und das Absetzungsdekret. — Eutrop wird auf Gainas
Drängen gegen das Versprechen bei Chalcedon hingerichtet.
Indem Theodosius I. die Westgothen auf friedlichem Wege be-
ruhigte und sie auf römischem Gebiete als Foederaten in Thracien
und Moesien ansiedelte, gab er zugleich einen Hinweis auf die Politik
welche er ihnen und allen germanischen Völkern gegenüber zu
treiben beabsichtigte» nämlich in diesen naturwüchsigen Kriegern, gegen
die mit den entnervten Römern zu kämpfen er auf die Dauer für er-
folglos hielt, sich eine sichere Hilfe gegen ihre eignen Stammesgenossen
zu schaffen, zugleich aber auch durch die Verbindung mit
römischem Blut diesem selbst einen kräftigeren und reine-
ren Gehalt zu geben.^) Wir sahen deshalb seinen Thron von treff-
lichen Männern der verschiedensten Nationalität und religiösen Rich-
tung umgeben 2), und auch auf die westlichen Regenten Gratian und
") epist. 47, 98 : TtoifjtTjg ävrJQ t<5v vvv iv^emtatoq.
**) Syn. sandte an diesen sein Encomium Calvitiae. ep. i. zur Beurteilung.
Volkmann nennt ihn einen Dichter S. 113 wohl auf Grund von epist. 75, der be-
ginnt TovniyQotfUJiä aov rh xXeivov.
*•) epist. IOC und 119.
*) Vgl. V. Wietersheim II*. p. 100. G. Kaufmann Deutsche Geschichte bis
auf Karl den Grofsen I. S. 289 ff.
*) Vgl. G. cap. 3. S. 197 — 206.
92
Valentinian II. wirkte sein gewichtiges Beispiel in demselben Sinne ein :
Unter den tapfersten und berühmtesten Heerführern dieser Zeit glänzen
die Namen Richomer, Saul, Stilicho im Osten, Arbogast und Bauto
im Westen am meisten. Die hohen Stellungen, welche diese Germanen
im römischen Heer bekleideten, und der Ruf ihres Namens lockten immer
mehr blondhaarige, kühnblickende Gestalten des Nordens über den
Ister und in die Reihen der römischen Hülfsvölker, während die Zahl
der wirklich römischen Truppen immer mehr abnahm, teils wegen eigner
Unlust, teils wegen der Bevorzugung des fremden Elements, und end-
lich war es der Regierung um so angenehmer, je mehr von der plebs
misera contribuens ihre Kopfsteuer entrichteten und so dem Waffen-
dienst fem blieben.3) Aber nicht nur zum Kriegshandwerk boten die
Germanen den Römern ihre Dienste an, sondern durch Kauf und
Sieg als Beute, seltener wohl aus eigenem Antriebe war eine nicht
minder grofse Zahl dieser Fremdlinge in die Hauptstadt und die
grofsen Gemeinwesen eingezogen, so dafs ein jedes begüterte Haus
nach der Aussage eines Zeitgenossen seinen germanischen Sklaven als
Tafeidecker, Bäcker, Wasserträger oder Bedienten beherbergte.*)
Dazu war in den ersten Jahren nach des grofsen Kaisers Tode
sein eigner Sohn in der schmählichsten Weise gegen den aufständischen
Alarich imterlegen, hatte in die härtesten Bedingungen widerstandslos
eingewilligt, und noch gebot dieser kühne Westgothe nicht nur über
sein eignes Volk, das sich auf römischem Boden nährte^ sondern ver-
fügte auch über die römischen Streitkräfte der Provinz Illyricum und
ihre Hülfsquellen, ritt auch wohl stolz hinein in die Städte mit den
zerfallenen Mauern, die er selbst geschaffen, um zwischen Gothen und
römischen Bürgern Recht zu sprechen; Gainas endlich und sein An-
hang hatten ungestraft vor den Augen des Kaisers seinen ersten
Minister niedermetzeln dürfen. Welche moralische Wirkung mufsten
diese unleugbaren Thatsachen auf die in denselben Grenzen wohnen-
den Fremdlinge und Römer haben? War es daher zu verwundem,
däfs selbst der germanische Sklave seinen Kopf höher trag? sah und
hörte er doch, wie seine hochgestellten Stammesgenossen das römische
Wesen, dessen Vorteile sie ungestört genossen, mit Hohn und Spott
täglich schmähten*); wie sie die Toga verachteten, ihren Pelz erst
kurz vor der Senatssitzung auszogen, wohl neben den Consuln den
Vorsitz führten imd sich dann sehr beeilten, das ungewohnte Gewand
3) Finlay I. S. 88. Es kam noch hinzu die Furcht, den eignen Unterthanen
die Waffen in die Hand zu geben. Vgl. G. S. 195.
*) Synesius ne^l ßaaikeiag c. 22.
^) Ebendäs. •
93
abzulegen mit der spöttischen Bemerkung, die Toga hemme die Be-
hendigkeit des Schwertzuges. So schritten sie stolz und sporen-
klirrend durch die Strafsen der Städte, stets schnell bereit, mit dem
Schwert übermütigen und ungesetzlichen Forderungen Nachdruck zu
verschaffen. Ein Umstand nur konnte sie in etwas schwächen, die
Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses in ihren Reihen; denn
schon einmal war es in Theodosius I. Gegenwart zwischen den An-
hängern des arianischen Bekenntnisses, welche es auf einen Sturz des
Kaisers und die Einsetzung eines weniger energisch gegen die Arianer
auftretenden Nachfolgers abgesehen hatten, und den weit geringeren
Vertretern des Heidentums, welche Theodosius treu geblieben waren,
zu einem blutigen Zusammenstofs gekommen ß), in welchem der aria-
nische Eriulph von dem Heiden Fravitta getötet wurde. Dieser Gegen-
satz war durch des Kaisers festes Durchgreifen für den Augenblick
wohl verwischt und der arianische Einfiufs zurückgedrängt worden,
aber unter der Regierung des schwachen Arcadius tauchte er von
neuem auf, wenn auch die Folge lehrt, dafs die heidnischen Gothen
entweder ganz verschwunden waren oder sich bis auf eine winzige
Minderheit den Stammesgenossen im Kampfe gegen das römische
Element anschlössen.
Wer aber sollte ihnen Zügel anlegen und Gesetze vorschreiben?
Das war ja eben das Unglück dieser Zeiten, dafs der Kaiser charakter-
los und ohne festes Auftreten ein willenloses Werkzeug der jedesmal
am Hofe mächtigsten Partei und besonders seiner eigenen Gemahlin
war, die selbst germanischem Blute entsprossen gewifs eine der mäch-
tigsten Stützen des Übergewichts der Fremdlinge im Reiche war.
Mit ihr war Eutrop im Gegensatz zu Ruün emporgekommen, hatte
jenen Frieden mit Alarich geschlossen und war somit Träger der
erneuerten Staatsidee des Theodosius geworden, und ebenso gehörte
auch sein Anhang zu den Freunden des Germanentums — so lange
es am Hofe beliebt war; denn diese lebenslustigen Gesellen liefsen
sich weniger von ihrer Überzeugung als von ihrem Vorteil leiten.
Trotzdem aber traf den Eutrop von Seiten der Germanen die gerechte
Strafe, weil sie ihn, seitdem er mit Stilicho zerfallen war, nicht mehr
für einen aufrichtigen Gönner ihres Volkes ansahen, so sehr er sich
ihnen gegenüber auch als solcher geberden mochte.
*) Eunap frgm. 60. Zosim. IV. 56. Richter das weström. Reich S. 656
setzt das Ereignis ohne Gmnd kurz vor Beginn des Krieges mit Maximus. vgl.
Aschbach a. a. O. S. 61. KÖpke Anfänge des Königtums bei den Gothen S. 118.
y. Wietersheim I. S. 124. Martin de fontibns Zosim. Dissert. Berlin 1866. G.
S. 218.
94
Als den entschiedensten Anhänger aber des Übergewichts der
Germanen und als deren Haupt und Führer wird uns von dem Zeit-
genossen Synesius ein Mann genannt, den er in seiner allegorischen
Darsteilivig '') dieser Zeit mit deip dem ägyptischen Mythos entlehnten
Namen Typ hos benennt, ohne dafs es uns bis auf den heutigen Tag
gelungen wäre, trotz der eifrigsten Nachforschungen den wahren Namen
zu erfahren. Man hat in ihm einmal den Gainas erkennen wollen^),
eine Annahme, die sich schon dadurch widerlegt, dafs auch Typhos
ein Ägypter d. h. in der Auflösung der allegorischen Sprache ein
Römer war, wenngleich er sich hauptsächlich auf die fremden Söldner
stützte. Ebenso wenig läfst sich der Beweis durchfahren, dafs mit
Aufgabe der leiblichen Verwandtschaft des Typhos und Osiris (Aure-
lian) Eutrop das Gegenspiel gegen die römische Partei in den Händen
gehabt habe. Zwar pafst auf ihn die Charakterisierung des Typhos
völlig, wenn wir damit des Eunap-Zosimus Bemerkungen und Claudians
Mitteilungen vergleichen, auch wird bei dem letzteren Autor die
zweifelhafte Frau des Eunuchen in ähnlicher Weise wie in der Alle-
gorie geschildert^); aber dieser Nachweis, wie erwünscht auch immer,
scheitert an dem unwiderleglichen Faktum, dafs Eutrops Sturz und
Ende vor der Entfernung des Osiris aus der leitenden Stellung statt-
fand, dafs er also der nach diesem Ereignisse das Reich beherrschende
Typhos unter keinen Umständen sein kann.
Eine neue Möglichkeit der Erklärung endlich schien sich in der
Person des Osius zu bieten, der von Claudian^^) nächst Eutrop als
der mächtigste seiner Partei hingestellt wird; es trifft auf ihn zu die
Erzählung des Synesius von dem Lebenslauf des Typhos, der, ein Ver-
ächter der Wissenschaften, zum Verwalter öffentlicher Ämter ernannt,
dann der Unterschlagung anvertrauter Gelder, der Bestechlichkeit und
verkehrter Mafsregeln überführt und trotzdem zu anderen Zweigen
des Staatsdienstes versetzt nicht besser erfunden wurde. ^^) Denn Osius
wird uns zuerst 395 in der geringeren Stellung des Comes Sacrarum
') Aiyvnxioi 1} JtSQl 7t()Ovoiag. Vgl. Volkmann S. 53 fF. Krabinger in
seiner Ausgabe der Schrift. Sievers Studien S. 387. Neander Joh. Chrysost. n.
S. 138 ff. Anmerkung 33.
*) Fabricius BibL Graec. Vin. p. 224.
') Prolog, in Eutrop. U. 27. — II. 88 — 95. ns^l iiQOvoiaq I. c. 13.
»®) Eutrop. n. 345 flF. und 445.
^^) nsQl TiQovoiaq I. c. 3. 6h rafilag xs xQVf^i''^<''>v dnoösix^^^ • • •
yaxvvev iavxov xs xal xöv hXofievov xkon^g xs ^rnioolcav aXovq xal Swqo-
ÖQxiaq xal ifAnkqiiaq siq x^v öioixijaiv. Msxaxs&slg öh xal slq SxsQov
slöog aQxv^ fi^noxs aga xal ivagfioasisv, 6h aloxiov sn^a^sv xxi.
95
Largitionum beglaubigt ^*), in welcher er die Aufsicht über den Staats-
schatz und über die rechtzeitige Einlieferung der Abgaben, die Berg-
werke und Münzen unter sich und somit Gelegenheit genug zu eigener
Bereicherung hatte, sodann erscheint er noch am Ende des Jahres
396 bis 398 1') in zahlreichen Verfügungen als magister officiorum,
ein Amt, welches dem des praefectus praetorio zunächst steht War
nun Osiris (Aurelian) 393 **) und vielleicht noch 394 Stadtpraefect
von Constantinopel, und nicht 396 praefectus praetorio **), so konnte
am Ende dieses Jahres sehr wohl ein Wettstreit zwischen beiden
um das höchste Civilamt entstehen, aus welchem Osiris als Sieger
hervorging. Auch dies würde sich mit der Person und den Nach-
richten über Osius noch vereinigen lassen, er könnte selbst als Typhos
in der Eigenschaft des praefectus praetorio jene Schreckensherrschaft
ausgeübt haben, da die offizielle Überlieferung der Jahre 400 — 403
wegen der stürmischen politischen Verhältnisse so gut wie nichts weder
für noch gegen diese Annahme bietet — wenn nicht trotz allen
Deutens und Deuteins die Thatsache bestehen bliebe, dafs „die Ägypter**
des Synesius „auf die Söhne des Taurus**^^) geschrieben ist, und
Osiris und Typhos notgedrungen leibliche Brüder sein müssen. Wie
kann aber ein Osius, ein Sclave und Koch aus Spanien, der Sohn
jenes Praefecten des Praetoriums Italiens 353 — 361, wie kann er ein
Bruder des Aurelian sein? Hieran scheitert auch des Verfassers
Kunst, nur das eine will ihm nun und nimmer in den Sinn, dafs,
während uns die Namen so mancher anderer unbedeutender Personen
dieser Periode überliefert worden sind, gerade der Name einer der
wichtigsten Persönlichkeiten völlig verschwiegen und verloren sein sollte 1
»5») Cod. Thed. VI. 30, 13. 28. Novemb. 395. VI. 27, 7 ist VI. Kai. Jun.,
nicht Jan. zu datieren , wie es bereits Gothofred. in der Chronologie p. 132 und
Tillem. hist. des emp. Rom. V. note 4 sur Arcade gethan hat, so dafs Osius
erst am 27. Dezemb. 395 als mag. offic. erscheint.-
") 396: VI. 26, 6; VI. 27, 8 und 9. 398: VH. 8, 5 und X. 22, 4.
**) Als praef. Urbi erwähnt Cod. Theod. I. i, 3. VI. 3, i. VI. 4, 26.
Xn. I, 130 und 131. XV. I, 29 und 30. XIV. 17, 11. VI. 2, 10. XIV. 17, 12.
Wenn er zugleich XII. i, 132 und 138 als Prf. praet. bezeichnet wird, so ist
das entschieden ein Versehen.
^^) IV. ^, I und V. I, 5. 396. — Vgl TiUem. note 23 sur Arcade. Sie-
vers S. 387.
") In der ÜQü^emgia heifst es: riyQOTtrai filv inl xotq TavQOv
naiolv xal ro yB TiQmxov fii(fo^xov xaxa Xvxov aiviygiaroq (i. Teil) dv€-
yviooQ^i xad^ Sv /idXiaza xaiQov 6 x^f'Q<ov ixQaxei r§ aidoei nsQiyevofievoq,
nQoav(pdvd^ 61 xo hnoßsvov (2. Teil) fABta xtfr xd^oSov xwv aQlax<ov avÖQdv
aixticivtoiv firi xoXoßbv inl xwv axvxfllid.x(ov fisiven xo avyyQUfifia.
96
Jedenfalls aber geht man nicht fehl, den Typhos im Kreise der
Gesellschaft Eutrops oder wenigstens in einem nah verwandten zu
suchen; denn sinnliche Genüsse und Ausschweifungen fällen sein
Leben aus, vor keiner Gesellschaft schreckt er zurück, sein Haus ist
der Sammelplatz aller Schamlosigkeit und Roheit, seine Frau ist eine
putzsüchtige, kokette Intriguantin , die ihn vollständig beherrscht und
der er seine dereinstige Herrschaft prahlerisch voraussagt*'); fast alles
Züge, die wir bis aufs Haar in der vorausgesandten Schilderung des
Eutrop und seiner Genossen bei Qaudian kennen gelernt haben.
Gegen die Begünstigung des Germanentums aber im Heer und
Civildienst, ihr Vordrängen in die leitenden Stellungen, ihr zähes
Festhalten an der Nationalität, die sich auch im Äufseren bewahrte,
und an der Religion, ihr übermütiges, bürgerfeindliches Benehmen, hatte
sich allmählich , wie einst schon unter Valentinian II. im Ocddent t»),
eine gewaltige Reaktion vorbereitet, welche in der Gemeinsamkeit
der römischen Volksgenossenschaft und Sprache ihre Stärke und ohne
Rücksicht auf den religiösen Standpunkt die Gemüter der Bürger fast
des ganzen Reiches erfafst hatte. Noch lebte hier im Orient ein
echter Römersinn, der, wenn ihm auch die reale Grundlage der Wirk-
lichkeit fehlte, doch in seiner Phantasie an die einstigen Grofsthaten
der Väter !•), die Siege der Heere wiederanknüpfte und es nimmer
verwinden konnte, dafs er denen dienen sollte, denen einst ein Caesar,
Drusus und Tiberius den Fufs auf den Nacken gesetzt hatte. Freilich
waren die Führer dieser Bewegung keine Symmachus und Qaudian,
welche in ihren glatten Höflingsformen den natürlichen Römerstolz
eingebüfst hatten , deren Schriften nur zu loben wissen , was auf den
Wink des Gebieters oder unter dem Drang der Verhältnisse gefeiert
werden sollte, und deren Feder streng gebunden ist an die Thatsache,
dafs ein Germane selbst den Westen lenkte. Im Orient dagegen
finden wir noch hie und da Männer, wirkliche Römer, die ohne
Rücksicht auf eigenen Vorteil nur das Heil ihres Vaterlandes erstreben,
das nach der treuesten Überzeugung der Kühnsten und Phantastischen
in einer sofortigen und völligen Ausmerzung des germanischen Volks-
stammes ^o), bei den Verständigeren und mit den Verhältnissen
Rechnenden in einer langsamen Zurückdrängung durch Rückführung
des römischen Elementes in Heer und Verwaltung beruhte.
*^ 7t6Ql ngovolaq I. cap. 3, 13 und 14.
") G. S. 207—212.
*^) Synesius negl ßaaiXsiag cap. 21. 23.
>o) Ebendas. 22 u. f.
^7
Es war natürlich, dafs dieser Gegensatz sich zu allererst am Hofe
geltend machte, wo sich der dem Germanen freundlichen Partei des
Eutrop und der Eudoxia eine andere allmählich immer mehr an innerer
Starke gewinnende römische gegenüberstellte; von hier aus fand sie
ihre Gesinnungsgenossen in dem geringen Reste des römischen Heeres,
vor allem aber in den zahlreichen Bürgern der grofsen Städte, welche
die höhere Bildung über die träge Masse erhob und aufser an das
tagliche Brod auch an die traurige Lage des Vaterlandes denken liefs.
Der Vertreter der ersteren und somit das Haupt der gegen die Germanen
gerichteten Bewegung überhaupt war neben dem Consularen Satumin und
Johannes, einem Günstling Eudoxia's, Aurelianus, eben jener Osiris
im Mythos des Synesius, der Sohn des Praefectus praetorio Taurus,
ein mäfsiger, characterstarker und daher selbst seinen Feinden achtung-
gebietender Mann, der trotz seines hohen Ranges mit seiner sittsamen,
bescheidenen, allem Auffallenden abholden Gemahlin und seinem Sohne
Taurus (Oros) ein stilles, eingezogenes, neben ernster Arbeit auch den
Wissenschaften und der Dichtkunst gewidmetes Leben führte 2^), so
recht das Vorbild eines echten Römers der alten Zeit. Seine vornehme
Geburt berechtigte ihn nicht minder als seine gewissenhafte Ausbildung
zu hervorragenden Stellungen, und so erklomm er bald die einzelnen
Stufen, welche zum höchsten Ziele führten: Nach der Würde eines
comes domesticorum, die ihn in engen Zusammenhang mit dem Hofe
brachte, • schmückte ihn das vielgeschäftige und viel bedeutende Amt
des Quästors, als welcher er alle Erlasse des Monarchen mit seiner
Unterschrift gegenzuzeichnen hatte, und darauf das wichtige Amt
des Praefectus Urbi^^), welches er 393 und vielleicht noch im Jahre
394 bekleidete; dann scheint er aber vorläufig aus dem Staatsdienst
sich zurückgezogen zu haben, vielleicht aus Abneigung gegen den
allgebietenden Eunuchen, und ein Förderer und Gönner literarischer
Bestrebungen geworden zu sein. Jedenfalls entbrannte am Ende des
Jahres 398, als die Gegensätze zwischen „germanisch'' und „römisch''
immer mehr zu Tage traten, zwischen ihm und seinem so ungleichen
'*) 7t€Ql ngovolaq cap. 2. 12. 13. Taurus wird von Synesius epist. 31
erwähnt : aonatfifim tov vbov TavQov, xaq dyaS^ag ''Pü}fiaiwv iXnlöag. Er
war 416 comes R. P. Cod. Theod. VI. 30, 21 und 428 consul. Vgl. Series chron.
constitut. Cod. Theod., 433 — 434 praefectus praetorio und starb als patricius 449.
Marcell. Com,
**) TtSQl TiQOvolaq cap. 2. inicxaxiiq 6oQV<p6Q(t>v yevofievoq xal rag
axoaq niatsvS^slq xal noXia^^oaq xal ßovXfjq aQ^aq; gerade das letztere
deutet auf die Thätigkeit des praef. Urb. vgl. Cod. Theod. VI. 2, 10 de senatoribus
an ihn.
9«
Bruder Typhos ein heftiger, allerdings nur dem eingeweihten bemerk-
barer Kampf am Hofe um die erledigte Würde des Praefectus
praetorio des Orients, welcher den Aurelian trotz der Unterstützung,
welche dem Osiris durch das fremde Element zu teil wurde, endlich
zum Siege führte, so dafs wir ihn vom Beginn des Jahres 399 bis
zum October in jenem Amte officiell beglaubigt finden.^^)
Über seine Amtsführung weifs Synesius nur Rühmliches zu berichten,
dafs Aurelian rastlos far das Gemeinwohl besorgt war, und wo es ging,
armen Gemeinden Steuern erliefs, während er zugleich die Gelehrten
unterstützte und durch sein leuchtendes Beispiel die Liebe zur Bildung
überall zunahm.^^) Grade damals war es, wo Synesius in Constantinopel
weilte, und bei der Gleichartigkeit der Bestrebungen ist es nicht
wunderbar, dafs er bald in Aurelians Hause eine gastliche Stätte fand
und einen tiefen Einblick in diese Verhältnisse gewann, die er uns
in seiner „Vorsehung'' so eingehend und verständnisvoll übermittelt
hat Die Rede, mit welcher er den Arcadius bei Überreichung des
goldenen Kranzes überraschen wollte, ist gewifs in jenem oben ge-
sdiflderten Kreise lange vorher besprodien und somit als der beredteste
Beweis für die Ziele der Aurelianischen Partei anzusehen. Anderer-
seits war die Eriiebung Aurelians zum Praefectus praetorio für die
Germanen ein deutlicher Fingerzeig, dafs sich am Hofe eine andere,
ihnen feindliche Strömung geltend mache, und es kam nun darauf
an, ob es Aurelian gelingen werde, das germanische Übergewicht ohne
Kampf zurückzudrängen und ob sich die Fremdlinge so ohne Wider-
stand würden bei Seite schieben lassen. Alles war dazu angethan
und durch eine lange Gähning so vorbereitet, dafs jede geringe
Reibung der feindlichen Elemente, wo es auch immer war, zu einem
entscheidenden Zusammenstofs föhren mufste.
Da war es nun von der höchsten Wichtigkeit, dafs unter den
vielen, welche zum Antritt des Consulats des Eutrop nach der Haupt-
stadt eilten, um bei der Übermittelung der Glückwünsche auch für
steh eiQjea Vorteil davonzutragen, einer von dem Eunuchen nach seiner
Meinung nicht gebührend genug belohnt worden 2^) war und unzufrieden
u) Cod. Theod. II. 6, 23. XV. 6, ?. Dazu IX. 40, 17 mit falscher Da-
tierung.
**) SyneriuB nsQi nQOVolag cap. 12.
**) Claudian in Eutrop. II. 177 ff. Ebenderselbe nennt ihn 176. Geticae
dux improbus alae; Philost. XII. 8« dagegen com es. Socr. VI. 6. x^^i'^QX^'^*
Sozom. Vlll. 8. noXvav^^nov tayfiaxo^ ^yetra. Sein Name lautet bei Claudian
TargibUus, bei Zosimias und Socrates T^ßiyiXöog, bei Philostorg TQiyißiXSoq,
bei Sozomenos TiQßlyyiXoq,
9Q
in seine Heimat zurilckkehrte, der comes Tribigildus.^') Er befehligte
die in Phrygien stehenden Truppen und hatte in NacoliaS?) seinen Stand*
^) Zur Chronologie der Ereignisse : I. I. Dafs der Aufstand des Tribigild
im Jahre 399 stattfand, beweist sein Zusammenhang mit dem Consulate des
Eutrop, in welches er von Claudian in Eutrop. II. 95 ff. gesetzt wird. Dieses
Consulat war aber das von 399 (vgl. Series Chron. constit. Cod. Theod.). Es
ist demnach eins der vielen Versehen, von denen die Herausgabe des Sieversschen
Nachlasses wimmelt, wenn hier S. 358 vom Frühjahr 398 gesprochen wird (vgl.
Clinton Fasti Rom.). 2. Die Bemerkung von Fevers ist ganz richtig, dafs Clau-
dian es zu erwähnen nicht vergessen haben wurde, wenn das Consulat Eutrops
wirklich nur sechzehn Tage gedauert hätte, wie es nach Cod. Theod. IX. 70, 17
scheinen möchte. 3. Es spricht gegen das Datum dieser Verfügung — 17. Jan.
399 — femer der Umstand, dafs Eudoxia, welche den Eutrop stürzen hilft, an
jeder Hand ein Kind hatte, als sie sich bei Arcadius über den Eunuchen be-
schwerte (Philost. XI. 6). Dies kann nur die 397 geborene FlaccUla und die
399 19* J^^f geborene Pulcheria sein (Marc. Com. chron* Pasch.). Sollte aber
die letztere schon an der Hand der Mutter haben stehen können, so müfste sie
mindestens ein halbes Jahr alt gewesen- sein. 4. Da die Abreise des Hofes nach
Ancyra gewöhnlich erst Anfang oder Mitte Juli vor sich ging, so werden die
Vorbereitungen schwerlich vor Mai begonnen sein , von denen Claudian a. a. O.
spricht. 5. Begann also erst damals Tribigild seinen Aufstand, so nehmen die
Rüstungen, das Übersetzen, das Zögern der römischen Truppen, endlich ihre
Niederlage und Tribigilds Plünderungen gewifs 3 — 5 Monate in Anspruch. —
Aus allen diesen Gründen thut man sicherlich nicht unrecht, den Fall des Eutrop
erst in den Hochsommer bis Herbst 399 zu setzen (vgl. Joh. Chrysost Homilie in
Eutrop. I. p. 381 B. avd-ij f^v iagiva xth.)*
II. Damit hängt eng die Frage zusanunen, wann Aurelian, Satumin und
Jo)iannes dem Gainas ausgeliefert worden sind? Der Zeitgenosse und Augen-
zeuge Synesius erwähnt vor der Verbannung nichts von dem Consulate des
Aurelian, sondern spricht nur von seiner Praefectur, dagegen hat er negl ngo-
volagJl.^ die Bemerkung., dafs das Jahr nach Aurelian benannt wurde, die
Sievers durch die Annahme zu erklären sucht, dafs sein Name bei der Verbannung
aus den Fasten gestrichen wurde. Zosim. V. 18. allein nennt 'ihn Consul^ als er
von seiner Verbannung spricht; während Socrates beide, Aurelian und SatnmMi,
anb vTtixuiV nennt, was gewifs nur von Satumin galt; ebenso verallgemeinert
Sozom. Vni. 4 vTtaTiicol avögeq. Es ist daher sehr wohl möglich, dafs jene
Männer noch Ende 399, als Aurelian bereits zum Consul designiert war, dem
Gainas ausgeliefert wurden, was jenen Zusatz des Synesius leicht erklären würde.
Tribigild und Gainas sind darauf anfangs 400 nach Europa übergesetzt, während
(Ue Besatzung Constantinopels und des Typhos Schreckensherrschaft etwa sechs
MopatQ dauerte und Aurelian im letzten Drittel des Jahres 400 zurückkehrte.
Dabei kann das Gerücht über Johannes bei Zosim. V. 18 recht wohl
Bestand haben, ohne absurd zu sein, denn die Verbannten mochten, da am
12. Juli die Metzelei in Constantinopel stattfand, im August bereits dort ange-
g^kommen sein.
•') Philost. a. a. O.
ANCIENT H\2T0\-\ f
lOO
ort, während ringsherum Ostgothen und besonders Gruthungen^s)
als Laeten^^) angesiedelt waren. £s sind das dieselben Gothen, welche
ebenfalls von den Hunnen westwärts getrieben im Jahre 386 vergeblich
versuchten den Ister zu überschreiten und durch die List des um-
sichtigen Generals Promot in nächtlicher Schlacht auf dem Flusse
meist vernichtete^), in ihren Überbleibseln sodann vom germanen-
freundlichen Theodosius, ähnlich den Westgothen, in Phrygien und
den angrenzenden Landschaften angesiedelt worden waren. Hier in
einem Gebiet, das, wie selten in Klein-Asien, zwischen Maeander und
Marsyas reichen Getreideboden, herrliche Weingelände, prächtige
Ölbaumpfianzungen, treffliche Weiden für Rinder imd Pferde und
bunten Marmor in Fülle bot'^*), war ihnen Land zum Bebauen ange-
wiesen worden, auf dem sie nach heimischer Sitte und vaterländischen
Gesetzen leben durften und nur eine bestimmte Anzahl kriegstüchtiger
Rekruten zu stellen hatten. £s war dies, wie in Thracien und Moesien
eine westgothische Colonie, so dort eine ostgothische, und gleichwie
die Westgothen nach Theodosius Tode mit ihrer Lage unzufrieden
gewesen waren, so hatte hier der ungeahnte Erfolg Alarichs auf der
einen Seite und die immer merklicher hervortretende feindliche Gesinnung
gegen die Fremdlinge auf der andern einen besonders günstigen
Boden für eine Erhebung geschaffen. Es kam noch hinzu eine solche
zu begünstigen, dafs grade zu dieser Zeit die Hunnen nicht nur über
den eisigen Ister gesetzt, sondern auch durch die kaukasische Pforte
in Armenien eingefallen waren, während die Perser über den Tigris'
vordrangen und Klein-Asien bedrohten. ^2) Aufserdem war den Bewohnern
dieser Gegend hinreichend bekannt, wie verfallen die Mauern der
meisten Städte waren und wie ungenügend die Besatzungen ^3); vor
allem aber stärkte den Tribigild die Oberzeugung, dafs er in einem
Kampfe gegen die Römer mit seinen Stammesgenossen nicht allein
sein, sondern dafs alle, soweit sie die germanische Zunge redeten, bis
auf geringe Ausnahmen sich seiner Fahne anschliefsen würden.
Hatte er schon vorher mit Gainas, damals dem ersten unter
'*) Claudian v. 153: Ostrogothis colitur mistisque Gnithungis
Phryx ager.
^ Das läfst sich daraus folgern, dafs nur gesagt wird, sie bebauten das
Land, nicht aber, dafs sie wie die Colonen Steuer und Pacht zahlten. Vgl.
Finlay I. S. 141, G. Kaufmann a. a. O. S. 249 ff. über diese Verhältnisse.
*^ Zosim. IV. 38 und 39. Er nennt sie ÜQod-iyyoi. Vgl. G. S. 134 — 136.
'*) Claudian v. 269 — 274.
'*) V. 104 flf. 475 ff. Vgl. unten Cap. 10 der Darstellung* Philostorg. XI. 8.
3») Claudian v. 275 ff.
/
lOI
den germanischen Heerföhrem, eine Verabredung getroffen oder hoffte
er nur auf dessen geheime Unterstützung'^*) — genug im Frühling
des Jahres 399, als der kaiserliche Hof sich eben anschickte , seine
Vorbereitungen für die Übersiedelung nach Ancyra zu treffen und
Eutrop noch im Wonnegefühl einer unbeschränkten Allgewalt schwelgte,
erhob er die Fahne des Aufruhrs in Phrygien.^*) Aber von hier aus
dehnte sich die Erhebung nach allen Seiten von Tag zu Tag weiter
aus, da aufser den eigenen Stammesgenossen Tribigilds alle germanischen
Sklaven die Gelegenheit wahrnahmen, ihren Herren zu entwischen, und
alles sonstige arbeitsscheue Gesindel sich zahlreich den Empörern
anschlofs : Bithynien, Jonien, Galatien imd Pisidien, in langem Frieden
reich gesegnet, wurden eine leichte Beute Tribigilds, dessen räuberische
Scharen die offenen Städte und Dörfer plünderten und die Bewohner
ohne Rücksicht auf das Geschlecht niedermetzelten, so dafs der sich
vor ihnen ausbreitende Schrecken die Bewohner des Binnenlandes
eiligst ans Meer und mit der beweglichen Habe zu den rettenden
Inseln flüchten hiefs. Die Nachricht von diesen Vorgängen beunruhigte
den allmächtigen Eunuchen anfangs keineswegs, er hielt die Bewegung
nur für den verwegenen Streich eines Abenteurers, der seine Erledigung
weniger durch die Waffe des Kriegers als durch das Schwert des
Henkers bald finden werde; doch als immer beängstigendere Botschaften
kamen und der Aufruhr immer gröfsere Ausdehnung annahm, ja ganz
Klein-Asien zu fürchten begann, da schickte er geheime Unterhändler,
welche die Habsucht des Führers, die er wohl kannte, durch sich
steigernde Geschenke befriedigen und damit dem drohenden Unheil
ein Ende machen sollten.^^)
**) Über diese wichtige Frage gehen die Quellen begreiflicherweise weit
auseinander: Zosimus, Socrates, Sozomenos, Theodoret stellen den Gainas von
vornherein als den eigentlichen Urheber hin, während gerade die nächsten Zeit-
genossen Claudian und Synesius nichts davon wissen. Aber die geringe Einsicht
der Kirchenhistoriker wird schon dadurch bewiesen,- dafs sie Eutrops Sturz ganz
aufser Zusammenhang mit diesem Aufstand erzählen.
^) Über die Erhebung berichten Zosimus V. 1 3 ff., Claudian in Eutrop. II.
95 ff. Socrates VI. 6. Sozomen. VIII. 4. Theodoret V. 32. Philost. XII. 8, Synesius
AiyvTtTioi rj tisqI TtQOVoiaq ed. Krabinger. Von den späteren Quellen berichtet
Theophanes zu 394 über den Aufstand ungenau und zum teil unrichtige That-
sachen. Ähnlich Cedren p. 328. Nicephor. XIII. 5 und 6 stützt sich vornehmlich
auf Sozomenos.
^) Claudian v. 304 — 320. — Darstellungen dieser Episode finden sich bei
Gibbon VIII. Anf. v. Wietersheim S. 120 — 123. Sievers S. 356 ff. Volkmann (für
den 2. Teil eingehend) S. 42 — 76 ; endlich bei F. Ludwig Der Hl. Johannes
Chrysostomus in seinem Verhältnis zum byzantinischen Hof. Braunsberg 1883.
S. 27 — 42.
tot
Damals nun war es gerade, dafs der Sophist Synesius als Ge*
sandter seiner Vaterstadt Kyrene die längst erbetene Audienz beim
Kaiser Arcadius bewilligt und somit die Erlaubnis erhielt, bei Über-
reichung eines goldenen Kranzes, seine seit langem vorbereitete Rede
demselben vorzutragen.^'') Es geschah dies jedenfalls vor dem auf
dem Throne sitzenden Kaiser, der umgeben von seinem Hofstaate
und an dessen Spitze dem magister officiorum als Oberceremonien-
meister der Betrachtung des Sophisten „Über das Königtum" zuhörte.
Diese Rede hat sowohl vor vielen anderen des Altertums als auch
^or den übrigen Geisteserzeugnissen des Synesius eine überwiegende
Berühmtheit erlangt, weil sie, vor dem allgebietenden Kaiser des Ost-
reichs gehalten, ungescheut '^) in kühner und begeisterter Sprache ein
Bild des wahren Königs vor ihm, der nicht ein Schatten desselben
war, entrollte, wie ihn sich die Phantasie des Redners in patriotischer
Gesinnung und idealer Gestalt ausgemalt hatte.
Synesius beginnt mit dem Zweifel, ob man die lange nicht ge-
sehene Philosophie hier noch kennen und gastlich aufnehmen werde,
denn nicht heitere Reden und schmeichlerische Worte werde sie
bringen, sondern manches tadeln, was Königtum und König berühre.
Gleichwohl sei eine freimütige Rede vor allem der Aufmerksamkeit
eines Herrschers wert, weil sie der Gymnastik und Heilkunde gleiche,
welche dem Körper zwar augenblicklichen Schmerz verursachen, aber
ihn erretten. Die Veranlassung zu seiner Sendung sei die, dafs
Kyrene ihn abgeschickt habe einen goldenen Kranz zu überreichen,
eine schwer getroffene Stadt, die aber hoffentlich durch Arcadius
Fürsorge sich bald wieder erheben werde. Doch vermag nicht die
Stadt eine Rede zu adeln, denn ihr Adel ist die Wahrheit. Sie be-
schäftige sich einmal mit dem, was dem König ziemt, sodann; was
nicht, Arcadius aber möge dabei seine Gefühle nicht zurückhalten
und seiner Reue sich nicht schämen. Zwar die Gröfse seiner Macht
und Herrlichkeit erkennt 'auch Synesius an, doch, weil die Glücksgüter
leicht beweglich sind, so lobt er den Kaiser deshalb nicht, sondern
3*^ Volkmann nimmt S. 25 an, dafs die Rede erst nach dem Tode des
Eutrop gehalten wurde, während Sievers S. 384 sie vor seinem Sturz ansetzt.
Ihm schliefse ich mich deshalb an, weil nach dem Sturze des Eutrop zunächst
Friede geschlossen wurde, also nicht mehr, wie Synesius cap. 21 sagt, einzelne
Teile des Reichs entzündet waren.
^ Synesius sagt De insomniis p. 148 D. selbst von seiner Gesandtschaft:
xal ig TTjv ßaaiXeiag ofiiXlav rc5v n<onoxe ""EXXiqvtav d-a^^XewreQov nttQe-
axriaato (sc. fie).
IQ3
fordert ihn auf denen nachzuahmen, die gleich seinem Vater Theo-
dosius ihr Glück durch die Tugend eming^i haben. Während dieser
durch seine Tüchtigkeit die Herrschaft gewann, verdanke er sie dem
Glücke und müsse daher bei seiner grofsen Jugend versuchen, sie
durch Anstrengungen und Mühen sich zu verdienen und zu erhalten,
um so mehr, als auch des Theodosius Glück durch Neid und Kürze
getrübt war. Denn dadurch unterscheide sich eben der König vom
Tyrannen, das jener nur für die Unterthanen lebt und sorgt, dieser
nur für sich und auf Kosten derselben. Darum möge Arcadius bei
seiner Jugend, die, wie ein Strom, wo Auswege sich bieten, nach
beiden Seiten neigt, die Philosophie sich als Leiterih nehmen und das
Gesetz seine Sitte, nicht seine Sitte das Gesetz sein lassen. Da Stärke
ohne Weisheit nichts vermag, wohl aber beide vereint, so möge Ar-
cadius seine Herrschaft der Weisheit in die Hand geben, dann werden
die übrigen Tugenden von selbst folgen; denn die äulseren Güter
können zum guten wie zum bösen ausschlagen, je nachdem sie in
eines Guten oder Bösen Hand kommen. Arcadius nun gebrauche sie
zum Wohle seiner Unterthanen und folge darin dem Beispiel des
,3iiniQhschen Königs''. Das ist einer der Namen, mit denen man
Gott nicht nach seinem Wesen, sondern seinen Werken benennt; man
heifst ihn überall auf Erden „gut", weil von ihm alle Segnungen aus-
gehen. So möge Arcadius der gleichen Benennung eingedenk ihm
darin nachzutrachten suchen, und während der Redner ihm das Bild
des Königs, wie er sein soll, schildern will, mache er ihm in sich
selbst dieses Bild belebt und beseelt!
Die Grundlage, auf der es ruht, ist ohne Zweifel die Gottes-:
furcht, auf welcher es nie durch Stürme umgeworfen werden kann,
Sie wird dem Könige die Kraft verleihen, vor allem über seine eigenen
widerstrebenden Neigungen Herr zu sein und so ein Vorbild für alle.
£r soll zuerst stets mit sich selbst zu rate gehen, dann aber mit seinen
Freunden, einem Besitze, wie es keinen anderen königlicheren giebt,
insofern er den Mangel der Natur ergänzt und die Kraft des einzelnen
vervielfältigt. Doch mufs der König sich hüten, dafs unter der Maske
der Freundschaft die Schmeichelei sein Herz verderbe und in die
tiefsten Gemächer eindringe. Seine nächsten Freunde müssen die
Krieger sein, mit denen er die gleichen Anstrengungen ertragen
möge, damit sie in Wahrheit seine Streitgenossen sind. Denn nur
so wird er ihre Treue und Zuneigung gewinnen, aber nidit ein König,
der den Truppen erst durch den Maler bekannt wird. Will er nun
die Krieger als seine Werkzeuge gebrauchen, so mufs er sie auch
kennen und zeigen, dafs er sie kennt, indem er nicht nur die Führeri
io4
sondern auch die Gemeinen mit Namen ruft, lobt und anspornt, wie
es schon die Könige bei Homer thun.
Nichts aber hat den römischen Staat mehr verdorben als die
geheime Feier der Kaiser als Götter und die öffentliche barbarische
Ausstellung dessen, was sie betrifft. Sie fürchten den Menschen ein
gewohnter Anblick zu werden und wissen nicht, dafs sie dadurch die
Gelegenheit verlieren, praktische Einsicht zu gewinnen und die mensch-
liche Vollendung zu erreichen. Sie schliefsen sich vielmehr im Palaste
ein und führen, nur den Geschmacks- und Tastsinn reizenden Ver-
gnügungen huldigend, das Leben eines Meerpolypen. Auch finden
sie nicht Gefallen an verständigen Gedanken in deutlicher Sprache,
sondern sie umgeben sich mit Possenreifsem und Narren, während
sie gegen die Verständigen Verdacht hegen und vornehm thun. Sie
vergessen dabei, dafs eine Herrschaft durch das Gegenteil von dem,
wodurch sie gestiftet ist, zu Grunde geht Ist nun aber der römische
Staat besser daran, seitdem die Könige sich in Purpur und Gold
hüllen, mit kostbaren Steinen Diadem, Schuhe, Gewand, Spangen und
Thron zieren, ein allfarbiger Anblick wie der des Pfauen? „Da staunen
euch die Menschen an, wenn ihr in solchem Prunkmantel in den
Senat geht als Consul, als die Lasttragenden, die allein seligen der
Senatoren. Gewöhnliche Fufsbänke genügen euch nicht, Lasten von
Goldsand werden herangeschleppt und selbst mit dem Leder der
Schuhe prunkt ihr. So lebt ihr wie Eidechsen, die die Sonne scheuen,
und seid schlechter daran als damals, da Männer die Heere befehligten,
öffentlich lebend, gebräunt von der Sonne, einfach und natürlich sich
haltend, aber heute im Bilde von den Knaben verspottet Sie hemmten
nicht die Barbaren durch Befestigung der Heimat, sondern durch
Siege über Parther, Geten, Massageten, indem sie häufig Euphrat und
Ister überschritten. Heute erfüllen diese euch mit Schrecken, setzen
über den Strom und heischen Friedenslohn!" Diese Vergleichung
aber soll nicht zur Schmähung dienen, sondern nur, den Prunk der
Jetztzeit und die Schlichtheit der alten in ihrer Nacktheit einander
gegenüber zu stellen. Carinus wurde von den Gesandten der Parther
in der Kleidung des gemeinen Soldaten bei Erbsenbrei mit ranzigem
Schweinefleisch getroffen, und dieser Anblick sowie sein kahles Haupt,
dessen er sich nicht schämte, bestimmten sie, den König um Frieden
zu bitten, während heute eine Leibwache, auserlesen aus dem Heer,
stattlich, schlank, blondhaarig, duftend von Salbe das Haupt und Ant-
litz, goldbeschildet und belanzt den Herrscher umgiebt
Hochmut und Prunk müssen also vom Königtum verbannt
werden und Arcadius möge den Anfang zur Rückkehr zum Guten
machen. Denn ,,in unserer Lage stehen alle auf der Schärfe
des Messers'', und es bedarf Gottes und des Königs, das schon
lange schwanger gehende Geschwür des Römerreichs vor der Zeit
wegzuschneiden. Dazu aber ist vor allem nötig, dafs die Krieger
einheimische, nicht Barbaren sind, die, wenn sie die Schwäche
des Reichs sehen, leicht auf den Gedanken kommen könnten es zu
unterjochen. Hiervon giebt es bereits Beispiele, und noch sind
einzelne Teile des Reichs entzündet, weil das Fremdartige
mit dem Heimischen nicht harmonieren kann. „Man mufs sie aus-
stofsenl'' aber nicht so, dafs man gegen sie keine Gegenmacht
rüstet, vielen Dienstfreiheit gewährt und den Heimkehrenden gestattet,
sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Nein! vom Pflug, aus der
Schule des Philosophen, aus der Werkstatt und der Krämerbude mufs
die Jugend hervorgeholt werden, statt im Theater zu leben. Denn
die Verteidigung des Landes ist eine männliche, die Verwaltung des
Innern eine weibliche Tugend. Bevor es aber dahin kommt, dafs die
Bewaf&ieten über die Städter gebieten, möge lieber der Römergeist
erweckt, mögen lieber Siege erfochten und keine Gemeinschaft mit
den Barbaren geduldet werden. Deshalb müssen sie zuerst aus den
obrigkeitlichen Ämtern und dem Senat entfernt werden, gilt
ihnen doch die Toga für schimpflich, so dafs sie sie erst kurz vor
der Senatssitzung an- und gleich nach derselben wieder ausziehen,
weil sie die Schnelligkeit des Schwertzuges hindere. Jedes begüterte
Haus hat einen scythischen Sciaven, und haben Crixus und Spartacus
schon einen so gewaltigen Krieg erregt, um wie viel mehr werden
diese, die zahlreich im Hause als Sciaven, im Heere und in der Obrigkeit
sind, über die Einheimischen herfallen! Darum möge Arcadiu^ das
Heer wie einen Weizenhaufen reinigen und nicht vor der Schwere
des Amtes verzagen, sondern bedenken, welcher Männer König er sei.
Denn die Scythen sind von jeher nur für einige Zeit furchtbar ge-
wesen, sie kamen hülfeüehend zu den Römern und wurden aufge-
nommen; da empörten sie sich, wurden von Theodosius gezüchtigt,
aber leider, milde behandelt, wurden sie seine Streitgenossen, erhielten
obrigkeitliche Ämter und ein Stück Land angewiesen. Seit dieser
glimpflichen Behandlimg verlachten sie die Römer und zogen durch
ihren Ruf gar noch ihre Nachbarn herbei.
Hat Synesius soweit den kriegerischen König geschildert, so
soll jetzt der friedliche im Bilde gezeigt werden: der kriegerische
König wird nämlich, da der Krieg nur Mittel zum Frieden sein darf,
stets friedlich sein und seinen Völkern auch die Segnungen des
Friedens zukommen lassen sowie sich persönlich durch Reisen von
io6
ihrer Lage überzeugen. Darum nehme er auch die Gesandtschaften,
durch die er alles beschauen und vernehmen kann, freundlich wie
ein Vater auf! Die Krieger selbst aber müssen schonend mit den
Bürgern, die für sie die Lasten tragen, umgehen und nicht mehr
nehmen, als ihnen zukömmt. Auch ist es nicht königlich die Ge-
meinde durch Abgaben zu drücken, da der gute König nicht kost-
spielige Werke errichtet und den Schweifs der Edlen im Theaterspiele
vergeudet; das Nötige aber kann ohne Beschwerden eingetrieben
werden. Ein habsüchtiger König ist schändlicher als ein Krämer,
der doch schon überall niedrig, schlecht geartet und ohne alle edle
Bildung ist und nur in einem kranken Staate eine nicht ganz ehr-
lose Stellung findet.^®) — Zum Schlufs fafst der Redner noch einmal
seine Gedanken zusammen, betont vor allem, dafs der König seine
Würden gerecht, nach Verdienst und nicht nach Reichtum verteile an
die, welche er genau keimt, dafs er die Weisen und Gerechten, trotz
ihres unscheinbaren Gewandes hervorziehe, die Philosophie und wahre
Bildung liebgewinne — mit einem Wort! dafs er das vom Redner
entworfene Bild beseele, damit S3mesius selbst noch die erste Frucht
seines Samens geniefse, wenn er komme, um über das, was Kyrene
erfleht, sich günstigen Bescheid zu holen.*®)
Diese Rede ist deshalb von so hoher Bedeutung, weil sie in
allen ihren Teilen das Bild eines Staatswesens entrollt, welches dem
oströmischen der damaligen Zeit gerade entgegengesetzt war: denn
Arcadius suchte nicht durch eigene Tüchtigkeit sich des Thrones
wert zu machen, er musterte nicht die Truppen persönlich und
war ihr Genosse im Kampf, er schlofs sich vielmehr völlig vom öffent-
lichen Leben ab und zog nicht die edelsten seiner Unterthanen in
seine nächste Umgebung, sondern elende Schmeichler und niedrige
Seelen, er gab nicht die Ehrenstellen in Heer und Verwaltung an
die ihm als die geeignetsten bekannten Männer, sondern liefs* seine
Kreaturen einen hinunelschreienden Ämterhandel treiben — und diesen
Fürsten, der in allem das gerade Gegenteil des idealen Königs des
Redners war, fordert Synesius mit kühner Stirn auf, den Krebsschaden
des Reiches, das Übergewicht der Barbaren, durch rücksichtsloses
Durchgreifen zu beseitigen, und das zu einer Zeit, da das Heer noch
ganz in den Händen germanischer Feldherrn und Offiziere war und
vielleicht manche von diesen bei der Audienz zugegen sein mochten.
^) Eine für uns unverständliche^ verächtliche Meinung vom Handelsstande !
**) Synesius erhielt für sich Freiheit vom Dekurionat und seine Vaterstadt
Herabsetzung der Steuern. Aiyvnzioi I. cap. i8.
I07
Welch' peinliches Gefühl mufsten seine Worte in dem entarteten Sohne
des grofsen Theodosius hervorrufen» wenn anders seine schläfrige
Seele die erhabenen Gedanken des Redners überhaupt verstand und
erfafste! Doch zürnte er dem kühnen Sophisten nicht, weil er auf
dessen guten Willen sah und augenblicklich von Aurelian beeinflufst
dem fremden Elemente abhold war; und auch der Eunuch mufste zu
den verschiedenen auf ihn gehenden EUeben schweigen, da die Lage des
Reiches immer beängstigender wurde. Aber für die Germanen selbst
war diese Rede gewissermafsen die Kriegserklärung der römischen
Partei, und wer von ihnen Augen hatte zu sehen imd Ohren zu hören,
der mufste sich sagen, dafs die Entscheidung nahe.
Es war daher ein grofser Fehler des Arcadius oder des Eutrop,
dafs nicht ein energischer römischer Feldherr als Oberbefehlshaber
gegen Tribigild abgesandt wurde, sondern der schon oft genannte
Magister militum Gainas.^^) Bei der Gährung, welche schon lange
im .Ostreiche gegen die Germanen sich fühlbar machte , ist es nicht
nötig anzunehmen, dafs er überhaupt der Anstifter der ganzen phry-
gischen Erhebung war, obwohl Zosimus und die Kirchenhistoriker ihn
als solchen hinstellen *^) ; ausschlaggebend wird nicht sowohl Qaudian
sein können, welcher, wie das erhaltene Stück seines zweiten Buches
gegen Eutrop beweist, den alten Waflfengefährten des Stilicho nicht
blofsstellen durfte, sondern einzig und allein Synesius, der den Aufstand
mit am Hofe erlebte, niit den leitenden Männern sehr vertraut war
und keine Veranlassung hatte, den Gainas zu schonen. Man darf
deshalb wohl annehmen, dafs Stilicho das Wagnis des Freundes mit
Wohlwollen begleitet, aber keineswegs, dafs er es angestiftet hat.
Die Gründe, welche diesen bestimmten, eine anfangs zweideutige und
später offen feindselige Haltung gegen die Regierung anzunehmen,
kamen vielmehr aus dem unerquicklichen Verhältnis, welches allmählich
zwischen Germanen und Römern entstanden war, und vielleicht trug
gerade die Rede des Synesius dazu bei den schwankenden General
*^) Er hatte sich vom Überläufer und gemeinen Soldaten zum Feldherm
emporgeschwungen, befehligte barbarische Hilfstruppen im Kriege gegen Eugen
und hatte bekanntlich die von Stilicho entlassenen Soldaten des Orients nach
Constantinopel zurückgeführt, vgl. G. S. 223. Er wird genannt azQatOTtsddoxijg
zwv dXXo^k(ov von Synesius AiyvTtnoiI» 15; argattiXaTrig QCDfiaiXfov inni-
x^g TS xal ns^ix^g von Socrat. VI. 6; atQattjyog von Sozom. VIII, 4. Philost.
XI. 8. Jordanis cap. 34 und Marcell. Com. nennen ihn comes ; doch war er gewifs
bei seiner lanjgen Dienstzeit und Auszeichnung magister militum. Vgl. Tillem.
note 27 sur Arcade.
«) Vgl. Anmerk. 34.
io8
zum Rebellen zu machen. Fragt man sich, welchen Plan er bei seinem
Abfall verfolgte *2aj^ go zeigt der Verlauf des Krieges, dafs er ein be-
stimmtes, fest formuliertes Ziel nicht besafs, jedenfalls dachte er nicht
daran den Kaiser zu stürzen, denn, obwohl er ihn und den ganzen
Hof später in der Hand hatte, hat er es nie versucht sich selbst oder
einem anderen die Krone aufzusetzen. Ihn unterschied von Alarich,
dafs er nicht von einem zahlreichen, eng geschlossenen Volke zum
König erhoben, sondern nur der rebellische Gebieter von allen mög-
lichen Stammen angehörenden Söldnern war, von denen die Ostgothen
blofs einen geringen Bruchteil bildeten.
So fühlte er sich am Ende, als er äufserlich im Besitz der Haupt-
stadt und damit des Reiches zu sein schien, doch seiner Kräfte nicht
sicher und dem nationalen Hafs der Römer, der ihm überall begegnete,
nicht gewachsen, obwohl fast alle germanischen Truppen sich ihm an-
schlössen, nicht nur die arianischen, sondern auch die heidnischen. Trotz-
dem scheiterte seine Erhebung, welche im Anfang von so ungewöhnlichem
Glück begleitet war, und bei der ihn eben jener Typhos des Mythos,
der Bruder Aurelians, ein Bundesgenosse gewesen ist. Dieser nämlich,
so erzählt Synesius^^), unzufrieden damit, dafs Aurelian an die Spitze
der Verwaltung gestellt war, und von seiner intriguanten Gattin gequält,
fafste mit ihr den Gedanken, sich auf gewaltsame Weise der Herrschaft
zu bemächtigen. Sie machte sich daher an die Frau des Heerführers
der fremden Truppen, die damals in der Hauptstadt weilte, während
ihr Mann (Gainas) einen unglücklichen Feldzug gegen einen abgefallenen
Teil des Landes führte, und redete ihr ein, Aurelian habe gegen
ihren Mann den Verdacht der Verräterei gefafst und gedenke ihn
seiner Würde zu entsetzen, sobald er aus dem Kriege zurückgekehrt
sei und die Waffen niedergelegt habe; das ganze Scythenvolk solle
aus dem Lande gejagt und die Landesverteidigung nur Einheimischen
anvertraut werden. Dann trat sie offen mit dem Vorschlag eines Abfalls
und einer Empörung hervor, indem sie versicherte, der Widerstand
werde nur gering sein und Typhos müsse die Leitung des Staates
übergeben werden. Doch, welche Wirkung sie mit diesem Vorschlage
ausübte, müssen wir vorläufig beiseite lassen und uns erst zu Gainas
Feldzug gegen Tribigild zurückwenden.
Neben Gainas hatte den Oberbefehl über die Truppen der
Freund und Günstling des Eutrop Leo**), ein unfähiger Militär,
"a) Vgl Hertzberg III. S. 412.
*3) AlyvTttioil, cap. 15: rvQevEtai Stj xo xaxbv iv ovo yvvaixtavitsifi,
*•) Zosim. V 14. Claudian in Eutrop. II. 376 fF. Eunap. frgm. 76.
log
erhalten und wandte sich mit seinem Corps nach Asien übergesetzt
an den Hellespont, während Gainas aus Thracien in den Chersonnes
zog und die europäische Küste dieser Meerenge gegen eine feindliche
Landung zu decken beauftragt war.^^) Doch müssen wir annehmen,
dafs er schon damals entschlossen war, weniger die Erhebung Tribigilds
zu dampfen als ihr Vorschub zu leisten, und dafs sie schon früher
gemeinschaftliche Sache gemacht hätten, wenn der letztere sich dem
Hellespont genähert hätte. Tribigild aber, welcher mit den römischen
Streitkräften unter Leo zusammenzustofsen fürchtete, warf sich von
dem ausgeplünderten Phrygien nach Pisidien und bereitete diesem
dasselbe Schicksal; jede Stadt wurde erobert, die Bewohner mitsamt
den römischen Besatzungen getötet, indes die barbarischen sich in
den Scharmützeln überall ihren Stammesgenossen anschlössen. Nun
endlich setzte auch Gainas nach Asien über, da Leo nicht wagte,
seinen Standort zu verlassen ^^), aus Furcht vom Meere abgeschnitten
zu werden, doch ohne thätig einzugreifen und der Verwüstung Ein-
halt zu thun, weil Tribigild, wie er nach Constantinopel berichtete,
ihm zu übermächtig und gefahrlich erschien. Im geheimen jedoch
knüpfte er nun Unterhandlungen mit ihm an und stellte Unterstützung
in Aussicht ; aber Tribigild hatte immer noch nicht den Mut sich mit
ihm zu vereinigen, so lange Leo mit den Römern ihm im Wege stand.
Statt vom Plateau Klein-Asiens nach der Küste Lydiens herab-
zusteigen, gedachte er noch Pamphylien zu verwüsten und geriet dabei
in schwer zugängliche Wege, welche für seine Reiterei nicht gangbar
waren, und fand in dieser von Bergen ganz durchzogenen Landschaft
einen ungeahnten, tapferen Widerstand. Ein kühner Bürger der kleinen
Stadt Selge^''), Valentinus mit Namen, sanunelte eine Menge Sklaven
und Bauern, welche durch ihre fortwährenden Kämpfe mit den Isaurischen
Räubern im kleinen Kriege geübt waren, und stellte sich auf den Höhen
auf, welche den von Pisidien nach Pamphylien führenden Pafs beherrschten.
Nachdem Tribigild auf ebenerem Wege mit seinen Barbaren zu den
niedrigeren Teilen Pamphyliens geritten war, kam er noch in ^der
Nacht zu den unterhalb Selges gelegenen Gegenden.**) Hier nun
**) Zosim. a. a. O. vgl. Philost. XI. 8.
*^) Zosim. V. 15., vgl. Claudianll. 405 ff. über die Haltung des römischen
Heeres.
*7) Was den Tribigild hierher lockte, verrät Strabo ed. Kramer XII. 7, 3:
d'avfiaarri d* iaxlv ^ fpvciq t<Sv ronwv • iv yaQ tatg dxQofQsiaiq rov TavQOv
Xfoga (AVQiaöaq r^i^eiv Swa/xivt] atpoöga evxaQUoq iaziv, äars xal ikaio-
<fyv%a slvai nokXa xwQla xal sva/jineka, vofiäq re dtpd-ovovq dvstod'ai navxo-
öanoZq ßocxri^aci xxi.
^^ Ebend. (^ S^Xy^xri) ixei 6' oXlyaq nQooßäaeiq negl t^v noXiv xal
HO
empfing sie ein heftiger Regen gröfserer und kleinerer Felsblöcke und
Steine aus den Schleudern der im Hinterhalt liegenden Römer, und
ein Entrinnen war nicht möglich , da sich auf der einen Seite des
Weges dn tiefes Moor und Sumpf ausdehnte, auf der anderen dagegen
ein enger, nur für zwei Mann Raum gewährender Zugang, welcher
von einem gewissen Florentius mit ausreichenden Streitkräften besetzt
gehalten wurde. Während aber die meisten Barbaren sich seitwärts
einen Weg suchten und in den Sümpfen ihren Tod fanden, erklomm
Tribigild mit dreihundert Mann den Ausweg, bestach den Florentius
mit einem Haufen Goldes und entkam glücklich. Doch wenn er
gemeint hatte, nunmehr allen Gefahren entronnen zu sein, so geriet
er jetzt in noch gröfsere Verlegenheiten, denn in diesem entlegensten
Teile des Ostreichs regte sich wunderbarerweise neben dem ange-
borenen kriegerischen Sinne ein lebhaftes Nationalgefähl, welches die
Bewohner der Städte die Waffen ergreifen und den Tribigild zwischen
den Flüssen Melas und Eurymedon^^) einschliefsen liefs.
Da blieb far den so umhergehetzten Aufrührer und seine arg
zusammengeschmolzene Schar nur noch eine Hülfe: Gainas, welcher
auf die Bitten Tribigilds, da er noch nicht offen seine geheimen Pläne
gezeigt hatte, zum Schein den Leo nach Pamphylien entsandte mit
dem Auftrage Tribigild abzufangen. Er selbst aber rückte ihm eiligst
nach und liefs immer eine Abteilung seiner Truppen nach der anderen
heimlich zu Tribigild übergehen, sq dafs, als Leo zum Kampfe schritt,
er nicht eine dem Hungertode nahe winzige Mannschaft, sondern ein
starkes, wohlgerüstetes Heer sich gegenüber fand. Dazu machten
seine eignen germanischen Hülfstruppen mit den Feinden gemdn-
schaftliche Sache, wandten sich gegen den geringen Rest der treuen,
römischen Truppen und rieben sie völlig auf. Leo selbst, welcher dem
drohenden Verhängnis sich durch die Flucht zu entziehen suchte, fiel
mit seinem Pferde in einen Sumpf und kam elend um.*^) Wie leicht
wäre es dagegen Gainas gewesen, diesen Ausfall zu verhindern und
dem ganzen Aufstand ein Ende zu machen durch die Vernichtung
des Tribigild! Aber davon wufste man in der Hauptstadt so gut wie
ovaav nXriQri . . . öia re tijv SQv/jtvoxrjta ovri ngoregov ovS* vate^av ovf
4ma§ ol Sslysig in aXXoig iyivovto xrh, — Zosim. cap. i6.
*^) Zosim. a. a. O. iv fiiatp tov MiXavog noxagiov xal zov Ev^vßi-
öovxoq, <bv 6 fjihv inixeLva diaßalvei z^g Sid^ig, 6 öh na^Qel ty ÄöTiivdtp,
^) Über diese KLatastrophe berichten Zosim. V. 17 und Claudiaa v. 430
bis 455. Doch läfst der letztere den Leo, während er mit seinen Genossen tafeU,
mberfftUen werden; die Art des Tqde^ kennt Zosinpu nichL
I
III
nichts, denn Gainas pries &l) das Feldhermtalent und die Heeresmacht
desjenigen, der nur durch seinen Verrat dem Untergang entronnen
war, in so übertriebenen Ausdrücken, dafs ganz Constantinopel zitterte
und ihn im Geiste bereits vor seinen Thoren sah.
Diese gedrückte Stimmung am Hofe, von der er sicherlich unter-
riditet war, benutzte Gainas, um seinem lange gegen den Eutrop
gehegten <>^) Neide und Hasse Luft zu machen. Denn man kann sich
denken, dafs der so vom Glück begünstigte Eunuch aufser jenen*
Scheinfreunden, die oben geschildert worden sind, nur Feinde hatte,
und dafs auch Gainas auf die höhere Würde des Q)nsuls und Patricius
desselben scheel sah. Er sandte daher einen Boten an den Kaiser
mit der Erklärung, er sei nicht im stände dem andrängenden Emporer
Widerstand zu leisten und gebe es auf Asien zu schützen, die dnzige
Rettung b«*uhe darauf, dafs Arcadius der Forderung des Tribigild
nachgebe, welche in der Auslieferung des Eutrop bestehe.^^^) Wäre
der Kaiser von personlichem Stolze erfüllt gewesen, würde er einen
so treuen Diener, für den er doch den Eunuchen halten mufste, nicht
ohne weiteres preisgegeben haben, aber einmal fehlte ihm wirklich
der Mannesmut, mit dem er dem drohenden Empörer allein hätte
trotzen können, andererseits hatte Eutrop auch seine letzte mächtige
Stütze am Hofe, die Gunst der Kaiserin Eudoxia, seit einiger Zeit
verscherzte^) Was eigentlich zwischen ihnen vorgefallen, ist nicht
ganz klar, es scheint, als ob der Eunuch auf seine Macht über Arcadius
pochend, ihr ihre Vergangenheit und seine Hülfe zur Vermählung
vorgehalten hat, jedenfalls beklagte sich Eudoxia eines Tages unter
Thränen, an der einen Hand die zweijährige Flaccilla, an der anderen
die kleine Pulcheria^^), bei ihrem kaiserlichen Gemahl über das Betragen
^*) Claudian v. 462 S.;
Jam vaga pallentem densis terroribtts aulam
Fama quatit: stratas acies, deleta canebat
Agimna, Maeomos foedari caedibus agros,
Pamphylos Pisidasque rapi.
Vgl. Zosim. V. 17.
^^ Zosim. V. 13 Ann und 17: dneHvaie yuQ avwav ov tb naQaoQä<fB-ai
xoaovxov oaov EvQonioq sig dxQotatov ijxwv rjötj dvvafiewQ äaxe xaX eiq
ixatovQ dvec^^fid^v€u xul t(p XQ^^V ^i^ead-ixi r^v xovxov TCQOQtjyoQlav xal
ZipNjd^ai t§ rwv nwiQLxlwv a^ia,
»») Cap. 17 Ende.
^) Fhilost. XI. 6. ansfahrlich. Socrat. VI. 5. nQoaxQOvcaq xtf ßaaiXsT,
Sozomen. VIII. 7. dg slg tjJv ßaaiXswg yafiixriv vßQlaag inißovXsv^slg.
*') Philost. a. a. O. nennt sie nicht, sondern spricht nur von den beiden
ältesten Kindern; Daher waren es i. Flaccilla geb. 397 Marc. Com. Chron.
Pasch. 2. Pnlcheria ebendas. vgl. Tillem. note 18 und 19 sur Arcade.
If2
seines Oberkämm^rers, und das mag die Stellung desselben am Hofe
sehr erschüttert haben.
Als nun Eutrop erfahren, welches Ansinnen Gainas an den
Kaiser stellte, und dafs es auf ihn abgesehen sei, da ergriff ihn, der
mit seinen Genossen die Erhebung der Gothen so geringschätzig
behandelt hatte, weibische Schwäche; nicht sah er dem nahenden
Unheil mit dem Mute eines Mannes entgegen, der erkannte, dafs
•er sein Spiel verloren habe und mit dem Tode büfsen müsse, oder
bot sich selbst wie später Aurelian als Opfer für das Vaterland dar,
sondern in feiger Flucht suchte er den Ort auf, dem er selbst einst
vergeblich die Heiligkeit zu rauben versucht hatte, den Altar der
ELirche^^^)! Kein Mensch war ihm in dieser schweren Zeit ein treuer
Helfer und Tröster, . von allen seinen Genossen meldete sich keiner,
das Unglück mit ihm zu tragen, wie Spreu vor dem Winde wichen
sie vor dem gefallenen zurück, leugneten jede Verbindung mit ihm
oder suchten wohl gar in seinem Verderben das eigne Heil.*'')
Aber auch an jener unverletzlichen Stätte in der Sophienkirche
war er nur für den Augenblick gerettet, denn als das Heer in Con-
stantinopel erfahren, dafs der Eunuch dort Schutz suche, strömte es
vor dem kaiserlichen Palaste zusammen und forderte seine Hinrichtung.
Der Kaiser hielt eine längere Ansprache an die Truppen, ihren Unwillen zu
besänftigen, und erinnerte an die Gutthaten des gestürzten Mannes.
Als aber jene immer von neuem zur Rache des verletzten Kaisers
drängten, schrieen und ihre Lanzen schwangen, da wies sie Arcadius
unter Thränen auf die Heiligkeit des Altars hin, und es gelang ihm
sie für kurze Zeit zu beruhigen.*^) Trotzdem kamen tags darauf
Schergen mit der Absicht ihn seinem Asyl zu entreifsen, doch Johannes
*•) Socrat. VI. 5. Sozomen. VIII. 7. Zosim. V. 18 mit dem merkwürdigen
Zusatz in Bezug auf die christliche Kirche; exovaav €$ ixelvov zb aavkov,
Claudian praef. in Eutrop. II. 27:
Suppliciterque pias humilis prostratus ad aras
Mitigat iratas voce tremente nurus.
") Claudian V. 15:
Dissimulant socü conioratique recedunt
Procumbunt pariter cum duce tota cohors.
(Hierauf bezieht Sievers S. 360, dafs an Stelle des Osius Cod. Theod. VI. 27, 11
am 16. März Hadrian als magister ofüciorum erscheint, doch hat hier der sonst
so aufmerksame Forscher übersehen, dafs dies Gesetz ans Mailand datiert ist.
Aufserdem war Eutrop damals schwerlich schon gestürzt.) — Homilie des Jo-
hannes Chrysostomus auf Eutrop Anfang.
*•) ^OfjiiXla slg EvxQOTtLOV evvovxov TtargLxiov xal vnatov. 111. Bd. der
opera omnia Johannis Chrysost. ed. Montfaucon. cap. 9 und ii. Vgl. Ludwig
a. a. O. S. 28 ff.
"3
Chrysostomus hielt die wütenden von dem vor Angst und Zittern
fast vergehenden Eunuchen zurück. Als nun der Sonntag erschien
und die Bewohner Constantinopels sich zu tausenden in die Kirche
drängten, weil sie wufsten, dafs der Oberhirte sich diese seltene Gelegen-
heit, an praktischem Beispiel die Nichtigkeit alles Irdischen zu erläutern,
nicht entgehen lassen würde, da hielt Johannes seine berühmte
Predigt auf den gefallenen Eunuchen^^), der in Scham, Jammer
und allen Seelenqualen unter dem Altartische zusammengekauert lag.
„Immer zwar, begann er, jetzt aber am meisten ist es angebracht
zu sagen: Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist eitel I Wo ist der
helle Glanz des Consulats? wo die strahlenden Fackeln? wo das
Beifallsgeschrei, die Chorgesänge, die Gastmähler und Feste? wo die
Kränze und Teppiche? wo der Lärm der Stadt und die Zurufe des
Circus und die Schmeicheleien der Zuschauer? Dies alles ist dahin,
ein heftiger Wind hat die Blätter abgeschüttelt und uns den entlaubten
Stamm gezeigt, der schon in der Wurzel wankt. — Wo sind jetzt die
heuchlerischen Freunde? wo die Trinkgelage und Festessen? wo der
Schwann der Schmarotzer, wo der den ganzen Tag in Strömen fliefsende
Wein und die mannigfaltigen Künste der Köche und die, der Macht
huldigend, alles nach seinem Wunsche thun und sagen? Das alles war
ein Traum in der Nacht, und als es Tag geworden, war es verschwunden.
Frühlingsblumen waren es, und als der Frühling vergangen, war alles
verwelkt Habe ich dir nicht, so wandte er sich dann an
den Eunuchen selbst, beständig gesagt, dafs der Reichtum flüchtig
ist? du aber wolltest es nicht hören. Sagte ich dir nicht, er sei ein
undankbarer Sklave? du aber wolltest es nicht glauben. Siehe, nun
hat die Erfahrung gelehrt, dafs er nicht nur flüchtig und undankbar,
sondern auch mörderisch ist, da er dich in Zittern imd Zagen ver-
setzt hat. Sagte ich dir nicht, als du mich, den die Wahrheit redenden,
unaufhörlich schmähtest, dafs ich dir mehr wert sei als die Schmeichler ?
. . Wo sind jetzt deine Zecher, wo die, welche auf dem Markte umher-
stolzierten und dein Lob auf allen Gassen sangen? Weggelaufen
sind sie, leugnen deine Freundschaft ab und suchen ihr eignes Heil
in deiner Verfolgung. Wir aber sind nicht also und haben dich, den
Unwilligen, nicht aufgegeben, sondern schützen und sorgen um dich,
den Gefallenen. Die von dir feindlich behandelte Klirche hat dich
hegend in ihren Schofs aufgenommen, das aber von dir so geehrte
^^) Mit Recht widerspricht Sievers S. 359 der Meinung des Socrates VlI. 5
und Sozom. VIII. 7, dafs diese Eredigt geeignet war das Zartgefühl der An-
wesenden zu verletzen. Vgl. Neander Johannes Chrys. II. S. 61.
8
114
Theater, um dessen willen du uns oft zürntest, hat dich verraten und
zu Grunde gerichtet!"
Doch versäumte Johannes nicht mehrfach darauf hinzuweisen,
dafs er dies nicht sage, um den Gestürzten zu schmähen *ö), sondern
um die noch Stehenden zu warnen und zum Mitleid zu bewegen, und
forderte wiederholt die Anwesenden auf, für ihn zu beten und beim
Kaiser Fürbitte einzulegen. Aber der Schutz, welchen die Kirche dem
Eutrop gewährte, sollte ihm, der selbst versucht hatte ihn anderen
zu entziehen®^), nicht auf die Dauer zu teil werden: Von neuem
wurde die Kirche belagert ^2J, eine grofse Schar Soldaten mit wütenden
Blicken und entblöfsten Schwertern zog wiederum herbei und erfüllte
die Luft mit solchem Geschrei, dafs der Unglückliche es hörend
glauben mufste, seine letzte Stunde sei gekommen. Aber Johannes
deckte mit seinem Leib den Zugang zu ihm, und obwohl deswegen
zum kaiserlichen Palaste geschleppt, gab er nicht früher nach, als bis
der Eunuch, welchem durch Zwischenträger das Leben gewährleistet
worden war, selbst einwilligte und von einer Begleitungsmannschaft aus
seinem Asyl abgeführt wurde. Wir erfahren dies aus der zweiten Predigt ß«^),
welche Johannes am nächsten Sonntag an die Gläubigen richtete und
in welcher er als Grundgedanken den Satz behandelte, dafs die Kür che
unüberwindlich und ewig sei. „Vor einigen Tagen, sagte er, war die
Kirche belagert; im Palaste des Kaisers war Schrecken, doch die
Kirche lag in Sicherheit. Sie suchten den Flüchtling. Nun sage
niemand, die KLirche habe ihn verlassen, er wäre sicher nicht verraten
worden, wäre er in der Kirche geblieben. Die Kirche hat ihn nicht
verlassen, sondern er die Kirche . . . Nichts ist der Kirche gleich;
nenne mir nicht Mauern und Waffen; die Mauern altem mit der
Zeit, die Kirche altert nie; die Mauern werden von den Barbaren
niedergerissen, aber die Kirche kann selbst von den Daemonen nicht
besiegt werden!"
Hatte der Eunuch in den Tagen seines Glückes eine ungeahnte
Höhe vor allen Unterthanen des Orients erreicht, so war sein Sturz
um so tiefer und jäher. Denn er, welcher bis dahin dem Jahre den
*®) Cap. 2 und 3 zu Anfang.
•1) Cap. 3: «AA' l6ov öicc Tc5v e^ywv SfiaS'Sv ditSQ BTtoirjas xal xbv
vofiov skvoe TtQWTog avxoq 61 wv enolrioe xal yeyove XTJg ovxovfiivrjg
d^saxQov.
®*) oxs x^g ixxXrjotag s^at svQsd^elg EvxQoitiog ansanaoS^ cap. i in
demselben Bande.
63) Zosimus V. 18 scheint mehr an gewaltsame Entführung aus der Kirche
zu denken.
»15
Namen gegeben hatte, den Titel des Patricius trug und unermefsliche
Reichtümer in seinem Hause aufgehäuft hatte, wurde nunmehr durch
ein kaiserliches Edict aller seiner Ämter und Würden**) entkleidet,
sein Name in den Consularfasten gestrichen, sein Vermögen coniisciert
und endlich er selbst als Staatsgefangener nach der Insel Cypem
verbannt „Alles Eigentum, heifst es in diesem berühmten an Aurelian
gerichteten Schriftstück®*), des Eutropius, welcher einst Oberkämmerer
war, haben wir der Kasse unseres Schatzes zugewiesen, nachdem der
Glanz von ihm genommen und das Consulat von dem scheufslichen
Unflat, von der Erwähnung des Namens und dem unreinlichen Schmutze
befreit ist, damit nach Aufhebung aller seiner Anordnungen alle Zeiten
verstummen und nicht durch die Erwähnung desselben die Seuche
unseres Jahrhunderts zu Tage tritt und nicht seufzen diejenigen^
welche durch ihre Tüchtigkeit und Wunden die Grenzen des römischen
Reichs erweitem oder sie durch billige Rechtspflege bewahren, weil die
göttliche Belohnung des Consulats ein schmutziges Ungeheuer durch
seine Berührung verunreinigt hat. Er wisse, dafs er auch der Würde
des Patriciats und aller geringeren beraubt sei, welche er durch die Ver-
kehrtheit seines Charakters besudelt hat Alle Statuen, alle Bilder sowohl
von Erz als Marmor oder gemalt, aus welchem Stoff auch immer
hergestellt, der sich zu Bildwerken eignet, befehlen wir, sollen aus
allen Städten, Flecken und Orten, privaten wie öflentlichen, entfernt
werden', damit nicht gleichsam der Schandfleck unseres Jahr-
hunderts die Blicke der Anschauenden beleidige. Von treuen
Wächtern daher soll er nach der Insel Cypem abgeführt werden,
wohin deine Hoheit wissen möge, dafs er verbannt ist, damit er dort
von wachsamer Sorge umwallt nicht durch die Wildheit seiner Ge-
danken alles in Unordnung bringen kann."
Sprach selbst der frühere Gebieter und Kaiser des Gestürzten
in solchen Ausdrücken von ihm, so mufs man annehmen, dafs ihm
die Worte von der gegnerischen Partei in den Mund gelegt sind, und
^) Sein Consulat und Patriciat ist aufser von Claudian auch bei Zosim.
V. 17. Socrat. VI. 5. Joh. Antioch. frg. 189 und Sozom. VIH. 7 bezeugt.
6^) Cod. Theod. IX. 40, 17. Es ist in den Handschriften vom 17. Januar
399 datiert. Dies erscheint aber unmöglich; denn wenn Eutrop am i. Januar
sein Consulat antrat, so müfste sich des Tribigild Aufstand, Leos Niederlage u. s. w.
innerhalb vierzehn Tage abgespielt haben. Dazu hatte Eudoxia bereits zwei
Kinder, von denen Anm. 55 gezeigt ist, dafs das letzte erst am 19. Januar ge-
boren wurde. Endlich spricht dagegen Claudian in Eutrop. II. 95 ff., worauf Sievers
merkwürdigerweise gar kein Gewicht legt. Vgl. Gibbon VIII. S. 32. Tillem.
note 22 sur Arcade und Anm. 26. — Zum Inhalt vgl. praef. in Eutrop. II. 19.
Phüost. XI. 6.
8»
ii6
darf sich nicht wundern, wenn im Occident Claudian, als er den Fall
des Vielgehafsten vernommen, aus Freude über die Nachricht sein
zweites Gedicht auf Eutrop verfafste ®ß), welches noch weniger als das
erste der schmähenden Zunge einen Zügel anlegte und — merkwürdig
genug — die Strafe für seinen Übermut noch viel zu niedrig fand®'')
und erst in seinem Tode die notwendige Sühne des verletzten Consulats
erblickte. Merkwürdig! denn auch im Orient waren seine Gegner
durch seinen Sturz noch nicht hinreichend befriedigt, und Gainas
forderte immer dringender 6®), dafs Eutrop hingerichtet würde. Wiederum
war die Verlegenheit am Hofe grofs, da man Eutrop eidlich versichert
hatte, ihn nicht töten zu wollen, aber Gainas liefs nicht nach, und
endlich entschlofs man sich zu der eidbrüchigen Ausflucht, es sei dem
Eutrop nur zu Constantinopel das Leben gewährleistet, also könne man
es ihm überall sonst unbedenklich nehmen. So wurde Arcadius denn
überredet, zu diesem sophistischen Gewaltact seine Einwilligung zu
geben, und Eutrop wurde wirklich, kaum dafs er in Cypem angekommen
war, wieder zurückgeschleppt und zwar nach Chalcedon.ß^) Da einige
falsche Ankläger gegen ihn aussagten, er habe als Consul Pferde
benutzt , welche nur dem Kaiser zustanden , so wurde er wegen
Majestätsbeleidigung vor ein aufserordentliches Gericht gestellt, welches
auf dem sogenannten Pantychion tagte und dessen Vorsitz Aurelianus
führte ''<^), und zur Todesstrafe verurteilt, welche auch sogleich an ihm
vollzogen wurde.
**) Die Praefatio beginnt:
Qui modo sublimes rerum flectebat habenas
Patricius, rursus verbera nota timet,
Et solitos tardae passurus compedis orbes
In dominos vanas luget abisse minas etc.
") In Eutrop. II. 20 fF.:
At vos egregie purgatam creditis aulam,
Entropium si Cyprus habet vindictaque mundi
Semivir exsul erit. Quis vos lustrare valebit
Oceanus? tantum facinus quae diluet aetas? •
ö*) Zosim. c. 18.
69) Ebend.
''®) Philost. XI. 6. Nicephorus XIII. 4 nennt statt der Rosse xoofioi. Auf
seinen Tod sprach Asterius in fast. Kai. p. 60.
"7
Siebentes Kapitel.
Zusammenkunft des Gainas und Arcadius bei Chalcedon. — Auslieferung des
Aurelian, Saturnin und Johannes. — Sie werden begnadigt und in die Verbannung
geschickt. — Gainas in Constantinopel. — Die Schreckensherrschaft des Typhos.
— Gainas Versuch, den Arianem eine Kirche innerhalb der Stadt zu gewinnen,
scheitert an der Standhafligkeit des Johannes Chrysostomus. — Schwanken des
Gainas und Auszug aus Constantinopel. — Überwältigung der Gothen im Strafsen-
kampf. — Vernichtung der sieben Tausend in der Kirche. — Sturz des Typhos.
— Gainas versucht nach Asien überzusetzen. — Der Heide Fravitta wird zum
Feldherm gegen ihn ernannt, — Seeschlacht im Hellespont. — Gainas Flucht
und Tod durch die Hunnen jenseits der Donau. — Rückkehr Aurelians. —
Poetische Darstellungen des Gothenaufstandes.
Die Nachgiebigkeit des Kaisers hatte das Gefühl des Sieges-
bewufstseins, des Stolzes und Übermutes in Gainas nur gesteigert,
denn, obwohl immer im Namen des Tribigild, so hatte er doch in
Wirklichkeit die Unterhandlungen geführt, und wäre es bis dahin dem
Kaiser und seiner Umgebung nicht zur Gewifsheit geworden, wer der
eigentliche Feind war und das Gegenspiel in den Händen hatte, so
mufste es ihnen jetzt allmählich klar werden, als die Forderungen
nach weiter gingen. Damals war es nun, dafs, was die Gattin des
Typhos der Frau des Gainas ins Ohr geflüstert hatte, seine Wirkung
auf diesen ausübte, nachdem er durch Phrygien und Lydien zurück-
gekehrt sich mit Tribigild bei Thyatira vereinigt hatte und plündernd,
jener bis Chalcedon, dieser bis Lampsacus vorgerückt war.*) Typhos
begab sich selbst mit den beiden Frauen heimlich in Gainas Lager
und besprach mit ihm den ganzen Plan der Verschwörung; doch
ging Gainas auf den Vorschlag, Constantinopel auszurauben, nicht ein
und eben so wenig auf die Forderung des unnatürlichen Bruders, sich
den Aurelian zur Hinrichtung ausliefern zu lassen.^) Jedenfalls aber
verlor des Gainas Vorgehen von jetzt ab den Schein der bisher noch
äufserlich bewahrten Ergebenheit gegen den Kaiser und ging nunmehr
zu offener Empörung über.
Hatte er bis dahin mit dem Kaiser durch Gesandte unterhandelt,
so forderte er jetzt, dafs Arcadius persönlich sich zu ihm begeben
solle, um seine weiteren Friedensbedingungen zu vernehmen. Da das
Heer fast vollständig dem Germanen anhing und der Kaiser sich kaum
in seiner eigenen Hauptstadt sicher fühlte, so mufste er dem
Drange der Not gehorchen und ihm eine Unterredung bei Chalcedon
1) Zosim. V. i8. Eunap frgm. 75, 6.
^) Synesius AlyvTtxioi cap. 15.
Ii8
bewilligen.3) Sie fand zwei Stadien vom Boi^orus entfernt statt, wo
auf sanft ansteigendem Hügel die Kapelle der heiligen Euphemia lag,
berühmt durch die Wunder, die in ihr geschahen und von denen die
Gläubigen viel zu erzählen wufsten.*) Die Förderungen des Gainas
aber, die ihm natürlich nachgegeben wurden, liefen auf diese Punkte^)
hinaus: Gainas und Tribigild dürfen nach Europa kommen, und der
erstere bleibt in seinem Kommando als oberster militärischer Befehls-
haber des Ostreichs. Zur Gewährleistung ihrer Sicherheit werden
ihnen drei Geiseln übergeben, die ihnen auf Tod und Leben ausge-
liefert werden, nämlich der Praefectus praetorio und designierte Consul
Aurelian, der Consular Satuminus^) und der Vertraute der Kaiserin
Johannes, ein Praefect '^) (?), von dem ein unbezeugtes Gerücht behauptete,
er sei der Vater Theodosius II. Dafür versprach Gainas, weder Leben
noch Herrschaft des Kaisers anzutasten.
Diese harten Bedingungen wurden von Seiten des Arcadius ohne
Weigern erfüllt, denn jene drei, die Häupter der römischen Partei,
suchten nicht wie vorher Eutrop, keines unlauteren Wandels und keines
Übergriffes sich bewufst, ihr Heil in der Flucht, sondern das Wohl
des Vaterlandes stets dem eignen voranstellend, gingen sie über den
Bosporus dem Gainas bis in die Nähe von Chalcedon entgegen und
übergaben sich in seine . Hände.®) Jeder nahm mit Recht an, dafs
nun ihre letzte Stunde geschlagen habe, denn es konnte wohl keine
gröfseren und unversöhnlicheren politischen Gegensätze geben als die,
welche sich in Gainas und diesen Männern verkörperten; daher
hielt es auch Johannes Chrysostomus für seine Pflicht, mit der Würde
seiner Persönlichkeit und der Gewalt seiner Beredtsamkeit für die
ihm eng befreundeten Männer einzutreten.^) Haben nun wirklich
^ Zosim. a. a. O.
*) Ebend. und Euagrius II. 3. ^oizwai xata tov vswv oirs xa ax^nzQa
oke xa lega xal tag aQX^Q öiSTtovxeg anaq xs 6 XoiTcbg ofiiXog /isxaaxslv
tdiv xeXovfiivfov ßovXofievoi. Hier fand das Concil von Chalcedon unter Mar«
cian statt.
^) Zosim. a. a. O. Socrat. und Sozom. a. a. O. kennen nur Aurelian und
Satuminus. Nach Socr. findet die Unterredung erst nach der Auslieferung der
Geiseln statt. Nach Theodoret V. 32 wurde Gainas auch zum Consul ernannt ;
doch da dies uns von anderer Seite nicht bestätigt wird, nehmen wir es nicht
als sicher an.
') Vgl. Cap. 5. Anmerk. 22.
^) Zosim. cap. 18. ^wdwrjg . . , xa ano^Qtixa ndvxa naga ßaaiXiwq
xs^a^^ri/xivog, 6v sXsyov oi nolXol xal xov jiQxaöiov naiöog elvai naxega.
Vgl. Faulinus vita Ambrosii c. 31 und Anm. 26 des vorangehenden Capitels.
8) Synesius ÄlyvnxiOLl, 16.
^) Dieser Annahme Neanders u. a. widerspricht Ludwig S. 37| ibidem er
119
seine Vorstellungen allein eine Änderung in Gainas Absichten gegen
die Geiseln herbeigeführt, wie Johannes selbst in seiner nach der
Rückkehr nach Constantinopel über diesen Vorgang gehaltenen Predigt ^^)
anzudeuten scheint, oder wirkte der edle Sinn derselben auf Gainas
zurück, jedenfalls liefs er ihnen nur die sinnbildliche Hinrichtung zu
teil werden, indem ihre Nacken mit dem Schwerte berührt wurden,
und die Strafe der Verbannung ^i), doch vielleicht noch ohne die
Beschlagnahmung der Güter; denn nach der Allegorie des S3Tiesius ^*)
wollten die Barbaren trotz des Drängens des Typhos es nur als eine
Entfernung angesehen wissen und nicht als Deportation.
Darauf setzten Gainas und Tribigild nach Europa über, und das
schwßr mitgenommene Asien atmete wieder auf^^); doch hatte der
letztere seine Rolle ausgespielt, er trat nirgends mehr hervor und
kam auf nicht aufgeklärte Weise bald darauf um.^*) Gainas aber
wandte sich mit dem gröfsten Teil seines Heeres, welcher noch 30000
Mann umfassen mochte ^^) , nach Constantinopel und besetzte diese
von Truppen fast ganz entblöfste Stadt Allerdings war die Person
des Kaisers durch seine Leibwache gesichert. Doch könnte ein Gefühl
der Ruhe die Bewohner deshalb nicht überkommen, weil Gainas
gleich nach seiner Ankunft sie aus der Stadt fortzubringen sich bemühte.*®)
Von dem Zustande der Hauptstadt zu dieser Zeit entwirft Chrysostomus
geltend macht , dafs, wenn Johannes Chrys. in seiner Predigt sage, er sei lange
fortgewesen, dies deshalb nicht auf eine Gesandtschaft zu dieser Zeit passe, weil
Chalcedon in kurzer Zeit von Constantinopel zu erreichen war. Aber sein Gegen-
beweis ist nicht stichhaltig, weil sich die Entscheidung über das Schicksal der
Geiseln kann lange hingezogen haben. Aufserdem darf man einem so verwirrten
Berichterstatter, als es Theodoret V. 33 ist, wohl ohne Gewissensbisse einen Irr-
tum der Chronologie zumuten. Endlich beweist die Überschrift der Predigt
durchaus noch nicht, dafs Gainas bereits aus Constantinopel abgezogen war, viel-
mehr spricht das Praesens des Redners und seine lebhafte Darstellung dafür,
dafs die Predigt mitten aus dem Elend der Schreckensherrschaft des Typhos
heraus gehalten worden ist. Schliefslich mufs noch auf die Verkehrtheit der
Überschrift hingewiesen werden, welche zwei mindestens ein halbes Jahr ausein-
anderliegende Ereignisse zusammenwirft.
^0) 'Orf JSarovQvlvog xal AvQrjhavbg e^wQia&ijaav xai Faiväg i^rjkd'e
TTJg noXewg xal tzsqI (piXaQyvQiag,
") Zosim. a. a. O. Socr. und Sozom. a. a. O.
^*) AiyvnxLOL I. 16.
*3) Zosim. c. 18 u. f.
") Philost. XI, 8.
^5) Dies kann man daraus folgern, dafs Synesius AlyvitriOL II. 4 die zurück-
gebliebenen in der Hauptstadt „mehr als ein Fünftel" des ganzen Heeres nennt,
während nach Zosim. c. 19 7000 gefangen wurden.
^^) Zosim. a. a. O. Vgl. dazu aber c. 19 Anf.
I20
in seiner Predigt nach der Heimkehr von Chalcedon ein lebhaftes,
doch düsteres Bild: „Alles ist voll Furcht, Gefahren, Mifstrauen, Zittern
und Zagen; keiner glaubt dem anderen, jeder fürchtet den ihm Nahe-
stehenden; kein Freund scheint sicher, kein Bruder vertrauenswürdig;
der Bürgerkrieg ergriff alles, nicht der offene, sondern der versteckte.
Überall unzählige Masken und verstellte Züge; viele Schafspelze, unter
denen ebenso viele Wölfe verborgen sind, so dafs man schon unter
den Feinden sicherer lebt, denn unter denen, die Freunde scheinen.
Die gestern ehrfurchtsvoll grüfsten und die Hand küfsten, sind heute
plötzlich als Feinde erfunden und mit Wegwerfung der Masken sind
sie heftiger als alle Ankläger geworden."^®*)
Versetzen wir uns in die Verhältnisse hinein, wie sie lagen; der
Kaiser ohnmächtige®^), ein Gefangener seiner Söldlinge im eignen
Palaste, alle Kasernen und Mauertürme, alle Thore von ihnen besetzt
und auf Rettung keine Aussicht, so wird man dem Bischof wohl
Glauben beimessen dürfen, dafs in diesen Tagen der Angst und Auf-
regung alle Bande der Familie und Freundschaft, und Treue und
Glauben für immer aufgelöst erschienen. Und wie in der Hauptstadt,
so wird es auch meist in den zum teil noch wüste liegenden Provinzen
gewesen sein: Der Westen in den Händen Alarichs, Asien bis zum
Tigris verwüstet oder von Feinden überschwemmt, auch Africa von den
Maziken und Auxorianern beunruhigt, e*')
Wenn nun wenigstens die Civilverwaltung des Reichs in den
treuen, energischen Händen eines aufrichtigen Patrioten gelegen hätte,
welcher seinen Unterbeamten einen Teil seines guten Geistes ein-
hauchte! Aber gerade damals war unter dem Druck des Willens
des Gainas die arianische Gegenpartei in Constantinopel mit Typ hos
an der Spitze ans Ruder gekommen und nutzte die ihr gewährte Frist
zur Bereicherung nach Kräften aus.^^) So wurden die Steuern von
dem neuen Praefectus praetorio eiligst erhöht, die Provinzen in der-
selben Weise wie zu Eutrops Zeiten an den Meistbietenden verkauft,
doch mit der heiklen Neuerung, dafs die Amtsdauer gleich von vorn-
herein begrenzt wurde, um auch andere bald geniefsen zu lassen,
längst entschiedene Prozesse ^^) wurden wieder aus den Acten hervor-
loa) Vgl. Synesius AlyvTtzioi II. i und Socrates VI. 6.
wb) Die Erhebung der Eudoxia zur Augusta, welche gerade in diesen
Tagen (am 13. Januar 400. Chron. Pasch.) stattfand, deutet vielleicht auf ein
energischeres Eingreifen ihrerseits in die Politik.
") Philost. XI. 8.
*8) Synesius AlyvTftioi I. c. 16 Ende.
") Ebend. c. 17.
121
geholt und nach Gunst abgeurteilt, um so mehr, da man durch die
der Schmeichelei und dem Gelde zugängliche Frau des Typhos alles
erreichen konnte. Auch sammelte er ähnlich wie einst Eutrop einen
grofsen Schwann von Schmarotzern und Scheinfreunden um sich, und
es war damals schwer für einen gesinnungstreuen Römer bei seiner
Überzeugung und Parteistellung auszuharren.
Um so gröfsere Anerkennung verdient daher des Synesius Ver-
halten, der von dem Aufstand in Constantinopel überrascht noch
immer dort weilte und unerschütterlich in seiner Anhänglichkeit an
Aurelian überall, wo er nur konnte, in der Öffentlichkeit und in
Privatkreisen Stimmung für ihn machte und an ihn gerichtete Oden zinn
Vortrag brachte. 20) Einmal wagte er es sogar in einer Versammlung
auserlesener Männer, unter denen sich Typhos selbst befand, und
büfste seinen Freimut mit der Entziehung der Erlaubnis, nach seiner
Vaterstadt zurückkehren zu dürfen. Die Schreckensherrschaft des
Typhos erreichte aber ihren Höhepunkt, als dieser den Gainas^o*)
bewog, nunmehr ihrem seit Theodosius so bedrängten Glauben, dem
arianischen Bekennntnis, wenn nicht zur Herrschaft in Constantinopel, so
doch zur Gleichberechtigung mit dem katholischen zu verhelfen. Gainas,
dem neben seinen politischen Zielen auch seine Religion von jeher am
Herzen gelegen zu haben scheint, da er in früherer Zeit mit dem heiligen
Nilus über religiöse Fragen einen lebhaften Briefwechsel geführt hatte 21),
ging auf diese Anregung alsbald ein, begab sich zum Kaisör und
stellte an ihn das Ansinnen', den Arianern innerhalb der Stadt eine
Kirche anzuweisen 22), denn es sei höchst unwürdig für ihn als magister
militum, dafs er aus der Stadt ziehen müsse, um seine Andacht zu
verrichten. Der Kaiser geriet über diese Forderung von neuem in
nicht geringe Verlegenheit, da er der Nötigung seines Feldherrn aufser
seinem Veto nichts entgegenzusetzen hatte, und wer weifs? was ge-
schehen wäre, wenn ihm hier nicht der Bischof Johannes mit seiner
überzeugenden, vor nichts zurückschreckenden Beredtsamkeit zu Hülfe
gekommen wäre.
^) C. 18. Damals verkündigte ihm der Gott, dafs die Hülfe nahe sei:
„Wenn die jetzigen Machthaber auch in unserer gottesdienstlichen Feier Neue-
rungen zu machen versuchen, dann erwarte bald, dafs jene ErdensÖhne durch
sich selbst verfolgt werden". Doch wer ist der Gott?
^^) Gainas war Arianer. Theodoret V. 32. Sozom. VIII. 4.
2») Neander Joh. Chrysost. II. S. 153. n. 34. Vgl. Nili ep. 70, 79, 114,
116, 205, 206, 286 und Mascov Gesch. der Teutschen S. 336 ff.
*2) Theodor. V. 32. Sozom. VIII. 3. Ihm nach erzählt Nicephor. XIII. 5,
AiyvTtxiOL I. 18. Ende. — Socrates schweigt. Vgl. Böhringer a. a. O. S. 54.
Ludwig S. 38 und 39.
122
Denn als er mit Gainas auf die Bitte des Arcadius im Palaste
eine Zusammenkunft hatte, wandte er sich mit den eindringlichsten
Worten an denselben, erinnerte ihn an sein Vaterland, wie er als Flücht-
ling um Aufnahme in die Grenzen des römischen Reichs gebeten
und aufgenonmien dem Theodosius geschworen habe, er wolle den
Römern stets Freund und ihm, seinen Kindern und den Gesetzen
unverbrüchlich treu sein. Dabei zog er die Verfügung des Theo-
dosius hervor, durch welche den Arianern innerhalb der Stadt Zu-
sammenkünfte abzuhalten untersagt war, und überredete den Kaiser
nicht nur dieses, sondern auch die Gesetze gegen die übrigen Häre-
tiker zu bestätigen, hinzufügend, es sei besser, von dem Throne zu
weichen als das Gotteshaus zu verraten. Gegen diese hinreifsende
Beredsamkeit wüfste Gainas nichts Stichhaltiges vorzubringen, und da
er sich fürchtete, dem ihm von früher her bekannten Bischof, von dem
er wufste, dafs er die ganze rechtgläubige Einwohnerschaft der Haupt-
stadt nicht nur, sondern auch des ganzen Reiches auf seiner Seite
hatte, oifen entgegenzutreten, so stand er, wenn auch unwillig, von
seinem Vorhaben ab.
Er hatte offenbar seine eignen Kräfte sowie die der arianischen
Partei überschätzt, und fing an, da es ihm an einem festen Ziele
fehlte, in seinen Mafsnahmen hin und her zu schwanken.23) Denn ob-
wohl es ihm freistand, den Staatsschatz nach Belieben zu benutzen
und den Kaiser zu beseitigen, suchte er nachts einmal sich des Ver-
mögens der Geldwechsler in den Wecbselbuden zn bemächtigen und
ein andermal 24) den Palast des Kaisers anzuzünden. Aber das erstere
Unternehmen mifsglückte, weil er seine Absicht nicht geheim gehalten
hatte, während ihn von der anderen im letzten Augenblick eine aber-
gläubische Scheu zurückhielt, so dafs die dazu designierten Truppen
unverrichteter Sache wieder in ihre Quartiere abrücken mufsten. Das
brachte natürlich auf die Gothen einen entmutigenden Eindruck hervor
und teilte ihnen von der ungewissen Furcht etwas mit, von welcher
ihr Führer ergriffen war; ihr Stolz und ihr Übermut war gebrochen
und ging zeitweise in Angst und Kleinmütigkeit über.^^) Sorgte
Gainas vielleicht, die orthodoxen Bewohner der Hauptstadt würden
sich auf ein verabredetes Zeichen erheben und allen Fremdlingen in
einer Nacht den Garaus machen oder hörte er, dafs seine Bundes-
genossen aufserhalb der Stadt zu der römischen Partei übergegangen
^^ AlyvTCxiOL II. I.
2*) Socrat. VI. 6. Sozom. VIU. 4.
2*) AiyVTtXLOL II. I.
seien und eine starke Heeresmacht zur Befreiung Constantinopels
heranrücke 2ß) — genug, er fühlte sich in dessen Mauern nicht mehr
sicher und ging damit um, sich ohne Aufsehen aus der Stadt zu
ziehen und in Thracien vom Plündern zu leben.
Doch sind diese Triebfedern der Mitwelt nicht bekannt geworden,
80 dafs auch wir von ihren Berichten mehr oder weniger im Stich
gelassen werden.*'') Darum ist es am sichersten, wenn wir dem Syne-
sius, welcher alles selbst mit erlebte, vor allen andern Glauben schenken :
Gainas entfernte sich aus der Stadt, vorgeblich aus Gesundheitsrück-
sichten oder um in der Kapelle des heiligen Johannes 7 Millien vor
Constantinopel seine Andacht zu verrichten, und liefs nach und nach
ungefähr drei Viertel seines ganzen Heeres nachfolgen, so dafs in
der Stadt noch etwa gegen zehn Tausend zurückblieben, welche eben-
falls den Befehl erhielten, an einem bestimmten Tage den übrigen
nachzurücken. Als die geängstigten Bewohner der Hauptstadt ihre
Zurüstungen sahen, und dafs sie mit Weibern, Kindern und allen
Kostbarkeiten abzuziehen beabsichtigten, da begriffen sie es noch nicht,
und verzweifelnd rüsteten sie sich zur Feuerlöschung oder zum Selbst-
mord, während andere an Flucht zu Schiffe dachten.*^) Die ganze
26) Nach Socrates VI. 6 war der gröfste Teil des römischen Heeres xaxa
TtoXsig zerstreut, und nur die Leibwache des Kaisers befand sich noch in der
Stadt (nach Zosim. c. 19), vielleicht aber waren jene inzwischen zu einem Heere
zusammengezogen worden.
^) Nach Zosira. c. 18. Ende, der von der Schreckensherrschaft des Typhos
nichts weifs, und nach dem es so scheinen würde, als ob Einzug und Auszug sich
bald gefolgt wären, hatte Gainas einem Teile seiner Soldaten den heimlichen
Befehl gegeben, dafs, wenn sie die übrigen Truppen ausrücken sähen, sie sich
sogleich der Stadt bemächtigen sollten. Darauf c. 19, Anf. verliefs er die Stadt,
angeblich aus Gesundheitsrücksichten und machte in der Umgegend von Constan-
tinopel 40 Stadien davon entfernt halt , um auf das verabredete Zeichen zurück*-
zukehren. Philost. XI. 8 sagt : Eine göttliche bewaffnete Macht schreckte ihn
von seinem Vorhaben die Stadt einzunehmen ab, befreite diese von der Feuers-
brunst, übergab die Schuldigen dem Gericht und liefs viele getötet werden. Da
durchbrach Gainas erschreckt die Thorwächter und floh aus der Stadt. —
Socrates VI. 6 : vnoxQivofisvog yaQ öaifioväv wg ev^ofASVog zb fiaQtvQiov xov
ccTtoaToXov^Iüxivvov, eTiToc öh ornieloig djiiaxsxo zovro zfjg TtoXswg, xaza-
Xafißdvsi. — Sozoraen. VIII. 4 : axijTizszai öai/xoväv wg ev^oiievog xazaXafi-
ßavsi xriv ixxlijaiav, rjv inl zifi^ ^lo>avvov zov ßanziazov 6 zov ßaaiXewg
nazriQ (pxoöo/xTjös Ttgog z(j) hßö6/ji(p. Twv öe ßaQßagcov oi fihv sfievov, ol
öh Faivä awe^riBOav, — Vgl. Gibbon VIII. S. 35, der hier sehr kurz und un-
genau ist. Volkmann a. a. O. Ludwig S. 39 und 40.
^*) Wir folgen in der Erzählung dieses Strafsenkampfes vorzüglich Synesius
AlyvTtzioi n. c. I — 3.
124
Bevölkerung war daher in fieberhafter Erregung und wartete der
Dinge, die da kommen sollten.
Schon ganz in aller Frühe hatte ein armes Bettelweib am
Blachernenthor 29) ihren altgewohnten Sitz eingenommen und sah von
ferne, da es bereits Tag geworden war, wie die Gothen nicht auf-
hörten, aus der Stadt zu ziehen, und dachte, Constantinopel erblicke
zum letztenmal des Sonnenlicht. Sie warf ihren Becher zur Erde,
klagte, flehte händeringend zu den Göttern und fiel zu Boden. Da
eilte ein Gothe, in der Meinung, sie schmähe die Abziehenden, herbei
ihr den Kopf zu spalten, aber ein inzwischen hinzugetretener Römer
hieb ihn nieder. Darauf erhob sich ein gewaltiges Geschrei der Gothen,
und von allen Seiten stürzten Neugierige herbei. Die Barbaren wollten
die Ihrigen nicht im Stich lassen und liefen, zum teil bereits aus dem
Thore, wieder zurück, während innerhalb der Mauern ein grofser Volks-
auflauf sich entwickelte. Alsbald entstand ein heftiger Kampf, in
dem air der verbissene Groll der unterdrückten Römer zum Ausbruch
gelangte und der fort und fort an Ausdehnung zunahm; alles, was
ihm zur Hand war, und die Schwerter der Getöteten ergriff das Volk
und schlug damit auf die Gothen los, welche weniger zu den regu-
lären Truppen ^Is zum Train gehörten und an Zahl hinter den Angreifem
weit zurückblieben. Und je gröfser das Geschrei wurde und im
Morgennebel durch die Strafsen und Gassen der Stadt drang, desto
lebendiger wurde es in den Häusern, und ganz Constantinopel, sofern
es nicht am Gehen gehindert war, eilte von überall her auf den Kampf-
platz; indes die Barbaren, welche bereits die Landstrafse gewonnen
hatten, sich um ihre bedrängten Landsleute nicht kümmerten, sondern
ohne Aufenthalt ihren Marsch fortsetzten und erst in weiterer Ent-
fernung ein Lager aufschlugen. Als die Gothen nun so ins Gedränge
kamen und die Gefahr nahe war, dafs sie innerhalb der Stadt abge-
schnitten würden, da beschlossen sie sich der Thore zu bemächtigen,
und die, welche draufsen lagerten, herbeizurufen. Aber das Volk
behielt die Oberhand und stimmte den Siegesgesang an, was die
*ö) Das folgere ich daraus, dafs nach Sozom. die Kapelle des Johannes
Bapt. am Hebdomon lag. — Wenn übrigens Socrat. und Sozom. a. a. O. von
verborgenen "Waffen reden, welche die Gothen mit sich hinausnahmen, so ist
nicht verständlich, warum sie, die Herren der Stadt, sich so ängstlich er-
wiesen. Zosim. c. 19 läfst den Gainas in barbarischer Hitze das verabredete
Zeichen nicht abwarten und durch seinen verfrühten Angriff auf die Stadt die
Bewohner erwecken, welche nicht nur die Barbaren innerhalb überwältigen,
sondern auch seinen Sturm auf die Mauern abschlagen. Vgl. Eunap frgm. 79.
Joh. Antioch. frgm. 190.
125
Gothen aufserhalb der Stadt glauben machte , die Ihrigen seien im
Vorteil. Einer jedoch von den Eingeschlossenen entwischte aus dem
Thore und klärte die Stammesgenossen draufsen über den wahren
Sachverhalt auf, da wollten diese die Mauer durchbrechen und die
Stadt erstürmen, aber ihre Angriffe waren ohne Erfolg, und so wurden
die Gothen in der Stadt immer mehr in die Enge getrieben; denn
das wütende Volk, das inzwischen Waffen erhalten hatte, schofs, hieb
und stach sie einzeln oder zu mehreren nieder.
So blieben noch ungefähr sieben Tausend^®) übrig, welche, da
die Thore geschlossen waren, keinen anderen Ausweg sahen, als in
die Stadt zurückzukehren und sich bis zu ihrer Kirche'*) durchzu-
schlagen, um in derselben das Asylrecht in Anspruch zu nehmen.
Es gelang ihnen auch wirklich bis in die Nähe des kaiserlichen Pa-
lastes vorzudringen und das schätzende Gotteshaus zu erreichen. Aber
nun eilte die Menge stürmisch zu Arcadius und erzwang sich den
Befehl, da es anders nicht möglich war, sich der gefangenen Barbaren
an geweihter Stätte zu entledigen. Da aber ein jeder vor einem
offenen Kampfe mit den verzweifelten Kriegern zurückschreckte, so
wurde ein Teil des Kirchendaches abgedeckt und brennende Scheite ^2)
und Steine auf die Fremdlinge herabgeworfen, bis sie allesamt um-
gekommen waren.
Vergeblich hatte Typhos dies Schicksal von seinen Glaubensge-
nossen abzuwenden versucht; vergeblich hatte er den Arcadius ge-
beten, Friedensunterhandlungen mit den Gothen draufsen anzuknüpfen,
um sie wieder in die Stadt einzulassen, aber das Volk übergab ihm
die Thore nicht ''), und so ging seine Schreckensherrschaft nach kurzem
Bestand zu Ende. Es war der 1 2. Juli 399 3*) ! Heifse Dankgebete
für die ungeahnte Rettung und die Befreiung der Hauptstadt stiegen
aus den Herzen der homoousianischen Bewohner an diesem Tage zu
Gott empor, welche der Bischof Johannes in seiner Sophienkirche
30) Zosim. c. 19. TtXiov ij hTCtaxiaxl^toi.
3*) Zosim. ebend. ^ 7ili]olov iarl xwv ßaaiXslwv. Sozom. a. a. O. rr^v
xalov/xivijv xwv Ford^wv ixxXrjaiav SfjininQwoiv. Socrat. a. a. O. tisqI rr^v
ixxXrjalav rwv Fotd-wv ivravS'a yaQ ndvrsg 01 vnoXeKpd-ivxeq avvrjd'Qoi-
odTjoav. Marcell. Com. coepto adversus Byzantios proelio plurimi hostium cadunt,
caeteri fugientes ecclesiae nostrae succedunt.
3*) Zosim. a. a. O. Marcell. Com. fahrt fort: ibique retecto ecclesiae cul-
mine iactisque desuper lapidibus obruuntur.
^) Synesius a. a. O.
^) Chron. Pasch. 400 : In demselben Jahre wurden viele Gothen getötet
iv X(p daifJLOfiaxeXXiip. Es verbiannte die Kirche der Gothen mit einer grofsen
Menge Christen am 12. Juli. Vgl. zu diesem Datum Cap. VI. Anm. 26. II.
126
versammelte • und in begeisterter Predigt zum Preis dessen , der die
Geschicke der Menschen lenkt, aufforderte.*^) Er gedachte dabei
auch jener drei Männer, die, ein Opfer ihrer Überzeugung und ihres
Patriotismus geworden, fem der Heimat von dem Umschwung nichts
wufsten, und sprach die gewisse Hoffnung aus, dafs sie bald wieder
in Constantinopel weilen würden.
Aber noch waren die Verhältnisse nicht geklärt, noch stand
Gainas mit ziemlicher Heeresmacht nicht weit von den Mauern ent-
fernt, darum liefs Arcadius vorläufig noch den Typhos im Amte, das
derselbe nun um so schamloser zur Ansammlung von Geld ausnutzte.
Auch Johannes suchte er durch Schmeichelei und Geschenke auf seine
Seite zu ziehen, während seine geheimen Boten den Gainas zur Rück-
kehr zu bestimmen trachteten. Aber zwischen diesem und dem Kaiser
war nunmehr die letzte Brücke abgebrochen *ß), seine Absicht war
vielleicht bis dahin auf eine Änderung der Verfassung zu gunsten der
Germanen und der Gesetze zu gunsten der Arianer ausgegangen, jetzt
aber, nachdem er Constantinopel verlassen, erschien er allen als offener
Reichsfeind, und so ward auch Typhos wegen seiner verräterischen
Verbindung mit ihm selbst dem schlechtesten Römer verabscheuungs-
würdig. Endlich konnte der Kaiser es wagen, 'eine aufserordent-
liche Commission zur Untersuchung seiner Vergehen einzusetzen. Da
traten nun alle seine Unthaten zu tage ; das vertraute Verhältnis zwischen
seiner und Gainas Frau, sein Verkehr mit den Verschnittenen und
Angebern, welche vor kurzem noch auf seinen Befehl das Ärgste gegen
Aurelian und dessen Gattin ausgesagt hatten; die Besetzung der ge-
eignetsten strategischen Punkte auf Typhos Rat durch die Barbaren
und endlich sein Plan, die Gothen wieder nach Asien hinüber zu
bringen. Daher wurde er zunächst zu Gefängnis verurteilt, während
die endgiltige Strafe erst später durch ein zweites Gericht festgesetzt
werden sollte.
Inzwischen versuchte Gainas vergeblich mit seinen Scharen
Thracien durch einen Plünderungszug zu verheeren, nachdem er vom
Kaiser für einen Feind des Vaterlandes erklärt worden war 3''); denn
er fand die Städte überall befestigt und die Beamten wie Bewohner
zu tapferer Verteidigung bereit. Wachsam geworden durch die früheren
Angriffe der Barbaren und angefeuert durch den Erfolg in Constantinopel
nahmen sie den Kampf mit einer Begeisterung auf, wie sie lange nicht
36) AiyvnxLOt II. 3.
36) Zosira. c. 19 : Faivriq fihv ovv xfjq ovro) fjisyloTTjq iyxsi^aecog äito-
a(paXslg ijörj ngoipavwq xov xaxa xfjq TioXixslaq dve^^iTti^e TtoXeßOV.
3') Socrat. IV. 6. (pavsQov nolifiiov xi]QvSciq sivai xov Faivav, vgl. Sozom.
127
mehr bei diesen den Waffen entwöhnten Bürgern zu tage getreten
war ; dazu hatten sie Zeit gehabt ihre Früchte, Tiere und Gerätschaften
vorweg in Sicherheit zu bringen, so dafs Gainas nichts weiter fand
als das kahle, nur mit Stoppeln bedeckte Feldes), und daher beschlofs
über den Hellespont nach Asien zurückzukehren. Aber schon vorher
hatte sich Arcadius und der Senat von Neu-Rom ermannt und zum Ober-
befehlshaber der römischen Streitkräfte eben jenen Heiden Fravitta^^)
ernannt, der bereits Theodosius I. die Treue sogar gegen seine
Landsleute bewiesen hatte. Er war ein Gothe, doch mit einer Römerin
verheiratet, besafs einen biederen, offenen Charakter und hatte sich
in sqjner langer Dienstzeit eine tüchtige Kriegskenntnis und Erfahrung
angeeignet, welche er bereits in einem Kriege gegen aufständische
Räuberhorden in Cilicien bis Palästina glänzend bewährt hatte. Leider
gingen seine Körperkräfte bereits zu Ende, doch bewahrte er in diesem
Kriege^®) nach wie vor seine alte Schneidigkeit
Seine Aufgabe war, dem Gainas den Übergang nach Asien zu
verlegen, er nahm deshalb auf asiatischem Boden am Hellespont diesem
gegenüber eine abwartende Stellung ein und übte seine Truppen
durch fortwährende Scharmützel in so anregender Weise, dafs sie
allmählich über des Gainas Zögern unwillig wurden und sich nach
einer Feldschlacht sehnten. Aber Fravitta erlahmte nicht, Tag und
Nacht war er auf dem Posten, sein eigenes Lager inspicierend und
die feindlichen Bewegungen beobachtend, ja selbst für eine ausreichende
Flotte von sogenannten Libumiern sorgte er. Mit Hülfe derselben
recognoscierte er die Stellung des Feindes, der seine Scharen an der
ganzen Küste des Chersonnes von Parium bis gegenüber von Abydos
ausgedehnt hatte, zu jeder Zeit.
Da Gainas allmählich durch den Mangel an Lebensmitteln in
grofse Not geriet, wurde er gezwungen wohl oder übel den Versuch
einer Landung in Asien zu machen. Er liefs zu dem Zwecke in den
Wäldern der Halbinsel passende Bäume fällen und aus denselben
grofse Flöfse zimmern*^), denn die Kunst des Schiffbaues war nur
den Römern eigentümlich, und aufserdem hätte es ihm bei seiner
Lage an Zeit gefehlt Auf diese brachte er darauf Soldaten und Pferde
38) Zosim. V. 19 Ende. Philost. XI. 8.
^^) Zosim. V. 20. Eunap frgm. 80. Philost. ebend. Socr. und Sozom. a. a. O.
Vgl. cap. V. Anm. 6.
*o) Allein genau überliefert durch Zosim. c. 20 und 21. Daneben Socrat.
und Sozom. a. a. O.
^*) Vgl. Socrat. axs6iag avfJLTCriiavxsq, Sozom. inl axsöiwv ineiQwvro
öt€9C7ikslv Tov hUJianovxov.
128
und überliefs sie, ohne Steuer und ohne Ruder wie sie waren, der
Führung der Strömung in der Meerenge. Er selbst blieb am Ufer
zurück, fest auf den Sieg vertrauend, da er die Römer seinen Truppen
nicht für gewachsen hielt. Fravitta aber, dem dieser Angriff nicht
unerwartet kam, hatte seine Vorbereitungen bereits getroffen und liefs
seine mit eisernen Widdern versehenen Schiffe etwas von der Küste
sich entfernen, um mehr Raum zum Manövrieren zu gewinnen.*2j
Als er aber bemerkte, dafs seine Gegner in der Gewalt der Strömung
sich befanden, da rannte er -mit seinem Admiralschiff zunächst das
erste Flofs in den Grund und versenkte es mitsammt den Insassen.
Seine anderen Schiffe ahmten diese Kampfesweise nach und vemicljfeten
teils durch Stofs teils durch Speerschiefsen die übrigen Feinde.
Da sah Gainas ein, dafs er sich auf einen Kampf nicht einlassen
dürfe, und zog sich in das innere Thracien zurück, nicht verfolgt von
Fravitta, der mit seinem entscheidenden Erfolg vollständig zufrieden
gestellt war. Gleichwohl gelang es dem geschlagenen Gainas nicht,
ein neues Heer, um sich zu scharen, seine Truppen wurden durch
Desertion von Tag zu Tag schwächer, und so floh er denn durch
das ausgeraubte Thracien zum Ister, und nachdem er die Römer,
welche ihm bis dahin gefolgt waren, aus Argwohn getötet hatte, über-
schritt er den Flufs*^), um in seiner Heimat den Rest seines Lebens
zu verbringen. Aber auf diesem Wege geriet er in das Gebiet des
Hunnenkönigs Uldes, dem sein Vorhaben eine Gefahr für die Zukunft
in sich zu schliefsen schien. Daher verlegte er, auch um sich dem
Kaiser gefallig zu erweisen, dem verwegenen Abenteurer den
Weg und lieferte ihm mehrere Gefechte, in deren letztem Gainas
endlich tapfer kämpfend sein Leben verlor. Zum Beweise dieser That-
sache sandte Uldes das abgeschlagene Haupt auf einer Lanze nach
Constantinopel , wo es zu allgemeiner Freude im Monat Februar 401
anlangte.44)
*^) Nach den Kirchenhistorikem kam noch ein plötzlich eintretender l^e^vQog
den Römern zu Hülfe.
*3) So Zosim. c. 21 Ende. Nach Philost. a. a. O. wurde G. schon in den
höheren Teilen Traciens getötet.
**) Zosim. c. 22 bringt die Thatsache. — Die Chronologie der beiden
Ereignisse liegt dagegen im argen : Marc. Com. berichtet die Seeschlacht zu dem
Jahre 400 und fügt hinzu, dafs Gainas noch desselben Jahres im Februar getötet
wurde. Er fahrt dann zu 401 fort: Sein Haupt wurde nach Constantinopel ge-
bracht. Chron. Pasch, läfst den Kampf im Hellespont am 23. Dez. 400 stattfinden
und den Kopf des Gainas bereits am 3. Jan. 40 1 in Constant. sein. Unmöglich!
Tillem. note 28 sur Arcade erklärt das erste Datum für falsch, weil Fravitta erst
nach der Schlacht zum Consul designiert wurde. • Clinton fast. Rom. zu 400:
129
Dort hatte inzwischen Fravitta unbekümmert um die Vorwürfe,
die man ihm machte: Dafs er wohl zu siegen verstehe, aber nicht
den Sieg zu benutzen; dafs er als Barbar dem Barbaren Flucht und
Rettung ermöglicht habe, zum Ärger seiner Neider und Feinde seinen
feierlichen Einzug in Constantinopel gehalten und strahlend vor Freude
dem Kaiser persönlich vom Siege Mitteilung gemacht Er sprach bei
dieser Gelegenheit Worte, welche von seinem Freimut ein deutliches
Zeugnis ablegen: „Was ein Gott einem Gotte, wenn er will, zu geben
vermag, so viel hat er dir, o Kaiser, gegeben! und dieses Ereignis
ist nicht unwürdig des römischen Namens." Arcadius aber neigte
sich gnädig dazu, von der Einfachheit der Worte angenehm berührt,
und forderte ihn deshalb auf, eine Bitte auszusprechen. Da bat Fravitta
um die Erlaubnis, es möge ihm gestattet sein, Gott nach väterlicher
Weise zu verehren, und Arcadius gewährte es ihm, doch ernannte er
ihn, um ihn noch mehr zu belohnen, zum Consul des Jahres 401, eine
Nachricht, die wir deshalb als wahr hinnehmen können, weil die
Verwirrung der letzten Monde eine frühere Ernennung nicht zugelassen
hatte.***) Doch scheint der hochverdiente Mann, der auch den durch
flüchtige Sklaven und Gainas Deserteure hervorgerufenen Aufstand in
Thracien noch überwältigte*^), bald ein nicht ganz natürliches Ende
genonmien zu haben **), über das uns die dürftigen Quellen etwas im
Dunkeln lassen, jedenfalls ist er in der ferneren Geschichte des Orients
nicht mehr hervorgetreten.
Aber sicherlich noch vor Gainas Tod waren auch die drei
verbannten Patrioten Aurelian, Satumin und Johannes wieder
nach Constantinopel zurückgekehrt**^); und besonders Aurelian wurde
von der freudigen Bevölkerung auf das ehrenvollste eingeholt. Mit
we may read tcqo iS^ xaXavö. ^lav. = 14. Dez. Derselbe verändert auch zu 401
die Überlieferung im Chron. Pasch, in y ^JoJv =. 1 1 . Januar, um mehr Zeit zu
gewinnen. Aber da Marc. Com. und Chron. Pasch, zu 401 berichten, dafs das
Meer 20 resp. 30 Tage gefroren war, was in diesen Gegenden nur im Januar
möglich ist, so kann das Datum der Seeschlacht nicht über den 23. Dec. hinaus-
gelegt werden, sondern mufs bestehen bleiben. Dagegen nehme ich mit Marcell.
Com. (der es allerdings Veim falschen Jahre bringt) an, dafs Gainas Anf. Febr.
getötet wurde und dafs sein Kopf Ende Februar in der Hauptstadt anlangte. —
Nach Socr. und Sozom. übrigens fiel Gainas durch andere römische Scharen in
Thracien.
^•a) Zosim. c. 21. Joh. Antioch. frgm. 190. Am ausführlichsten Eunap
frgm. 80. Sozom. c. 4 am Ende.
•*) Zosim. c. 22.
*^) Das ist das Einzige, was man dem sonst nicht ganz verständlichen
Fragmente 85. des Eunap entnehmen kann.
*') Zosim. c. 23. Synesius Aiyvmioi II. 4.
9
»30
Kränzen geschmückt, so führten sie ihn in die Stadt hinein, und
Fackelzüge und Nachtfeste wurden ihm zu Ehren unter allgemeiner
Teilnahme veranstaltet, ja das Jahr wurde nach seinem Namen
benannt (400).^^) Er entzog auch den gefangenen und vom Elend
gebrochenen Bruder Typhos der Wut des gereizten Volkes, doch, wo
dieser dann geblieben, das ist von Synesius nicht mehr überliefert
worden. Er deutet in seinem Mythos nur noch an, dafs Aurelian
nicht sofort wieder zur Leitung der Geschäfte (d. h. als Praefectus
praetorio) berufen wurde *ö), sondern' für einige Zeit zurückgezogen
lebte, bis die verbitterte Stimmung zwischen Germanen und Römern
allmählich einer freundlicheren Platz gemacht hätte — Nachrichten,
welche sich durchaus im weiteren Verlaufe der Erzählung bestätigen
werden, ■ — und dals inzwischen andere Staatsmänner von weniger
hervortretender Abneigung gegen die Fremdlinge fürerst die Regierung
übernahmen.
Überblicken wir aber den Verlauf dieser Episode, den unbedeutend
scheinenden Anfang .der Bewegimg, die dann immer gewaltigere
Ausdehnung, die sie annahm, wie nach und nach das ganze Germanen-
tum in Mitleidenschaft und in den Kampf gegen das Römertum
gezogen wurde, so müssen wir vor allem die höhere Fügung darin
erkennen. Denn die Macht, eine gänzliche Umwälzung im Staate
hervorzurufen oder wenigstens sich eine den Westgothen ähnliche,
unabhängige Stellung zu erobern, hat Gainas sicherlich gehabt, und
wenn er in seinem Vorhaben scheiterte, so lag das an seinem eignen
unentschlossenen Wesen, der Ungleichheit und Stammesverschieden-
heit der ihm unterstellten Truppen, sodann aber an. dem passiven
Widerstand, welchen das orientalische Reich mit seinen weitgespannten
Grenzen, seinen beschwerlichen Bodenverhältnissen und den vielen festen
Städten ^^), und endlich der teils im politischen, teils im religiösen Gegen-
satz wurzelnde schliefsliche Aufschwung der gesamten Bevölkerung den
Feinden entgegenstellte. Mit Recht ist dieser Kampf, von dem sich ein
langsames Zurückgehen des germanischen Elementes mit Sicherheit ver-
folgen läfst, wie die meist echt römischen Namen der Heerführer der
Folgezeit beweisen, als ein Wendepunkt in der Geschichte des Ost-
reichs aufgefafst worden, denn die verhältnismäfsig leichte Art,
mit welcher es sich seines mächtigen Gegners entledigte, hat gewifs
") Vgl. cap. V. Anm. 26. II.
") n. 5.
^) Vgl. Finlay I. S. 149. Hertzberg Geschichte Griechenlands seit dem
Absterben des antiken Lebens bis zur Gegenwart I. S. 58. Kaufmann a. a. O.
I. S. 312 und 313.
13«
Alarich und andere Germanen abgeschreckt, von neuem gegen dasselbe
vorzugehen. Die Begeisterung und der Stolz, welche damals die römische
Welt nach langer Zeit wieder erfüllten, haben aber auch in der
Poesie ihren Widerhall gefunden: Ein Schüler des Troilus, der
Scholasticus Eusebius, hat als Augenzeuge den Krieg in seiner vier
Bücher umfassenden Gainea in Hexametern besungen, und siebenund-
dreifsig Jahre später trug Ammonius unter grofsem Beifall Theodosius II.
denselben Gegenstand in neuer Bearbeitung vor.^*) Vor allem aber
hat uns Synesius in seiner Schrift „die Ägypter oder über die Vorsehung",
einer Art allegorisch-philosophischen Romans mit historischem Hinter-
grunde, ein Zeitgemälde von höchster Wahrheitsliebe und Treue hinter-
lassen, bei dem wir nur das eine zu bedauern haben, dafs wegen der
mystischen Form, in der es verfafst ist, uns manches unverständlich
bleibt und nur geahnt werden kann. Er schrieb den ersten Teil
zugleich mit den Ereignissen selbst, während er den zweiten auf
Wunsch seiner Freimde, denen der erste sehr gefiel, später erst
hinzugefügt hat*^)
Achtes Kapitel.
Alarich und Westrom in den Jahren 401 — 403. — Arcadius und seine Familie.
— Geburt und Taufe Theodosius II. — Johannes Chrysostomus* Verhältnis zur
Gemeinde und dem Clerus. — Reise nach Ephesus. — Streit mit Severian von
Gabala. — Eifersucht der alexandrinischen Patriarchen auf den Bischof von Con-
stantinopel. — Charakteristik des Theophilus. — Richtung der alexandrinischen
Kirche. — Theophilus und die Mönche von Nitria. — »Die langen Brüder" in
Constantinopel. — Eudoxia nimmt sich ihrer an. — Johannes und Epiphanius
von Constantia. — Johannes Predigt gegen die Frauen. — Theophilus kommt
nach Constantinopel. — Synode inl ÖQvv bei Chalcedon. — Absetzung und Ab-
führung des Johannes.
Die Frage liegt nahe, warum Alarich sowohl während der Spannung
zwischen den beiden Reichen zur Zeit des Gildonischen Krieges als
auch besonders während der Erhebung des Tribigild und Gainas sich
ruhig in seinen Grenzen verhielt und die Gelegenheit im trüben zu
fischen an sich unbenutzt vorübergehen liefs. Für die Zeit der Unruhen
des Gildo ist sie leichter zu beantworten, denn erst wenige Monate
»») Socrates VI. 6.
**) Vgl. die TiQod-ewQla. Synesius war noch Ende 400 in Constantinopel;
denn er sagt ep. 61, er habe sich einen Teppich geliehen, oTir^vlxa fxs tiqo tc5v
fieydkwv aQxeioiv eöei xad-svösiv — AvQrjXiavöv (piXovavÖQa xal vnaxov
dtpelq aTCQoaavörjTov. Vgl. De insomn. p. 148 C. Clinton fast. Rom. zu 400.
9*
132
vorher war der Vertrag zwischen ihm und Ostrom abgeschlossen
worden und der Reiz der hohen Stellung, welche ihm bewilligt war,
noch zu grofs, als dafs er an einen erneuten Aufstand denken mochte.
Dazu mufste er sich billig fragen, — und dies Moment beantwortet
auch das zweite — welche erstrebenswerten Vorteile ihm ein solcher
im oströmischen Reich bieten konnte? Mit dem Range eines magister
militum, der ihm verliehen worden war, durfte er wohl zufrieden sein,
und auch das Landgebiet, welches seinen Gothen abgetreten wurde,
war seiner räumlichen Ausdehnung nach vollständig für sie ausreichend,
ergiebigere Gegenden aber konnte er in Europa auf der Balkanhalb-
insel nur vergeblich suchen, da er selbst die ganze Illyrische Praefectur
gänzlich verwüstet hatte, und die Verheerung des östlichen Thraciens bis
Constantinopel seit 379 nur selten jahrelang autgehört hatte ; an Asien
endlich hatte er gewifs nie gedacht, und dies wurde gerade im Auf-
stand des Tribigild auf das entsetzlichste mitgenommen. Es hielt ihn,
die Ostgothen und ihr Vorhaben zu unterstützen, femer eine
gewisse Eifersucht gegen Gainas ab, dessen Verhältnis von dem
seinigen zum Reich ebenso grundverschieden war wie das der unter
Alarich lebenden freien Westgothen von dem der dem Gainas unter-
stellten fremdländischen, römischen Söldner. Und was würde eine
solche Unterstützung zur Folge gehabt haben ^)? Schliefslich doch
nur eine erneute Auseinandersetzung zwischen ihm und Gainas, bei
der am Ende das Ostreich bei kluger Benutzung der Umstände wieder
gewann, um so mehr, als es in diesem Kampfe seine' wirksamste Macht
im römischen Nationalgefühl hatte.
Grade nun das Hervorbrechen dieser bis dahin nie so stark
hervortretenden Erscheinung wird aber auf Alarich t»), nachdem er
einmal darauf verzichtet hatte, in die Ereignisse mit einzugreifen, seinen
Eindruck nicht verfehlt haben. Denn er mufste sich selbst sagen, dafs
auch seine ganze Stellung im Ostreich und besonders seine richter-
liche Thätigkeit und Ausnutzung der Hülfsquellen lllyricums nicht
minder als das übermütige Auftreten der germanischen Soldateska
allen wirklich römisch Gesinnten von ganzem Herzen zuwider und ein
Dorn im Auge sei, und dafs, nachdem das Ostreich der ostgothischen
Erhebung nach so kurzer Zeit in der glänzendsten Weise Herr geworden,
auch das Verhältnis desselben zu ihm nicht mehr das gleiche, entgegen-
^) Vgl. zu dieser Auffassung Köpke Anf. des Königt. bei den Gothen
S. 128 und 129, und Hertzberg Gesch. Griech. HI. S. 412 fF.
.*a) Doch hat schwerlich, wie Dahn Urgeschichte I. S. 337 will, das Mifs-
verhältnis zwischen Römern und Germanen schon Alarichs erste Erhebung mit
hervorgerufen.
^33
kommende bleiben werde. Aus allen diesen Gründen war es natürlich»
dafs der Gothenkönig sich hier an der Grenzscheide der beiden
Reiche nicht mehr wohl fühlte und jeden Ausweg, aus seiner drücken-
den Lage herauszukommen, mit Freuden einschlug.
Es gab aber eigentlich für ihn nur einen einzigen, nämlich den
nach Westen, und der ging durch Italien, wo Stilicho gebot. Doch
das schreckte ihn nicht, wenngleich er bereits zweimal im Felde vor
ihm gewichen war, und im schlimmsten Falle brachte ein schneller
Beutezug immerhin pekuniären Vorteil. Dazu wufste er sehr wohl,
dafs die gewaltige Heeresmacht des Westreichs über eben so gewaltige
Gebiete zerstreut war und eine weit längere Grenzlinie zu beschirmen
hatte als das oströmische Kriegsvolk, welche oft genug Stilichos
Anwesenheit wegen aufständischer Bewegungen der unterworfenen und
bundesgenössischen Volksstämme erforderte, besonders in Gallien und
Raetien. Endlich mag auch Eutrop selbst noch seine Augen auf
den reicheren Occident gelenkt haben, obwohl es an einem ausdrück-
lichen Zeugnis dafür mangelt; jedenfalls aber hatte er bei der fort-
gesetzt mifstrauischen Haltung der beiden Brüder vom Ostreich keine
Abhaltung zu fürchten.^)
So suchte Alarich denn noch in demselben Jahre 401 3), in
welchem das Haupt des Gainas von Hunnenhand gefällt in Constantinopel
anlangte, zum erstenmale das Westreich mit seinen beutelüstemen
Scharen heim, indem er am 18. Novemb. die Grenze Italiens über-
schritt; er zog die aus Theodosius Zügen ihm wohlbekannte Strafse
durch Bosnien zum Istrischen Einschnitt des adriatischen Meeres und
erzwang den Durchgang durch den , wie es scheint , nur schwach
besetzten Pafs ad Pyrum bei Hrudschizza.*) Er hatte insofern die
Zeit günstig gewählt, als Stilicho zur Beruhigung eines in Raetien
2) Vgl. Claudian Bell. Get. v. 566 ff.
3) Über Alarichs i . Zug nach Italien vgl. Gibbon VIT. Aschbach S. 72 ff.
Köpke S. 125. Dahn Könige V. S. 36 ff. Kaufmann S. 313 — 315. v. Wietersheim
S. 124 ff. Hertzberg S. 414. Sievers S. 368 ff. — Das Datum — 18. Nov. 401 —
nehme ich mit dem Chronographen von Ravenna gegen Prosper Aquit. und Jor-
dan, c. 29 an, welche den Einfall Stilicone et Aureliano coss. (400) stattfinden
lassen. Dasselbe hat auch Köpke, v. Wietersheim und Kaufmann a. a. O. gethan,
während Aschbach und Dahn den Zug noch 400 ansetzen. Endlich hat auch
O. Seeck im i. Heft der Forsch, zur deutsch. Geschichte 1884: „Die Zeit der
Schlachten bei Pollentia und Verona" die Wahrscheinlichkeit der ersten Ansicht
erwiesen. Vgl. Volz: Über das Jahr der Schlacht bei Pollentia. Progr. Cöslin 1864.
*) Vgl. V. Czoernig Das Land Görz und Gradisca S. 162. Die Station
ad Pyrum ist der niedrigste Pafs des Bimbaumerwaldes ii^ den Julischen
Alpen.
134
ausgebrochenen Aufstandes von Italien abwesend war^), und daher
erklären sich auch seine ersten Erfolge. An den Ufern des sagen-
berühmten Timavus ^) mit verschwindendem Laufe in der Nähe des
Frigidus, wo er selbst vor wenig Jahren unter Theodosius seine ersten
WafFenthaten vollführt hatte, schlug er das ihm hier erst entgegen-
tretende römische Heer in die Flucht und schlofs darauf das vor
seiner Übermacht zitternde, aber durch seine strategische Lage und
WafFenfabriken aufserordentlich wichtige Aquileia ein.*^) Die geschlagenen
römischen Truppen, verstärkt durch neuen Zuzug, suchten vergeblich
ihm den Übergang über die Etsch und die Strafse nach Mailand zu
verlegen, wohin sich der junge, unkriegerische Kaiser Honorius schon
vor Alarichs Ankunft in Italien aus seiner vielgeliebten, durch Sumpf
und Mauern geschirmten Residenz Ravenna begeben hatte.^)
Ganz Italien ergriff der Schrecken, welches seit vielen Jahr-
hunderten feindliche Germanen auf seinem Boden nicht erblickt hatte,
schalt auf den regenlosen Winter, der die gewohnte Überschwemmung
des Po und seiner Nebenflüsse zu unrechter Zeit einstellte*), und
Rom fing an, seine verfallenen Mauern auszubessern. *oj Da konnte
allein nur Stilicho, wie schon oft, die Hülfe bringen, und er brachte
sie. Schon lagen die siegreichen Westgothen ganz nahe der uralten
Kulturstätte der Kelten, Mediolanum, und der wachsame Posten auf
ihren Mauern konnte am Abend die zahllosen Wachtfeuer wie einen
feurigen Ring ringsherum erblicken^*); aber der Kühnheit und Umsicht
eines Stilicho war kein Feind zu stark, kein Flufs zu tief. Schnell
hatte er im Winter 401/402 den Aufstand gedämpft, und die bundes-
genössischen Hülfsvölker zu sofortiger Heeresfolge bewogen, während
») Claud. Bell. Get. 278:
Non si perfidia nacti penetrabile tempus
Irrupere Getae, nostras dum Rhaetia vires
Occupat atque alio desudant Marte cohortes,
Idcirco spes omnis abit.
6) V. 575 fr. Vgl. Kiepert a. a. O. S. 386.
') Weiter darf man mit Kaufmann wohl nicht gehen, da an eine schnelle
Eroberung des festen Platzes ohne Verrat, wie Wietersh. will, nicht zu denken ist.
*) Man kann seine Anwesenheit in Mailand auf Grund des Cod. Theod.
vom 27. November 400 (I. 5, 13) nachweisen. Er ist erst wieder in Ravenna
6. Dez. 402. Cod. Theod. VII. 13, 15. Aschbachs Behauptung S. 72. Anm. 62, Gibbon
habe die Anwesenheit des Honorius in Ligurien nur erdichtet, ist daher unge-
recht und durch seine falsche Chronologie hervorgerufen,
ö) Bell. Get. 47 ff.
w) v. 521 ff.
") v. 44ff.
135
seine Eilboten die Legionen aus Gallien, ja aus Britannien herbeiriefen **^),
um nur Italien zu retten. Mit dem Vortrapp kam er eilends und
noch zu rechter Zeit zurück, durchbrach die Vorpostenkette, durch-
schwamm den Strom und hauchte der entmutigten Besatzung von
Mailand neuen Kampfesmut und neue Siegeszuversicht ein.*^)
Doch mufste der Kaiser vorläufig die Stadt verlassen und sich
weiter westwärts nach Asti, in der Nähe des Tanarus ^^), begeben, um
den über die Seealpen führenden Pässen nahe zu sein, über welche
die gallischen Legionen herbeiziehen sollten. Aber auch Alarich
folgte mit seinen Scharen, berannte vergeblich Asti und lagerte sich
an dem genannten Flusse bei Pollentia, wo er am Ostertage -6. April«-
402 *^) einen friedlichen, gottgeweihten Tag verleben zu können meinte.
Trotz der Heiligkeit des Tages und vielleicht, um die Gothen zu
überrumpeln, griff Stilicho gerade an diesem an. Die von dem aus
Theodosius Zug gegen Eugen rühmlichst bekannten Saul geführte
alanische Reiterei begann als Avantgarde voreilig den Kampf, erlitt
aber trotz der alle übertreffenden Tapferkeit des Saul nach dessen
ruhmvollem Tode eine Schlappe und geriet in Verwirrung. Da
führte Stilicho, ohne einen Augenblick seine Besonnenheit zu verlieren,
seine Legionen ins Treffen, stellte es wieder her und zwang die
Gothen zum Weichen. Selbst das gothische Lager mit den Gefangenen
und der bisher gemachten Kriegsbeute fiel in seine Hände. Gleich-
wohl fühlte er sich nicht stark genug den Feind zu verfolgen und
aus Italien zu treiben; er suchte dies vielmehr auf diplomatischem
Wege zu erreichen und schlofs mit Alarich Waffenstillstand oder
Frieden, der allerdings von den Gothen durch einen hinterlistigen
Angriff auf Verona i^) wieder gebrochen wurde. Noch einmal mufste
daher Stilicho über den Po und an der Etsch mit Alarich einen
entscheidenden Kampf bestehen, in dem der letztere ähnlich wie in
Thessalien und Arcadien von Stilicho völlig eingeschlossen wurde,
aber — merkwürdigerweise wieder wie dort, schliefslich, auf Grund
eines neuen Vertrages, über die Alpen, in die Heimat entkam.^')
*2) V. 414 und 430.
*3) VI. cons. Hon. 45 3 ff.
") Aurel. Prudentius contra Symmach. lib. II. v. 707 ff. Claud. VI. cons.
Hon. 204.
**) Die Berichte über den Ausgang der Schlacht widersprechen sich sehr.
Vgl. Orosius VII. 37, 2. Prosp. Aquit. Chron. Rav. Jordan, c. 30. Claud. Bell.
Getic. 579 bis zu Ende und 76 fF. VI. cons. Hon. 201 ff. Aurel. Prud. II. a. a. O.
Vgl. Clinton fast. Rom. Ich folge in meiner Darstellung Kaufmann a. a. O,
**) Claud. VI. cons. Hon. 202.
") V. 202—320.
136
Doch war sein Verweilen hier nach diesem verhältnismäfsig un-
günstigen Ausfall seines ersten Zuges gegen das Westreich nun erst
recht nicht von Dauer, denn ebenso wie die anfanglichen Erfolge
Alarich von neuem nach dem Occident lockten, ebenso mufste es
ihn drängen die Schlappen, die er zuletzt erlitten hatte, wieder aus-
zuwetzen. Aber auch seine Beziehungen zum Ostreich mufsten sich
nun noch mehr verschlechtern, denn für den Fall, dafs er nicht von
diesem selbst zum Kriege angetrieben war, was nirgends und nicht
einmal von Claudian behauptet wird , so war sein Zug nach Italien
ein höchst eigenmächtiges Vorgehen, das durch den mit Eutrop 396
geschlossenen Vertrag in keiner Weise gutgeheifsen wurde. Er war
durch diesen sowohl römischer General geworden und befehligte
aufser seinen Gothen auch römische Truppen als auch durch die ihm
übertragene Aufsicht über die militärischen Hülfsquellen Illyricums in
gewissem Sinne römischer Beamter und hatte als solcher gewifs
keine Ermächtigung, auf eigne Hand Krieg zu führen, weil, beauftragt
oder nicht, das Odium jedes Krieges auf seinen kaiserlichen Herrn
zurückfallen mufste. Er kehrte demnach in sein ihm zugewiesenes
Gebiet als ein geschlagener, übermütiger General zurück, den für seine
Eigenmächtigkeit zu züchtigen Ostrom nur die Kraft fehlte.
Diesem war nach den fortgesetzten Wirren seit Theodosius* Tod
vor allem Ruhe nötig, und sie wurde ihm denn auch für eine ganze.
Reihe von Jahren zu teil, wenn man von den unbedeutenden Unruhen
an der Donau, in Asien und an den Grenzen Afrikas absieht Bald
nach Gainas Tode wurde der Orient und der Kaiser an seiner Spitze
durch ein überaus erfreuliches Ereignis in Jubel und Freude versetzt,
denn am 10. April 401 ^^) wurde Arcadius endlich der ersehnte Thron-
folger im Porphyrsaal geboren. Dieses Ereignis war um so bedeut-
samer, als Eudoxia ihrem Gemahl bereits drei Kinder, aber nur Töchter,
geschenkt hatte. Es waren das Flaccilla, geboren am 17. Juni 397 1®),
das älteste Klind ihrer Ehe, welche aber noch sehr jung gestorben
zu sein scheint, Pulcheria, geboren am 19. Januar 399^^), und Arcadia,
geboren am 3. April 400.21) Auch blieb Theodosius der einzige männ-
liche Sprofs, da das am 11. Februar 40322) geborene Kind, Marina,
**) So übereinstimmend Marcell. Comes. Chron. Pasch. Socrat. VI. 6. Ohne
Datum Sozom. VIII. 4. Vgl. Idac. Chron.
*8) Chron. Pasch., ohne Datum Marc. Com. Prosp. Aquit.
20) Chron. Pasch., ohne Datum Marcell. Com. Vgl. die ungenaue Notiz
bei Sozom. IX. i.
2*) Chron. Pasch.
22) Chron. Pasch. 10. Febr. Marc. Com. 11. Febr.
137
wiederum weiblichen Geschlechts war. Wie sehr und berechtigt daher
der Wunsch des Arcadius und der Eudoxia war, endlich einen Sohn
zu besitzen, können wir aus den Worten eines Zeitgenossen und
Augenzeugen abnehmen, welcher gerade in jenen Tagen in Constan-
tinopel sich nicht nur aufhielt, sondern auch persönlich mit der
Kaiserin verkehrt hat. Wir sind nämlich so glücklich, den Reisebericht
des Bischofs Porphyrius von Gaza in Phoenicien zu besitzen, mitgeteilt
von seinem Diacon Marcus ^^), in welchem er seine Erlebnisse und
Begegnungen mit den leitenden Persönlichkeiten der Hauptstadt und
des Reichs, und so auch mit der Kaiserin wort- und wahrheitsgetreu
niedergelegt hat.
Die Veranlassung, welche ihn dorthin führte, war ein Bittgesuch
an den Kaiser, dem noch übermächtigen Heidentum in Phoenicien
ein Ende zu machen, und er wurde deshalb von Johannes Chrysos-
tomus an den Oberkammerherrn der Kaiserin, den frommen Ver-
schnittenen Amantius, gewiesen, welcher die beiden Gesandten in der
That bei der Kaiserin einführte. Sie safs bei ihrem Eintritt auf einem
goldenen Sessel und begrüfste sie von demselben aus zuerst mit den
Worten: „Euren Segen, ehrwürdige Väter!" und fügte dann, als sie
näher getreten waren, hinzu: „Verzeiht mir, Priester Christi, wegen
meines Zustandes, dafs ich nicht, wie's sich gebühret, eurer Heiligkeit
bis zur Schwelle entgegentrat und bittet Gott für mich, dafs ich, was
in meinem Leibe ist, mit seiner Hülfe zur Welt bringe!" Die Bi-
schöfe aber, ihre ungewöhnliche Herablassung bewundernd, antworteten:
„Er, der gesegnet hat den Leib der Sara, der Rebekka und Elisabeth,
Er segne auch das Kind in deinem Leibe und lasse es zum Leben
gelangen!" Darauf liefs sie sich über die Not der Christen in Phoe-
nicien berichten und versprach beim Kaiser auf Abstellung der Leiden
hinzuwirken, beschenkte sie noch mit Goldstücken und entliefs sie
dann gnädig.
Am folgenden Tage, als die Bischöfe von neuem zur Audienz
befohlen waren, hiefs sie sie guten Mutes sein, und als Porphyrius
ihr einen Sohn wünschte, da geriet sie in solche Freude, dafs sie
ihm dafür die Erfüllung seiner Bitte und eine Kirche in Gaza zu
bauen gelobte. Und wenige Tage darauf genafs Eudoxia wirklich
eines Sohnes ^4), und Eilboten wurden in alle Städte geschickt, die
frohe Nachricht überall zu verkünden. Sieben Tage darauf schon
*3) Marci Diaconi vita Porphyrii Gazensis ed. Haupt. Abhandlungen der
Königl. Acad. d. Wissensch. 1874. c. 36 ff.
**) c. 41. iv rfj 7tOQ<pvQa ixi^^ oS-sv xal dito Xoxeiaq ßaoiXevq dvfj-
138
liefs Eudoxia die Bischöfe wiederum rufen, trat ihnen bis zur Thür
des Schlafgemaches entgegen und bat um ihren Segen für das Kind
imd sich, den ihnen die Bischöfe gerührt spendeten.
Bald darauf fand die feierliche Taufe statt und gestaltete sich
zu einem Feste der ganzen Stadt, welche sich zu diesem Tage über-
all mit Kränzen, seidenen imd golddurchwirkten Teppichen und an-
deren Kostbarkeiten geschmückt hatte. In feierlicher Procession be-
wegte sich der Zug vom Palaste zu der Sophienkirche: alle trugen
weifse Gewänder, so dafs man meinen konnte, die ganze Menge sei
von einer Schneedecke umhüllt; voran die Patricii, die Illustres und die
übrigen Würdenträger, während eine militärische Begleitmannschaft den
Zug eröffnete und schlofs ; aber alle hatten Kerzen in der Hand. Neben
dem Täufling, welcher von einer der höchsten Hofchargen in präch-
tiger Gewandung gehalten wurde, schritt der kaiserliche Vater einher
fröhlich und mit leuchtendem Antlitz. An der Thür der Kirche
empfing den Zug Johannes Chrysostomus an der Spitze seiner zahl-
reichen Geistlichkeit und vollzog darauf unterstützt von ihr die heilige
Taufhandlung, indem er dem Kinde nach dem Wunsche der Eltern
zur Erinnerung an den Grofsvater den Namen Theodosius beilegte
und gewifs ihm dabei von Herzen wünschte, dafs sich in dem neuen
Sprofs das Bild des seligen Ahnherrn im Glänze aller seiner Tugenden
ohne seine Fehler verjüngen möge.
Die Gesandten aus Gaza standen an der Kirchenthür mit einer
Bittschrift und erwarteten die Rückkehr des Zuges. Als nun Arcadius
mit dem Kinde heraustrat, da riefen sie: „Wir bitten um einen Beweis
deiner Gottesfurcht, o Kaiser!" Der vorher von Eudoxia eingeweihte
Träger des Täuflings aber blieb stehen, liefs sich die Schrift reichen,
las einen Teil derselben und rief in die still gewordene Menge, indem
er seine Hand unter den Kopf des Kindes legte: „Im Namen dieses
Kindes hier! Es geschehe, was in der Bittschrift erbeten wird!" Da
wunderten sich alle und priesen den Kaiser glücklich, dafs er noch
seinen Sohn als Thronfolger erblickt habe. Eudoxia aber, von dem
Geschehenen in Kenntnis gesetzt, nahm das Kind in Empfang und
sprach zu Arcadius: „Selig bist du, dafs deine Augen bei deinen
Lebzeiten solches gesehen haben!" — Soweit der Augenzeuge Por-
phyrius, dem wir nicht genug danken können, dafs uns aus dieser
quellenarmen Zeit einmal ein so recht aus dem Leben gegriffenes,
farbenreiches Bild bis auf heute bewahrt worden ist.
Aber blieb auch das Reich von schweren Schicksalsschlägen, die
von aufsen kamen, frei, so riefen doch die kirchlichen Angelegenheiten
mehrfach Unruhen in der Hauptstadt und von da aus in anderen
139
Gegenden des Orients hervor. Denn das war gerade die Eigentüm-
lichkeit des orientalischen Volkes, dafs es seine geistige Kraft nicht
wie ehedem die alten Griechen dem politischen Leben, der Kunst
und Wissenschaft zuwandte, sondern den spitzfindigsten, dogmatischen
Fragen, welche je ein Mensch aufgeworfen hat, und dafs mit derselben
Leidenschaft, mit welcher die Bevölkerung über den Sieg dieser oder
jener Partei im Circus und Theater stritt, die feine und geringere
Gesellschaft über die Vorzüge der Nicaenischen und Arianischen oder
Eunomianischen Lehre ihre verschiedenen Meinungen austauschte.^^)
Das kirchliche Leben war daher ein aufserordentlich reges im Orient,
und die Bischöfe fanden, sofern nicht gerade ihre Predigt mit einem
Pferderennen oder sonstigen Schauspiel zusammenfiel, die andächtigsten
Zuhörer — für den Augenblick.
So angenehm aber auch diese Teilnahme an allem, was die Kirche
berührte, auf der einen Seite war, so verhängnisvoll konnte sie auf
der anderen für die Ruhe der grofsen Städte und des Landes
werden, wenn ein feuriger, begeisternder Bischof das unwissende Volk
in seine eigenen, persönlichen Streitigkeiten um dogmatische Fragen
hineinzog, weil die orientalische Bevölkerung nicht nur schnell mit
der Zunge, sondern auch ebenso schnell mit der Hand und dem
Schwerte war. So sehen wir denn, während im Occident die wich-
tigsten Punkte unseres christlichen Glaubens: das Verhältnis des
Menschen zu Gott und der Gegensatz zwischen Natur und Gnade zum
zum Austrag gebracht werden, den Orient sich in spekulativen, sophi-
stischen Streitigkeiten erschöpfen, welche mehr als einmal zu neuer
Sectenbildung und blutigem Streit geführt haben. Diese vorausge-
sandte Bemerkung wird die folgende Darstellung der Absetzung und
Verbannung des Johannes Chrysostomus erklärlicher machen, wenn
auch zur völligen Begründung das eifersüchtige Verhalten der Alexan-
drinischen Patriarchen zu den Bischöfen von Constantinopel später
mit einem Worte noch berührt werden mufs.
Schon oben ist darauf hingewiesen worden, wie Johannes trotz
der Reinheit seiner Absichten und der Lauterkeit seines Wandels
wegen des Freimutes und der Energie, mit der er gegen die Schäden
2*) Neander Johannes Chrys. IL S. 19. Kirchengesch. VI. 4. S. 5 ff.
**) Aufser Neander in seinem grundlegendem Werke und Böhringer S. 57fF.
u. a. hat sich in neuster Zeit von katholischer Seite F. Ludwig, Priester der Diöcese
Ermland, in : Der Hl. Johannes Chrysostomus in seinem Verhältnis zum byzantinischen
Hofe. Braunsberg 1883. Ausführlich mit diesem Gegenstande beschäftigt und ihn im
ganzen, streng auf die Quellen sich stützend, objectiv behandelt (aber ungenau
im eitleren).
140
in Kirche und Gemeinde, wo er sie fand, vorging, sich zunächst die
Herzen- seines Cierus und der Mönche in Constantinopel entfremdete.^'')
Aber auch die Glieder seiner Gemeinde verstand er nicht ohne
Unterschied an sich zu fesseln und ihnen eine gute Meinung von sich
beizubringen , wenn es auch nur ein geringer Bruchteil war, der an
seinen Predigten und Handlungen Anstofs nahm. Es waren dies
jedoch zu seinem Verhängnis gerade die Vornehmen und Reichen, von
denen ihm die einen grollten, weil er stets und ständig den
Reichtum schmähte, gewissermafsen die Vermögenden als die besonders
Sündigen hinstellte und vorzüglich wegen seiner nach ihrer Meinung
allzuscharfen, takt- und herzlosen Predigt gegen den gefallenen Eutro-
pius^s), die anderen, wie Marsa, Promotus Witwe, in deren Hause
Eudoxia erzogen war, Castritia, die Witwe des Satuminus, und Eugra-
phia^»), weil er schonungslos gegen die Putzsucht und schamlose
Kleidung der vornehmen Damenwelt unausgesetzt eiferte 30) und ihnen
auch wohl persönlich ernstliche Vorhaltungen deswegen machte.
Endlich trug auch sein Verkehr und Einflufs auf die junge und reiche
Witwe Olympias^^), welche Nectarius noch zur Diakonissin geweiht
hatte und Johannes Chrysostomus bewog, in ihrem wohlthätigen Wirken
Mafs zu halten und nur wirklich Bedürftigen von ihrem Überflufs zu
spenden, dazu bei, ihm diejenigen zu verfeinden, welche aus ihrer
Verschwendung Vorteil gehabt hatten oder erhofften.
Aber nicht nur in Constantinopel selbst erwuchsen dem Bischof
aus diesen Gründen in den verschiedensten Kreisen lebhafte Feinde,
sondern seine durchgreifende Amtsthätigkeit führte diesen noch in
einer Anzahl Suffraganbischöfe eine nicht zu unterschätzende Unter-
stützung zu. Es war Johannes nämlich berichtet worden, dafs die
Kirchen der Provinz Asia von unwürdigen Geistlichen geleitet würden,
2') Vgl. Ludwig S. 18—24.
28) Socr. VI. 5. Sozom. VITI. 6 und 8. Ende. Gegen die Anschuldigung,
dafs er den Reichtum schmähe, verteidigt sich Chrysostomus in der 2. Homilie
auf Eutrop. c. 3 : xaixoL noXXol iyxaXovai fioi ael Xeyovzsg xsxöXrjaai xotq
nXovaioiq. iyat öh xsxoXXtjf^ac zoZg TtXovaloig' ov xotq nXovaioig 6e, dXXa
zoTg xaxc5g rcp nXovtip xsxQ^ß^voLg'
*9) Palladius de vita S. Joh. Chrys. Dial. p. 35. Eugraphia war die
wütendste dieser gegnerischen Damen.
^) Palladius p. 66: ozi y^atSsg ovoai 6ia xhv XQOvov xi dvqßav itaQa-
ßia^ead-s xo oc5fia, ßooxQVxovg (künstliche Locken) inl fjLSXwnov (pigovoat
xa&aTtsQ exaigiösg, ißgi^ovaai xal xag Xoinag iXevd-iQag, inl anaxy x<3v
avvxvyxccvovxcDv xal xovxo x^(>a^;
31) Sozom. Vin. 9. Palladius p. 152. Vgl. Opera Joh. Chrys. III. S. 631.
Böhringer a. a. O. S. 160 — 169. Neander Kirchengesch. V. 3. S. 283,
141
welche ursprünglich Laien, um sich dem lästigen Curialzwange zu
entziehen, um Geld und Gunst ein Bistum zu erlangen gewufst hatten.
Er begab 32) sich daher nach Ephesus, forderte die Schuldigen vor
seinen Richterstuhl, setzte eine Anzahl derselben ab und andere ein, so
an die Stelle des bereits von Ambrosius entlassenen, als Arzt berühmten
Gerontius, Bischofs von Nicomedien, den Lehrer der Kaiserin Eudoxia,
Pansophus. Dieses energische Vorgehen des Johannes gegen die
Simonie schuf ihm in der Person der gemafsregelten Bischöfe neue,
unerbittliche Gegner, welche sich um jeden Preis an dem ihnen ver-
hafsten Oberhirten zu rächen trachteten. Über ein viertel Jahr war
Johannes in diesen unerquicklichen Angelegenheiten abwesend ge-
wesen, und seine Hoffnung, mit seiner geliebten Gemeinde das heilige
Osterfest feiern (400) zu dürfen, war nicht erfüllt worden; um so
gröfser war jetzt seine und ihre Freude, als er endlich heimkehrte, wie
die von ihm damals gehaltene und noch erhaltene Predigt deutlich
bezeugt.33)
Aber auch in Constantinopel selbst fand Johannes nur uner-
freuliche Zustände vor: Schon vor seiner Abreise nach Ephesus hielt
sich dort das Beispiel des Antiochus von Ptolemais nachahmend der
syrische Bischof Severianus von Gabala 3*) (in Phoenicien) auf, um fem
seines einsamen. Bischofssitzes in der glänzenden Hauptstadt durch
seine gewandte und glühende Beredtsamkeit Ehre, Bewunderer,
Reichtum und Gönner zu gewinnen. Johannes hatte ihm in der
freundlichsten Weise gestattet in seiner Kirche zu predigen, und so
war es ihm denn gelungen, wie er es wünschte, in vornehmen Kreisen
Eingang zu finden und besonders bei der Kaiserin. Ihm hatte nun
Johannes, während der Zeit seiner Abwesenheit die Leitung seines
verwaisten Bistums anvertraut ^5), doch nicht zum eigenen Besten, denn
Severian benutzte hinterlistig die Gelegenheit, mit Aufbietung seines
ganzes Einflusses die Herzen der Gemeindeglieder ihrem Bischof ab-
wendig zu machen. Schon über diese Mitteilung, welche ihm der
Diacon Serapio machte, entrüstet, wurde Johannes durch eine unge-
bührliche Äufserung des Severian noch mehr gegen ihn in Harnisch
gebracht; denn Severian rief einstmals, als Serapio, mit dem er offen-
bar Zwist gehabt hatte, ihm, dem Bischof, nicht die nötige Ehrer-
bietung erwies, in der Erregung aus: „Wenn Serapio noch einmal als
32) Sozom. Vin. 6 ausführlich; kürzer Socrat. VI. Ii. Palladius p. 125 flF.
Böhringer S. 54 ff. Ludwig S. 46.
33) Nur lateinisch erhalten. Tom. III. De regressu S. Joannis de Asia CPra.
3«) Socr. VI. 1 1 und 23 Anh. Sozom. VIII. 10.
35) Sozom. a. a. O. Ihm nach Nicephorus Call. XIII. 3.
142
Christ sterben sollte, dann ist Christus nicht Mensch geworden!" In-
folge dieser Gotteslästerung glaubte ihm Johannes das Predigen in
den Kirchen der Hauptstadt untersagen zu müssen, ein gerechtes
Urteil, welches Severian veranlafste, Constantinopel zu verlassen und
sich nach Chalcedon zu begeben. Aber seine Verbindung mit den
Angesehensten des Hofes verschafften ihm bald Genugthuung, denn
die Kaiserin bewog den Arcadius, sein gewichtiges Wort für ihn bei
Johannes einzulegen, während sie selbst persönlich für ihn bat.^*) Da
endlich nahm Johannes sein Verweisungsurteil, wenn auch nur ge-
zwungen, zurück und forderte in einer Predigt 3*^) seine Gemeinde
auf, Zorn und Rachsucht zu vergessen und den Wiedergekommenen
mit oifenen Armen der Liebe aufzunehmen.
Dieses Eintreten der Eudoxia für den Bischof Severian ist das
erste beglaubigte Ereignis, welches darauf hinweist, dafs es Johannes durch
sein freimütiges Auftreten gegen die Vergnügungen und den Modeteufel
der Frauen auch mit der Kaiserin selbst verdorben hatte. Eine
Bestätigung aber dafür, dafs das unliebsame Verhältnis nicht erst
damals entstand, sondern bereits seit einiger Zeit Wurzeln geschlagen
hatte, giebt uns derselbe Porphyrius von Gafa, wenn er zur Zeit der
Geburt Theodosius II. berichtet, dafs Johannes ihm auf seine Bitte, bei
dem Kaiser für ihre Sache zu sprechen, antwortete^®): „Ich vermag nicht
mit dem Kaiser zu reden; denn ihn hat die Kaiserin gegen mich
aufgebracht, weil ich ihr wegen der Wegnahme eines Besitzes, nach
dem sie lüstern war, Vorwürfe gemacht habe!" Auf diese Andeutung
nun hat sich bei späteren Schriftstellern die Legende 3») gegründet,
Eudoxia habe der Witwe des Theognost, Callitropa, ihren einzigen
Weinberg genommen und sei deshalb von Johannes in Erinnerung an
jene alttestamentliche Erzählung „Isebel" genannt worden. Doch trägt
3«) Socrat. VI. II. Vgl. Ludwig S. 50 ff.
37) Tom. in. De recipiendo Severiano. Er sagt in derselben : Sed omit-
tamus iam haec; desinite, conquiescite , cohibete animos, refrenate iracundiam:
sufficit iam, quod laboravit ecclesia, finis sit, desinat turbatio: hoc enim et deo
placitum et piissimo principi acceptum est. — Severianus antwortete ibid.
Sermo ipsius Severiani de pace cum susceptus esset a beato Joanne.
38) c. 36 : XaXijaaL ya^ ov Svvatai ev rw TtaXaziip, insiöri rj ßaalXiaaa
Evöo^ia XvTtetTai nax avtov. c. 37 : iyo) (ihv ovx loxvco tip ßaaiXel Xa-
XrjaaL' naQWQyiasv yag avzov xaz* ifiov ij ßaaiXiaaa Score iyxaXeaa avry
XaQLV xxrifAaxoq oi) BTiid-v/jiijaaaa a^prignaaev xth.
39) Bei Georgios Alexandrinus. Photii Bibl. c. 96. Nicephor. Call. XIII.
14 und XIV. 48. Vgl. Palladius p. 75. Böhringer S. 67. Ludwig S. 56 fF., der
den Bericht des Georg. Alex, „im grofeen und ganzen" für wahr hält, und Ne-
ander Job. Chrys. IL S. 116.
1.43
diese Interpretation der Worte des Porphyrius zu sehr den Stempel
der Nachbildung von „Nabots Weihberg" (i. Könige c. 21.) an sich,
als dafs sie den Glauben noch verdient, der ihr so vielfach entgegen-
gebracht worden ist. Jedenfalls aber leuchtet das eine ein, dafs sich
zum Sturze des Bischofs alle Factoren vereinigen konnten, welche
nur möglich waren: der eigne Clerus, die Mönche, Sufiraganbischöfe
von Seiten der geistlichen Widersacher, die vornehme Welt, insbesondere
die Frauen, der Hauptstadt und im Hintergrunde derselben die
allmächtige Kaiserin selbst von Seiten der weltlichen. Es fehlte nur
ein geeigneter Anlafs, um alle längst besprochenen Vorwürfe in der
Hand eines gewandten Ränkeschmieds zu einem Netze zu verweben, aus
dessen dichten Maschen zu entkommen dem BischofF unmöglich war.
Den Anlafs gaben die origenistischen Streitigkeiten in Ägypten, und
die Hand fand sich in der des Patriarchen von Alexandrien, Theophilus.
Zu den drei ursprünglichen Patriarchaten Rom, Alexandrien,
Antiochia, Orten, an welchen eine christliche Gemeinde seit der Zeit
der apostolischen Missionare bestanden hatte und von denen Rom
bis in die letzte Zeit dieser Periode zugleich der Hauptsitz der welt-
lichen Herrschaft des römischen Reichs gewesen war, hatte sich erst
vor wenig Jahren die bis dahin unbedeutende Kirche des alten Byzanz
hinzugesellt.*^^) Hier hatte kein Apostel gelehrt, hier war kein Apostel-
blut geflossen noch hatte sie berühmte Märtyrer wie jene drei zu
verzeichnen, sie hatte vielmehr bis zu Constantins Regierung unter
dem Metropoliten von Heraclea in Thracien gestanden. Erst das Ansehen,
welches ihr die Erhebung von Byzanz zur Kaiserresidenz Constantinopel
verlieh, verschaffte ihr im Jahre 381 auf dem zweiten öcumenischen
Concil**) denselben Rang, welchen die Hauptstadt selbst nach Rom
bereits genofs. Aber dadurch konnte eine gewisse Eifersucht ^2^ von
Seiten der beiden anderen Patriarchate im Orient nicht vermieden
werden, welche auf ihr hohes Alter und ihre Erinnerungen fufsend
nur imgem dem Bischöfe von Constantinopel eine höhere Stellung
eingeräumt hatten.
Insbesondere war es der Patriarch von Alexandrien Theophilus
gewesen, der sich von seiner Meinung nicht trennen mochte, Constantinopel
als eine Art Tochterkirche der alexandrinischen Kirche anzusehen.*^)
*®) Neander Kirchengesch. V. 3. S. 245 ff.
41) G. §. 108.
*^) Nestorius schrieb später an Johannes v. Antioch^ (Harduin Conciliorum
coUectio I. S. 1333): De consueta vero Aegyptii praesumptione maxima tua reli-
giositas non debet admirari, dum habes antiqua huius exempli perplurima.
43) Vgl. Ludwig S. 14. Böhringer S. 62 ff.
144
Schon bei der Ordination des Johannes sahen wir, wie schwer es
ihm wurde, den Plan, seinen eigenen Presbyter Isidor auf den Bischofs-
stuhl zu erheben, aufzugeben. Wenn nun irgend etwas zum Ruhme
des Theophilus gesagt werden kann, so ist es der Eifer, mit welchem
er gegen das Heidentum in Alexandrien und ganz Ägypten im Jahre
391 vorging *4), und dafs er sich der Nachwelt durch die Abfassung
einer Ostertafel bekannt gemacht hat; aber im übrigen war er ein
echter Ägypter*^) von Gemütsart, leidenschaftlich in seinen Gefühls-
äufserungen, leicht geneigt zum Hafs und mafslos im Zorn, mit dem
sich eine Gabe der Anzettelung und schlauen Berechnung innig
verband. Doch schwerer als dies wiegt der Vorwurf der Habsucht,
welche ihm selbst von seinen Freunden nachgesagt wurde. Von seiner
Klugheit und Gewissenlosigkeit hatte er bereits 388 einen Beweis
gegeben, als die Wage der Entscheidung zwischen dem Usurpator
Maximus und Theodosius noch schwankte, indem er eben jenen
vertrauten Presbyter Isidor mit doppelten Briefen und Geschenken
nach Italien entsandte mit der Weisung, je nach dem Ausfall sie dem
zu übergeben, welcher den Sieg davon tragen werden; ohne dafs
Theodosius diese Zweizüngigkeit später bestrafte.*®)
So mufste sein Geist immer etwas Erstrebenswertes haben, mit
dem er sich beschäftigen konnte, und das war jetzt nach Johannes
Ordination der Gedanke, wie er auf den Bischofsstuhl von Constantinopel
einen ihm genehmen Geistlichen setzen könne. Die Gelegenheit dazu
gab ihm eine dogmatische Streitigkeit, der man es im Anfang aber
gewifs nicht angesehen hätte, zu welchen wunderbaren Folgen sie sich
entwickeln werde.
Alexandrien war nämlich, seit Origenes dort gelehrt und seine
Schule gestiftet hatte, der Sitz einer Richtung des Christentums, welche
derjenigen durch eine mehr geistige Auffassung der christlichen
Lehren entgegentreten wollte, welche dieselbe zu sehr ins Fleisch herab-
zuziehen trachtete und bei der Erklärung der heiligen Schrift zu sehr
am Buchstaben festhing.* ^) Aber die Neigung, dadurch in ein irreales
**) Ausführlich bei G. S. 190 — 193. Neues Archiv für alt. deutsche Gesch.
1877. II. S. 71.
**) Opera S. Joh. Chrys. tom. III. p. 569 E. ep. ad Olymp. : laze yag rwv
AlyvmieDV z6 yivog, b dvfzwdijg xal ogyiXog (xal yaQ zovzo fisd'^ ineQßokfiq
avzolq TiQoaeori z6 Tia&og,) Zur Charakterisierung der Ägypter vgl. Burkhardt
das Zeitalter Constantins des Grofsen S. 1400*. Vgl. seine Charakteristik bei
A. F. Grörer Allgem. Kirchengesch. S. 362 und Palladius p. 77.
*6) Socrat. IV. 2.
*') Neander Kirchengesch. V. 3. S. 9 fF.
H5
»
Schwärmen zu verfallen, brachte diese Richtung mit der practisch-
kirchlichen des Abendlandes in einen Streit, welcher bis in die Zeit
des Johannes Chrysostomus und darüber hinaus die Kirchen verwirrte.
Die Frage nun, welche gerade damals Clerus und Mönche beschäftigte
und entzweite, war, ob Gott körperlich oder unkörperlich sei.'*^) Die
ungebildeteren, einfacheren Mönche huldigten der Anschauung von
einem körperlichen Gott, während die Minderzahl für ein unkörperliches
Wesen Gottes eintrat. Hierin wurden sie von Theophilus lebhaft
unterstützt, welcher in einer öffentlichen Predigt sich energisch gegen
die andere Auffassung erklärte. Infolge dessen strömten jene rohen
Mönche aus ihren Klöstern in der Einöde von Nitria zusammen und
begaben sich nach Alexandrien, um an dem Patriarchen blutige Rache
zu nehmen ; Theophilus aber, der den Sinn der Ägypter genau kannte,
sah keinen anderen Ausweg als eine grobe List, welche ihm freilich
den Vorwurf der Lüge und des Redens gegen die eigene Überzeugung
nicht ersparen kann. £r eilte ihnen nämlich entgegen und suchte
sie dadurch zu besänftigen, dafs er sagte: „Ich sehe in Euch das
Antlitz Gottes!" Aber sie liefsen ihn nicht früher los, als bis er ihnen
feierlich versichert hatte, auch er sei kein Anhänger origenistischer
Ideeen, sondern verdamme gleich ihnen die Schriften des Origenes.
Damit beschwichtigte er den Sturm in seinem Entstehen, und der
Streit wäre beendigt gewesen, wenn Theophilus nicht in anderer
Weise von neuem mit den Mönchen in Zwist geraten wäre.
An der Spitze der ägyptischen Klöster standen vier Brüder:
Dioscurus, Ammonius, Eusebius und Euthymius, welche wegen ihres
hohen Wuchses „die langen Brüder" genannt wurden.*^*) Diese hatte
auch Theophilus wegen ihrer Frömmigkeit und Gelehrsamkeit gern,
zumal sie, wie er selbst damals, Anhänger einer geistigen Vorstellung
von Gott waren. Er entrifs sie deshalb, wie sehr sie auch ein Leben
in ihrer Zelle vorgezogen hätten, ihrer Einsamkeit, ordinierte den
Dioscurus zum Bischof von Hermupolis und übertrug zwei anderen
die Verwaltung des Kirchenvermögens in Alexandria. Aber nicht nur
um der vielfachen Geschäfte willen, welche das neue Amt ihnen auf-
erlegte, sehnten sie sich in ihre stille Klause zurück, sondern mehr
noch stiefs sie die vielfach ihnen gegenüber hervortretende Geldgier
des Bischofs ab. Vergeblich suchte sie daher Theophilus in Alexandria
^*) noxsQov 6 S-sog aafxd iazi xal ävd'Qionov exst oxrjfjtcc ij dawfzazoQ
iazi. Über den Streit berichten ausführlich Socrat. VI. 7. Sozom. VIII. 11 und
12. Vgl. Ludwig S. 60 fr.
^•a) Socrat. VI. 9 und Sozom. VIII. 12.
10
146
zu fesseln, er konnte sie nicht halten und mufste sie nach Nitria zurück-
ziehen lassen.
Aber als er dann erfuhr, welches der eigentliche Beweggrund
ihrer Handlungsweise war, sann er erbittert auf Rache, in welche er
auch den Dioscurus einzuschliefsen gedachte, dessen mächtiger Einflufs
unter den Mönchen ihm längst ein Dom im Auge war. Dazu kam,
dafs auch Isidor, welcher, weil er ihm die zu Zwecken der Wohlthätig-
keit gespendeten Geldsummen nicht zu eignem Nutzen herausgeben
wollte, von ihm aus der Alexandrinischen Elirche ausgewiesen war**^),
sich ebenfalls zu den Mönchen in Nitria begeben hatte. Theophilus
warf daher von neuem den Apfel der Zwietracht unter die Mönche,
indem er den unwissenden und leichtgläubigen derselben, welche die
gröfsere Zahl ausmachten, mitteilte, dafs die langen Brüder der geistigen
Auffassung Gottes huldigten, und liefs in der That auf einer Versamm-
lung der ägyptischen Bischöfe 399 die Schriften des Origenes ver-
dammen.^*)
Da sich die Anhänger der langen Brüder dieser Verurteilung
nicht ohne weiteres anschliefsen wollten, so trieb sie Theophilus
persönlich mit Zuhilfenahme der staatlichen Gewalt des Provinzial-
Statthalters, ihrer achtzig an der Zahl, aus ihren ruhigen Wohnsitzen.**^
Sie begaben sich zunächst nach Jerusalem und von da nach Scythopc4is,
wo sie wegen der dort zahlreich wachsenden Palmenbäume, die sie
zu ihren Arbeiten nötig hatten, zu bleiben gedachten; aber auch hier
wurde ihnen durch die Briefe des Theophilus an die Bischöfe Palästinas,
der Aufenthalt verleidet und so zogen sie, noch ihrer fünfzig, unter
Führung des Dioscurus nach Constantinopel**), um bei Johannes
Chrysostomus Hülfe zu finden.
Johannes aber, um nicht ihretwegen mit Theophilus in Streit
zu geraten, mied zunächst ihre Gesellschaft, liefs sie in der Kirche
zur Communion nicht zu und sorgte nicht für ihren Unterhalt, welch^i
aufser anderen frommen Frauen auch die Diaconissin Olympias über-
nahm.&2^ Er schrieb vielmehr an Theophilus zu dem Zwecke^ die
Mönche mit ihm wieder auszusöhnen *^) ; dieser aber über das Vorgehen
der Mönche höchlichst erzürnt antwortete darauf gar nicht, sondern
schickte seinerseits Vertraute nach Constantinopel, welche Anklage*«
*8b) Vgl. aufser Sozom. a. a. O. Palladius p. 50 und 51.
*9) Palladius p. 55.
««) p. 56.
**) Sozom. Vni. 13. Palladius p. 57 und 58. Socrat. VI. 9.
5*) Palladius p. 59 und 60.
M) p. 61.
H7
Schriften gegen jene nut sich fuhrten.^^) Dies bewog nun wiederum
die schutzsuchenden Mönche auch ihrerseits eine Klage abzufassen ^&)y
welche in siebzig Kapitel geteilt war. Auf ein erneutes Schreiben
erhielt Johannes endlich eine Antwort von Theophilus, doch war
dieselbe in hohem Grade zurückweisend und unhöflich, denn Theophilus
wies in ihr den Johannes anf diejenige Bestimmung des Nicaenisdien
Concils hin, in welcher es einem Bischof verboten wird, sich in Streitig-
keiten aulserhalb seines eignen Sprengeis einzumischen.^) Diese
unfreundliche Schreibweise bewog den Johannes, sich vorläufig von
der ganzen Angelegenheit zurückzuziehen und sie ihren Lauf gehen
zu lassen. Doch erhielt sie trotzdem eine nicht geahnte Bedeutung
dadurch, dafs die Kaiserin in das Interesse der Mönche hineingezogen
wurde. Ammonius nämlich und seine Begleiter benutzten die Gelegen-
heit einer Ausfahrt der Kaiserin und traten an ihren Wagen heran,
um sich über die Nachstellungen von Seiten des Theophilus zu beklagen ;
sie liefs darauf, um die Unglücklichen zu ehren, halten und antwortete
auf ihre Worte sich aus dem Wagen hervorbeugend: „Flehet und
betet für den Kaiser, für mich, meine ELinder und das Reich! Ich
will dafür sorgen, dafs eine Synode zu Stande kommt und Theophilus
auf derselben erscheint"*^)
Die freundliche Antwort, welche die Mönche mit froher Zuversicht
erfüllte, verhiefs also eine gröfsere Versammlung der Bischöfe des
Reichs in Constantinopel zu veranlassen, doch enthält sie keine Spitze
irgend welcher Art gegen Johannes, Eudoxia wurde offenbar damals
nur von der mitleidigen Absicht geleitet, den berechtigten Beschwerden
der äg^'ptischen Einsiedler gegen Theophilus abzuhelfen. In dieser
Weise wurde sie auch dem Theophilus nach Alexandriä gemeldet,
der sogleich Anstalten traf, dem drohenden Unheil zu begegnen und
sich sowohl unter den anderen Bischöfen des Orients als auch in
Constantinopel selbst eine Partei zu gründen. Aber nicht nur an
Abwehr dachte er, sondern, weil ihm fälschlich mitgeteilt war,
Chrysostomus lasse den Mönchen allerlei Unterstützung zukommen,
so richtete sich sein ganzer Hafs auf diesen, und er arbeitete seitdem
zugleich daran, wie er ihn von seinem Bischofssitze entfernen könne.^s)
Aus dem Grunde versöhnte er sich mit dem Bischöfe Epiphanius
von Constantia auf Cypern, mit dem früher über die Natur Gottes
") Sozom. Vni. 13.
») Palladius p. 62.
^) p. 62 und 63 Anf.
") Sozom. VIII. 13.
^) Socrat. VI. 9. Sozom. Vm. 13.
IG*
148
verschiedener Ansicht gewesen war, und bewog ihn, eine Synode auf
Cypem zu veranstalten und die Bücher des Origenes zu verdammen.*^)
Es war das ein frommer, von heiligem Eifer für seinen Glauben erfüllter,
aber leicht zu leitender, einfaltiger Mann, an dem Theophilus mit
Recht deshalb einen Helfer gegen Johannes zu finden meinte, weil
er ihm aus dem freundlichen Benehmen desselben gegen die origenistischen
Mönche eine Vorliebe für die Lehren des Origenes unschwer erweisen
konnte. In diesem falschen Glauben wurde Epiphanius noch dadurch
bestärkt, dafs Chrysostomus sein Schreiben, worin das Verdammungs-
urteil des Origenes enthalten war, unbeantwortet liefs. Die Erbitterung
des Theophilus aber und seine Mafsnahmen gaben den Feinden
des Johannes endlich den Mut, aus dem Dunkel hervorzutreten und
offen gemeinsam gegen ihn vorzugehen. Viele vom Clerus und den
Vornehmen am Hofe bereiteten infolge dessen eine grofse Synode
zu Constantinopel vor, zu der sie die Bischöfe teils durch Briefe
teils durch Boten einluden, während Theophilus vom Kaiser bereits
gleich nach der Unterredung Eudoxias mit den Mönchen ebenfalls
nach der Hauptstadt beordert worden war.^o)
Früher aber als dieser erschien, von Theophilus dazu angetrieben,
der hochbetagteEpiphanius^i) dort und zeigte sogleich durch sein Verhalten,
dafs er sich von Theophilus hatte überreden lassen, in Chrysostomus einen
dogmatischen Gegner und Anhänger des Origenes zu sehen. Er mied
deshalb, obwohl von Johannes freundlich eingeladen bei ihm Wohnung
zu nehmen, eine Begegnung, stieg in einem Privathause ab und
forderte in einer Versammlung die in Constantinopel anwesenden
Bischöfe auf, das Verdammungsurteil des Origenes zu unterschreiben.
Aber nur ein Teil folgte seinem Ansinnen, viele dagegen weigerten
sich, deren Wortführer der Bischof Theotimus von Scythien war.«2)
Gleichwohl erneute Johannes seine Einladung an Epiphanius, der aber
schlug sie nicht nur aus, sondern liefs Johannes auch wissen, er werde
nicht früher mit ihm in Gemeinschaft treten, als bis er den Dioscurus und
seine Brüder aus der Stadt verwiesen habe. Ja, die Gegner des
Chrysostomus trieben den Epiphanius noch zu unbesonneneren Schritten
an. Er hatte die Absicht, in der Apostelkirche vor allem Volk die Schriften
des Origenes zu verdammen, die ägyptischen Mönche zu excommunicieren
und dabei auch den Johannes strenge zu tadeln, aber zum Glück
»•) Socrat. VI. 10. Sozom. VIII. 14.
^) Palladius p. 64. Elaphius war abgesandt worden ihn herbeizuholen,
ö^) Socrat. VI. 12. Sozom. VIII. 14. Wahrscheinlich nach dem Osterfeste
403. Vgl. Ludwig S. 74.
®*) Socrat. und Sozom. a. a. O.
149
erhielt der Bischoff noch vorher davon Kenntnis und liefs ihn durch
seinen Diaconen Serapion zurückhalten.^^) Die Vorhaltungen desselben
machten doch Eindruck auf den alten Eiferer um so mehr, als auch
die ägyptischen Mönche selbst durch Vermittelung der Kaiserin 6*)
persönlich mit ihm in Verbindung traten und sich aussprachen. Hier
erkannte er nun, wenn auch spät, dals er in seinem Eifer viel zu weit
gegangen sei und sich von Theophilus in einen ganz unbegründeten
Hafs gegen die Mönche von Nitria und Johannes habe treiben lassen.
Er beeilte sich daher den Schauplatz seiner unerspriefslichen Thätig»
keit zu verlassen und sagte zum Abschied, als er das Schiff bestieg,
noch die bezeichnenden Worte: „Ich lasse Euch die Hauptstadt, den
Palast imd die Verstellung l"^^)
Es ist nun doch nicht so als ungewifs zu bezeichnen, dafs dem
Chrysostomus hinterbracht wurde, die Kaiserin habe den Epiphanius
zu einem Vorgehen gegen ihn vergeblich zu bewegen gesucht***);
denn selbst von denen, die Johannes wohlwollen, wird stets auf sein
leidenschaftliches, bisweilen mafsloses Wesen hingewiesen, und die
geringe Gimst, in der er seit einiger Zeit bei der Eudoxia stand,
wird ihn ebenfalls schwerlich kalt gelassen haben. Man kann deshalb
immer annehmen, dafs er in jenen Tagen auf diese Einflüsterung hin
eine Predigt hielt, welche zwar nur im allgemeinen die Fehler der
Frauen geiselte, doch aber so geartet war, dafs auch Eudoxia in ihr
einen Hieb auf sich sehen konnte.*"^) Boshafte Zungen werden das
Ihrige dazu beigetragen haben , den Hafs der Augusta gegen den
Bischof zu verschärfen, und so begab sich diese aufgeregt zum Kaiser
und suchte ihm die ihr zugefügte Beleidigung als eine gemeinsame
darzustellen. Dadurch aber erhielt die ganze Angelegenheit in Bezug
auf die ägyptischen Mönche eine ganz andere Wendung, denn der
Kaiserin mufste, wenn sie sich an Johannes rächen wollte, daran liegen
einen Bischof zu gewinnen, dessen ganze Stellung und Persönlichkeit
dazu angethan war, in der Partei, die sich gegen Johannes gebildet
hatte, die Führung zu übernehmen. Dieser Mann konnte aber nach
Abwägung aller Gründe und Gegengründe kein anderer sein als eben
jener Theophilus, der noch vor kurzem zu ganz anderem Zwecke
vom Kaiser nach Constantinopel befohlen war. So vollzog sich denn
03) Socrat. VI. 14. Sozom. Vni. 14.
•*) Sozom. Vni. 15.
0*) Ibid.: d(plrjfjit vfjtTv xriv noXtv xal xa ßaalXeia xal rtjv vTtoxQiaiv.
8«) Socrat. VI. 15. Sozom. Vm. 16. Vgl. Ludwig S. 80.
0') Socr. und Sozom. a. a. O. Selbst der Heide Zosimus sagt: x^XenaL-
vovariq (Eudoxia) itQoxsQOv fihv avx(a x(Ofio)8eXv eicod-oxi xaxa xag avvoöovg
avxTjv iv xaXq ngbq xb nX^d-og ofiiXlatg. Vgl. Ludwig S. 80 — 82.
ISO
ein merkwürdiger Wechsel der Verhältnisse, indem Eudoxia mit kühnem
Federstriche den Patriarchen nun selbst •*) aufforderte, seine Ankunft
in der Hauptstadt zu beschleunigen. Und Theophilus war in der That
ganz die Persönlichkeit dazu, von den zahlreichen Gegnern des Johannes
dasjenige Anklagematerial zu sammeln, welches einer grofsen Synode
als Grundlage für eine Absetzung dienen konnte.
Er war inzwischen von Alexandria aufgebrochen und hatte den
Weg zu Lande vorgezogen, um unterwegs durch sein persönliches
Erscheinen noch mehr Anhänger unter den Bischöfen zu werben.**)
Die übrigen ägyptischen Bischöfe und diejenigen, welche Johannes
auf seiner Reise nach Ephesus abgesetzt hatte, waren bereits angelangt;
alle kamen aber nach Verabredung in Chalcedon, nicht in Constantinopel
zusammen, wo Cyrinus, ein Landsmann des Theophilus und scharfer
Gegner des Johannes, Bischof war. Nachdem nun auch Theophilus
endlich angekommen war, setzten sie alle zusammen über den Bosporus
nach Constantinopel über ''ö), aber, da ihre Absicht hinreichend bekannt
war, so war die Aufnahme, welche sie fanden, eine recht kühle, nur
die Bemannung der zufallig im goldenen Hom vor Anker liegenden
ägyptischen Getreideflotte zog ihrem Oberhirten feierlich entgegen.
Theophilus ausgestiegen''*) machte nicht von der ihm von Chryso&tomus
angebotenen Wohnung Gebrauch, Sondern ging an der grofsen Kirche
vorüber und nahm in einer Vorstadt Quartier. Gleichwohl forderte
ihn Johannes auf mit ihm zusammenzukommen und ihm zu erklären,
warum er zum Anstofs für die ganze Stadt eine so ausgesprochene
Abneigung gegen ihn kundgebe. Doch ging Theophilus darauf in
in keiner Weise ein, und deshalb bewogen seine Ankläger den Kaiser,
dem Johannes aufzutragen, dafs er seinerseits sich zu Theophilus begebe
und die gegen denselben vorgebrachten Verbrechen, die auf Ein-
bruch und Mord lauteten, einer strengen Untersuchung unterziehe. i
Johannes, um nicht gegen die kirchlichen Satzungen zu verstofsen, i
welche verboten, dafs die Angelegenheiten eines Sprengeis in einem i
andern abgethan würden, ging darauf nicht ein. Diese Ablehnung .
des vielgehafsten Patriarchen kam dem Theophilus sehr gelegen, und '
er nutzte die nächsten drei Wochen mit Hülfe seiner aus Ägypten '
mitgebrachten Geldmittel und reichen Geschenke ''2), welche er am f
Hofe an die einfiufsreichsten Persönlichkeiten verteilte, in so geschickter i^^f
'B) Socrat. und Sozom. a. a. O.
•») Vgl. PaUadius p. 73.
'0) Sozom. Vni. 16.
'^^) Vgl. Johannes Brief an Innocenz bei Paliadios p. 12.
") p- 65.
151
Weise aus, dafs er nach Ablauf dieser Frist nicht mehr als der Angeklagte
erschien, sondern sich auf Grund der weltlichen Unterstützung als
Richter über Johannes geberden konnte; ja, selbst einen grofsen Teil
des, wie wir wissen, ohnehin auf Johannes erzürnten Clerus hatte er
auf seine Seite zu bringen gewufsf^)
Nachdem nun so alle Vorbereitungen getroffen waren, wurde
beschlossen, die Synode nicht in Constantinopel abzuhalten, wegen
der Liebe, welche Johannes von Seiten der Bevölkerung genofs, sondern
in einer damas ögig"^^), später Rufinianae beibenannten Vorstadt von
Chalcedon, wo Rufinus zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus eine
Kirche erbaut hatte. Hier vereinigten sich die sechsunddreifsig Bi-
schöfe '*) der gegnerischen Partei um den Theophilus zu der övvoöog
63tl dfvv (synodus ad quercum^<^)). Der origenistischen Streitfragen
wurde mit keinem Worte Erwähnung gethan, sondern Teophilus hatte
hierher nur die flüchtigen Mönche geladen, um sich mit ihnen zu
versöhnen, worauf die unglücklichen und vielgeprüften Männer, zumal
unter dem Druck so zahlreich versammelter ehrwürdiger Bischöfe, ohne
Sträuben eingingen.'^'') Darauf wandte sich die Synode unter dem
Vorsitze des Theophilus ''^) den eigentlichen Beratungsgegenständen zu
und beschäftigte sich in zwölf Sitzungen mit der Angelegenheit des Johannes
Chrysostomus, in der dreizehnten aber mit der des von ihm in Ephesus
eingesetzten Bischofs Heraclides.'^ö)
Als Ankläger gegen Johannes trat sein eigener Diacon desselben
Namens auf. Er hatte seine Anklage zusammengefafst in neunund-
zwanzig Punkten, von denen sich vier auf Johannes' von der gewöhn-
lichen abweichende Lebensweise bezogen, dafs er weder beim Eintritt
in die Kirche noch beim Heraustreten bete, Frauen ohne Zeugen
empfange, allein bade, allein und unmäfsig wie ein Cyclop esse, sich
auf dem bischöflichen Thron auskleide und eine Pastille zu sich
nehme 8ö); während die übrigen Punkte die Behandlung der Cleriker
betrafen, die er im ganzen und im einzelnen geschmäht habe, Ver-
w) p. 66.
'*) Socrat. VI. 15. Sozom. Vm. 17.
'*) Nach Palladius p. 72 waren es 36; während Photius Bibl. c. 59 die
Zahl 45 angiebt. Vgl. Ludwig S. 86.
T*) Die Akten des Concils sind nur im Auszuge des Photius a. a. O. er««
halten. Auch abgedruckt bei Mansi ConcUiorum omnium amplissima collectio HI,
S. II 42 ff. Vgl. V. Hefele Conciliengescbichte II. S. Sgflf,
") Sozom. vm. 17.
78) Vgl. Ludwig S. 87.
^^) Photius Bibl. c. 59.
80) Vgl. Ludwig S. 91.
152
stöfse gegen die Vorschriften über die Ordination von Geistlichen
und Bischöfen und Habsucht und Unterschlagung in vier Fällen.
Darauf trat der Archimandrit Isaac auf und fugte achtzehn neue
Punkte hinzu, in denen Johannes aufser dem Bekannten auch das vor-
geworfen wurde, dafs er zu den Origenisten gehöre, diese begünstige
und anders Denkende schlecht behandelt habe ; er gebe die Erlaubnis
zu sündigen, indem er sage: Wenn du wieder gesündigt hast, so
bereue wieder! und habe einige Heiden, heftige Feinde der Christen,
in die Kirche aufgenommen und beschützt.
Während die Synode nun in die Beratung der einzelnen Anklagen
eintrat, hatten sich die Johannes treuen Bischöfe, vierzig an der Zahl,
um denselben in seinem Palaste versammelt, um ihm in den nächsten,
voraussichtlich trüben, Stunden tröstend und helfend zur Seite zu
stehen.81) Zuerst erschienen die beiden libyschen Bischöfe Dioscurus
und Paulus und überbrachten im Namen der anderen Synode das
folgende Einladungsschreiben : „Die heilige Synode bei der Eiche dem
Johannes ! Wir haben Schriften gegen dich empfangen, welche vielerlei
Anklagen enthalten. Erscheine also und bringe die Presbyter Serapion
und Tigris mit, denn ihre Gegenwart hier ist notwendig." Darauf
entsandte die um Johannes vereinigte Synode die Bischöfe Lupicinus,
Demetrius und Eulysius in Begleitung zweier Presbjrter an die Synode
zur Eiche ab mit einem Erwiderungsschreiben an Teophilus. Er
wurde in demselben aufgefordert, nicht durch seinen Eingriff in einen
fremden Sprengel den Frieden der Kirche zu stören ; in ihren Händen
befinde sich eine Anklageschrift gegen ihn in siebzig Kapiteln, und sie
seien mehr als seine Bischöfe, nämlich vierzig und darunter sieben
Metropoliten. Übrigens möge er nur nach dem Inhalte seines Briefes
an Johannes handeln, in dem er mahne, eine Anklage aufserhalb des
eigenen Sprengeis nicht anzunehmen.83) Diesem Schreiben fügte
Johannes für seine Person noch eine besondere Antwort hinzu, in der
er ausführte: Obwohl er nicht wisse, wer ihn überhaupt anklage, und
es sich gezieme, dafs die Verhandlungen in der Stadt statt fanden,
so wolle er sich doch stellen ; doch weise er seine offenbaren Feinde
als Richter zurück, den Theophilus, der in Alexandrien und Lybien
gesagt habe: „Ich gehe an den Hof, um den Johannes zu stürzen!",
den Acacius von Beroea, der sich geäufsert habe: „Ich werde ihm
schon eine Suppe einrühren!", den Severian und Antiochus. Wenn
") Palladius p. 67 und 68.
82) Palladius p. 71.
*') p. 71 und 72.
153
sie also wollten, dafs er komme, so sollten sie diese aus ihrer Mitte
entfernen.^)
Man mufs gestehen, dafs es von Johannes gutem Gewissen
zeugt, wenn er sich, obwohl sich vollkommen unschuldig fühlend und
ungesetzlich berufen, dennoch stellen wollte, und in der That, wenn
man die Anklagepunkte überblickt, so wäre es ihm gewifs vor
gerechten, unparteiischen Richtern ein leichtes gewesen, sie als
grobe Erfindungen und Übertreibungen darzuthun. Aber die
Synode zur Eiche würde sich selbst den Todesstofs versetzt haben,
wenn sie auf diese Forderung eingegangen wäre, sie wandte sich
daher nunmehr an den Kaiser mit der Bitte, das Erscheinen des unge-
horsamen Bischofs zu veranlassen. Wir sind schon gewohnt den Arcadius
das thun zu sehen, was die Kaiserin jedesmal von ihm verlangte, und
so entsandte er denn einen Notar 8*) mit einem schriftlichen Befehl
an Johannes sich „Zur Eiche'' zu begeben. Kaum hatte sich dieser
ohne Erfolg entfernt, so erschienen bereits zwei neue Abgesandte und
zwar vom eigenen Clerus des Johannes mit ebenderselben Aufforderung.
Wiederum aber lehnte dieser ab und beauftragte jene erstgenannten
drei Bischöfe anzufragen, wie man ihn richten wolle, ohne zuvor seine
Feinde zurückgewiesen zu haben, und wie man es wagen könne, ihn
durch seine eigenen Kleriker zu citieren? Diese Frage erregte
seine Gegner in solchem Grade, dafs sie den ersten der drei mit
Schlägen empfingen, dem andern das Gewand zerrissen und den
dritten in Fessel warfen. Darauf gab die Synode zur Eiche die
Verhandlungen, in welche sie zum Schein eingetreten war, auf den
Antrag einiger Presbyter aus Johannes eigenem Clerus auf und trat
in die Schlufsberatung zur Urteüsfassung ein. Paulus von Heraclea,
der späterhin den Vorsitz übernommen zu haben scheint, liefs die
Anwesenden über den nicht erschienenen Johannes abstimmen. Alle
ohne Ausnahme bis auf Teophilus, der seine Stimme zuletzt abgab,
stimmten für Absetzung. Dieses Urteil wurde dem Clerus von Con-
stantinopel bekannt gemacht und auch dem Kaiser in folgendem
Schreiben: „Da Johannes, obwohl wegen mehrerer Vergehen angeklagt,
Bicht erschienen ist, so trifft ihn die Strafe der Absetzung. Aber die
Anklage enthält auch eine Majestätsbeleidigung. Deine Frömmigkeit
möge daher befehlen, dafs er auch wider seinen Willen hinausgethan
und wegen der Majestätsbeleidigung bestraft werde. Denn diesen
Punkt zu untersuchen steht uns nicht zu. 8«)"
^) P. 73. •*) P. 74.
^) P* 75* l^i^ Verhandlungen und das Urteil, aber nur kurz zusammen-
gefafst, auch bei Socrat. VI. 15 und Sozom. Vm. 17. Vgl. Photius c. 59 Ende.
154
Worin die Majestätsbeleidigung eigentlich lag, wird weder in den
Anklagepunkten noch sonst überzeugend berichtet Denn, was Johannes
Biograph Palladius behauptet, es beziehe sich das darauf, dafs
Johannes die Kaiserin Isebel genannt habe, so ist bereits oben darauf
hingewiesen, auf wie schwachen Füfsen diese Behauptung ruhte.^'')
£s klärt sich dagegen sowohl Eudoxias Zorn gegen ihn und dieser
Anklagepunkt auf, wenn wir annehmen, wie es schon oben geschab,
dafs Johannes wirklich in seiner Predigt seiner Zunge keinen Zügel
angelegt und dadurch die Kaiserin beleidigt hat. Doch der Kaiser
hielt die Absetzung des ein&t so hochstehenden Mannes, der in den
Wirren des Gainäischen Aufstandes so treulich sich des Staatswohles
angenommen hatte, schon für eine genügende Strafe und liefs es bei
dieser bewenden.
Was für ein gröfseres Leid konnte den eifrigen Oberhirten von
Constantinopel auch treffen als eine Verbannung? Das Predigen
und Schaffen in der Gemeinde machte sein ganzes Leben aus, mit ihr
fühlte er sich eins und aufs engste verbunden. Wie bewunderungs-
würdig erscheint er daher, wenn er gewifs ins Innerste getroffen, selbst
in seiner Abschiedspredigt noch seiner geliebten Gemeinde den Trost
einzufiöfsen trachtete, der ihm selbst eigentlich so notwendig war!
Als am Abend desselben Tages sich die Nachricht von seiner Ent-
fernung in der Stadt verbreitete, da erregte das Volk einen schweren
Aufstand, blieb in der Nacht um die grofse Kirche geschart, und liefs
die Trabanten, welche am Morgen erschienen ihn zu holen, nicht ein,
indem es stürmisch eine erneute Verhandlung vor einem gröfseren
Concil forderte.^®)
In diesen Stunden war es, dafs Johannes vor die aufgeregte
Gemeinde trat und jene berühmte Predigt hielt, deren Anfang lautet :S9)
„Zahlreich sind die Wogen und gewaltig die Flut, aber wir fürchten
nicht im Meer zu versinken, denn wir stehen auf einem Felsen ! Lafst
wüten das Meer — den Felsen zu lösen vermag es nicht! Lafst
steigen die Wogen — Christi Fahrzeug können sie nicht versenken!
Was soll ich fürchten? sprich! den Tod? Christus ist mm Leben,
Sterben mein Gewinn. Oder die Verbannung? sage mirs! Die Erde
ist des Herrn und was darinnen ist Oder die Güterconfiscation?
Wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden
auch nichts hinaus bringen, und die Schrecknisse dieser Welt sind
^) Vgl. Ludwig S. 95 und 96.
**) Socrat. VI. 15. Sozom. Vin. 18.
^") "^OfiiUa TiQo z^q i^oQlag tom. m. oper. omn. S. Job. Chrys. ed. Mont
faucon. Vgl. Böhringcr S. 71. Ludwig S. 99,
155
mir verächtlich und ihre Güter belachenswert Nicht Armut fnrchte
ich, nicht Reichtümer begehre ich; nicht vor dem Tode bange ich,
nicht zu leben wünsche ich, wenn nicht zu eurem Besten. Darum
erwähne ich das Gegenwärtige und bitte eure Liebe guten Muts zu
sein. Niemand wird imstande sein uns zu trennen, denn was Gott
verbunden hat, vermag der Mensch nicht zu scheiden!" Diesen Ge»
danken der Unzertrennbarkeit des Hauptes und der Glieder einer
Gemeinde führte er darauf des weiteren aus, immer sich stützend
auf die Trostworte der heiligen Schrift, und suchte so sich und seine
Zuhörer fest zu machen gegen das, was unabwendbar* war.
Drei Tage blieb Johannes noch in Constantinopel, endlich aber
gab er dem Drängen der abgeschickten Trabanten nach, um gröfsere
Unruhen zu verhindern, und folgte am Abend des dritten dem Curiosus
urbis, der ihn eiligst in ein Fahrzeug brachte und mit ihm absegelte.^^)
Neuntes Kapitel.
Volksauflanf in Constantinopel. — Theophilus flieht nach Alexandrien. — Ein
nächtliches Erdbeben erschreckt die Kaiserin. — Der Kammerherr Brison holt
den Bischof zurück. — Feierlicher Einzug des Johannes. ' — Seine Antrittspredigt.
— Ausbruch erneuter Streitigkeiten nach zwei Monaten. — Die silberne Statue
der Eudoxia wird neben der grofsen Kirche aufgestellt. — Die untergeschobene
Predigt des Johannes. — Zweite Synode in Constantinopel, doch ohne Theophilus.
— Erste Aufforderung des Kaisers an Johannes seine Kirche zu verlassen gegen
Ostern 404. — Tumult in der grofsen Kirche am Ostersabbat. — Die Johanniten.
— Zweite Abführung des Johannes in die Verbannung am 20. Juni 404. — Brand
der grofsen Kirche, des Senats und anderer Gebäude. — Untersuchung wegen
der Feuersbrunst. — Arcacius, des Nectarius Bruder, wird am 26. Juni zum
Bischof erhoben. — Standhaftigkeit des Lectors Eutropius, des Presbyters Tigris
und der Olympias. — Beruhigungsedicte des Arcadius. — Verhältnis der occi-
dentalischen zur orientalischen Kirche. — Innocenz, Bischof von Rom, wird von
beiden Parteien um Unterstützung angerufen. — Sein Briefwechsel mit Theophilus,
Johannes und dessen Clerus. — Schreiben des Honorius an Arcadius in dieser
Angelegenheit. — Unwürdige Behandlung der occidentalischen Gesandten. —
Johannes stirbt in Comana 14. September 407. — Vergleichung des Ambrosius
mit Johannes Chrysostomus.
Die Entfernung des Bischofs rief in der Stadt einen Sturm fast
allgemeiner Entrüstung hervor, denn selbst viele von denjenigen, die
tags zuvor noch seine Gegner waren, wurden nach seiner Abführung
plötzlich anderen Sinnes, bemitleideten ihn und schalten auf die
**) Socrat. VI. 15. Tte^l tb fieatjfjtßgivov. Joh. Chrys. in seinem Briefe
an Innocenz bei Palladius p. 12. tc^o^ hani^av ßad-etav.
15^
Kaiserin und besonders auf Theophilus. *) Die Erregung wurde noch
gröfser, als nun die Anhänger desselben, die Mönche, die Kirchen
besetzten, um das Volk an einer Kundgebung zu Gunsten ihres ab-
geführten Bischofs zu verhindern, und ihnen so auch ihre gewohnten
Andachtsübungen unmöglich machten. Da entstand ein grofser Tumult,
in welchem sogar sich Soldaten unter die Menge mischten, Partei für
Johannes ergriffen und alles niedermachten, Mönche und Nichtmönche,
was sich ihnen in schwarzer Kleidung in den Weg stellte.^) Diese
aufrührerischen Vorgänge, welche ihre Spitze in erster Linie gegen
Theophilus richteten, bewogen diesen, sich schleunigst auf die Heim-
reise nach Alexandrien zu begeben, welche er im September 403 an-
trat.3) Ihm war aufserdem nicht entgangen, dais auch am Hofe der
Wind plötzlich anders wehte, sicherlich unter' dem Druck der Er-
regung unter der Bevölkerung; dazu wurde gerade in diesen Tagen
die Stadt durch ein nächtliches Erdbeben erschreckt^), ein Ereignis,
welches am Bosporus damals etwas ganz gewöhnliches war imd nur
durch eine schamanistische Verbindung mit der Entfernung des Jo-
hannes eine ungewöhnliche Bedeutung erhielt. Denn das erschreckte
Volk sah darin eine Strafe des erzürnten Himmels und wandte daher
seinen Zorn den Urhebern der Absetzung zu ; es rottete sich vor dem
kaiserlichen Palaste mit Geheul und Wehklagen zusammen und for-
derte stürmisch die Zurückberufung des Johannes.**) Es blieb der
geängstigten und abergläubischen Kaiserin nichts weiter übrig, als sich
an ihren Gemahl mit der Bitte zu wenden, um jeden Preis den Bischof
zur Rückkehr zu veranlassen. Vielleicht empfand sie wirkUch auch
einige Reue und sah die Vergehen des Johannes in weniger dunklen
Farben, jedenfalls blickte aus ihren nächsten Handlungen die unver-
kennbare Neigung hervor, sich mit ihm, für den Augenblick wenigstens,
auszusöhnen.
Während sie nun mit dem Volke zusammen in feierlicher Pro-
cession*) den Himmel wieder zu besänftigen trachtete, suchte ihr Kammer-
») Socrat. VI. 16. Sozom. Vm. 18.
*) Zosim. V. 23. Gegen Ludwig S. lOi nehme ich an, dafs diese Vor-
gänge nicht erst nach der Rückkehr des Johannes stattfanden.
3) Nach Palladius p. 16 und 76 wäre allerdings Theophilus erst nach Jo-
hannes Rückkehr geflohen, weil ihn das Volk ins Meer werfen wollte. Vgl.
Clinton Fast. Rom. S. lOO und 104.
*) Theodoret V. 34 (und Nicephorus Callist. IX. c. 16). Vgl. Hammer Con«
stantinopel und der Bosporus I. cap. XII zu den Erdbeben.
* *) Vgl. Chrys. hom. post redit. ex exilio. und Socrates-Sozomen. a. a. O.
'^) Darauf beziehe ich in seiner Antritts predigt tom. III. p. 429B. ßaai-
Xiöa avyxoQSvovaav ildßsrs' ov yag dnoxQvyjoßai tb ^^Aov avT^g,
157
eunuche Briso den Verbannten einzuholen. Er traf ihn in Praenetum
auf dem Wege nach Nicomedien und überbrachte ihm, mit der Auf-
forderung eiligst umzukehren, einen eigenhändigen Brief seiner kaiser-
lichen Herrin: „Deine Heiligkeit, schrieb Eudoxia, möge nicht glauben,
dafs ich von dem Geschehnen Kenntnis hatte. Ich bin unschuldig
an deinem Blute. Böse und verworfene Menschen hatten diesen Trug
ersonnen. Meiner Thränen Zeuge aber ist Gott, dem ich diene, und
ich erinnere mich, dafs durch deine Hände meine Kinder getauft
sind".*) Dieser Brief enthielt Wahres und Falsches durcheinander ge-
mischt, denn böse und falsche Menschen mochten ihr Verhältnis zu
Johannes wohl verbittert haben, aber ebenso unwahr ist, dafs Eudoxia
von den Vorgängen auf der Synode nichts gewufst habe. Schon ihr
Schreiben an Theophilus widerlegt eine solche Behauptung, die nur
aus der grofsen Seelenangst zu erklären ist, in welcher sich die
Kaiserin befand.
Johannes aber mochte nicht minder ihre Sinnesänderung für
aufrichtig halten, und dankte gewifs dem Herrn von ganzem Herzen,
dafs das Leid sich wieder in Freude gewandelt habe. Und auch die
Bevölkerung der Hauptstadt schwamm wieder in einem Meere des
Entzückens, als es hiefs, Johannes kehre zurück, fuhr ihm in zahl-
reichen Kähnen entgegen, und das goldene Hom erschien dem Bischof
märchenhaft erleuchtet von all' den Wachskerzen'') in den Boten, als
er sich am Abend dem Ufer näherte. Doch trat Johannes nicht so-
gleich wieder sein Bischofsamt an und nahm in seinem bischöflichen
Palast Wohnung, sondern er blieb auf einem Landgute der Kaiserin ^)
Marianae, fest entschlossen nicht früher in Thätigkeit zu treten, als bis
durch eine gröfsere Synode die Absetzung widernifen wäre. Aber
das Volk war mit einem solchen Zögern, das sich seinem Triumphe
in den Weg stellte, nicht einverstanden und drängte so lange, bis
Johannes von seiner Forderung abstand und in feierlichster Weise in
die Stadt zurückgeführt wurde, wo ihm Eudoxia noch am späten
Abend durch einen Vertrauten Glück wünschen liefs.®)
Wie voll damals sein Herz von Dank gegen den Höchsten war,
das bezeugte er in der ersten Predigt, die er an seine Gemeinde
•) Ebend. p. 429 D.
') Theodoret V. 34.
*) Socrates VI. 16. Sozomen. Vui. 18 nennt den Namen des nQOaareXov
nicht, sondern sagt, es lag neQl xov avanXovv, Vgl. Ludwig S. 102 und 103.
®) So fasse ich ihre Worte auf, die sie ihm sagen liefs: ^ evx^ f^ov Tte-
nXriQwrar dnrixTiaa zb xarogd^wfjta. iaTS<pavw&rjv fiäXXov zov öia&i^fiaroq.
Vgl. Hom. post redit.
158
richtete:*^) „Wie soll ich Worte finden för meine Gefühle? Gelobt
sei Gott! Mit diesem Worte ging ich hinweg, mit ebendemselben
trete ich wieder ein, ja vielmehr auch dort habe ich nicht aufgehört
es auszusprechen. Ihr erinnert euch, dafs ich den Hiob als Beispiel
heranzog und sagte: Der Name des Herrn sei gelobt in EwigkditI
Dieses Pfand habe ich euch beim EUnweggehen zurückgelassen, dieselbe
Danksagung nehme ich wieder auf: Der Name des Herrn sei gdobt
in Ewigkeit!" Am folgenden Tage hielt er eine längere Predigt ^i),
in der er anknüpfte an die Erzählung, wie Abimelech (i. Mos. 20.)
sich Abrahams Weib Sara, die dieser für seine Schwester ausgegeben
hatte, holen liefs, sie aber auf des Herrn Geheifs unberührt zurück gab; so
hätte auch jetzt der Ägypter (Theophüus) die Kirche eingenommen,
aber kaum für einen Tag. Es ist nicht wunderbar, dafs er dabei
besonders der Kaiserin öfters Erwähnung that; er rühmte ihre Teil-
nahme an dem Bittgange infolge des Erdbebens, teilte ihren oben
dtierten Brief mit und hob preisend am Schlufs hervor, dafs sie alles
thue die Kirche in Ruhe weit^ wachsen zu lassen. ^^) Denn in der
Freude über ein unerwartetes Glück tritt die Erinnerung an frühere
Unbilden und Meinungsverschiedenheiten zunächst zurück, itm sich
später allerdings von neuem geltend zu machen.
So war es auch in diesmal Falle. Kaiun zwei Monate ^^) war es
Johannes vergönnt in Ruhe seines Amtes zu pflegen, als ein unvorher-
gesehenes Ereignis bewies, dafs die Versöhnung von Seiten der Augusta
nur äufserlich war, und dafs alle Gedanken der Reue sofort wieder ins
Gegenteil umschlugen, sobald nur die abergläubische Furcht vor der
Strafe Gottes von ihr gewichen war. Die Veranlassung zu erneuten
Mifshelligkeiten gab die Feier der Aufstellung einer silbernen Statue
der ELaiserin **), welche ihr vom Stadtpraefecten Simplicius geweiht wurde,
**) bfiilia xov avtov oxe iqX^ev mto r^c i^ogiaq.
") Denselben Titel führend p. 427 A ff.
**) TtdfjiTioXXa Ttoist äoTS xo ipvxevS'hv fieivai ßsßaiov äars rrjv ixXrj-
aiav dxkv6(6viazov fzsZvai, — Die erste Verbannung fand statt im Jahre 403
Ausgang des Sommers. Man kann dies, da Marcell. Com. und Chron. Pasch,
nur die zweite kennen, aus Socrat. VI. 18 schliefsen, der berichtet, dafs der Brand
der grofsen Kirche 404 20. Juni erfolgte , Ostern und Weihnachten als vorher-
gehend erscheinen, und dafs Palladius p. 76 zwischen der Rückkehr des Johannes
und dem Ausbruch der neuen Streitigkeiten 2 Monate verstrichen sein läfst.
13) Vgl. Clmton Fast. Romani.
") Prosp. Aquit. Marcell. Com. Socrat. VI. 18. Sozom. VJLLL. 20. Palla-
dius, der doch sonst über diese Verhältnisse am besten unterrichtet erscheint,
weifs nichts davon und giebt überhaupt keinen Grund für den neuen Streit an.
p. 76 : Msta ovo fjtrjvaq naXiv vTiavaTtvsvaavzsg z^g nXrjyfjg, (pQvdzzovzai ix
I
159
auf eine Porphyrsäule ^^^) auf dem Platze an der Süds^te der grofsen
Kirche» welche, wie alle derartigen Festlichkeiten, unter grofsem Jubel
des Volkes und in Verbindung mit orchestrischen und mimischen
Darstellungen vor sich ging. Gewöhnlich fanden sie an einem Sonntage ^^)
statt und fahrten alsdann unter Umständen zur Verödung des Gottes-
dienstes. So wurde auch die Aufrichtung dieser Bildsäule an einem
Sonntage und zu einer Zeit vorgenommen, als Johannes gerade einen
Gottesdienst abhielt Der wüste Lärm störte die Andacht der Gläubigen,
und so liefs er denn in seiner Predigt seinem Unwillen über die
unheiligen Volksfeste volle Freiheit Er hatte dabei keineswegs mit
irgend einmal Worte derjenigen Erwähnung gethan, der das Fest galt,
gldchwohl beeilten sich seine Feinde, seine Worte als eine erneute
Beleidigung d^ Augusta hinzustellen und verfehlten nicht sie ihr selbst
in dieser Weise vorzutragen.
Da entbrannte der alte Groll, welcher nur durch die Not der
Umstände zurückgedrängt war, von neuem in dem Herzen der
allmächtigen Frau und wiederum schwur sie dem Bischof Rache.
Johannes bemerkte jedenfalls sogleich in dem Verhalten des Hofes
und sdnes Cl^ns, dals wieder etwas gegen ihn im Werke sei, dennoch
hat er gewifs nicht eine darauf bezügliche Predigt gehalten, deren
Anfangsworte gelautet hätten: „Wieder wütet Herodias, wieder sinnt
sie Böses, wieder tanzt sie, wieder begehrt sie das Haupt des Johannes
auf einer Schüssdl*'^^) Es sind das vielmehr Worte, welche von einem
öevTbQOV xaza xov ^lioavvov * Dieses Schweigen erscheint aufiallig und ist gerade
kein Beweis für seine "Wahrheitsliebe.
**a) Corp. J. L. m. 736. Sie trug auf der einen Seite die Inschrift: D. N.
Aeiiae Eudoxiae semper Augustae vir clarissimus SimpUcius Prf. U. dedicavit;
auf der anderen:
\jcio\v(x, noQfpvQiriv xal aQyvQiyv ßaaiksiav
öBQxso, Iv^a TtoXrji &sfjtiat€vovaa avaxzsg'
ovvofia, 6^ si Ttod^seigy Evdo^ia' zig 6^ dviS^xsv;
SifinXixiog, fieyaXmv vnaxmv yovog, iad-lög vnaQx^Q-
Er war jedenfalls der Cod. Theod. 396. 1. 12, 5 erwähnte Proconsul Asiae, während
es in denselben Jahren, wie die Series Chron. Comt. erweist, auch einen magister
militum desgleichen Namens gab. Seine Ahnen, welche Consuln gewesen waren,
müssen mütterliche sein, da bis zum Jahre 312 sich kein Simplicius als Consul findet.
«) Vgl. Cod. Theod. XV. 4, i.
^^ Diese "Worte (fast völlig übereinstimmend) finden sich nur bei Socrat.
VI. 18 xmd Sozom. VHI. 20. Ludwig erörtert die Frage der Glaubhaftigkeit
S. 115 — 120 und kommt zu dem Resultat, dafs jene "Worte, wie von der Predigt,
an deren Spitze sie stehen, längst nachgewiesen ist, eine nachträgliche Fälschung
sind, welche wahrscheinlich in Syrien entstanden sei, weil die Hauptfeinde des
Chrysostomus, Severian und Acacius, Syrer waren. Vgl. Neander Joh. Chrys. II.
S. 220. Böhringer S. 74.
i6o
witzigen Fälscher nachträglich ersonnen und untergeschoben sind;
denn zu einem solchen Vergleich hätte sich selbst Chrysostomus nicht
mit seiner mafslosen Zunge verirrt. Die Nachricht von dem Ausbruch
erneuter Mifsstimmung zwischen dem Hofe und Johannes rief A') seine
alten Widersacher, welche an der Synode zur Eiche teilgenommen
hatten, nach der Hauptstadt zurück, wo sie bereits eine grofse Anzahl
der inzwischen vom Kaiser berufenen Bischöfe antrafen.
Diese hatten zunächst ganz im Sinne des Hofes die Kirchen-
gemeinschaft mit Johannes wiederaufgenommen ^^), mufsten aber infolge
des letzten Ereignisses inne werden, dafs ihre Haltung der Kaiserin
nicht genehm war, und fingen an, allmählich durch Überredung und
Geschenke bewogen **), auf die andere Seite überzugehen. Gleichwohl war
Johannes zu ihrem grofsen Schrecken bereit, sich ihnen zur Untersuchung
zu stellen, denn das Anklagematerial erschien auch ihnen nicht stich-
haltig; da half ihnen Theophilus, der auf alle Mahnungen des Kaisers
nach Constantinopel zu kommen mit Ausflüchten geantwortet hatte
und nicht von Alexandrien fortzubewegen war, aus der Verlegenheit,
indem er ihnen riet den IV. und XII. Canon des antiochenischen
Concils vom Jahre 341 gegen ihn in Anwendung zu bringen, nach welchen
ein Bischof oder Priester, der abgesetzt wieder in sein Amt zurück-
kehrte, ohne von einer Synode dazu befugt zu sein, ohne weiteres
daraus vertrieben werden soUte.^o)
Um die Anwendung oder Nichtanwendung dieser Vorschriften
drehte sich in der Folge längere Zeit der ganze Streit, welcher zum
Teil vor dem Kaiser selbst '-^) ausgefochten wurde und zu manchen
Aufläufen führte, bis Arcadius, der schon am Weihnachtsfest 403 der
Kirche fem geblieben war^ä) und so die Gemeinschaft mit Johannes
aufgehoben hatte, gegen Ostern 404 von seinen immer dringender
werdenden Feinden sich überzeugen liefs, dafs jene Satzung auf
Chrysostomus Anwendung finde, und diesem kund gab, er möge durch
zwei Synoden verurteilt, seine Kirche verlassen.*^^^ Doch diesem Ansinnen
gegenüber wies Johannes darauf hin, dafs er die Leitung der Kirche
^^) Socrates und Sozomenus a. a. O.
18) Palladius p. 78. ") p. 79.
*o) Palladius ibid. vgl. Ludwig S. 122 — 124.
8*) Palladius p, 80 und 81. Davon giebt auch Cod. Theod. XVI. 4, 4 vom
29. Jan. 404 Zeugnis , welches den Palastsoldaten bei Vedust ihrer Stellung die
Teilnahme an Versammlungen untersagt.
^) Socrat. und Sozom. a. a. O-
") Palladius p. 81. Wenn Pall. p. 80 sagt: naQiTtTtaaav firjvsg ivvea tj
dexa über diese Streitigkeiten, so ist das wohl etwas übertrieben.
i6i
von Gott erhalten habe und darum nur der Gewalt weichen
werde. Es vergingen daher einige Tage, bis, nachdem der Versuch
der zu Johannes haltenden Bischöfe die Kaiserin umzustimmen mifs-
lungen war*^*), Arcadius endlich den Mut fafste und den Befehl zur
gewaltsamen Fortfuhrung des Bischofs erteilte.26)
Es war grade der Sonnabend vor Ostern, und in der Nacht
sollten nach alter Sitte die Katechumenen das Bad der heiligen Taufe
erhalten, da stürzte ein Haufe Soldaten, zum teil Heiden, in die
Kirche, trieb die Priester heraus und umstellte den Altar mit Waffen;
selbst die Frauen, welche zur Taufe anwesend waren, wurden nackt
liinausgetrieben, gestofsen, ja viele verwundet; sogar ins Heiligste drangen
ciie Soldaten und gofsen Christi Blut auf ihre Gewänder. Das aus
der Kirche getriebene Volk sammelte sich mit den Priestern in den
Sädem des Constantius^*), um hier die Auferstehung des Herrn zu
feiern; aber auch an dieser Zufluchtsstätte war ihres Bleibens nicht,
<lenn das von den Gegnern herbeigeholte Militär säuberte, wiederum
nicht ohne Verwundungen, den Ort. Doch ihre Absicht, das Volk
dadurch zum Besuch der grofsen Kirche am Ostersonntage zu zwingen,
erreichten sie damit nicht, denn die Chrysostomus treu ergebene
Gemeinde zog am Morgen aus der Stadt in die nächste Umgebung
und feierte ihr Osterfest unter Bäumen und in Schluchten. Zwar liefs
man sie auch hier nicht ungestört und verhaftete sogar eine Anzahl
Männer und Frauen ^8), doch hinderte dies die Anhänger des Johannes
nicht, auch fernerhin gesondert von den übrigen ihre Gottesdienste
abzuhalten. Davon erhielten sie den Namen der Johanniten.28)
Inzwischen war der Bischof Johannes selbst ebenfalls nicht seines
Lebens sicher, da man sogar mörderischen Absichten gegen ihn auf
die Spur kam 2»), und wurde deshalb von den Eifrigsten Tag und
Nacht in seinem Palaste bewacht. Dieser unleidliche Zustand dauerte
von Ostern bis nach Pfingsten, denn wegen der früheren Tumulte
bei der ersten Abführung hatte Arcadius nicht den Mut die zweite
anzubefehlen. Endlich begaben sich die Häupter der Gegenpartei
fünf Tage nach Pfingsten ^o) in den kaiserlichen Palast und bewogen.
2*) Palladius p. 82 f. und 83 Anf.
2*) Über die folgenden Vorgänge berichten: Sozom. VIII. 21. Job. Chrys.
bei Palladius in seinem Briefe an Innocenz p. lyfF. und Palladius selbst p. 85 ff.
Vgl. Ludwig S. 129 ff.
^^ Sozom. a. a. O. und Socrat. VI. 18.
27) Palladius p. 86.
»«) Socrates VI. 18.
»«) Sozom. Vm. 21.
*>) Palladius p. 88. Pfingsten fiel auf den 5. Juni. Vgl. Ludwig S. 133,
II
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103
näher, dafs, ohne eine Verabredung anzunehmen, einer aus der Zahl der
fanatischsten Johanniten in dem Augenblicke, wo die Abführung des
Johannes bekannt wurde, den Entschlufs fafste, dem Chrysostomus
eine Fackel anzuzünden, deren Leuchten er zwar schwerlich noch
werde sehen können, die aber doch den triumphierenden Gegnern
den Sieg in etwas verleiden sollte. Die Folgen dieser unüberlegten
Handlung waren in jeder Beziehung traurig sowohl für die orientalische
Kirche überhaupt wie für eine ganze Anzahl der Johanniten. Eine
strenge Untersuchung 39) wurde sogleich in Constantinopel durch den
Stadtpraefecten Studius eingeleitet, während auch die Bischöfe und
Kleriker, welche Johannes in die Verbannung folgen wollten, wegen des
plötzlichen Brandes angehalten und in Chalcedon festgehalten wurden.^^j
Die Verfolgung erschien den Christen um so schrecklicher, als Studius
noch am Ende des Jahres von Optatus abgelöst wurde**), von dem
berichtet wird, dafs er Heide war. Waren schon in den ersten Tagen
viele Verhaftimgen unter den ^esinnungstreuen Bischöfen und Clerikem
vorgekommen, so nahm die Verfolgung noch zu, als Arsacius, der
achtzigjährige Bruder des Nectarlus, welcher selbst als Zeuge gegen
Johannes auf der Synode zur Eiche aufgetreten war, zum Nachfolger
des Vertriebenen am 26. Juni erhoben wurde.*^)
Die Milde nämlich, welche ihm gegen seine Kleriker nach-
gerühmt wird, bewies er durchaus nicht gegen die Anhänger seines
Vorgängers, denn auf seine Veranlassung wurde ein Militärtribun mit
entsprechender Mannschaft aufserhalb der Hauptstadt beordert und
störte dort den Gottesdienst der Johanniten in der rohesten Weise,
Prügel und Stein würfe kamen zur Anwendung, viele wurden verwundet
und die Frauen ihres Schmuckes beraubt.*^) Damals gingen viele
freiwillig ins Exil, auch Frauen und unter ihnen die wegen ihrer
ewigen Jungfräulichkeit und Heiligkeit berühmte edle Bithynierin
Nicarete, den Armen und Kranken eine stets bereite Helferin. Andere
blieben und ertrugen die ihnen auferlegten Leiden mit der Geduld
und Freudigkeit wahrer Märtyrer: So der Lector Eutropius, der obwohl
geschlagen, zerfleischt und mit brennenden Fackeln gebrannt, nichts
über die Feuersbrunst bekannte und im Gefängnis starb, und ebenso
der Presbyter Tigris, der allen Qualen mannhaft Trotz bietend
schliefslich noch nach Mesopotamien verbannt wurde.
39) Socrat. VI. 18. Sozom. Vm. 22—24. Palladius p. 95.
«>) Palladius p. 93.
**) So nimmt Ludwig S, 144 an. Vgl. Socrat. VI. 18.
**) Socrat. VI. 19. Sozom. VIII. 23. Palladius p. 94.
*3) Sozom. a. a. O.
II*
164
Nicht minder standhaft erwies sich die Diaconissin Olympias^*),
jene treue Freundin des Chrysostomus, mit der er später den lebhaftesten
Briefwechsel aus dem Exil unterhielt. Gefragt vom Praefecten, warum
sie die Kirche angezündet habe, antwortete sie: „Das ist nicht mein
Lebensberuf, denn ich habe mein grofses Vermögen auf die Erbauung
von Gotteshäusern verwandt!" und als jener meinte, ihm sei ihre
Lebensweise hinreichend bekannt, erwiderte sie: „So tritt du an die
Stelle des Anklägers und lafs einen anderen über uns richten!" Als
er darauf aus Mangel an Beweisen diese Anklage fallen liefs und den
gefangenen Frauen ihr Fembleiben von dem Gottesdienste des Arsacius
verwies, nahmen die übrigen das ruhig hin, Olympias aber wies ihm
diese Bemerkungen als ganz ungehörig zurück, zahlte die ihr auferlegte
hohe Geldsumme und zog sich nach Cyzicus zurück. Endlich aber,
da die Untersuchung trotz aller Strenge, wie ein Bericht drastisch
sagt, „nur den Schatten eines Esels" ergab, ordnete Arcadius am
29. August 4044^) die Entlassung der Cleriker an, doch mit der
Bestimmung, dafs sie sogleich aufs Schiff gebracht und ihrer Heimat
wieder zugeführt werden sollten.
Femer wurden die Häuser, welche fremde Cleriker oder Bischöfe
nach Veröffentlichung dieses Ediktes aufnehmen würden, mit Confiscation
bedroht, ingleichen diejenigen, in welchen nachweislich tumultuarische
Versammlungen stattfinden würden. Überhaupt wurden alle fremden
Qeriker angewiesen die Hauptstadt zu verlassen. Gleichwohl zitterte
die Johannitische Bewegung in Constantinopel weiter fort, und wie
tief sie hier ging, zeigt eine neue Verordnung*®) des Kaisers wenige
Tage später, welche den Hausbesitzern befiehlt, ihre Sklaven von den
aufrührerischen Versammlungen fernzuhalten, und im Weigerungsfalle
drei Pfund Gold Strafe androht. Zugleich wurden die Corporationen,
insbesondere die der Geldmakler, für das Verhalten ihrer Mitglieder
verantwortlich gemacht und im Falle des Zuwiderhandelns mit einer .
Strafe von fünfzig Pfund Gold bedroht. |
Aber wurde den Johanniten die Heimat durch solche Mafsregeln f
verleidet, so blieben ihnen noch die Provinzen, in denen sie unter f
den Bischöfen so manchen Freund und Gesinnungsgenossen fanden, [
und so breitete sich die Johannitische Secte, durch den ganzen f
Orient aus. Zwar suchte auch hier Arcadius durch gesetzliche Anordnung r
dem Unwesen zu steuern und Frieden zu stiften, indem er die Statt- j;
**) Sozom. c. 24.
«) Cod. Theod. XVI. 2, 37.
«) XVI. 4, 5.
i65
halter anwies „die Zusammenkünfte derjenigen zu hindern, die auf
die Religion der Orthodoxen sich stützend die heiligen Kirchen ver-
achteten und anderswo zusammenkämen, denn die, welche sich von
der Gemeinschaft des Arsacius, Theophilus und Porphyrius (Antiochia)
fernhielten, müfsten aus der Kirche ausgestofsen werden."*^) Aber
mehr als dreifsig Jahre vergingen, bis der tiefe Rifs, der durch Johannes
ungerechte Absetzung zwischen der Kirche und seinen Anhängern auf-
klaffte, durch die milde und kluge Freundlichkeit eines späteren Nach-
folgers überdeckt und wieder ausgeglichen wurde.^»)
Dies die thatsächlichen Verhältnisse. Aber sehen wir von dem
Einzelnen ab und fassen den Verlauf des Ganzen noch einmal ins
Auge, so erscheint als besonders verhängnisvoll für die Kirche des
Orients, dafs im Gegensatz zum Occident der kaiserlichen Gewalt alle
Macht über sie durch die Bischöfe, welche eine Verurteilung des
Johannes herbeiführen wollten, selbst ausgeliefert wurde.**) Sie sind
deshalb in erster Linie anzuklagen, wenn in Zukunft immer mehr
noch der weltliche Einflufs auf die Besetzung von Bischofssitzen und
die Entscheidung von Synoden an Stärke gewann. Hatte schon bei
dieser Gelegenheit die Lüge über die Wahrheit, Gewalt über das
Recht, Bestechung über die Überzeugung den Sieg davongetragen, so
mufste ihr Ausgang für die Folgezeit in moralischer Beziehung geradezu
verderbend wirken, und schon die Geschichte der nächsten fünfzig
Jahre wird mehr als einmal die Folgen der Einmischung des welt-
lichen Elementes aufweisen. Und so ist denn die orientalische Kirche
im Laufe der Jahrhunderte inmier mehr in die Fesseln der staatlichen
Gewalt geschlagen und in ihrer Entwickelimg fort und fort gehemmt
worden also, dafs sie im grofsen Rufsland wenigstens in ihrer höchsten
Spitze vollständig mit dem weltlichen Reichshaupte vereinigt und der
Czar zugleich ihr oberster Patriarch ist.
Zu ganz anderem Leben und mächtiger Ausdehnung dagegen
entwickelte sich die occidentalische, besonders die römische Kirche ! Zu
jeder Zeit und vor allem in den nun folgenden Wirren der Völker-
wanderung, welche das römische Reich zertrümmerten, blieb sie allein
unberührt und unentwegt als ein trotziger Fels in vergeblich branden-
den Wogen, wohl bisweilen des Schutzes bedürfend, aber doch sich
stets freimachend von vorübergehend weltlichem Einflufs. Ihre macht-
*') XVI. 4, 6. Hierher gehört wohl auch Cod. Theod. IX. 34, 10. 406.,
welches den Autoren von Pampfleten und ihren Hehlern die strengste Strafe
androht.
*•) Socrat. VII. 45.
*9) Vgl. Ludwig S. 134.
i66
voHe Stellung aber in der christlichen Kirche überhaupt und die An-
erkennung als einer leitenden Vonnacht vermochte sie nur zu erlangen
und zu behaupten eben wegen der fortgesetzten Reibungen in der orientali-
schen Kirche, welche naturgemäfs bald die eine, bald die andere Partei
veranlafsten, eine Stärkung und Unterstützung in Rom zu suchen,
wobei sie, um ihren Zweck zu erreichen, in der Wahl ihrer Roms
Macht anerkennenden Worte oft nicht vorsichtig genug waren.
So geschah es auch in betreff der Absetzung des Johannes
Chrysostomus , der inzwischen nach mancherlei Gefahren und Leiden
an den Ort seiner Verbannung, Cucusus in Armenien, gelangt war,
von dessen Öde und ungesundem Klima seine zahlreichen Briefe Kunde
geben.**^) Die erste Nachricht von den Vorgängen in Constantinopel
erhielt der damalige römische Bischof Innocenz durch einen Brief
des Theophilus, in welchem er kurz mitteilte, dafs Johannes seines
Amtes entsetzt sei.**) Innocenz war schon nahe daran des Theophilus
Unbesonnenheit und Leichtsinn zu tadeln, weil er allein und ungenau
geschrieben habe, da erschien aber der gerade in Rom in kirchlichen
Angelegenheiten weilende Diacon Eusebius aus Constantinopel und
beschwor ihn inständig in einem Bittschreiben noch etwas zu warten,
bis zuverlässige Nachricht aus Constantinopel eingetroffen und die
ganze Intrigue aufgedeckt sei. In der That kamen drei Tage s{)äter
vier Bischöfe der Johannitischen Partei in Rom an^^j^ welche drei
gleichlautende Briefe von Johannes, den vierzig Bischöfen und seinem
Klerus an Innocenz übergaben. Johannes*^) berichtete darin über
die Vorgänge bei seiner doppelten Abfuhrung im ganzen obiectiv und
im Überblick und sagte am Schlufs, diese Geschehenisse seien um so
bedauerlicher als „gleichwie- eine Krankheit des Kopfes auch die
übrigen Glieder in Mitleidenschaft zöge, also die kirchlichen Unruhen
von der Hauptstadt aus überallhin Verwirrung bringen würden."
Schliefslich bat er den Innocenz, „es nicht zuzulassen, dafs jemand
aus so weiter Entfernung in fremde Sprengel kommen dürfe, um nach
Belieben andere zu vertreiben, und besonders das, was in seiner —
Johannes — Abwesenheit gegen ihn verhandelt sei, für ungültig zu
erklären.**)
^) Palladius p. 94. Sozom. VIIl. 22. Vgl. Joh. Chrys. ep. 234 ad Brison. |
ep.' 4. 6. 109. J
") Palladius p. 9. f
M) PaUadius p. 10. -
^ Der Brief ist erhalten bei Palladius p. 10 — 22.
**) iniaTeiXai TtaQaxhqO-ritL t« filv ovxwq 7taQav6fi(og yeyevtjfxeva
dnovtwv riixdiv .... fiijösfilav ex^iv laxvv.
167
4
Kurze Zeit darauf langte auch eine Gesandtschaft der anderen
Partei an, welche die Acten der Synode zur Eiche überbrachte. Aus
ihnen ersah Innocenz die Unschuld des Johannes mit solcher
Klarheit, dafs er Theophilus antwortete, er könne unmöglich von der
Gemeinschaft mit dem Verbannten ablassen, wenn Johannes nicht durch
ein rechtmäfsiges Urteil verdammt werde. Theophilus möge daher
die Angelegenheit auf einem allgemeinen Concil noch einmal vor-
bringen.^^) Zugleich schickte er an die Johannes treugebliebenen
Sischöfe Briefe, in denen er sie ermahnte, mutig auszuharren, und
£iuch an Johannes selbst^^) Das Schreiben an diesen ist recht vorsichtig
abgefafst und verweist ihn auf das Vertrauen zu Gott und auf sein
^tes Gewissen; herzlicher und eingehender dagegen ist seine Antwort
auf die Beschwerdeschrift des constantinopolitanischen Klerus. Er sagt
darin, er sei beim Lesen über die Leidensscenen, die sie berichtet hätten,
von ängstlicher Besorgnis ergriffen worden, Geduld aber sei der beste
Trost, wie das Beispiel der heiligen Märtyrer beweise. Dann spricht
er seinen Unwillen über die Absetzung des Johannes und die unwürdige
Versammlung aus, die entgegen der Nicaenischen Regel an Stelle
eines Lebenden schon einen anderen Bischof gesetzt habe. Es müsse
daher ein allgemeines Concil berufen werden, nur das wie? mache
ihm schwere Sorge.
Zunächst gedachte er die Vorgänge im Orient einer Synode
abendländischer Bischöfe vorzutragen, zu welcher auf sein Betreiben
der Kaiser Honorius die Einladungen ergehen liefs. Ebenderselbe
trat gewifs nicht ohne die Einwirkung des . Innocenz auch persönlich
für Johannes Sache ein, indem er über diese Angelegenheit einen
eigenhändigen Brief ^'^) an Arcadius richtete, welcher von neuem beweist,
wie lose die Verbindung zwischen den beiden Reichen war. . Honorius
beklagt sich darin, „dafs von so manchem Ereignis, das den Osten
betroffen habe, ihm nur durch die Fama Kunde geworden sei; ebenso
**) Palladius p. 24.
^®) Palladius p. 31. Sozomen. VIII. 26.
^'^) Mansi III. p. 1 1 22. Im Anfange dieses Briefes heilst es : Quamvis
super imagine muliebri novo exemplo per provincias circumlata et diffusa per
Universum mundum obtrectantium fama literis aliis commonuerim. Über die Be-
deutung dieser Worte spricht sich Ludwig S. 158 nicht aus, obwohl sie der Er-
klärung bedürfen. Da unter dem gleich darauf erwähnten excidium Illyrici nur
die Verwüstung durch Alarich verstanden werden kann, so müssen jene Anfangs-
worte auf das Herumtragen der Büste Eudoxias gelegentlich ihrer Vermählung
mit Arcadius gehen, so dafs danach ein directer Verkehr zwischen den Brüdern
seit der Teilung des Reichs nicht stattgefunden zu haben scheint, eine sicherlich
höchst wichtige Bemerkung!
^e eben ) ^^^ ^et-
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-^"^abne. «-!:L, ..d den «^ ^^, ^be ..^^
.^ --:.;. de. --;:; Vv" o^^\'^^ -
^^^ ^^r zu «^-*^" i seV ^°^;;xstubV gen-; ,„eUetvo^
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bezüglichen Briefe ^<>), nun schon zum dritten Male, dafs die Entscheidung
über Johannes Ghrysostomus geändert und verbessert werden müsse;
er forderte daher den Bruder durch die Überbringer nochmals auf,
die orientalischen Bischöfe zur Synode in Thessalonich einzuladen und
besonders dafür sorgen, dafs Theophilus sich stelle, welcher der
Haupturheber des ganzen Unheils gewesen sei. Die Gesandten aber
möge er in Ehren aufnehmen, denn sie seien beauftragt an Ort und
Stelle sich über die Vorgänge zu unterrichten, um dann entweder ihn
selbst oder den Arcadius eines Besseren zu belehren.
Aber diese Gesandten, die Bischöfe Aemilius von Benevent,
Cythegius, Gaudentius, Marianus und die Presbyter Valentinian und
Bonifacius, fanden keineswegs die Aufnahme, welche sie auch nach
dem antiken Völkerrecht erwarten durften*^), denn in Athen angelangt
wurden sie unter militärischer Begleitung nach Constantinopel gebracht;
hier am Landen verhindert und in das Kastell von Athyra an der
thradschen Küste abgeführt, wurden sie, nachdem man sie aufs schimpf-
lichste behandelt und ihnen sogar mit Gewalt die Briefe abgenommen
hatte, auf ihre Bitten wieder nach Italien entlassen, wo sie nach vier-
monatlicher Abwesenheit, ohne den Kaiser überhaupt gesehen und
Constantinopel betreten zu haben, im Laufe des Jahres 406 wieder
anlangten. Ob Arcadius selbst diese Verletzung des Völkerrechts
angeordnet oder nur zugelassen hat, die Frage ist schwer zu entscheiden,
aber nach dem Unrecht, welches er, ebenfalls aus Schwäche, Johannes
und vielen anderen Klerikern anthat, erscheint auch die Zurückweisung
der Gesandten durch ihn nicht so ungeheuerlich, wenn ihm auch die
unwürdige Art derselben stets unbekannt geblieben sein mag. Die
Schmach aber, welche den occidentalischen Abgesandten zugefügt
wurde, traf auch zugleich seinen kaiserlichen Bruder mit und war
^) Bei Palladius p. 29 und 30. Abgedruckt auch bei Mansi III. p. 11 01.
•*) Palladius beschreibt ihre Leiden ausführlich p. 31 — 33. Bestätigt werden
diese Nachrichten durch Sozom. VIII. 28, der da sagt, die Gegner des Ghrysostomus
hätten dem Kaiser die Absendung der Gesandtschaft als eine Schmach {inl vßgei
tiiq ivTavO^a ßaaiXeiag) für das orientalische Reich hingestellt. Dann fahrt er
fort: xal rovg firjv (og vnsQOQiav d^x^'^ irox^ioavTag dzifioig ixTtsfJL^Sifvai
TCdQSOxevaoav. Bei Mansi III. p. 11 23 ist noch ein anderer Brief des Honorius
an Arcadius abgedruckt, in welchem er sich über die ganz gesetzlose Behandlung
seiner Gesandten beklagt, doch halte ich diesen für untergeschoben, weniger, weil
er erst nach Johannes Tod geschrieben ist, als man schwerlich im Occident an
Johannes noch dachte, sondern mehr wegen der Übertreibungen, die darin vor-
kommen: Johannes soll per vim, jene Gesandten fame getötet sein: endlich
wegen des Ausdrucks utmulieri (die bereits gestorbene Eudoxia!) te committeres»
— Vgl^^zu der Sache Ludwig S. 161 — 164.
I70
demnach nur eine neue Ursache zu gröfserer Entfremdung. Die Sache
des Johannes war damit erledigt, und alle Bemühungen des Occidents
ihn wieder einzusetzen waren gescheitert. Auf den rauhen Hochflächen
Armeniens, oft durch die Annäherung der Isaurischen Räuber in seiner
Ruhe gestört und infolge des wechselvollen Klimas vielfach leidend,
wurde er nur getröstet durch die Briefe seiner zahlreichen Anhänger
unter dem Klerus und der Diaconissinnen seiner Gemeinde.®^*) Als
er im dritten Jahre seiner Verbannung (407) nach einem noch öderen
Orte, Pithyus am Pontus, abgeführt werden sollte ^2), weil seine Feinde
immer in der Furcht sich befanden , es könne doch noch einmal ein
Umschwung zu seinen Gunsten eintreten, ereilte ihn unterwegs am
14. September in Comana der erlösende Tod.
Zehn Jahre waren verflossen, seitdem im Occident der Bischof,
welcher dort eine ähnliche Stellung einnahm wie Johannes im Orient,
Ambrosius von Mailand, ein thatenreiches Leben geendet hatte, aber
nicht im Exil, sondern im Genufs allgemeiner Verehrung und als
tonangebender Metropolit der italienischen KLirche und doch hatte er
viel verfänglichere und ernstere Streitfragen mit der weltlichen Macht
durchzufechten gehabt, ohne dafs nur der Gedanke an eine Strafe
auftauchte. Als es sich in der Angelegenheit ö^) von Castrum Callinicum
(Nicephorium) , wo christliche Mönche ein durchaus verwerfliches
Beispiel unchristlicher Unduldsamkeit gegen Andersgläubige gegeben
hatten, im weiteren Verlaufe nach der modernen Auffassung nur um
die Ahndung eines offenbaren Landfriedensbruches handelte, da war
es Ambrosius, welcher durch seine energische Betonung der kirchlichen
Autorität im Gegensatze zur weltlichen es bei Theodosius durchsetzte,
dafs der bereits ausgefertigte Strafbefehl gegen die fanatischen Priester
zurückgenommen wurde. Und wie erst leuchtete der Glanz seiner
Persönlichkeit, als er, der einfache Bischof, es gewagt hatte, dem
allmächtigen Herrscher nicht nur seinen Frevel gegen die Bewohner von
Thessalonich vor Augen zu halten, sondern auch monatelang hartnäckig
den Zutritt zur Kirche zu versagen, bis dafs der Herr der römischen
^^A) In den opera omn. ed. Monfaucon III. S. 361 ff. Besonders sind die
Briefe des Johannes gerichtet an Olympias, Pentadia, Adalia, Carteria, Chalcidia,
an die Bischöfe von Carthago, Brixia, Mailand, Aquileia.
**) Socrat. VI. 21. Sozomen VIII. 28. Palladius p. 98. ep. ad Innocent.
bei Mansi III, p. 1 104. Vgl. Neander Kirchengesch. VI. 4. S. 488. Ludwig S. 169 ff.
Kiepert S. 88 und 93.
63) Ambrosius ep. 40. und 41. Cedren p. 571 und 572. Vgl. Gibbon VII.
S. 59. Böhringer die Kirche Christi I. S. 89. Gfrörer a. a. O. S. 612 ff. und G.
S. 167 — 171.
171
Welt und Christenheit demütig im Staube dem König aller Könige
sein Unrecht bekannt und gebüfst hatte.^*)
So trat Ambrosius überall der weltlichen Macht als der über-
zeugte, eifrigste Vertheidiger und Vorkämpfer des Gedankens gegen-
über, dafs die Kirche über dem Staate stehe, wie er denn in einem
seiner Briefe auf die Frage: „Was also steht höher, die Forderung
cier Zucht oder die Sache der Religion?" offen die Antwort erteilt:
„ Die Strenge des Staates mufs vor der Ergebenheit gegen die Religion
zurücktreten!" Er war daher aufser dem Bischof und Seelsorger
s^u jeder Zeit auch noch Staatsmann, der neben seiner seelsorgerischen
Thätigkeit den äufseren Ausbau der Gesammtkirche nie vergafs.
Hierin aber war Johannes Chrysostomus grade das Gegenteil
seines occidentalischen Amtsgenossen , denn ihm war das Leben in
vind mit der Gemeinde die Hauptsache, in seiner Seelsorge erblickte
er die Hauptaufgabe seines bischöflichen Amtes und in der Aus-
iDreitung des wahren Christenglaubens. Wie er diesen innerhalb
xmd aufserhalb der Grenzen des orientalischen Reichs emsig fortzu-
pflanzen trachtete, so wünschte er in seiner Gemeinde selbst den
Geist der Mäfsigung und wahren Liebe, den er predigte, zum Durch-
'bruchzu bringen; um das Verhältnis der Kirche zum Staate kümmerte
er sich wenig, ihm schien der Einflufs des weltlichen Regiments auf
das geistliche so natürlich, dafs er, obwohl sehr wohl wissend, wer
hinter der Synode sjtl ögvv und der zweiten steckte, die Einmischung
des Kaisers nicht mit Entrüstung zurückwies und seine ganze Partei,
vielleicht auch die Gemeinde für die Freiheit der Kirche begeisterte
und zum Kampfe antrieb, wie es ein Ambrosius sicher gethan haben
würde, sondern nur, als ihn Arcadiüs auffordern liefs die Kirche zu
verlassen, ihm antwortete, er habe dieselbe von Gott empfangen und
werde nur der Gewalt weichen. Doch so wenig er in dieser Beziehung
hartnäckig, energisch und überzeugt war, um so mehr Gewicht legte
er auf eifrigen Glauben und Reinheit der Sitten bei seinen Gemeinde-
gliedem und indem er hierfür von ganzem Herzen und mit dem
hellen Feuer seiner gottbegnadigten Beredsamkeit eintrat, lehrte und
predigte, verletzte er durch den Mangel an Mäfsigung, welcher ihm
hier eigen war, gerade die Machthaber und besonders die Frauen. Da
er nun aber unter seinen Amtsgenossen nicht einen Ambrosius traf,
•*) Rufin. II. i8. Sozom. VII. 25. Theod. V. 18. Paulus vita Ambros. c. 26.
Mos. V. Chorene Gesch. Grofs-Armeniens (deutsch v. M. Lauer) III. 37. Tlro
Prosp. Theophan. A. C. 384. Ccdren p. 554. August De Civ. Dei V. 26.
Ambros. ep. 51. Ausführlich behandelt bei Gfrörer S. 614 ff. und G. S. 183 — 190.
172
der für die Selbständigkeit der Kirche und ihrer Diener mit seiner
gewichtigen Person und mit eifrigen Parteigenossen eingetreten wäre,
sondern im Gegenteil eben den mächtigsten derselben wider sich
hatte, so mufste der von Character so edle und von so reiner Liebe
und Hingabe an seine Gemeinde erfüllte hochherzige Mann niederen
Ränken zum Opfer fallen, um so mehr, da kein Theodosius nait
seinem klaren Blick und seiner aufrichtigen Ehrfurcht vor der
Kirche und ihren Dienern das Staatsruder lenkte.
Zehntes Kapitel.
Die Isaurer. — Ihr Verwüstungs- und Plünderungszug im Jahre 403/404.
Arbacazius' erste Erfolge, seine Bestechung und Freisprechung. — Fernere
Streifzüge der Isaurer. — Zustand der Africanischen Grenzlande. — Die Maziken
und Auxorianer. — Not der Pentapolis zur Zeit des Arcadius. — Synesius Briefe.
— Verhältnis des Ostreichs zu Persien. — Das Weströmische Reich von 403
bis 408. — Der Einfall des Rhadagais wird durch Stilicho zurückgeschlagen.
— Überschreitung der Rheingrenze durch Quaden, Alanen, Vandalen und andere
germanische Völker. — Stilicho beschliefst mit Hülfe des Alarich Ostrom zu
züchtigen. — Alarich rückt in Epirus ein 407. — Der in Britannien erhobene
Tyrann Constantinus setzt nach Gallien über. — Alarich in Venetien und seine
Forderungen. — Tod des Arcadius. — Seine letzten Lebensjahre. —
Äufscre und innere Eigenschaften. — Eudoxias Einflufs. — Seine selbständigen
Thaten.
Neben der religiösen Bewegung, welche Constantinopel erregte
und in fortgesetzten Schwingungen das ganze Reich durchzitterte,
fehlte es nicht an Beunruhigungen anderer Art, doch war man an
diese im Orient so gewöhnt, dafs von ihnen meistenteils kein Auf-
hebens gemacht wurde. Sie gingen zunächst aus von dem rauhen,
schluchtenreichen Nordwesten der Landschaft Cilicien^), welcher seit
Diocletian als wirkliche Provinz Isauria von dem übrigen abgegrenzt
worden war und nur in seinen dem Meere benachbarten Teilen reiche
Ernten an Wein und Getreide lieferte.^) Es lagen in ihm dreiund-
zwanzig gröfsere und kleinere Ortschaften, deren bedeutendsten Seleucia
und Claudiopolis am Calycadnus sind, während die Gebirgsbewohner
in zahlreichen Dörfern angesiedelt waren. Schon Strabo^) weifs von
den Isaurem zu berichten, dafs sie ein vom Raube lebendes Völkchen
seien, doch treten sie erst seit der Zeit der dreifsig Tyrannen
^) Über die Isaurer hat Sievers eine sehr fleifsige Zusammenstellung S. 489 ff.
2) Bekker-Marquardt in. S. 164 ff. Kiepert S. 128 flf.
3) p. 568 ; xwfjial avxval, krjozcjv 6" anaaaL xaroixiai ff.
173
(200 n. Chr.) mehr und mehr hervor. Es war in der That ein
lebensfrischer, kühner und freiheitliebender Volksstamm, der ähnlich
den Basken in der Cantabrischen Kette sich nur schwer an gesetzliche
Zustände und eine scharfe Grenze zwischen Mein und Dein gewöhnen
mochte und dem Dienste im geordneten Heer ein ungebundenes
Räuberleben vorzog, welches bei der Unzugänglichkeit ihrer Gebirgs-
schluchten und steilen Pfade durch einen damit nicht vertrauten
Verfolger im ganzen wenig gefährdet wurde. Aus ihren sicheren
Schlupfwinkeln unternahmen sie fast alljährlich zur Frühlingszeit*)
weitere oder nähere Plünderungszüge, schleppten alle bewegliche
Habe und Vorräte, welche auf freiem Felde angetroffen wurden
und nicht in den Schutz der Stadtmauern geborgen waren, mit
sich fort, zündeten die Gehöfte und Dörfer an und brachten
die Bewohner entweder um oder machten sie zu Gefangenen.*) Die
nächstliegenden Landschaften bis nach Armenien hin befanden sich
daher alljährlich in der gröfsten Besorgnis vor einem plötzlichen Über-
fall ihrer Peiniger, die in letzter Zeit sich sogar unter den Augen des
Militärgouverneurs soldatisch in Abteilungen gegliedert hatten.®) Auf
diese freiheitliebenden Söhne des Taurus vermochte weder der Bischof),
wenn anders sie überhaupt Christen waren, einen ihre Sitten ver-
edelnden Einflufs auszuüben, noch war der Pro vinzial Statthalter, hier
stets ein Militär (comes)^), mit den beiden in Isauria stehenden
Legionen, der secunda und tertia Isauria, im stände ihrem Treiben
Einhalt zu thun. Zuletzt wird uns ein grofser Raubzug der Isaurer
vor unserer Periode unter dem Kaiser Valens (376) berichtet, auf dem
sie Lycien und Pamphylien ausplünderten und schwerbeladen in ihre
Berge zurückkehrten, wohin ihnen das gegen sie ausgeschickte Heer
nicht zu folgen wagte.®*^) Die darauf folgenden Jahre werden sie
schwerlich sich ruhig verhalten haben, obwohl näheres darüber nicht
bekannt geworden ist.
Erst 403 ^>) erfahren wir wieder von einem Zuge der Isaurer;
damals aber begnügten sie sich nicht, die anliegenden und benach-
*) Das ergiebt sich aus einer Erwägung der klimatischen Verhältnisse
und aus Joh. Chrys. opera tom. III. p. 599.
^) Vgl. ep. 127. ibid.
*) Zosim. V. 25 : TtXij^og Big rayfiara diavsfiii^hv X^axQixa,
^) ep. 200 des Johannes Chrys. ist an Callistratus episcopus Isauriae gerichtet.
*) Notitia Dign. ed. Böcking I. cap. XXVI. und S. 311 fF.
**) Vgl. Sievers a. a. O.
^) Dafs dieser Zug im Jahre 403/404 stattfand, beweist einmal die That-
sache, dafs nach Zosim. V. 25 Eudoxia noch am Leben war, welche Octob. 404
starb. Sodann setzt der sonst nicht glaubwürdige Joh. Malal. lib. 14 ausdrück-
174
harten Landschaften Ciliden, Pamphylien, Lycien, Lycaonien und
Pisidien heimzusuchen, sondern sie dehnten ihre Streifereien sogar
durch Cappadocien, Pontus und Syrien bis an die Grenzen Persiens
und Palästinas aus, und eroberten Seleucia, die Hafenstadt Antiochias,
so dafs auch Jerusalem seine Mauern ausbesserte, ja selbst die
Inseln wie Cypem blieben von ihnen nicht verschont. Eine solche
Ausdehnung des Raubwesens war bis dahin denn doch noch nicht
vorgekommen, dafs die Isaurer gleich den äufseren Reichsfeinden in
grofsen Schwärmen das römische Vorderasien angegriffen und wie
jene mit Feuer und Schwert verwüstet hätten, und diese Thatsache
fiel um so schwerer ins Gewicht, als die Wunden, welche der Aufstand
des Tribigild und Gainas dem ohnehin nicht allzufruchtbaren und
allzubevölkerten Lande gesc^hlagen hatte, noch nicht vernarbt waren.
Nur die ummauerten Städte waren der allgemeinen Vernichtung ent-
gangen. Ein so himmelschreiender Bruch des Landfriedens erforderte
eben so sehr strenge Bestrafung der Aufrührer, wie die Lage der
unglücklichen Bewohner schnelle Hülfe. Diese zu bringen wurde
Arbacazius^^)) mit ausreichenden Streitkräften vom Elaiser beauftragt,
eine, wie im Anfang schien, durchaus glückliche Wahl. Denn er trieb
die verwegenen Räuber nicht nur zu Paaren in ihre öde Heimat
zurück, sondern verfolgte sie, selbst in Isauria geboren, bis in die
äufsersten Schlupfwinkel, verbrannte ihre Dörfer und liefs viele über
die Klinge springen. Ein derartiges mannhaftes Vorgehen von Seiten
des stehenden Heeres waren die Isaurer bis dahin nicht gewohnt
gewesen, und es würde dem klugen und tapferen römischen Feld-
herrn wohl gelungen sein, mit fortgesetzter Anwendung von Gewalt
und friedlicher Unterhandlung den Keim zu ferneren Unruhen zu
ersticken und die Räuber zu einem gesetzlichen und geordneten Leben
zu zwingen, wenn ihm nicht neben seiner ihn entschieden zierenden
Energie das Grundübel, an dem Heer- und Beamtenwesen im Reiche
wie an einer unheilbaren Krankheit litt, die Habsucht, eigen gewesen
wäre, welche ihm schon, wie ein Zeitgenosse witzig bemerkt, anstatt
seines wahren Nainens mit leichter Veränderung den einen „Raub-
vogels" (Agjta ^axtog) eingetragen hatte, ^i) Die verschont gebliebenen
lieh zu der von ihm gemeldeten Einnahme Seleucias durch die Isaurer die Consuln
des Jahres 403 hinzu; daher ist die Notiz des Marcell. Comes, welche offenbar
sich auf dieselben Ereignisse bezieht, unrichtig zu 405 angegeben. Ohne
Jahresangabe berichten hierüber noch Philost. XI. 8, Hieronym. ep. 114 und
Sozomen. VIII. 25.; der erstere ausführlich, der letztere ganz kurz.
^®) Zosim. V. 25. Marcell. Com : Narbazaicus.
") Eunap. frgm. 84 stattet ihn aufser mit der Habsucht noch mit der
Geilheit und Trunkliebe aus. Er hatte, sagt Eun., so viele Sängerinnen und
175-
Isaurer nämlich, noch immer im Besitz eines unermefslichen Reich-
tums, den sie klüglich in Höhlen und an unzugänglichen Orten
versteckt hatten, suchten ihren vermittelnden Friedensanerbietungen
durch Begleitung von kostbaren Geschenken mehr Wirkung zu ver-
schaffen, und es gelang ihnen in der That den Arbacazius, der im
Begriff war ihrem Unwesen den Garaus zu machen, durch die Zahlung
einer riesigen Geldsumme noch im letzten Augenblick zum Abzug
zu bewegen.
Da aufser ihm auch der Vicarius Herennius in Pamphylien sich
von dem gefangenen Führer der dortigen Isaurer Hierax durch eine
Summe von 4000 solidi bestechen liefs 1^), so gelangte das Gerücht von
ihrer Handlungsweise sogar diesmal bis zu den Ohren des Arcadius,
der eine strenge Untersuchung des Sachverhaltes anordnete; indes die
Gunst der Kaiserin rettete die ungetreuen Beamten vor der gerechten
Strafe ^^) und hinderte den Kaiser, endlich einmal ein abschreckendes
Beispiel zu geben. Bei einem solchen Ausgang aber eines so
strafwürdigen Vorgehens gegen die Isaurer war an eine gänz-
liche Ausrottung des Unwesens in keiner Weise zu denken, und so
fand denn Johannes Chrysostomus , als er im Sommer 404 in die
Verbannung nach Armenien abgeführt wurde, auf seiner Reise die
von ihm berührten Provinzen in grofser Aufregung infolge eines erneuten
Einfalls der isaurischen Räuber. Der Kommandant von Caesarea ^^J
in Cappadocien war gegen sie ausgezogen und hatte aus Furcht, sie
möchten auch die Stadt selbst angreifen, sogar die Greise die Wache
auf den Mauern beziehen lassen. Doch ging das Unheil für jetzt noch
vorüber, die Isaurer kehrten in ihre Heimat zurück; allein die fort-
gesetzten Klagen des Bischofs in vielen seiner Briefe 1^) weisen darauf
hin, dafs sie nicht aufhörten alljährlich ihre Raubzüge zu unternehmen,
wenn auch nicht in dem Umfange wie im Jahre 403/404, und die
Zahl der dabei ertappten und gefangenen Übelthäter war noch im
Schauspielerinnen bei sich, dafs man sie nicht zählen konnte, und die Rechnungs-
führer wohl die Zahl der Soldaten, aber nicht die der Buhlerinnen kannten,
welche sie deshalb scherzhaft nach Monaden und Myriaden zählten. Doch braucht
man nur auf die ähnliche Characterisierung des Lagers des Stilicho (Zos. V. 7)
durch ebendenselben Schriftsteller zu verweisen, um seine Übertreibung kenntlich
zu machen.
»») Eunap frgm. 86.
") Zosim. a. a. O.
**) Vgl. Tillemont note 31. sur Arcade. Neander II. S. 232 und opera
omn. Joh. Chrys. III. p. 599.
»*) ep. 5 an Olympias, Frühjahr 405. Vgl. ep. 20, 59, 109, 119, 170, 184.
Ludwig S. 1^7.
176
Jahre 4o8i^) so grofs, dafs Arcadius gesetzlich verfügte, „die Richter
sollten selbst in der Fastenzeit und am Ostertage die Verhandlungen
und Untersuchungen nicht aussetzen, damit nicht die Aufdeckung der
verräterischen Anschläge verzögert werde, welche durch Anwendung
der Folter zu erstreben sei."
Aber bei der überschau über den Zustand der Bewohner der
Provinzen und ihrer Lage in Bezug auf friedliche oder unruhige Zeiten
dürfen wir nicht die Africanischen Grenzl an de, vergessen, welche
wie Armenien, Mesopotamien, Osrhoene gegen die Perser und wie
Thracien gegen die andrängenden Germanen und Hunnen, so gegen
die wilden Nomadenvölker der Wüste stets auf der Wacht waren.
Denn auch sie verteidigten die Sache der Civilisation gegen die
Barbarei, die Sache des Christentums gegen das rohe Heidentum,
und wenn uns von ihren Thaten auch nur wenig berichtet wird, weil
sie so fem ab von den Teilen des römischen Reichs wohnten, in
denen sich der Übergang von der alten zur neuen Zeit in heifsen
Kämpfen vollzog, so waren ihre Leiden hier in der Pentapolis und Unter-
libyen bis nach Ägypten hin nicht minder grofs, und die Mannhaftig-
keit, mit der sie für ihr Vaterland eingetreten sind, verdient nicht
minder Lob als die derer, welche gegen Gothen .und Hunnen fochten. ^*')
Die Pentapolis, insbesondere die Hauptstadt Kyrene, hatte sich
nie von der Verwüstung erholt, welche mit der Eroberung durch die
Römer verbunden gewesen war; Kyrene selbst, eine Dorische Kolonie
von Thera aus gegründet, war bis zum fünften Jahrhundert ein
wichtiger Handelsplatz und vermittelte den Tauschhandel mit den
Oasen- Völkern der libyschen Wüste. ^^) Aber einmal durch das Über-
gewicht Carthagos, sodann durch die Kriege der Diadochen und vor
allem durch die Gründung Alexandriens am Ausflufs des Nils und
seine zunehmende Bedeutung für den Verkehr sank es immer mehr
herab; dazu vernichteten Aufstände, Erdbeben und Heuschrecken-
schwärme nicht selten dem schon schwer genug von unerschwinglichen
Steuern gedrückten Landmann die erhoffte Ernte, also dafs, wie wir
bereits sahen, das verarmte Kyrene seinen berühmten Bürger Synesius
nach Constantinopel entsendete, um Erleichterung vom Abgabendruck
zu erlangen. Aber diese Lage, welche die Provinz mit so manchen
anderen des Ostreichs zu teilen hatte, wäre immer noch erträglich
gewesen, wenn nicht, was der Schweifs des fleifsigen Bauern und
16) Cod. Theod. IX. 35, 7. 27. Aprü.
*■') Gründlich untersucht sind diese Verhältnisse von jSievers S. 407 fF. und
Volkmann Synesius von Kyrene S. 90 fF.
^^) Bekker-Marquardt S. 221 — 224. Volkmann S. i — 9.
'77
ürgers gesäet hatte, durch den unvorhergesehenen EinfoH barbarischer
äuberhorden fort und fort in Frage gestellt wäre. Die Maziken
nd Auxorianeri^), wilde Nomadenhorden zum volkreichen Stamm
er Libyer gehörig, im Westen benachbart den Garamanten, Gaetulen»
syllen und Nasamonen, im Osten den Marmariden'^), Völkern, deren
lut noch heute in den Adern der Tuareg westlich der grofsen Oasen-
strafse von Tripolis über Murzurk zum Tsadsee und der Tibbu östlich
derselben rollt, waren es besonders, welche die Pentapolis, Unter*
Libyen und die Grenzlande Ägyptens nie zur Ruhe gelangen und
zum ungestörten Genufs des Ihrigen kommen liefsen.
Die Militärmacht, welche hier gamisonierte, ist uns nicht erhalten,
doch stand sie sowohl in Kyrene wie Libya inferior unter einem
dux^i), während die Civilverwaltung in den Händen eines, praeses
lag. Hätten beide Teile rechtzeitig ihre Schuldigkeit gethan, und wären
die Kriegsleute vollzählig zur Stelle gewesen, so war es nicht nötig,
dafs selbst die fremden Kaufleute, welche nur des Handelns wegen
sich zufällig dort aufhielten, zum Waffendienst herangezogen wurden,
die natürlich kein Interesse daran hatten, die Eindringlinge bis in die
Wüste zu verfolgen, sondern froh waren, wenn sie zu ihrer friedlichen
Thätigkeit zurückkehren durften. Verständige Männer, wie Synesius*^),
die es wohl meinten mit ihrem Vaterlande, stellten daher im Rat von
Kyrene den Antrag, die fremden Handeltreibenden in Zukunft unbe-
helligt zu lassen, da das Pressen zum Kriegsdienst nur bewirke, dafs
sie ihre Verbindung mit der Pentapolis aufgäben und der Handel
hier noch mehr stocke als bisher, und rieten zugleich beim Kaiser
darum einzukommen, dafs die seit Constantin dem Grofsen von Ägypten
losgelöste Provinz von neuem in civiler und militärischer Beziehung
mit demselben verbunden werde.^^) Sie hatten dabei im Auge , dafs
dem comes militaris in Ägypten viel mehr und tüchtigere Streitkräfte
zu Gebote standen als dem dux von Libyen, und dafs er daher viel
eher im stände sein werde, ihnen die lästigen Scharen abzuhalten.
Aber wenn auch den Bürgern dieses unglücklichen Landes mit
einem so heilsamen Vorschlag gedient war, so hatten der Statthalter
*9) Maxil^sg xal AvS(OQiavol Philost. XI. 8, Palladius p. 194. Ma^ixeg»
Vgl. Syn. Briefe.
*>) Strabo p. 838 und 839. Kiepert S. 223 und 210— 212, doch bespricht
er nur die Gaetulen und Garamanten im Westen, die Marmariden im Osten.
««) Not. Dign. I. cap. XXVI [. Vgl. cap. I.
^) cp* 94 ^^ seinen Bruder.
*3) Ebend. inavek^siv slq d();(a/av Tiys/jLOvlav ricq noXeiq rovteativ
ino xbv Alyvnrliov a();(ovra xal xaq Aißvwv tetax^cci.
la
178
(praefectus Augustalis) von Ägypten 2*) und die Regierung in Con-
stantinopel durchaus nicht Lust, die Zahl der einträglichen Posten in
der Verwaltung und im Heer zu verringern. Infolge dessen blieb es
beim alten, und wollten die Bewohner der Pentapolis nicht all' ihr
Hab' und Gut verlieren, so mufsten sie selbst die Waffen in die Hand
nehmen und ihren heimatlichen Herd verteidigen. Und dieser Aufgabe
haben sie sich keinen Augenblick entzogen, sondern mannhaft den
Pflug mit Schwert und Speer vertauscht und sie nicht unrühmlich
geführt, ja selbst die Priester der Auxiditen^^) griffen einmal im Drange
der Not zu den Waffen, sammelten das Landvolk, da die Soldaten in die
Berge entflohen waren, zum männermordenden Streit und thaten Wunder
der Tapferkeit. Die einzelnen Wendungen dieses kleinen Krieges, der hier
;ijie ganz aufgehört zu haben scheint, lassen sich zwar chronologisch
genau nicht verfolgen, doch haben wir an den Briefen des Synesius
eine schätzenswerte Fundgrube für die Lage der Pentapolis und ihrer
mutigen Bewohner zur Zeit des Arcadius.
Nachdem die Maziken und Auxorianer, als Alarich sich nach
Theodosius Tod in Thracien erhob, Libyen im Osten angegriffen und
einen grofsen Teil Ägyptens verwüstet hatten 25»), mufs Synesius bereits
zwei bis drei Jahre nach der Heimkehr von seiner Gesandtschaftsreise
berichten 20), dafs ihm seine literarische Mufse durch Kriegslärm gestört
wurde, der indes bald vorüberging; doch schon 404 ertönte von neuem
der Ruf zu den Waffen, da die Feigheit der militärischen Befehlshaber
das Land den Feinden ohne Kampf überliefs.^') „Wir allein, schreibt
er, sind am Leben, die wir zu den befestigten Plätzen unsere Zuflucht
genommen haben, während alle, so viele auf dem Lande ergriffen
wurden, getötet worden sind. Wir müssen aber fürchten, dafs bei
längerem Aufenthalt in jenen Ortschaften der Durst die meisten Castelle
zur Übergabe zwingen wird." Ein andermal standen die Feinde vor
den Thoren seines am Rande der Wüste gelegenen kleinen Landgutes,
doch wären es nicht eigentliche Feinde, sondern Räuber und elende
„Diebe "28)^ die vor einem kühnen Auftreten stets zurückwichen; er
hatte zu seinem Schutze einige Balagriten, eingeborene Bogenschützen,
bei sich, welche ehemals beritten, nun aber durch den dux Cerealis^s)
**) dvrixi^g ansroXfjia Xiysiv ort XvairsXsl zaTtstvovg elvat aTQaxKoxaq,
»6) ep. 122.
»a) Philost. XI. 8.
*•) ep. 61 Pylaemeni. Vgl. ep. 132.
") ep. 131.
") ep. lyi, XfiGxal fi Xmnoövrat.
^•) Der Name Cerealis erscheint im Cod. Theod. in einem 408 — 421 datierten
Gesetz V. 14, 8 an einen Comes R. Pr. und im Westreich mehrfach z. B. IX. 38, 2.
179
2um Vorteil seiner eignen Tasche^ unberitten gemacht waren. Cerealis,
<lein damals die Streitkräfte der Pentapolis unterstellt waren, war ein
durch und durch käuflicher Mensch, der, selbst ganz unerfahren im
Kriegswesen, die einheimischen Truppen gegen Geldzahlung, wohin
sie wollten, beurlaubte und von einer Stadt zur anderen zog, damit
sie sich von der Besatzung durch freiwillige Contribution losmachten.
Als das die Maziken vernommen hatten, unternahmen sie alsbald einen
Einfall, raubten die Ernte, töteten viele junge Leute, verbrannten die
Felder, das Vieh dagegen, die Kamele und Pferde trieben sie fort'®)
Auch Synesius flüchtete sich in die Stadt, Cerealis aber, anstatt den
Feinden die Spitze zu bieten, brachte sein Geld auf zwei Schiffe und
stach in See, indem er für die Bürgerschaft den kurzen Befehl hinter-
liefs, sie möge sich hinter den Mauern, so gut es gehe, schützen.
Nicht anders wurde es, als an seine Stelle ein neuer dux, Johannes,
trat. Während der friedliche Philosoph Synesius selbst mit seinen
eignen schwachen Kräften rüstete, dreihundert Lanzen und Schwerter
herstellen liefs^*) und fünf Tage mit gegen den die äufsersten Grenzen
verwüstenden Feind auszog, entschuldigte sich Johannes, dem nicht
einmal die militärischen technischen Ausdrücke ganz geläufig und
klar waren, mit nichtigen Vorwänden und nahm^ als die Libyer wirklich
nahten, eilends zu Pferde reifsaus.^^) Bei einer solchen Unfähigkeit
und Feigheit der leitenden Militärs war vorauszusehen, dafs das
unglückliche Land nur vorübergehend von seinen Leiden befreit werden
würde, wenn wirklich einmal von Constantinopel ein Befehlshaber
geschickt wurde, der es aufrichtig und ernst mit seinem Amte nahm
und seinen Aufenthalt in der Provinz nicht blos als eine Gelegenheit
zu zeitweiliger Bereicherung ansah.
Dagegen lebte die Bevölkerung der Persien benachbarten
Provinzen, soweit sie nicht durch die Einfalle der Hunnen litt, ver-
hältnismäfsig ruhiger; denn das achtungsgebietende Ansehen, zu dem
Theodosius der Grofse dem römischen Namen verholfen, und welches
den Perserkönig Schapur III. 384 zur Absendung einer aufserordent-
lichen Gesandtschaft mit reichen Geschenken nach Constantinopel
veranlaßst hatte ^3), hielt auch, gewifs in Verbindung mit anderen uns
nicht bekannten Ursachen, nach Theodosius Tod den Nachfolger des
388 verstorbenen Schapur Vararam IV.^*) ab, die 384 besiegelte
*>) ep. 129. 81) ep. 108.
8>) ep. 104. Vgl. ep. 107 und 113.
^) Pacati Drepan. panegyric. c. 22 in XII. paneg. Lat. ed. Em. Baehrens
Leipzig 1874. Themist. Or. XVIII. p. 270. Vgl. Ifland S. 127 flF.
**) Vgl. Clinton Fast. Rom. Append. S. 261.
12*
i8o
Freundschaft zu brechen. Nur einmal während des Aufstandes des
Tribigild Schien in Persien eine entgegengesetzte Strömung Platz zu
greifen, als Vararam 399 durch eine Palastrevolution Thron und Leben
verlor und Yezdegerd I. zur Regierung gelangte.^^) Doch beweist die
spätere Missionsthätigkeit des Bischofs Maruthas von Mesopotamien
zur Zeit der Verbannung des Chrysostomus^^) , das ausdruckliche
Zeugnis eines Zeitgenossen ^'^) und das Testament des Arcadius , dafs
diese Störung des Friedens ohne Folgen war und die früheren freund-
schaftlichen Beziehungen von neuem angebahnt wurden.
Das weströmische Reich war inzwischen seit dem Einbruch
Alarichs nicht minder der Schauplatz aufregender Kämpfe gewesen,
welche es indessen durch Stilichos kühnes und umsichtiges Handeln
zunächst noch bestand, der gleich einem riesigen Fels, auf dem das Reichs-
gebäude ruhte, dem morschen Bau allein noch Festigkeit und Haltung
verlieh. Schon hatte er die Legionen aus Britannien und Gallien
rufen müssen, um nur das eine Italien zu retten, in der Folge mufste
er es nun selbst erleben, wie beide Provinzen eine Beute, jene auf-
rührerischer Truppen, diese germanischer Schwärme wurde, ohne es
hindern zu können.^®) Zwar nach Alarichs Vertreibung 3» ») vom
italienischen Boden schien das Jahr 404 wie ein lichter Stern am
dunklen Himmel der Zukunft zu glänzen, und Rom durfte sich seit
langer Zeit rühmen, den Kaiser in seinen Mauern zu haben und ihn
das Consulat antreten zu sehen. So sehr begeisterte dieser seltene
Augenblick die Mitwelt, dafs der Sänger Claudian noch einmal freudig
in die Seiten griff 39) und zur Feier des denkwürdigen Tages die
Gestalt seines Helden Stilicho im Siegesglanze verherrlichte, wenn auch
die Huldigung scheinbar dem unmännlichen Sprofs des Theodosius
galt, der sich unempfänglich gegen . alle Pflichten seines hohen Amtes
**) Claudian in Eutrop. II. 474.
Hos inter strepit\iß funestior advolat alter
Nuntius armatam rursus Babylona minari
Rege novo: resides Parthos ignava perosos
Otia Romanae iam finem quaerere paci etc.
^) ep. 14 des Job. Chrys. Vgl. Sozom. IX. 8.
3') Orosius VIT. 34 : ictumque tunc (384) foedus est quo universus Oriens usque
ad nunc tranquillissime fruitur. Dagegen vgl. Prosper de Pron. et P. III. 34. und
Sievers a. a. O.
^) Aufser Gibbon VII. Ende, vgl. Aschbach S. 77. Köpke S. 126. Kauf-
mann S. 316 ff. V. Wietersheim II.» S. 133 ff.
^*«) Italien wimmelte von Deserteuren 403, gegen deren Übermut Stilicho
sogar den Provincialen das Waffentragen gestattete. Vgl. Cod. Theod. VII. 18,
II — 13 vom 24. Febr. 25. Juli und 2. Octob.
8«) De VI. consul. Honor.
i8i
gleich dem Bruder Arcadius von den Sorgen der Regierung fem hielt
und im sumpf- und mauerumschirmten Ravenna seine' eigentliche
Residenz aufgeschlagen hatte.*^^) Aber die freudige Erregung war nur
von kurzer Dauer, denn noch nicht hatte sich das Jahr gewandt*^),
als eine neue schreckliche Gefahr dem Reiche nahte.
Vandalen, Alanen, Quaden und besonders Schwärme von Ost-
gothen, welche durch die immer weiter westwärts steuernden Hunnen
aus dem Land zwischen Donau und Theiss verdrängt worden waren,
suchten im wilden Ansturm über die Alpen hereinbrausend Italiens
fruchtbare Gefilde in der furchtbarsten Weise heim. Ihre Zahl**) war
zu gewaltig, als dafs Stilicho es hätte versuchen dürfen, ihnen sogleich
mit seinem durch Unruhen und Desertionen ohnehin geschwächten
Heere die Spitze zu bieten ; er wartete vielmehr mit kluger Berech-
nung ab, bis sich der Zug, um die Städte zu nehmen und zu plündern,
in drei grofse Haufen getrennt hatte, deren einer unter dem Kom-
mando des Hauptanführers aller Scharen, des Ostgothen*^) Rhada-
gaisus, verblieb. Als dieser mit seinen beutelüstemen Stammesgenossen
vergeblich das feste Florenz berannte, wurde er von Stilicho, welchem
Gothen unter Sarus und Hunnen unter Uldin zu Hülfe geeilt waren,
in den engen Thalkesseln des Apennin bei Faesulae so eingeschlossen,
dafs die übermächtigen Feinde sich nicht zu befreien vermochten, sondern
durch Hunger geschwächt schliefslich in einem gräfslichen Blutbad
unter den Händen der Römer zu Tausenden ihre Seele aushauchten,
während der gefangene Rest zum teil von Stilicho ins eigene Heer
aufgenommen 44), zum teil für einen Spottpreis als Sclaven verschleudert
wurde. Rhadagaisus selbst wurde samt seinen Söhnen auf der Flucht
ereilt und bald darauf getötet.
*^) Eine alte Beschreibung Ravennap bei Jord. c. 29. Vgl. Kiepert S. 392.
Der dauernde Aufenthalt des Honorius in Ravenna läfst sich sicher seit 402
nachweisen Cod. Theod. VIl* 13, 15; vorher war Mediolanum seine Residenz.
Doch fanden zunächst noch Unterbrechungen statt, welche seit 403 Ende November
aufhören. Vgl, Series Chronol. Constitut. des Cod. Theod. bei Haenel.
**) So nehme ich mit Kaufmann und Wietersheim gegen Aschbach und
Köpke auf Grund des Tiro Prosp. und Prosper Aquit. an. Marcell. Com. 406;
im übrigen den Oros. ausschreibend. Vgl, besonders die nähere Ausführung bei
Wietersheim S. 371 Anmerk.
**) Zosim. V. 26, 400 000 M. Nach August, De Civ. Dei V. 23 , bestand
der dritte Haufe des Rhadagaisus aus viel mehr als lOOOOO M. Nach Orosius
Vir. 37, 4 waren unter diesen Scharen mehr als 200000 Gothen.
*3) Das ist eine Annahme. Vgl. Kaufmann a. a. O. Köpke u. s. w. Orosius
VI[. 37, der den Einbruch ausführlich behandelt, nennt ihn paganus barbarus et
vere Scytha.
**) Vgl. Tiro Prosper , August, und Orosius a. a. O. Olympiod. frgm. 9.
l82
Aber war auch die Gefahr wiederum von Italien durch Stilicho
abgewandt worden, die Schwärme der im Tiefland der Donau und
Theiss und westlich davon schweifenden Germanen waren unerschöpf-
lich, so dafs man mit dem Dichter sagen könnte:
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären!
So flutete denn, kaum dafs die Spuren des letzten Einbruches im
Mutterlande verwischt waren, noch am Ende desselben Jahres 405
eine neue gewaltige Völkerwelle, bestehend aus Quaden, Vandalen,
Alanen, Gepiden und Herulem, gegen den Rhein, überschritt mit
Beginn des Jahres 40Ö diese Grenze und verwüstete im Bunde mit
den linksrheinischen Germanen nicht nur das platte Land und die
kleinen Städte, sondern nahm auch Festungen ersten Ranges wie
Mainz, Strassburg, Speier, Worms ^^) u. a. ein. Es zeugt mehr als der
sicherste Bericht von der bedrängten Lage des Occidents, dafs es
Stilicho unterliefs, diese räuberischen Horden vom römischen Boden
zu vertreiben und Gallien dem Reiche wiederzugewinnen; die Zeit
war zu ernst, Italien konnte seiner einzig rettenden Hand keinen
Augenblick entraten.
Gleichwohl entschlofs sich Stilicho noch im Laufe des Jahres
407 zu einer anderen offensiven Unternehmung, denn zu allem Unheil,
das den Honorius betroffen hatte, kam nun, veranlafst durch seine
Einmischung in die inneren Wirren der orientalischen Kirche, eine
wachsende Entfremdung zwischen den Brüdern , welche , infolge der
allem Völkerrecht Hohn sprechenden Behandlung der occidentalischen
Gesandten durch die Umgebung des Arcadius gerade um die Mitte des
Jahres 406*®) ihren Höhepunkt erreichte. Hob die abendländische
Kirche die Gemeinschaft mit Atticus und seinen Anhängern auf, „bis '
eine allgemeine Synode zustande gekommen wäre und die .faulen '
Glieder der Kirche geheilt hätte*'')", so hatte damit der römische f
Bischof alles gethan, was in seiner Macht stand, um den an Johannes f
/
") Prosp.Aquit. Vandalen und Alanen am 31. Dec. 406. Vgl. v. Wietersheim
S. 373. Kaufmann S. 3i9fF. Es war ein Raubzug in grofsartigem Mafsstabe.
Ausführlich Hieronym. ep. 123. 16: Quidquid inter Alpes et Pyrenaeura est, quod
oceano et Rheno includitur, Quadus, Vandalus, Sarmata, Alani, Gepides, Heruli,
Saxones, Burgundiones , Alemanni et o lugenda respublica! hostes Pannonii
vastarunt etc. Ebend. zählt die eingenommenen Städte auf.
") Um diese Zeit kehrten die Gesandten zurück wie eine Vergleichung
von Palladius p. 33 mit Socrat. VI. 20. Sozom. VIII. 27. ergiebt. Vgl. Ludwig
S. 161.
♦■^ Theodoret V, 34. und Palladius p. 215.
f
f
i83
<Z)hrysostomus begangenen Frevel zu sühnen. Indes der Staatsgewalt
standen noch andere Mittel zu Gebote , die beleidigte Majestät des
3Ierrschers zu rächen. Zwar war es ein gefährliches Spiel, wenn auch
dm Augenblick Italien von Feinden unbehelligt war, einen Krieg gegen
<ias Ostreich zu führen, der durch die Blutsverwandtschaft der beiden
Gebieter der Reichshälften noch ein besonders trauriges Gepräge er-
hielt; es schien ein Schnitt ins eigene Fleisch zu sein. Aber das
Mafs dessen, was der orientalische Hof an Mifsgunst, geheimer Unter-
stützung offener Reichsfeinde und Zurückweisung ehrlicher Hülfeleistung
in den wenigen Jahren seit dem Tode des Theodosius dem occiden-
talischen geboten hatte, war durch den letzten Schritt desselben in
den Unterhandlungen wegen des Bischofs von Constantinopel über
und über voll geworden.**) Eine derbe Züchtigung that not, die in
der rechten, mafsvollen Weise angebracht dem Gesamtreiche dadurch
Heil bringen konnte, dafs der schwache Kaiser endlich einmal aus
seiner dem Honorius und Stilicho abholden Umgebung herausgerissen
und Männern anvertraut wurde, welche das Wohl des ganzen Reiches
in der. Eintracht beider Teile beständig und aufrichtig suchen mochten.
Aber bei allen diesen Erwägungen kam nicht minder noch das
Verhältnis Alarichs und seiner Westgothen zu West-» und Ost-Rom
in Betracht, und dieses schien augenblicklich Stilichos Plänen günstig
zu sein. Denn nach der Rückkehr von seinem vergeblichen Zuge
nach Italien 403 waren die Beziehungen zum Ostreich, wie schon
oben ausgeführt ist, immer lockere und kühlere geworden, nachdem
hier das gegen das Übergewicht der Germanen im Reich sich ermannende
römische Nationalgefühl über jene einen glänzenden Sieg schliefslich
davongetragen hatte. Nun safs Alarich an der Grenzscheide der
beiden Reiche, zu jung, um mit dem Leben abgeschlossen zu haben,
an der Spitze einer kriegslustigen Jugend, die gleich ihm von Thjiten
und Beute in einem weniger rauhen Lande träumte, und daher bereit
zu jeder nur nicht allzuwaghalsigen Unternehmung, wohin sie auch
immer führen mochte. Er ergriff deshalb mit Freuden die ihm von
*^ Es ist wunderbar, (dafs diesem Moment, der Gesandtenbeleidigiing, zur
Erklärung der Absichten Stilichos so wenig oder gar kein Gewicht beigemessen
ist. Doch wenn man sich daran erinnert, wie gereizt Claudian sich schon in
früheren Jahren gegen den oströmischen Hof ausläfst, so kann man die Entrüstung,
welche man im Occident über jenen Vorfall empfand, nicht, hoch genug an-
schlagen. Kaufmann a. a. O. verzichtet auf einen Erklärungsversuch, v. Wietersheim
sieht in Stilichos Vorgehen nur die Absicht sich Alarich als Freund zu erhalten.
Serena war in diesem Punkte eine Gegnerin ihres Gemahls und suchte den
Bruderkrieg zu verhindern. Zosim. V. 29,
i84
Stilicho gebotene Gelegenheit*®), seinem kriegsliebenden Volke neue
Waffenthätigkeit zu geben, wenn sie auch gegen den anderen Reichs-
teH gerichtet war, von dem ihm selbst eine Provinz vom Kaiser Ar-
cadius anvertraut war. Im Laufe des Jahres 407 gediehen die zwischen
ihm und dem weströmischen Machthaber gepflogenen Verhandlungen
zum Abschlufs, welche darauf ausgingen, dafs Alarich mit Unterstützung
Stilichos das ganze übrige oströmische Illyrien, in welchem die West-
gothen nicht ihre Sitze hatten, also Epirüs, Thessalien, das alte Griechen-
land, Macedonien und Dacien, mit Waffengewalt dem oströmischen
Reich abzwingen und dem westlichen einverleiben sollte '><^), wogegen
ihm die Würde des magister utriusque militiae auch von Westrom und
gröfsere Befugnisse als bisher gewährleistet wurden. Doch sind wir,
hier von den Quellen völlig im Stich gelassen, nicht im stände näher
anzugeben, worin die Gegenleistungen des Honorius bestehen sollten.**)
Stilichos Plan war soweit wohl überlegt, durch die Eroberung Ost-
lUyricums sollte das orientalische Reich gewarnt, gedemütigt und ge-
schwächt, das occidentalische gerächt, gehoben und gestärkt werden,
während Alarichs Parteinahme für den Westen ihm den Osten zum
unerbittlichen Feinde machen und fort und fort die Rache desselben
in Aussicht stellen mufste. Nach der Art, wie die weströmischen Ge-
sandten im Ostreich aufgenommien und zurückgewiesen waren, hatte
Stilicho nicht nötig den Krieg officiell von Kabinet zu Kabinet zu
erklären , sondern er gab auf . eine andere nicht mifszuverstehende
Weise den Abbruch der friedlichen Beziehungen von Seiten Westroms
zu erkennen, indem er durch eine durchgreifende Verfügung plötzlich
alle Gestade wie Häfen im Occident den oströmischen Schiffen ver- f
schlofs, überall an den Verkehrsstellen und besonders geeigneten f
Küstenpunkten Commissarien und Truppen aufstellte und so jeg- j
liehen Personen- und Warenverkehr mit dem Osten untersagte.*^^ Es j
war das für beide Teile eine tief einschneidende Mafsregel, da das
Mittelmeer mit allen seinen Seitengassen damals noch immer fast
ausschliefslich das Weltmeer ausmachte und aller Handel mehr oder
^•) Bei Zosim. V. 26, ist die Verabredung schon vor dem Einbruch des
Rhadagaisus abgeschlossen.
^) Deutlich ausgesprochen ist dieses Ziel bei Zosim. V. 26. und Sozom.
IX. 4. und (VIII. 25.) auf Grund des Olymp. Vgl. Aschbach S. 78. Dahn Könige
S. 42. Köpke S. 126. Kaufmann S. 319. v. Wietersh. a. a. O.
**) Vgl. Sozom. IX. 4. (Stilicho) axQaxriyov Qiofjiaioiv a^iav iiQO^evijaag
**) Cod. Theod. VII. 16, i. 12. Dec. 408: Hostis publicus Stilico novum
atque insolitum reppererat, ut litora et portus crebris vallaret excubiis, ne cuiquam ex
Oriente ad hanc imperii partem pateret accessus.
i85
"%Äreniger einzig und allein auf dem Austausch der gegenseitigen Pro-
dukte der Gestade desselben und ihrer Binnenländer beruhte. Gleich-
"^vohl wagte Stilicho diesen Schritt und liefs zugleich an Alarich die
^Aufforderung ergehen, nunmehr mit seinen Westgothen aufzubrechen,
lEpirus anzugreifen und seine Ankunft zu erwarten. Der neu ernannte
3*raefectus praetorio Illyrici Jovius würde vorausgesandt, welchem Sti-
licho alsbald auf dem Fufse zu folgen versprach.*^)
Aber während dieser in Ravenna seine Rüstungen zum Abschlufs
"brachte und schnell Alarich zu Hülfe zu eilen gedachte, verbreitete
sich das Gerücht, der Westgothenkönig sei gestorben, und zu der-
selben Zeit lief ein Brief des Honorius ein mit der Meldung, der in
Britannien von den aufrührerischen Legion '^n zum Kaiser ausgerufene
Usurpator Constantinus sei in Gallien gelandet'»'*) So wenig beglaubigt
die erste Nachricht erschien, so sicher und gewichtig war die zweite;
sie zwang Stilicho seine Gedanken vom Osten abzuwenden und auf
den Westen zu lenken, da, wenn nicht des Honorius Thron ganz in
Frage gestellt werden sollte, die Vertreibung und Vernichtung des
Tyrannen unumgänglich notwendig war. So wurde anstatt der beab-
sichtigten Offensive eine erzwungene Defensive das nächste Ziel, welches
Stilicho sich stecken mufste. Er begab sich daher sofort zu Honorius
nach Rom, um dort im Verein mit dem unter ihm wieder lebendig
gewordenen Senat die Mafsregeln zu beraten, welche bei dieser kriti-
schen Lage zu ergreifen seien.^^)
Die Vermählung seiner zweiten Tochter Thermantia mit Hono-
rius im Beginn des Jahres 408, dem die erste Gemahlin Maria vor
einigen Jahren jungfräulich durch den Tod entrissen worden ^ß), war
daher nur ein vorübergehender Lichtblick für den um das Wohl des
Reiches wie seiner Familie ängstlich besorgten Stilicho, denn er mufste
sich sagen, dafs die im Orient begonnene Unternehmung gescheitert
sei und gewifs zu mancherlei Verwickelungen mit dem im Stich ge-
lassenen Alarich führen werde. In der That war der Westgothen-
könig, nachdem er vergeblich längere Zeit auf Stilicho gewartet hatte,
und endlich über die Unmöglichkeit, augenblicklich das Unternehmen
*') Sozom. Vm. 25. und IX. 4. Es ist wohl derselbe Jovius, dessen Sohn
Alarich Zosim. V. 36. als Geisel veriangt und der 409 mehrfach in Gesetzen des
Cod. Theod, genannt wird. Vgl. Series Chron. Constit.
**) So Zosim. V. 27, während Sozom. IX. 4. Alarich durch einen Brief
des Honorius zurückgerufen wird.
") Zosim. a. a. O.
**) V. 28. Vgl. Jordan c. 30.
i86
fortsetzen zu können, aufgeklärt war, aus Epirus unverrichteter Sache
wieder abgezogen, und stand nun drohend an der Save bei Aemona
(Laibach), nur wenig Stunden von den Pässen der Julischen Alpen
entfernt, um, im Falle seine berechtigten Forderungen nicht bewilligt
würden, von neuem in Italien einzubrechen. Es stellte sich also
heraus, dafs Stilichos gegen das Ostreich geplante Expedition in jedem
Falle nicht mit der Überlegung ins Werk gesetzt war, welche ihm
sonst doch eigen zu sein pflegte, und dafs ein blutiger Zwist zwischen
den beiden Reichshälften stets ein Vorteil für die gemeinsamen
Feinde war.
Alarich aber ging noch einen Schritt weiter: da er durch seine
Kundschafter erfahren, dafs der enge, aber bequemste Pafs über die
Alpen (die Station ad Pyrum bei Ktudschizza im Bimbaumer-
walde) ^® *) nicht besetzt war, wahrscheinlich, weil er damals im Bunde
mit Westrom war, so rückte er ungehindert durch diese Grenzpforte
ein und schickte Gesandte nach Ravenna, welche in seinem Namen
eine angemessene Entschädigung für die Wartezeit in Epirus und für
den Marsch bis hierher fordern sollten.*'^) Über diese ernste
Frage trat nun der Senat zu Rom im kaiserlichen Palaste zur Be-
ratung zusammen, eigentlich in seiner Mehrzahl aus neu erwachtem
Römerstolz jeglicher Abzahlung an die Barbaren, die wie Tribut aus-
sähe, abgeneigt ; aber in seiner Minderheit noch von Stilicho beherrscht,
entschied er sich gleich diesem für eine friedliche Lösung, nachdem
Stilicho auf die Anfrage jener, warum er einen für die Majestät
des römischen Namens schmählichen Frieden dem Kriege vorziehe,
des längeren auseinandergesetzt hatte, dafs Alarich nur in römischem
Interesse nach Epirus gezogen sei und auch nicht vergeblich auf ihn
gewartet haben würde, wenn nicht des Kaisers Brief alle seine Pläne
in der Ausführung gehindert hätte. Es wurde Alarich daher eine
Entschädigungssumme von 4000 €1. Gold ^8) (3600000 Mark) bewilligt,
doch nur schwer war es Stilicho gelungen den Senat zur Zustimmung
zu bewegen, er hatte sogar in der lebhaften Debatte das schnelle
Wort^ö); ^,Das ist kein Friede, sondern ein Pact der Knechtschaft!"
hören und ungeahndet lassen müssen, um nicht die Erregung gegen
**a) Annahme des Freiherm C. v. Czöernig das Land GÖrz u. Gradisca S. 162.
»"0 Zosim. V. 29.
W) Zosim. V. 29. xQvaiov xexQaxiGX.^kLaq HrQaq. Olymp, frgm. 5. rsaaa-
Qaxovta xsvTfjvaQia. Vgl. Ducange zu xsvx.
*^) Non est ista pax, sed pactio servitutis. Lampadius, der diesen Ausruf
that, floh aus .Furcht vor Stilichos Rache nach der Senatssitzung zur schützenden
Kirche. Zosim. a. a. O.
187
ich noch zu steigern. Er gedachte nuniaehr, nachdem Alarich durch
ie Bewilligung zufrieden gestellt war, wieder nach dem Norden zu
ehen, um von da aus im gegebenen Falle über die Alpen gegen
^z3en Usurpator vorzurücken, als plötzlich das dumpfe Gerücht zu dem
eströmischen Hofe drang, der Kaiser Arcadius sei gestorben, und
Stärke und Glaubwürdigkeit immer mehr zunahm.*®)
Und im Gegensatz zu der kurz vorher verbreiteten Todesnach-
:wicht des Westgothenkönigs wurde diese nur zu bald bestätigt, wirklich
^war Arcadius gegen menschliche Erwartung und Hoffnung seinem
"Yater inzwischen ins Grab gefolgt, ein Ereignis von höchster Be-
<ieutung gerade in diesem Augenblicke. Denn wer sagt, wie der
Xauf der Zeiten sich geändert hätte , wäre .Arcadius am Leben ge-
blieben, der wenige Wochen noch vor seinem Tode den bis dahin
vernachlässigten Aufbau der Mauern der Städte Illyriens und die
schleunige Überführung von Lebensmitteln dorthin für das Heer be-
fohlen hatte. Würde er nicht versucht gewesen sein, den ihm durch
Alarichs Einmarsch in Epirus angedeuteten und zugedachten Hieb zu
erwidern ? Würde sich nicht vielleicht Alarich, in allen Sätteln gerecht,
nunmehr umgekehrt, wenn Arcadius gewollt hätte, mit ihm gegen das
Westreich vereinigt haben? Und welche Folgen wiederum hätte dieser
gemeinsame Angriff für die Widerstandskraft Westroms gegen Con-
stantinus unter allen Umständen haben müssen! Wir stehen hiermit
vor der Lösung eines Rätsels, das der Mensch nicht zu lösen vermag,
er kann nur erkennen und konstatieren, dafs hier eine höhere Hand
in das Geschick der römischen Welt sichtbarlich eingegriffen hat.
Das Eine steht jedenfalls fest, dafs die freundliche Haltung, welche
demnächst von seiteft des orientalischen Hofes gegen den occiden-
talischen beobachtet worden ist, und vor allem eine thatkräftige Unter-
stützung, wie sie in der That bald darauf eingetreten ist, niemals zu
Lebzeiten des Arcadius würde statt gehabt haben.
Arcadius war am i. Mai 408 6 *) aus dem Leben geschieden.
^) Zosim. V. 30 und 31.
**) Socrat. VI. 23 ist in Bezug auf chronologische Daten (vgl. G. S. 22.)
so glaubwürdig, dafs man dieses Datum immer annehmen kann. Gegen seine
Autorität würde nur sprechen Cod. Theod. XIV. 17, 15. Monaxio P. U. Jidem
AA vom 1 6. Febr., da es, wenn Arcadius noch lebte, AAA heifsen müfste. Doch
kann der Buchstabe leicht vom Schreiber fortgelassen sein. Desgl. mufs dem-
gemäfs zu IX. 35» 7. der Name des Arcadius restituiert werden, wie Gothofr.
im Commentar bereits gesehen hat. Richtig dagegen ist XVI. 8, 18. IV. Kai. Jun.
Impp. Honorius et Theodosius gezeichnet. — - Das Jahr giebt auch Sozom. IX. i.
Prosp. Aquit. Marc. Com. Vgl. dagegen Xheophanes zu 400; Cedren p. 334:
i88
wahrscheinlich infolge einer Krankheit, doch ist darüber nichts über-
liefert worden. Die letzten Jahre waren für ihn recht einsam ge-
wesen, denn er war seit Anfang Oktober 404 ®2) bereits Witwer.
Eudoxia war nach alten Berichten offenbar in einer schweren Ent-
bindung ö3) gestorben , wenn auch gewifs viele abergläubische Zeitge-
nossen in ihrem frühzeitigen Tode nur eine gerechte Strafe des
Himmels für das an Johannes Chrysostomus begangene Unrecht sahen.
Sie wird kaum das dreifsigste Jahr erreicht haben, da Arcadius selbst
in seinem einunddreifsigsten Lebensjahre starb. Er hatte nach dem
Heimgang der Gemahlin aufser dem Zerwürfnis mit Westrom, in welches
ihn seine Schwäche gegen die Gegner des Johannes geführt hatte,
an bemerkenswerten Ereignissen in Constantinopel 406 den grofsen
Brand des Hippodroms *•*) mit erlebt, in welchem die Thore, die um-
gebenden Säulenhallen desselben, Privatgebäude vernichtet worden
und wie es scheint, auch Menschen umgekommen waren. Arcadius
hatte selbst noch die nötigen Anordnungen zur Wiederherstellung des
Niedergebrannten erlassen: So verfügte er am 22, Oktober 406 0*), dafs
die zu den oberen Säulengängen führenden Treppen, welche bisher
eng und von Holz gewesen waren, jetzt breiter und in Stein aufge-
führt werden sollten, damit einerseits die Gefahr einer Feuersbrunst
geringer, andererseits die Möglichkeit ihr zu entgehen desto gröfser
würde. Auch ordnete er an, dafs die Privathäuser, welche bis dahin
mit dem Circus zusammengehangen hatten, fernerhin nicht blos in
diesem Falle, sondern überhaupt fünfzehn Fufs von den öffentlichen
Baulichkeiten entfernt erneuert werden sollten.
Auch im Jahre 407 war Constantinopel von einem schweren Un-
glücksfall heimgesucht worden 6*"»), diesmal aber von einem Erdbeben,
das auch auf dem Wasser den empfindlichsten Schaden anrichtete.
Die ehernen Ziegel des Forum Theodosianum wurden bis in die Vor- J
Städte geschleudert und das Kreuz Christi stürzte vom Kapitol herab; '
f
\
f
j
f
im 14. Jahre der Regierung und im 31. Lebensjahre. Zosim. V. 34: in demselben
Jahre mit Stilicho. Philost. XI. 7. Chron. Pasch, hat eine Lücke. Vgl. Clint. f
Fast. Rom und Sievers: Arcadius. [
^*) Chron. Pasch. Am 4. Tage nach einem mächtigen Hagelschlag Sozom. 1
Vfll. 27., der nach Socrat. VI. 19. am 30. Sept. stattgefunden hatte. Das Jahr
auch bei Marcell. Com. und Prosp. Aquit.
ö2) Photius Bibl. c. 77. über Eunap: ^ — kQxaölov yvvr^ ;tfaTa yaoTQog }
exovaa xal dfxßXojaaaa xbv ßlov dneXiTtev. Erst bei Cedren (11. Jahrh.) p. 334
die sagenhafte Ausschmückung, die sich auch Zonaras (12. Jahrh.) XIII. 20. findet.
»*) Chron. Pasch.
«) Cod. Th. XV. I, 45 und 46.
««) Chron. Pasch.
f
i89
Hafen wurden die Schiffe gegen einander oder gegen das Ufer
eworfen, und vieler Schiffsleute Leichen trieben in den nächsten Tagen
goldenen Hörn umher. Dagegen schien Gott Arcadius noch kurz
%^or seinem Tode ein deutliches Zeichen seiner Gnade zu geben, als
^^r ihn, der in grofser Lebensgefahr sich befand, in wunderbarer Weise
^srrettete.*') Arcadius hatte sich nämlich zur Besichtigung der kleinen
TKapelle, welche um den Nufsbaum, an dem der Märtyrer Acacius gehänkt
"%^orden war, errichtet war, in die Karia, ein grofses Gebäude der
auptstadt begeben, und trat, nachdem er gebetet hatte, wieder den
eimweg an. Da eilten alle, welche in der Nachbarschaft wohnten
'und auch die, welche sich in der Kapelle befanden, herbei, um den
kaiserlichen Zug sich anzusehen, in demselben Augenblicke stürzte
<iie Karia zusammen und hätte unfehlbar, wäre der Kaiser einen
-Augenblick länger geblieben, ihn wie den ganzen Menschenschwarm
Tinter ihren Trümmern begraben. Dieses Ereignis verschaffte Arcadius
noch in seinen letzten Tagen den Ruhm eines besonders von „Gott
geliebten" Fürsten, während ihm seine Einmischung in die kirchlichen
Verhältnisse der Hauptstadt einen grofsen Teil der Bewohner ent-
fremdet hatte.
Aus dem zarten und schwächlichen Knaben, der Arcadius einst
gewesen war, hatte sich in der Folge ein Mann entwickelt von kleiner,
schmächtiger Gestalt, mit schwarzen Haren und dunkler Hautfarbe ö^),
ohne ein äufserliches Zeichen männlicher Energie; vielmehr verrieten
die schläfrigen Augen, deren Lider meistens gesenkt waren, den matten
Geist, welcher in seinem Körper wohnte. Sieht man von einer un-
glaublichen Erzählung des Zonaras ab , nach welcher Arcadius
an seinem Lehrer Arsenius für eine ihm widerfahrene Züchtigung
blutige Rache habe nehmen wollen 69), so stimmen die Zeitgenossen
darin überein, dafs er ein herzensguter und sanfter Mann war.*^®) Aber
allzugrofse Güte ist bekanntlich ebenfalls eine Schwäche, welche ein
Fürst nicht haben sollte, und um so mehr war sie es bei Arcadius,
bei dem sie sich mit einem hohen Mangel an Einsicht und Verstand
verband. ''*) Diese Eigenschaften erklären es hinreichend, warum der
6') Socrat. VI. 23. (Theopb. zu 399.)
<**) Philost. XI. 3. Cedren p. 327. Vgl. die Münzen bei Cohen descript.
hist. des monn. VI. S. 480 — 486 und Eckhel Doctr. num.
M) XIII. 19.
'0) Socrates VI. 23. dvrjQ TtQaoq xal ^ovxiog xal TtQoq tö> xiXei xijq
Sa>^§ d^sofpiXovg do^av xrrjaafisvoq.
''•) Dies berichten die Quellen in seltener Übereinstimmung. Zosim. V. i. 12.
Eutrop beherrscht den Arcadius xad-ansQ ßoox'^fiectog. 14. und 24. Clai^dian III.
I90
im Palast unter schmeichlerischen Dienern, unaufrichtigen, eigensüchtigen
Freunden und unter dem Drucke echt orientalischen überladenen
Prunkes und schwerfalliger Ceremonieen aufgewachsene Prinz späterhin
ein leicht gefügiger Spielball derer wurde, welche seine Schwächen
kannten und ihn zu nehmen wufsten. So war er anfangs, ein des
Regierens unkundiger Jüngling, die Puppe des Rufinus, und als dieser
getötet war, die des Eutrop, zu jeder Zeit aber, so lange er vermählt
war, hatte ihn die kühne, ehrgeizige, und nicht minder kluge Tochter
des Bauto," wie ein Bericht drastisch sich ausdrückt "^2^, am Zügel, an
dem sie nur wie bei einem „Tiere" zu ziehen brauchte, um ihn nach
Belieben bald nach rechts bald nach links zu bewegen.
Auf ihr Haupt fallt daher zum gröfsten Teil zurück, was Arcadius
an Johannes Chrysostomus sündigte, w-enn sie auch selbst wiederum
von seinen Gegnern sich zu weit iortreifsen liefs. Denn sie war doch
zu sehr Weib, um nicht auch ihre grofsen Schwächen zu haben, lind
gestattete ebenfalls den Kammereunuchen und Hoffrauen einen un-
heilvollen Einflufs auf sich, deren Ziel aufser auf mächtige Stellung
nicht weniger auf den Erwerb von Reichtümern gerichtet war.''*) Es
wuchs daher unter Arcadius' Regierung die Schar der Delatoren ins
ungeheuere, die es sich angelegen sein liefsen, überall in den Provinzen
auszuspähen, wo ein vermögender Manli starb, um durch Vorzeigung
eines am Hofe erschlichenen kaiserlichen Mandates die berechtigten
Erben auszuschliefsen. Man würde diese Nachricht für übertrieben,
wenn nicht für erfunden halten können, wenn uns nicht aus den Ge-
setzen der Zeit der selbstsüchtige Eifer der Denuntianten und der so-
genannten Petitoren vielfach entgegenträte. ''*)
Fragt man schliefslich nach den selbständigen Thaten, welche
mit dem Namen des Arcadius verknüpft sind, so gehen sie über den
Rahmen der Einholung aufgefundener Märtyrerreliquien und einiger
Bauwerke nicht hinaus. Die Einholung jener war noch die einzige
Gelegenheit, wo Fürst und Volk eine Art gemeinsamer Feier begingen;
so liefs Arcadius 397 '^^) die Gebeine Johannes des Täufers aus
cons. Hon. 488 ff. läfst nur durchblicken, was]]er von Are. hält. Philost. XI. 3.
Bei Zonaras XIII. 20. ist vcid^q sein stehendes Beiwort. Nur der gedankenlose
Joh. Mal. üb. 13. erzählt aufser sonstigem ungereimten Zeuge, dafs Arcad. einen
durchdringenden Verstand besafs.
") Zonaras XIIL 20.
^^ Zosim. V. 24. c. 25. bringt die unglaubliche Nachricht, Eudoxia sei
von Arbacazius bestochen worden.
''*) Cod. Theod. IX. 42, 17. X. 10, 24.
^") Theophanes. Chron.
l^:x:a.iidrien überführen; 398 ''ß) die Reliquien des Phocas von Sinope
cler hl. Sisinnius, Alexander und Martyrius und 406 des hl. Samuel ''*'),
errichtete er eine Säulenhalle "^^j^ eine Säule und endlich eine
:ue Truppe, welche nach ihm ^igxaöiapol genaimt wurde.-'*) Beide,
-<:ra.cüus und Eudoxia, wurden neben einander in der Apostelkirche ®®)
igj-esetzt.
''ö) Act. Sanct. T. IV. Sept. S. 530. Vgl, Ludwig S. 23.
''^) Chron. Pasch.
'*) Theoph. und Cedren.
79) Ebend. vgl. Böcking Not. Digu. I. S. 204.
^) Chron. Pasch. 404 und Cedren p. 334.
n. Buch.
Erstes Kapitel.
Übergang der Kröne auf Theodosius II. — Unmündigkeit der Kinder des Arcadius.
— Zustand des Reichs beim Tode desselben. — Verhältnis zu Westrom. —
Honorius zuerst, dann Stilicho wollen sich nach Constantinopel zur Ordnung
der orientalischen Angelegenheiten begeben. — Stilichos Sturz und Hinrichtung
22. August 408. — Das Ostreich leitet der Praefectus praet. Anthemius. — Seine
Vorgeschichte und sein Verkehrskreis. — Troilus, der Sophist, die Dichter
Nicander und Theotimus. — Meinung des Synesius und Chrysostomns über
Anthemius. — Annäherung an Westrom. — Freundliche Beziehungen zu Persien.
— Der persische Handelsvertrag. — Besiegung des Uldes und Gefangennahme
der Skiren. — Die Verteilung derselben über die Provinzen. — Sicherung der
Donaugrenze durch Vermehrung der Flotte. — Hungersnot in Constantinopel. —
Verfägung über den Transport des ägyptischen Getreides. — Versuch Ulyrien
aufzuhelfen. — Der Bau der Mauern Constantinopels. — Die Ereignisse im Westen
in den Jahren 408 — 414. — Rücktritt des Anthemius.
Wer den Gang der Ereignisse im oströmischen Reich bis hierher
aufmerksam verfolgt hat, den feindseligen Gegensatz zwischen den
zahlreichen Germanen im Heer, den eigentlich römischen Truppen
und der Bevölkerung, die Wirren, die vorausgegangen waren, und
die Bedrohung der Grenzen erwägt, der mag in seinem Herzen bei
der Thatsache, dafs das grofse Reich einem unmündigen Knaben
zufiel, wohl mit Salomo sprechen: „Wehe dem Lande, dessen König
ein Kind ist!" und mag fürchten, dafs Jahre vorübergehen würden,
bis die Völker wieder zum Genufs des Friedens kämen. Hatten sich
selbst gegen Theodosius' starke Hand zwei Usurpatoren zu erheben
gewagt, welche den jugendlichen Kaisem Gratian und Valentinian
Thron und Leben raubten, war Gallien gerade 408 im] Besitz eines
Tyrannen , der bereits in Arelate i) seine Residenz genommen hatte,
— wie hätte man nicht füglich erwarten dürfen, irgend ein unzu-
friedener General werde auch im Osten, gestützt auf germanische
Söldner, die Fahne des Aufruhrs erheben und zahlreichen Anhang
») Zosim. V. 31.
193
\)ei dem heruntergekommenen Bauer und Bürger oder bei den
scythischen Sklaven finden? Oder war nicht zu fürchten, dafs Alarich
auf die Todesnachricht des Arcadius sogleich umkehren und das ver-
ivaiste Reich als leichte Beute betrachtend einen neuen Raubzug oder
auch Eroberungskrieg unternehmen werde? Oder stürzten sich nicht
die äufseren Feinde von jenseits der Donau und des Tigris begierig
die Gelegenheit ergreifend über das seines Hauptes beraubte Land
her ? Nichts von alledem ! Der Übergang der Krone aus der Hand
des' sterbenden Kaisers auf das Haupt seines kindlichen Sohnes vollzog
sich vielmehr mit einer Ruhe und ungestörten Sicherheit, als ob das
Princip der rechtmäfsigen Erbfolge auf den römischen Kaiserthron durch
jahrhundertelange Übung geheiligt wäre und nie eine Anfechtung
erfahren hätte. Und während man für gewöhnlich dem Lande eine
glücklichere Zukunft und Beständigkeit der Verhältnisse vorauszusagen
befugt ist, dessen Herrscher ein Mann in der Reife seiner Kraft ist,
sehen wir bei dem Vergleich der beiden Hälften des römischen Reichs
das seltene Schauspiel vor uns, dafs der von einem unmündigen Kinde
anfangs regierte Teil in immer ruhigere und sicherere Bahnen über-
lenkt und sogar dem anderen Teil nicht nur Hülfe spendet, sondern
auch berufen wird, ihm einen neuen Herrscher zu geben, der andere
dagegen, von einem Manne geleitet, die schwersten Gefahren zu be-
stehen hat und immer mehr auseinander fällt. Denn es war der Wille
der Vorsehung, dafs der Westen der römischen Weltherrschaft nach un-
zähligen Kämpfen endlich eine Beute der Germanen werde, während
das orientalische Reich den Namen und die Einrichtungen der Römer
bis an die Scheide der Neuzeit bewahren sollte, wenn auch der
römische Geist und die Nationalität ihm längst entschwunden waren.
Am Totenbette des Arcadius, den das Geschick so frühzeitig
aus dem Leben rief, als er eben in das rechte Mannesalter getreten
war, stand keine trauernde Witwe, die in den Pfändern der Liebe
den einzigen Ersatz für den unersetzlichen Verlust sah und sich ge-
lobte, diese, so gut sie's vermöchte, den Vater nicht entbehren zu
lassen, sondern vier Waisen im zartesten Alter, drei Mädchea und ein
Knabe, welche kaum imstande waren, die Gröfse des Verlustes zu
fassen, der sie hier traf. Es war die neunjährige Pulcheria, die acht-
♦
jährige Arcadia, die fünQährige Marina und der siebenjährige Theo-
dosius, der Thronerbe. 2) Ihm überkam das Reich, welches der grofse
Theodosius seinem Vater hinterlassen hatte, zwar nicht ganz so unversehrt,
2) Vgl. Buch I. cap. 8. Anm. i8 — 22. Socrat. VI. 23. nennt den Theodos.
oxraerrig, obwohl er sein Geburtsjahr richtig c. 6. angegeben hat ; ebenso falsch
Sozom. IX. I. yaXaxTi tQi^sad^ai Ttsnavfiivog,
13
194
denn die Präfectur lllyricum stand zum gröfsten Teil unter dem West-
gothenkönig Alarich^) und hatte im übrigen nicht weniger als das
Innere Kleinasiens durch Raub- und Plünderungszüge gewaltig ge-
litten, gleichwohl hatte die Regierung des Arcadius den Segen gebracht,
dafs die übermächtige Stellung der Germanen, welche in ihren An-
fangen durch jenen grofsen Kaiser hervorgerufen war, zurückgedämmt
und in heilsame Schranken gewiesen worden war.*) Allerdings hatte
die Absetzung und Verbannung des Johannes Chrysostomus die Zahl
der bestehenden christlichen Secten noch um eine neue hartnäckige
vermehrt ^), indes war einmal die Hoffiiung berechtigt, sie in nicht zu
langer Frist in den Schofs der Mutterkirche wieder aufgenommen zu
sehen, sodann war das letzte Aufflackern der arianischen Gelüste
während des Aufstandes des Gainas energisch unterdrückt worden.
Mit den äufseren Feinden des Reichs stand Arcadius bei seinem
Tode im ganzen in freundlichem Verhältnis, wenn wir von dem kleinen
Kriege an den africanischen Grenzen absehen ; denn mit Persien waren
die durch Theodosius angebahnten guten Beziehungen von Bestand
geblieben, und auch der Fürst eines Teiles der Hunnen, Uldis, hatte
durch die Übersendung des Kopfes des Gainas seinen friedlichen
Gefühlen gegen das Ostreich Ausdruck verliehen.^) Die einzige Wolke
daher, welche über dem Haupte des Sterbenden schwebte, war die
Sorge um das Verhalten zu dem weströmischen Reich gewesen,
welches er selbst durch die Zurückweisung seiner Gesandten auf das
schimpflichste beleidigt hatte. Aber gerade nach dieser Seite hin
kamen Ereignisse, die man vorher hatte nicht erwarten können, dem
Ostreich zu Hülfe.
Nicht nur, dafs Alarich statt den begonnenen Feldzug in Epirus
fortzusetzen, wie wir sahen, den Spiefs umdrehte und seine F-orderungen
nunmehr gegen den Westen richtete, weil Stilicho, unter dem Druck
der Nachricht von der Landung des Constantinus in Gallien, seinem
Plane gemäfs ihm nicht hatte zu Hülfe eilen können, sondern mehr
als durch alles andere wurden die Beziehungen der beiden Reiche
beeinflufst durch den plötzlichen Niedergang dieser einzigen Stütze
Westroms selbst Denn als die Nachricht von dem Absterben des
Arcadius nach Italien gekommen und zu Honorius gelangt war, welcher
auf dem Wege zu den römischen Legionen bei Ticinum (Pavia) sich
^) Ebend. cap. 3. f.
*) cap. 6 und 7.
*) cap. 9.
®) Zosim. V. 22.
195
in Bononia (Bologna) befand, rief er den Stilicho aus Ravenna herbei '^),
um mit ihm bei der Wichtigkeit des Ereignisses über die Schritte
zu beraten, welche der Todesfall nötig mache. Honorius hatte den
Gedanken, selbst nach dem Orient zu gehen, um bei der Unmündigkeit
seines Neffen die Regierung zu ordnen und in feste Hände zu legen.
Es zeugt wiederum von der politischen Klugheit des Stilicho, dafs er
dcan Kaiser diesen Plan ausredete, indem er mit Recht auf die Nähe
de§ Tyrannen Constantinus, auf die Anwesenheit des Alarich, dem er
nicht traute, auf italischem Boden und auf die moralische Schwächung
hinwies, welche dem Kaiserthron im Westen zugefügt werden würde,
wenn der rechtmäfsige Kaiser in eigner Person nach dem Orient
ziehe; abgesehen davon, dafs eine solche Reise grofse Kosten und
durch die nötig werdende Begleitmannschaft eine Verringerung der
kriegstüchtigen Truppen herbeiführen werde.
Dagegen unterbreitete er dem Honorius einen anderen Vorschlag,
der diese Schwierigkeiten aus dem Wege räumen sollte: Alarich möge
in weströmische Dienste gezogen und im Verein mit den römischen
Streitkräften über die Alpen gegen den Usurpator geschickt werden,
während er, Stilicho, in den Orient gehen und an Honorius Statt auf
Grund kaiserlicher Vollmacht die Ordnung der orientalischen Ange-
legenheiten in die Hand nehmen wollte. Wie immer, vermochte der
unselbständige Augustus dem mit Überzeugung vorgetragenen klugen
Ratschlage seines Schwiegervaters nichts Annehmbareres entgegenzu-
setzen, sondern gab zu allem seine Einwilligung. Ein seltenes Ver-
hängnis und welche Ironie des Schicksals! Was Stilicho seit der
Reichsteilung immer erstrebt, warum er sich mit den jedesmaligen
Machthabem in Constantinopel stets überworfen hatte, in friedlicher
Weise in die Hauptstadt des Orients einzuziehen und in Ausführung
des vertraulichen Auftrages des Theodosius seinen Einflufs hier geltend
zu machen, — das fiel ihm nun ohne Hindernis zu, und doch mufste
er zögern ^), den selbst empfohlenen Plan durchzuführen. Denn einmal
wufste er am besten, dafs Westrom ohne ihn ein schwankendes Rohr
war, das vom Zeitwinde hin- und hergeworfen wurde und leicht ab-
gebrochen werden . konnte , sodann aber hatte er bereits seit längerer
Zeit eine ihm feindliche Stinmiung am Hofe beobachtet, deren nicht
mifszuverstehendes Anzeichen jene stürmische Senatssitzung war.
Ihm hatte im geheimen bereits die Gunst seines Schwiegersohnes
'^) Zosim. V. 31. Sozomen. IX. 4 ebenso auf Grund des Olympiodor, doch
ganz kurz. Vgl. Kaufmann S. 320.
«) Zosim. V. 31. f.
13*
igö
ein elender Höfling Olympius®) geraubt, der durch Stilicho selbst
emporgekommen war, und an die Stelle der Achtung vor einem
höheren Geiste in Honorius die leicht erklärliche Furcht gesetzt, als
ob Stilicho beabsichtige, ihn selbst ^ö) oder seinen Neffen in Constan-
tinopel *i) vom Throne zu stofsen und seinen Sohn Eucherius an
ihrer Statt zum Kaiser hier oder in Ostrom zu machen. Und man
mufs gestehen, dafs, wenn auch dies Gerücht eine Fabel ist ohne
irgend welchen Wert, da im Gegenteil Stilicho seinen Sohn in ge-
ringen Ehrenstellen *2) beliefs, seine eifrigsten Anhänger in ihrer Sucht,
ihm und seinem Geschlechte nur Rühmliches nachzusagen und anzu-
dichten, nicht vorsichtig genug in ihren Äufserungen waren, denn
auch Claudian preist den Eucherius als einen purpurgeborenen und
deutet auf eine etwaige Vermählung desselben mit der Schwester des
Honorius Placidia hin.^^) Jedenfalls aber wurde dieses Gerede mit
zum Sturze benutzt von einer Partei, welche Unterdrückung des ger-
manischen **) Elements im Heer, auf welches Stilicho sich besonders
stützte, Unterdrückung des arianischen Glaubens ^^) im Soldaten- und
Beamtenstande (gegen das vorgebliche Gelüste des Eucherius, das
Heidentum ^^) wieder aufleben zu lassen), auf ihre Fahnen schrieb, um
nach Beseitigung des ihnen lästigen, stolzen Vandalen ganz die Zügel
der Regierung an sich zu ziehen — aber an das Wohl des Vater-'
landes dachte sie nicht
9) c. 32. Er bekleidete ein hohes Hofamt, vielleicht war er quaestor oder
comes domesticorum. Vgl. Philost. XII i.
»0) Das deuten an Orosius VII. 38. Philost. XII. 2. Vgl. Marc. Com.,
der den Oros. ausgeschrieben.
**) Zosim. V. 32. Sozom. IX. 4. Vgl. Kaufmann S. 321. v. Wieters-
heim II. S. 136.
") Zosim. V. 34.
") De consul. Stilich. III. v. 176— 181. und De consul. §tilich. II., wo
von den Insignien des Consulats, die Rede ist 354 ff. :
Venus hie invecta columbis
Tertia regali iungit connubia nexu
Pennatique nurum circumstipantur Amores
Progenitam Augustis Augustorumque soror'em
360. Nam domus haec utroque petit diademata sexu
Reginasque parit reginarumque maritos.
Vgl. Philost. XII. 2. Gibbon VII. cap. 30.
") Das beweist der Aufstand in Ticinum. Oros. VII. 38. Vgl. Dahn
Könige S. 44. Kaufmann S. 332. Pallmann Gesch. d. Völkerw. I. S. 281 — 285.
") Lob des Olympius bei August, ep. 124. Oros. a. a. O. Vgl. Cod.
Theod. XVI. 5, 42—44.
»«) Oros. VII. 38. Vgl. Dahn S. 44.
k
197
So* fiel denn derjenige, welcher allein bis dahin alle Stürme,
die das Westreich bedroht hatten, mutig und erfolgreich abgeschlagen
hatte und allein imstande war den morschen Bau zu halten, durch
die Tücke erbärmlicher Hofschranzen, die Schwäche seines Kaisers
und den Abfall der römischen Legionen, welche, obgleich selbst gröfsten-
teils aus Germanen bestehend, dennoch sich den bundesgenössischen
Germanen gegenüber gern als Römer aufspielten, wenige Monate nach
dem Tode des Arcadius , am 2^, August 408 zu Ravenna sich selbst
darbietend, unter dem Streiche des Henkers Heraclian.**') Sein Tod
war das Signal zum Abbruch der friedlichen Beziehungen mit dem
Reiche für Alarich und der blutige Anfang nicht minder blutiger
Wirren, aus denen Westrom für eine Reihe von Jahren nicht wieder
herauskam.
Dem Ostreiche dagegen brachte dasselbe Ereignis nur angenehme
Folgen und Erleichterungen mancher Art. Denn wenn der kühne
Vandale auch in den Jahren 395 — 407 gegen den Orient nichts Feind-
liches im Schilde geführt, sondern immer nur danach getrachtet hatte,
wie er auch hier einen heilsamen Einflufs zum Wohle des ganzen
Reichs ausüben könne, so war doch diese seine Absicht den jedes-
maligen Machthabern in Constantinopel immer als eine Anmafsung
und lästige Fessel erschienen, die sie um jeden Preis von sich fem
zu halten suchten. Dazu aber war kurz vor dem Absterben des Ar-
cadius der unverkennbare Plan gekommen, mit Hülfe des alten Wider-
sachers des Orients, mit Alarich, dem Reiche eine umfangreiche
Provinz zu entreifsen und dem Occident hinzuzufügen, und dieser
hatte aufser Arcadius gewifs auch denjenigen mächtig gegen ihn ein-
genommen, der in den letzten Jahren des verstorbenen Kaisers das
Staatsruder gelenkt hatte, und dem daher die schwierige Aufgabe zu-
fiel, das gefährdete Staatsschiff durch alle Klippen glücklich hindurch
zu steuern, welche der Regierungswechsel bei der Jugend des Thron-
erben naturgemäfs mit sich brachte.
Es war das Anthemius^^)^ der Grofsvater des Kaisers gleichen
Namens und Enkel des Philipp, welcher 346 und 348 als praefectus
praetorio und 348 als Consul in den Constitutionen bezeugt wird,
während sein Vater unbekannt ist Er war als Sohn einer so hohen
") Das Datum giebt Zosim V. 34. Das Jahr noch Marcell. com. (und
Theophan.) — Das Factum Philost. XII. i. Sozom. IX. 4. Orosius VH. 38,
Olymp, frgm. 2. Vgl. Dahn und Wietersheim a. a. O. Kaufmann S. 321. Pallmann
Seite 288.
**) Socrat. VIT. i ; wo sich die Hauptdaten über Anthemius finden, während
Sozomen. merkwürdigerweise weder von ihm noch Troilus etwas weifs. Vgl,
Sievers S. 425 ff. und S. 520 ff.
Beamtenfamilie ebenfalls in den Civildienst getreten und hatte seit
dem Beginn des neuen Jahrhunderts hervorragende Ämter bekleidet,
denn 400 erscheint er als Verwalter der Staatskasse (Comes Sacr.
Larg.) *ö) , 404 als Kanzler (magister officiorum) 20), und 405 bereits
in der höchsten Stellung des praefectus praetorio 21), welche in dem-
selben Jahre noch durch den Glanz des Consulats und 408 durch
den Titel des Patricius erhöht wurde.22) Es ist ein Beweis für die
trefflichen Eigenschaften des Geistes und Herzens des Anthemius,
dafs er trotz aller Ränke, welche am Hofe von Constantinopel nie
aufhörten, nicht nur unter Arcadius sich im Sattel erhielt, sondern
auch nach dessen Tode gerade in den gefahrvollsten Zeiten sein Amt
noch sechs Jahr ungestört verwaltet hat. Es ist, wie wenn die römische
Welt in ihren vornehmsten Vertretern hier im Ostreich die Gefährlich-
keit der Lage erkannt und sich alle Mühe gegeben hätte, ihn an der
Spitze zu erhalten, um allen Erschütterungen im Innern imd Angriffen
von aufsen vorzubeugen. Jedenfalls behielt Anthemius, gewifs noch
von Arcadius dazu officiell ermächtigt und beglaubigt, die volle Re-
gierungsgewalt an Stelle des im Jahre 402 ^3) bereits zum August auf
dem Hebdomon erhobenen Theodosius, den die Mitwelt schon den
jüngeren (6 (liXQOg) genannt hat Ihm fiel es daher auch zu, die Be-
ziehungen zu den Nachbarstaaten zu regeln, damit für das verwaiste
Reich aus der Unmündigkeit des Thronerben kein Nachteil irgendwo
erwachse.
Hierin wurde er von einem Manne unterstützt, dessen Beruf die
Politik eigentlich nicht war, der aber hoch gebildet und mit natür-
licher Klugheit begabt in allen Fragen von Anthemius zu Rate gezogen
wurde und überall als seine rechte Hand erscheint, von Troilus.^*)
Dieser war ein Sophist aus Side in Pamphylien gebürtig und wahr-
scheinlich einer von den wenigen Heiden, wie sie in den vornehmen
Kreisen hin und wieder damals noch auftauchten; auch galt er für
einen der gewandtesten Redner seiner Zeit und zählte die angesehensten
Männer zu seinen Schülern, wie den späteren Bischof Ablavius von
Nicaea und den Verfasser der Gainea Eusebius.^^) Er war indes nur
") Cod. Theod. I. IG, 5.
*>) XVI. 4, 4. VI. 27, 14. X. 22, 5.
") VII. IG, I.
**) 18. Sept. XII. 12, 14. Sievers äufsert sich nicht hierüber.
28) Marcell. com. und Chron. Pasch. Sozom. VIII. 4.
**) Socr. VII. I. und 12. Suidas v, TQ(6iXog: ao^iatrjg naiöevaaq iv
Kiovaxavxivov noXsi Xoyovq noXizixovg, iniaroXwv ßißkia ^\
26) Socr. Vn. 27. und VI. 6.
199
das Haupt einer gröfseren Vereinigung geistig bedeutender und genialer
Männer in der Hauptstadt, in deren Mitte der allmächtige Praefect
gern verkehrte und seine Gedanken austauschte. Uns sind besonders
die Dichter Nie an der und Theo timus bekannt, von welchem letzteren
es heifst, dafs er die Thaten und Erfolge des Anthemius zum Gegen-
stand seiner Muse gemacht habe ^^), im übrigen aber gehörten dazu alle
diejenigen Männer, mit denen der Sophist Synesius umging und von
denen bereits gelegentlich seiner Anwesenheit in Constantinopel die
Rede gewesen ist.^*') Dafs unter ihnen aber Troilus die gewichtigste
Meinung und den gröfsten Einflufs auf Anthemius hatte, bezeugen nicht
nur der Zeitgenosse Socrates 2»), welcher ihm ebenfalls nahe gestanden
zu haben scheint, sondern auch zahlreiche Briefe 2®) des Synesius aus
den Jahren nach seiner Rückkehr von der Gesandtschaft, in denen
er bald einen Bekannten der Unterstützung des Troilus empfiehlt, bald
seine Hülfe gegen die Delatoren anruft oder seiner Sehnsucht ihn
wiederzusehen Ausdruck verleiht; überall aber auf die ungewöhnliche
Stellung hinweist, welche Troilus neben Anthemius bekleidete. Unter-
breitete somit dieser Staatsmann unbeschadet seiner eigenen Erwägungen
seine Entschliefsungen dem Urteil solcher Männer 3^), welche fern von
dem Trachten nach selbstsüchtiger Bereicherung ihren Blick auf das
Wohl des ganzen Reiches gerichtet hielten, so ging er damit einen
Weg, der ihn, wie die Erfahrung lehrte, allein zum rechten Ziele führte
und ihm nicht blofs die Anerkennung dieser seiner Freunde und ihrer
Partei eintrug, sondern auch jedes anderen Ehrenmannes, der es
ehrlich mit seinem Vaterlande meinte. Es ist daher nicht wunderbar,
wenn wir neben den zahlreichen Äufserungen des Heiden Synesius
auch eine solche des Bischofs Johannes haben ^i), in welcher er noch
aus der Verbannung im Jahre 405 den Anthemius zur eben erlangten Prae-
fectur und Consulwürde beglückwünschte, indem er ausführte, nicht die
Ämter schmückten den Anthemius, sondern umgekehrt er die Ämter,
dessen Milde, Einsicht und philosophischen Kenntnisse man allgemein
anerkenne und liebe.
28) Synes. ep. 49. . . xal öia zfjg ßeotifjiov noii^aswg, eatav 'Ekktjvsq
(üoif TtoXvg Xvd-Sfjtiog iv xaXq rwv X6yo)v öiaxQißaXq' aXXa ta fihv ^PeDfiaieDV
Bxelvoq av^oi, av 6h exeivov rö ovofia, vgl. 98.
27) Vgl. Buch I. cap. 5. Ende.
*8) vn. I. axsöbv ndvra ry avfißovXy TqwIXov BitQoxrexo,
29) ep. 26. 73. 90. III. 112. 118. 119. 123.
^) Socr. vn. I. dßovk(og sitQaxxsv ovöiv «AAa dvexoivovvo TtoXXovg
x(5v yvü)Qlfji(ov 7t€^l xwv nQaxxBo>v; und <pQovifi(oxaxog xmv xoxe dvS'QCüTtcov
xal iSoxBi xal fv.
«) ep. 147.
200
Doch mehr als alle schriftlichen Zeugnisse, die, wie wir in Bezug
auf Rufin und Eutrop sahen, nicht immer die wahre Meinung des
Schreibers wiedergeben, beweisen uns die Mafsnahmen politischer und
administrativer 32) Art, welche von Anthemius ausgingen, dafs er ein
äufserst kluger Kopf und mafsvoller Staatsmann war, dem vor allem darauf
ankam, das Bestehende zu erhalten, um es dermaleinst ungeschmälert
in die Hände des heranwachsenden Herrschers legen zu können. Es fiel
daher für ihn die Wolke der Zwietracht fort, welche sich zwischen
Honorius und Arcadius geschoben hatte, und an ihrer Stelle trat viel-
mehr der Gedanke an die Einheit des Reiches wieder hervor; auch
läfst- sich annehmen, dafs Anthemius trotz der grofsen Spannung,
welche bisher zwischen den Brüdern geherrscht hatte, dem natürlichen
Oheim seines Schützlings eine officielle Anzeige von dem Ableben des
Bruders zugehen liefs. Jedenfalls begann, seitdem auch Stilicho ge-
fallen, eine engere Verbindung der beiden Reichshälften Platz zu
greifen, welche darin auch einen offenkundigen Ausdruck erhielt, dafs
die Hafensperre, welche der ehemalige Gebieter des Westreichs,
jetzt zwar „Landesfeind" betitelt, gegen alle Provenienzen des Orients
verordnet hatte, noch vor dem Ende des Jahres 408 aufgehoben und
damit der Handel zwischen den beiden Reichen wieder freigegeben
wurde. 33) Die mildere und freundlichere Gesinnung, auf welche Anthemius
bei diesen Verhandlungen am anderen Hofe stiefs, hatte ihren Grund
darin, dafs die Feindschaft sich nicht gut auf den Sohn übertragen
liefs, zu welcher der Vater die Veranlassung gegeben, imd dafs die
Lage des Honorius immer bedrängter, ja so bedrängt wurde, dafs er
selbst den oströmischen Minister um Hülfe gegen Alarich bitten mufste.^*)
Von dieser Seite also hatte das Reich nichts mehr zu fürchten,
es galt nun aber auch nach Osten und Norden die Augen offen zu
halten, und da wird uns die wunderbare Mär berichtet, dafs Arcadius
selbst noch durch das Testament seinen Sohn vor einem Angriff der
Perser sicherte, indem er durch dasselbe den Perserkönig Yesdejerd
in eigener Person zum Vormund des Theodosius bestellte, ein Amt,
das dieser auch gerne angenommen und durch eine Botschaft an den
Senat in Constantinopel officiell angetreten habe. Diese Nachricht, so
angenehm-romantisch sie auch ins Ohr klingen mag, darf dennoch
^^) Vgl. auch die humane Verfügung zur Beschränkung der lästigen Gesandt-
schaften. Cod. Theod. XII. 12, 14.
33) VII. 16, I. 10. Dec. 408. Ravenna. Ne rarior sit diversarum mercium
commeatus.
^) Zosim. VI. 8. Doch hatte schwerlich Stilicho sie schon erwartet, wie
Zosim. meint j dazu war die Zeit viel zu kurz zwischen Arcadius und Stilichos Tode.
20I
keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben, da es einmal unwahr-
scheinlich ist, dafs ein römischer Kaiser einen Partherkönig zum Tutor
seines Sohnes eingesetzt habe, sodann, weil diese Thatsache keinem
der zeitgenössischen Geschichtsschreiber bekannt ist. Sie taucht viel-
mehr vereinzelt erst ein Jahrhundert später auf 3*) und ist dann ohne
Nachdenken in noch späteren Sammelwerken wiederholt und erweitert
worden. Nur das eine geht aus ihr hervor, was wir auch sonst
wissen, dafs der unter Arcadius bestehende Friede mit dem östlichen
Nachbar auch unter Anthemius und Theodosius fortdauerte, welcher
durch einen lebhaften diplomatischen Verkehr gehegt und gefördert
wurde.
Gleich im Anfange der Regentschaft des Anthemius wurde ein
neuer Handelsvertrag^®) zwischen beiden Reichen geschlossen, dessen
Vermittler wahrscheinlich der Bischof Maruthas von Mesopotamien
war und in dem bestimmt wurde, dafs auf persischer Seite Nisibis
und Artaxata 3^) die Grenzstationen sein sollten, bis zu denen römische
Kaufleute mit ihren Waren vorgehen dürften, wogegen Callinicum^*)
auf römischem Gebiete der äufserste Punkt war, bis zu dem die per-
sischen Händler die Grenze überschreiten durften. Über diese Orte
hinaus war jedem untersagt Handel zu treiben, damit nicht, wie es im
Instrument heifst, die Geheimnisse des anderen Reiches erforscht
würden 3ö), und wer dagegen verstiefs, mufste seinen Fürwitz mit
dem Verluste der Waren, des gezahlten Geldes und mit Deportation
büfsen. Nicht minder wurden die Provinzialstatthalter bedroht, durch
deren Gebiet die Kauf leute zu den verbotenen Gegenden gezogen
wären; dagegen wurde den Begleftern der persischen Gesandten bis
zu einem gewissen Grade das Recht zu handeln überall freigegeben.
35) Procop. de hello Pers. I. i. Diese Nachricht ist von Zonaras XIII. 22.
Theoph. zu 407 mit der Erweiterung aufgenommen, dafs der König einen gewissen
Antiochus als seinen Vertreter sendet. Cedren p. 334 endlich weifs sogar, dafs
dem Yesdejerd bei der Gelegenheit 1000 Pfund Gold als Geschenk übermittelt
wurden. Doch schon Gibbon VIII. S. 62 bezweifelt diese Erzählungen. Vgl. den
Erklärungsversuch des Tillem. note i. sur Th6odose II. Sievers a. a. O. Elissen
der Senat im oslr. Reich S. 37. ist hier unkritisch zu Werke gegangen.
36) Cod. Justin. IV. 63, 4. Vgl. Socrat. WH. 8. Dazn macht Sozom. IX.
4, im Anschlufs an die Mitteilung von Stilichos Tod die Bemerkung : tote yovv
neQoai fihv elg fjidxvv xsxivtjfievoi hxarovrovrovg aitovödq UQoq ^Pwfiaiovg
sd-evro. Sollten die Perser also doch an einen Einfall gedacht hab,en?
37) Dafs diese Städte persisch waren, bezeugt Ammian XXV. 9, 9. und
Socrat. Vn. 18. Vgl. Bekker-Marquardt III. i. S. 206.
38) Vgl. G. S. 168 ff.
3>) . . . ultra ea loca , in quibus foederis tempore cum memorata natione
nobis convenit, nundinas exercere minime oportet, ne alieni regni scrutentur arcana.
I
202
Nicht so ruhig blieb es an der europäischen Nord grenze des
Reiches jenseits der Donau, wo hunnische Fürsten hausten, zu denen
auch jener Uldes gehörte, welcher einst dem Gainas den Tod bereitet
und darauf einen Vertrag mit Arcadius geschlossen hatte. Aufser
über hunnische Stämme gebot er noch über unterworfene germanische
Völkerschaften, von denen uns die Skiren und Carpodaken bekannt
sind 3»»), welche bereits 381 einen Einfall über die Donau gemacht
hatten, von Theodosius I. aber siegreich zurückgeschlagen waren. Die
Treue indes, welche Uldes dem verstorbenen Kaiser gelobt hatte,
dauerte nur so lange, als er die römische Macht fürchtete, und wurde
ohne Gewissensbisse gebrochen, als Uldes durch die Minderjährigkeit
des Thronfolgers die Wehrhaftigkeit der Römer beeinträchtigt glaubte.
Mit einem gewaltigen Heere von Hunnen und Skiren überschritt
er den Ister und schlug in Nieder-Moesien ein Lager auf.*®) Nachdem er
die Stadt Castra Martis durch Verrat genommen, machte er von da
auch in das übrige Thracien Plünderungszüge und wies übermütig
alle Friedensan erbietungen von römischer Seite zurücL Ja, er ging
darin soweit, sich vor dem ihm entgegengestellten magister militum per
Thracias zu vermessen, indem er auf die aufgehende Sonne
hinwies, es sei ihm leicht die ganze Erde, soweit die Sonne sie be-
strahle, zu unterjochen, wenn er nur wolle. Diese Uberhebung und
dieser Stolz des Hunnen einem römischen Feldherm gegenüber wird
nicht vereinzelt bleiben, sondern im Laufe der Darstellung noch mehr
zur Erscheinung kommen**), sie beweisen jedenfalls, wie stark jene
Söhne der Steppe, wie überlegen sie sich den civilisierten Römern
fühlten, und wenn dieser Krieg vorläufig damit zu enden schien, dafs
der Barbarenfürst dem Autokrator einen hohen Tribut nach seinem
Ermessen auferlegte, so mag gleich dabei vorbemerkt werden, dafs
dies der Demütigungen gröfseste nicht geblieben ist, welche ein
Hunnenkönig dem Augustus aufzwang. In diesem Falle aber schlug
noch der Übermut des Uldes zu seinem eigenen Verderben aus, denn
wenn auch nicht, wie ein frommer Zeitgenosse berichtet, Gottes Hand
schliefslich die Herzen der Anführer der von Uldes geführten Scharen
zum Übertritt zu den Römern bewog, sondern ohne Frage das römische
Geld, welches heimlich an sie gegeben worden war, so ist doch that-
sächlich, dafs ein grofser Teil der von Uldes zusammengewürfelten
3^*) Das ist zu schliefsen aus Zosim. IV. 34, wo dieser Einfall 381 erzählt
wird. Vgl. V. Wietersheim II.*' a. a. O. Pallmann U. S. 112 — 127.
*°) Sozom. IX. 5, einzige Quelle.
*^) Vgl. das Gespräch des Friscus mit den weströmischen Gesandten,
Prise, frgm. 8.
203
"Mannschaften es vorzog, seine Dienste dem Kaiser anzutragen, und in
der That von dem römischen Feldherm als Bundesgenosse aufge-
nommen wurde. Mit vereinten Kräften wagten sie darauf einen
AngrüF auf den Rest der hunnischen Macht, die, Uldes an der Spitze,
das jenseitige Ufer der Donau fliehend zu erreichen suchte. Es gelang
ihnen ihr Vorhaben durchzufahren, doch ging es dabei nicht ohne
grofse Verluste ab, und besonders litt das Uldes treu gebliebene
Skirenvolk bei der Verfolgung, welches langsamer fliehend teils getötet
teils gefangen genommen wurde. Indes mufs noch eine Anzahl von
ihnen übrig geblieben oder überhaupt nicht mit ausgezogen sein, da noch
im Jahre 453 Skiren zusammen mit den Sadagarii und anderen Alanen
in Klein -Scythien und Unter-Moesien angesiedelt wurden.*^).
Allein, einen wie günstigen Verlauf auch schliefslich der Krieg
far Ostrom nahm, er hatte doch von neuem die Rechtssicherheit
in dieser Provinz erschüttert und die bestehende Ordnung und Gesetz-
lichkeit in Frage gestellt, denn auch mancher Provinziale hatte dabei
seinen eigenen Vorteil gesucht, herrenloses Gut sich angeeignet und
wohl viele Römer und Sklaven, welche als Gefangene von den Hunnen
weggeschleppt waren, bei deren Flucht erbeutet, und wie es schien,
nicht übel Lust, sie als seine Arbeiter zu behalten. Dieser Unfug
nahm eine solche Ausdehnung an, dafs Anthemius dagegen einzu-
schreiten *3) veranlafst wurde und zwar den Provinzialen gestattete,
was sie den Barbaren an beweglicher Habe abgenommen hatten, als
Eigentum zu behalten, dagegen ihnen gebot, die Freien und Sklaven
ihrem Vaterlande oder ihren Herren wiederzuzuführen. Die Zahl der ge-
fangenen Skiren aber war so gewaltig, dafs Anthemius sie für eine
gemeinsame Verwendung im Heer, vielleicht im Rückblick auf den
Verrat der Greothungen, für zu grofs erachtete**), und nachdem eine
Menge zu Gunsten der Staatskasse als Sklaven verkauft war, den
römischen Grofsgrundbesitzern erlaubte, sich aus ihnen Leute zur Be-
bauung der Äcker unentgeltlich zu entnehmen; doch unter gewissen
Bedingungen, welche die Vorsicht der Regierung und die Neigung,
den Germanen keine Gelegenheit wieder zu gemeinsamem Handeln zu
geben, deutlich kennzeichneten:
Zunächst sollten diese Arbeiter nicht als Sklaven, sondern als coloni
angesehen und behandelt werden (d, h. als eine Art Pächter, welche
zwar mit ihren Nachkommen an die Scholle gebunden waren, dagegen
*^' Jordan, c. 50. Vgl. Pallmann 11. S. 115.
*3) Cod. Theod. V. 4, 2. 23. März 409 ; verderbt überliefert.
**) V. 4, 3. 12. April. Scyras, barbaram nationem, maximis Himnorum, quibus
se coniunxerant, copiis fusis imperio nostro subegimus.
204
auch nicht ohne den Grundbesitz veräufsert werden konnten. Sie
zahlten ihren festen Pachtzins an den Gutsherrn, wogegen dieser für
sie die Steuer entrichtete, und wurden vielfach als Rekruten ins Heer
eingestellt***) Sodann durfte niemand einem anderen die ihm zuge-
wiesenen Skiren fortschleppen oder auch einen flüchtigen aufnehmen;
andererseits brauchten die Grundherren ausnahmsweise für diese
*
Kolonisten keine Abgabe noch für das von ihnen urbar gemachte Land
eine Grundsteuer zu entrichten.*^) In die Städte durften sie ein für
allemal nicht mitgenommen werden, sondern innerhalb der nächsten
zwei Jahre sollten ihre neuen Herren sie in den überseeischen Teilen
des Reichs dort als Feldarbeiter verwenden, wo die Getreideverhält-
nisse eine gröfsere Ansammlung von Arbeitskraft erheischten; später
sollten sie verpflichtet sein, ihnen beständige Wohnsitze als Kolonisten
anzuweisen, aber auch dann blieben Thracien und lUyrien wegen der
Nähe der Heimat ihnen verschlossen.*^^) So wurden dieser Verordnung
des Anthemius gemäfs die gefangenen Skiren in Asien und anderen
Provinzen zerstreut als Arbeiter angesiedelt, wie denn ein Zeitgenosse
eine grofse Zahl von ihnen am Olymp in Bithynien friedlich auf
Hügeln und in Thälem das Feld bestellen sah**^), für ihn wie gewifs
für viele andere fromme Gemüter ein deutlicher Fingerzeig, wie
gut es der Herr mit dem Reiche des jungen Theodosius gleich im
Anfange seiner Regierung gemeint habe.
Aber für einen so einsichtsvollen Staatsmann als Anthemius war
der Einfall des Uldes, wenn er auch siegreich geendet hatte, nur eine
ernste Mahnung, gegen Norden mehr als je auf der Hut zu sein und
der Deckung der Donaulinie eine erneute Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Es lagen an dieser von W. nach O. die Landschaften Moesia L,
Dacia Ripensis, Moesia 11. und Scythia, auf welche die dort stationierten
Streitkräfte in folgender Weise verteilt waren *8): In Scythia standen
Garnisonen unter einem Dux in 17 Ortschaften, deren verschiedene
Namen jedoch bis heute meist noch der endgültigen Festlegung und
Erklärung harren, so besonders in Noviodunum*^) (vielleicht h. Isakdschi),
4«a) Walter Gesch. des r. Rechts S. 502 und 503. Vgl. Savigny Zeitschrift
für gesch. Rechtswissenschaft VI. p. 31 7 ff. Richter Das Wr. Reich S. igoS.
4fi) Opera autem eorum terrarum domini libera utantur; ac null! subacta
(seil, arva) peraequationi vel censui subiaceant.
*^) Der SchluCs der Verfügung ist unverständlich.
*') Sozom. IK. 5.
•*) Quelle für das folgende ist Notit. Dign. ed. Seeck cap, XXXVI ; dazu
Böckings Commentar.
") S. 449. Vgl. Corp. I. L. m. 2. 6218 und 780.
205
Troesmis*^), der Provinzialhauptstadt, (vielleicht gegenüber der Sereth-
mündung), Axiupolis^^) (dort, wo die Donau zum letztenmal nach
!N. biegt) ; im ganzen 7 Abteilungen Reiter, 7 Auxiliares, 7 Ufer-Legionen,
I Kompagnie Marinesoldaten (milites nauclarii) und i Abteilung Flufs-
schiffe (in dem unsicheren Platypegia).^^) In Moesia II. waren die
Truppen sogar auf 20 Kastelle verteilt, von denen die bedeutendsten
Durostorum (j. Dristra*^) und Novae (n. von Nicopolis an der Donau) *^)
waren. Die Streitkräfte zerfielen hier in 7 Reiterabteilungen, 8 Auxiliares,
6 Ufer-Legionen, 2 Kompagnien Seesoldaten, und zu ihnen trat eben-
falls eine Rotille von Flufsschiffen.
Unter dem dux Daciae Ripensis sodann standen in 21 Ort-
schaften 9 Reiterabteilungen und 6 Auxiliares nebst einer Kund-
schaftertruppe (exploratores), 1 1 Ufer-Legionen und 2 Flotillen Kriegs-
schiflfe; die gröfseren Garnisonen waren Bononia*^*), Dorticum und
Crebro*ö) (j. Zibru oder Zibriz). Endlich hatte Moesia I. in 16 Orten
eine Besatzung von 8 Reiterabteilungen, besonders in Viminacium
(j. Kastolatz)*"?), und 8 Auxiliares, 5 Ufer-Legionen und 3 zum Kund-
schafterdienste eingeübte Abteilungen und ebenfalls 2 Flotillen in
Viminacium und Margus (an der Mündung der Morawa.)*^) Es lagen
somit auf einer Strecke von Singidunum (Belgrad) bis zur Mündung
der Donau, etwa 150 deutschen Meilen, mehr als 70 befestigte Orte
mit militärischer Bedeckung entweder an der Donau selbst oder in
ihrer nächsten Nähe. Gleichwohl hatten die zahlreichen Einfälle,
welche fast unausgesetzt über den Flufs gemacht wurden, den Beweis
geliefert, dafs dieser Schutzwall noch keineswegs genügende Sicher-
heit gegen die nomadenhaften Angreifer verleihe; doch hielt Anthemius
weniger eine Vermehrung der Truppen für notwendig als vielmehr
der dort stationierten Donauflotten, indem er wahrscheinlich von der
Meinung ausging, dafs es hauptsächlich darauf ankomme, die feind-
lichen Scharen nicht erst übersetzen zu lassen, sondern sie, welche,
w) S. 451. Kiepert S. 332.
") Not. Dign. S. 447.
") s. 455.
^3) Bekannter ist der Name Silistrija. S. 466.
**) S. 467. Vgl. Corp. I. L. III. I. 749 — 760. in. 2. 6124 — 6150 : oppidum
Novae, ubi nunc est Schistow.
**) S. 493. Vgl. Corp. I. L. in. I. 1641. und III. 2. 6289 — 6296: Bononia
teste itinerario situm decimo septimo vel decimo octavo a Ratiaria lapide incidit
in oppidum hodie dictum Widin.
ß«) S. 494.
W) S. 479. Vgl. Corp. I. L. in. I. 1646^1659. m. 2. 6300—6301.
^ S. 483.
206
wie die Niederlage der Greathungen durch Theodosius I. bewies s^), in
der Herstellung von Schiffsmaterial höchst unerfahren waren, schon
während der Überfahrt selbst mitsamt ihren rohen Flöfsen in den
Strom zu versenken. Die römischen Schiffe, welche in Aegeta, Ratiaria^o),
Viminacium, Margus, Novae ®^) oder Durostorum (?) und Platypegia
ihren Standort hatten, dienten gleich den Flottillen auf dem Rhein
und der Mosel sowohl zum Beobachten des jenseitigen Ufers und zum
Auskundschaften als auch zum Übersetzen und zum Kämpfen; die
ersteren hiefsen angariae (seil, naves), die letzteren iudiciariae.62)
Die Donauschiffe nun schienen Anthemius für ihren Zweck einmal
zu gering an Zahl, sodann auch teilweise zu alt zu sein, er liefs des-
halb von neuem den Etat für sie feststellen und ordnete an ^3), dafs
für Moesia IL im ganzen 90 Schiffe neu erbaut und 10 alte aus-
gebessert, "dagegen für den Scythischen Grenzstrich (limes Scythicus)
wegen der zahlreichen Arme und Windungen des Stromes iio neue
und 15 alte hergestellt werden sollten. Doch legten die grofsen
Kosten, welche eine solche Erweiterung des Schif&bestandes verursachen
mufste, die dahin gehende Beschränkung auf, dafs diese Zahl nicht
mit einem Male, sondern erst innerhalb sieben Jahre erreicht werden
sollte, so dafs in Moesien jährlich 4 Kreuzer und 10 Kampfschifife,
in Scythien 5 Kreuzer und 12 Kampfschiffe neuß gebaut und voll-
ständig ausgerüstet wurden. Zugleich stellte Anthemius allen hieran
beteiligten Beamten vom magister militum per Thracias abwärts für
Nachlässigkeit in der Ausführung die strengsten Strafen in Aussicht
und verfügte, dafs nur die ausgebesserten Fahrzeuge zur Beschaffung
der Lebensmittel für die Truppen dienen sollten, während die neuen
für d^n Kriegsfall unberührt erhalten blieben. Da Anthemius diese
Anordnungen im Beginn des Jahres 412 traf, so zählte die römische
Donauflotille, sofern keine Unterbrechung nach seinem Rücktritt ein-
trat, bis zu Ende 418 für die Strecke von der Mündung des Isker
bis zu der der Donau nicht weniger als 200 neue Kampfschiffe und
25 Transportschiffe, eine gewifs hohe Ziffer, wenn man erwägt, dafs
die weiter stromaufwärts bis Singidunum sich erstreckende Uferlinie
einen wenn auch geringeren, so doch sicher ausreichenden Bestand
an Schiffen aufzuweisen hatte.
M) Zosim. IV. 38 und 39.
•0) So vermute ich; der Name fehlt S. 107. Vgl. S. 510. Corp. I. L. III.
I. 1641. III. 2. 6289 — 6296. Ratiaria hodie Ardscher.
6») S. 103. Vgl. S.469.
8*) Vgl. den Commentar Gothofr. zu VII. 17, i.
'3) Cod. Theod. VII. 17, i de lusoriis Danubii. Constanti mag. mil. per
Thrac. 28. Jan. 412.
^o7
War der Thronwechsel ohne jede Störung im Innern verlaufen
-und es dem Anthemius gelungen, auch einen Angriff der Hunnen und
Sarbaren siegreich zurückzuweisen, so durfte er frohen Blickes in die
Zukunft schauen und der Erwartung leben, dafs nichts Trennendes
zwischen Kaiser und Volk sich schieben werde, es sei denn, dafs eine
neue religiöse Frage auftauchte und die Gemüter erregte odei ein
unvorhergesehenes Naturereignis einträte. Indes sollte dennoch ein
anderer Zwischenfall in Constantinopel dem stellvertretenden Regenten
nicht erspart bleiben, hervorgerufen durch eine plötzlich auftretende
Hungersnot^*) Seitdem nämlich durch die Reichsteilung auch
diejenigen Gebiete, aus denen die grofsen Städte ihren Getreidebedarf
schöpften, unter die beiden Reichshälften verteilt waren, blieb für den
Bedarf der Hauptstadt des Ostens, da Thracien und Ulyricum durch
die fortgesetzten Einfalle daniederlagen, allein Ägypten als Korn-
kammer übrig. Es kam nun aber bisweilen vor, dafs es in Alexandrien
an der nötigen Zahl von Schiffen fehlte und über dem Suchen in den
entlegensten Winkeln der Inseln nach Fahrzeugen die kostbare Zeit und
besonders die günstige Jahreszeit für die Fahrt verloren ging. Der
Kurs war zwar durch die Gewohnheit vorgezeichnet, gleichwohl suchte
bisweilen ein pflichtvergessener Naviculare femliegende Gestade auf,
verschleuderte die Ware um einen Spottpreis und schützte nachher
Schiffbruch vor.®*) Eine derartige Verkettung von widrigen Umständen
war die Veranlassung, dafs die Monate März bis November 408 ver-
strichen, ohne dafs die gewöhnliche Getreidefracht aus Alexandrien
in Constantinopel anlangte. Es trat daher trotz aller Bemühungen
des Anthemius eine Hungersnot ein, welche den an seine Getreide-
portionen gewöhnten Pöbel so erregte, dafs er seine Wut an den
leitenden Beamten auszulassen trachtete. Sein zügelloser Zorn richtete
sich natürlich gegen das Haupt der Stadtverwaltung, den praefectus urbis
Monaxius, dem auch die Verteilung der Getreidespenden oblag; seine
Dienstwohnung wurde in Brand gesteckt und sein Kutschwagen von
der ersten Region ab bis zur Säulenhalle des Domninus geschleppt.^ß)
^*) Marcell. com. zu 409. Auf dasselbe Ereignis mufs man auch das Chron.
Pasch, zu 407 Berichtete beziehen. Denn zu 407 kann die Notiz auf keinen
Fall deshalb gehören, weil der darin genannte Consul Varanes erst 410 dies Amt
bekleidete. (Vgl. Series Chron. Const.) Eine andere Schwierigkeit liegt in dem
Namen Monaxius P. U. , welcher sich in dieser Stellung 408 und 409 befand,
während 410 Isidor auftritt. (Cod. Theod. VlII. 17, 2.) Nun kann sich das Chron.
Pasch, vielleicht um ein Jahr geirrt haben und statt „Cons. design," kurzweg
„Consul" gesagt haben. Vgl. TiUem. note 3.
W) Cod. Theod. XII. 5, 33. Vgl. Cod. Justin. I. 2, 10. 439.
•*) Chron. Pasch.
i
208
Da traten den Aufruhrern zwei Feldherm entgegen, der designierte
Consul Varanes und Arsacius*''), und der Finanzminister Synesius*^),
welchen es endlich durch Verheifsungen und gutes Zureden glückte,
die aufgeregte Menge zu beschwichtigen und zum Auseinandergehen
zu bewegen.
Es gelang dem Stadtpräfecten unter der Beihülfe des Senats,
die wohl nicht ganz so freiwillig war, als eine Verfügung des Theodosiani-
schen Gesetzbuches es hinstellt 6»), 500 Pfund Gold (oder 450000 Mk.)
zur Kehrung der allerdringendsten Not und zur schleunigen Herbei-
schaffung des Brodkoms zusammenzubringen. Weil aber die Bestech-
lichkeit und Unehrlichkeit der römischen Beamtenwelt sich bis in die
höchsten Kreise erstreckte, so ordnete Anthemius an, dafs die Ver-
rechnung der aufgewandten Geldmittel vor dem Senate geschehe und
niemand, wer es auch sei, bei Strafe des doppelten Ersatzes eine
Summe von diesem Gelde zu irgendwelchem vorgeschützten Zwecke
entnehme ; dagegen wurde es jedem freigestellt, sich auf eigene Hand
Getreide zu kaufen. Auf diese Weise war Anthemius imstande, dem
drohenden Unheil eines erneuten Volksaufstandes entgegenzutreten.
Um aber allen derartigen unvorhergesehenen Zufallen für alle Zeit,
soweit es überhaupt möglich war, zu begegnen, traf er eine höchst
wichtige Änderung in Bezug auf den Transport des Getreides nach
Constantinopel, zu der er sich in Übereinstimmung mit dem kaiser-
lichen Statthalter in Ägypten und dem Statthalter des Inselbezirks
(praeses insularum) entschlossen hatte. ''^) Während bis dahin die
ganze orientalische Schiffergilde (navicularii) , jeder für sich, mit der
Überführung des Brodkoms betraut und dafür verantwortlich gewesen
war, wurde nunmehr den Vorstehern (summates) der Getreidefiotten
in Alexandrien und der Insel Carpathbs, welche etwa auf halbem
Wege zwischen dieser Stadt und Constantinopel lag, und einigen
anderen Schiffsherren allein die Überführung in Generalunternehmung
übertragen, welchen, um ihren Eifer anzuspornen, aufser der seit 334
^'') Arsacius ist nicht weiter bekannt, da in dem von Gothofr. auf ihn
bezogenen Gesetze XII. 24, 6, die Codices Tharsacii haben.
^^) Synesius com. Sacr. Larg. ist uns noch bekannt aus VI. 29, 10 de
curiosis 412, doch ohne Titel.
69) XIV. 16, I. 24. April 409.
'0) XIII. 5, 32. 19. Jan. 409.
^*) XHI. 5, 7. Vgl. zu dieser ganzen Angelegenheit die eingehende Unter-
suchung von E. Gebhardt Studien über das Verpflegungswesen von
Rom und Constantinopel. Dorpat 1881. Diss.
I
2og
üblichen Entschädigung ''2) — für je looo Scheffel Fracht ''3) i aureus
und 4Ö/0 der Ladung — wegen der Arbeit und des Risicos eine be-
sondere kleine Vergütigung (mercedula) sei es durch Herabsetzung
der Staatssteuer oder der sogenannten freiwilligen Spende {iptXtxov) '^^)
bewilligt wurde. Doch sollte der Schiffbruch nach wie vor streng
untersucht und dem Ergebnis entsprechend der Schadenersatz auf die
ganze Gesellschaft nach der jedem zufallenden Last verteilt werden.
Bei der bewunderungswürdigen Umsicht, welche den Anthemius
auszeichnete, durfte man voraussetzen, dafs er nicht nur Kriegsstürmen
und augenblicklichen Gefahren zu begegnen wissen, sondern auch sein
Auge auf alle Provinzen gerichtet halten werde, um zu helfen, wo unver-
schuldetes Elend die Bewohner drückte. Die unbeschreibliche Notlage des
durch die Westgothen verwüsteten Uly riens entging ihm daher nicht, und
er traf, nachdem die äufseren, näher liegenden Aufgaben erledigt
waren, energische Anordnungen, um dem arg mitgenommenen Lande zum
teil wenigstens das alte Aussehen wiederzugeben. Die Mafsregel,
welche noch von Arcadius herrührte und allen Einwohnern dieser
Provinz ohne Unterschied des Standes, gleichviel ob Dekurionen oder
nicht, gebot, den Aufbau der Stadtmauern anzugreifen, nahm Anthemius
im Jahre 412 wieder auf und schärfte sie von neuem ein.''*)
Als er sich aber nach Jahresfrist über den Erfolg Bericht erstatten
liefs und vernahm, dafs sie bisher zu keinem greifbaren Ergebnis ge-
führt hatte, griff er zu einem den Stempel des Aufserordentlichen an der
Stirn tragenden Erlasse^*), um dem Notstande ohne Zögern abzuhelfen.
Während nämlich sonst von Seiten der Regierung in der Behandlung
der Dekurionenfrage der Grundsatz stets aufrecht erhalten und durch-
geführt war, um die sich leerenden Curien zu füllen, dafs auch die-
jenigen Bürger, welche nicht Curialen waren und freiwillig eine
Curiallast übernahmen, daraufhin diesem Stande eingefügt wurden,
ging Anthemius, unter der ausdrücklichen Beschränkung auf lUyrien,
von demselben ab. Er erlaubte denen, welche aus Liebe zur
Heimat oder aus Neigung zur Freigebigkeit ohne Zwang ent-
^) Zur Zeit des Justinian wurden jährlich 8 Millionen Scheffel in Con-
stantinopel eingeführt. Just. Ed. Xm. 7, 8.
'S) Über diese Spende sucht man bei Elissen a. a. O. vergeblich Auskunft.
Vgl. Gothofreds Commentar und Hänel in der Note dazu.
. '^*) Auch ich nehme gegen Gothofr. mit Hänel an, dafs das Gesetz XI. 17, 4.
an Herculius P. P. Ulyr. von 408 in 412 mit einigen Änderungen des Wortlautes
wiederholt ist XV. i , 49. Dann gehört jenes noch in die Zeit des Arcadius,
dessen Name der Aufschrift beizufügen wäre.
'*) XII. I, 177. Leontio P. P. 111. .. . vastato lUyrico consulentes. Vgl.
Hertzberg Gesch. Griechenl. seit dem Abst. des antik. Lebens I. S. 83.
H
\
210
weder Geld beisteuerten oder selbst eine Arbeit übernähmen, dies
unbeschadet ihrer Freiheit vom Curialdienst zu thun, indem sie vor
dem Provinzialstatthalter oder, in seiner Abwesenheit, vor den Duumviri
oder dem Defensor civitatis eidlich erhärteten, dafs sie dem Dekurionen-
stande nicht angehörten, und ihnen die Curie umgekehrt verspräche,
weder sie noch ihre Nachkommen und ihr Vermögen zu Gunsten ihrer
Körperschaft heranzuziehen. Doch wurde diese Erlaubnis an die
Bedingung geknüpft, dafs sie die einmal übernommene Arbeit auch
vollendeten und nicht halb fertig liegen liefsen. Dagegen verwahrte
sich Anthemius zugleich gegen den sicher zu erwartenden Versuch
reicher Curialen, welche etwa die Not ihrer Curie benutzend freiwillig
für andere einspringen wollten, um sich dafür die zukünftige Freiheit
vom Curialdienst gewährleisten zu lassen.
So suchte Anthemius nach Kräften dem unglücklichen Lande
aufzuhelfen; aber er vergafs dabei nicht die Sorge für die Hauptstadt,
deren Ausschmückung und Befestigung ihm nicht minder am Herzen
lag. Die Honorianischen Bäder in der fünften Region wurden durch
einen neuen Porticus verschönert®), doch entschädigte er die durch
den Abbruch ihrer Häuser getroffenen Privatleute in humaner Weise,
indem er ihnen gestattete, mit Benutzung des Materials der alten auf
der neuen Basilika wieder aufzubauen. Sodann vollendete er im Jahre
413 ein Werk, welches ihm allein ohne seine übrigen Erfolge ein
langdauerndes Andenken gesichert hätte. Denn auch die neue Mauer,
welche Constantin der Grofse in einem Umfang von 15 Stadien vom
goldenen Hom bis zum Zeugma S. Antonii und an der Seeseite bis
zur Kirche Oeoroxov xov gaßSov aufgeführt hatte '''') , genügte der
unwiderstehlichen Neigung der Hauptstadt zur Ausdehnung nicht, da
diese immer nur nach der einen 'Seite geschehen konnte. Es hatte
sich vielmehr, seitdem Constantinopel fortgesetzt Residenz gewesen
und zuletzt seit der Reichsteilung ständiger Sitz des oströmischen
Kaisers geworden war, die Zahl der Bewohner in so gewaltigem Mafse
vermehrt, dafs der Umfassungsring viel zu eng wurde. Infolge dessen
liefs Anthemius ihn niederlegen und eine neue Befestigungslinie
weiter ins Land hinein herstellen, welche noch heutigen Tages, wenn
auch nicht im Material, so doch in der Richtung und Ausdehnung
das Stambul der Türken umgiebt. Im Anfang des Jahres 413 konnte
der umsichtige Staatsmann den Schlufsstein zu diesem verdienstlichen
in. S.252flF.
■^6) Cod. Theod. XV. 1,50. Isidoro P. U. 412.
'') Zosim. II. 30. Vgl. Hertzberg Gesch. Griechenl. unter den Römern
211
Werke legen.^*) Wir erfahren das aus einer Verfügung vom 4. April ^®),
durch welche den Bürgern die auf ihren Grundstücken aufgerichteten
Mauertürme zur Benutzung, jedoch mit der Verpflichtung die jährlichen
Ausbesserungskosten zu tragen, überlassen wurden.
So erfreute sich das oströmische Reich unter der Leitung des
klugen, fürsorglichen und pflichtgetreuen Anthemius in den sechs
Jahren seiner Amtsführung einer fast nie unterbrochenen Ruhe im
Genufse der Segnungen des Friedens, während das weströmische
Reich inzwischen ein Spielball der germanischen Eindringlinge und
Usurpatoren war. Die durch die Ermordung des Stilicho ans Ruder
gekommene Höflings-Partei kennzeichnete sich selbst alsbald durch
mehrere an den neu ernannten Kanzler Olympias und den Präfekten
Curtius*®) gerichtete Erlasse, welche allen Nicht-Katholiken die Fähig-
keit, eine Stellung am Hofe zu bekleiden, absprachen und die strengen
Verordnungen gegen die andersgläubigen Sektierer wieder zur Nach-
achtung bekannt machten. Die Früchte dieser Mifswirtschaft, welcher der
unfähige Honorius keinen Widerstand entgegenzusetzen vermochte,
blieben auch nicht aus. Zunächst führte die Ermordung der Ange-
hörigen der römischen Foederaten, welche in einigen Städten unter-
gebracht waren, diese selbst dem Alarich in die Arme, dessen Heer
durch sie um 30000 Streiter vermehrt wurde.®*) Trotzdem waren
seine Forderungen sehr mäfsig: Auszahlung des Restes der ihm noch
durch Stilicho zugesagten Geldsumme und Stellung von Geiseln, wo-
gegen er aus Noricum abziehen und sich mit Pannonien begnügen
wollte.^^) Wäre Honorius auf sie eingegangen, so war der Haupt-
wunsch der Westgothen, eigne feste Wohnsitze in einer römischen
Provinz zu gewinnen, erfüllt, und die Hunnen hätten später mit
einem weniger verächtlichen Gegner als ihnen der römische Kaiser
erschien, abrechnen müssen, bevor sie auch nach Westen ihre Er-
oberungen ausdehnten.
Aber Honorius wie früher ganz dem Stilicho so nun dem Olympius
'•) Nur Socr. VII. i, berichtet kurz davon ; sowie Corp. Inscrp.Lat.III. 2, 739.
Fortarum valido firmavit omine muros
Pusaeus magno non minor Anthemio.
Vgl. Hammer I. cap. XVI.
^*) Cod. Th. XV. 1,51. Turres no vi muri, qui ad munitionem splendidissimae
urbis ezstructus est, completo opere praecipimus eorum usui deputari etc.
*>) XVI. 5, 42 Olympio mag. ofllic. et Vaknti com. domest. XVI. 5, 43
und XVI. 10, 19. Curtio P. P. Novemb. 408.
"*) Zosim. V. 35. Aschbach S. 80. DahnS.44. Kaufmann S. 322. Pallmannl.
S. 295 ff.
•*) Zosim. V. 36. Socr. VII, 10. und Sozom. IX. 6, behandeln diese Er-
eignisse nur Überhin.
14*
212
in allem vertrauend wies hochmütig diese bescheidenen Ansprüche
zurück, ohne zugleich Vorbereitungen zur Abwehr des Gegners zu
treffen. Der Westgothenkönig setzte sich daher, um den Kaiser zum
Frieden auf seine Bedingungen hin zu zwingen, über Aquileia, Altinum,
Cremona auf Rom zu in Bewegung, überschritt den Po und näherte
sich, Ravenna zur Seite liegen lassend, über Ariminum und Picenum
der ehrwürdigen. Weltbeherrscherin.S3) Er kannte das wirksamste Mittel,
eine so volkreiche Stadt zur Ergebung zu zwingen, umschlofs sie und
schnitt ihr jegliche Zufuhr ab 84), bis der Senat durch die ausbrechende
Hungersnot und Pest in die Enge getrieben Gesandte an ihn schickte,
welche, nachdem ihre unberechtigte Einbildung durch Alarichs stolze
Antwort gedemütigt war, kleinlaut geworden seine harten Forderungen
den geängstigten Bewohnern mitteilten.s^) Da feierte der heidnische
Aberglaube zum letzteninale einen schnell vorübergehenden Triumph 8«),
und dann blieb nichts übrig, als auf die von Alarich erheblich herab-
gestimmten Bedingungen widerstandslos einzugehen : 5000 Pfund Gold
(4 500 000 Mk.), 3000 Pfund Silber (240 ooo Mk.), 4000 seidene Gewänder
und 3000 purpurne Felle und 3000 Pfund Pfeffer.^') Dieser Vertrag
Wurde zwar von Honorius bestätigt, aber, da er im festen Ravenna
von seiner Umgebung über die wahre Sachlage in Italien fortwährend
getäuscht wurde, wollte er von einem Frieden mit Alarich nichts
wissen. Er rief vielmehr eine Kerntruppe von 6000 Mannas), welche
noch in Dalmatien stand, herbei, obwohl er sich hätte sagen können,
dafs sie auf jeden Fall den Gothen in die Hände fallen mufste,
welche gerade damals durch Athaulf, einen nahen Verwandten
des Westgothenkönigs , aus Pannonien gothisch-hunnischen Zuzug
erhielten. 8®)
Gleichwohl und obgleich Olympius von seinen eignen Kreaturen
gestürzt wurde, liefs Honorius eine zweite römische Gesandtschaft
und auch den Bischof Innocenz, welche ihm den Frieden anrieten^**),
ohne Erfolg wieder abziehen. Erst durch den praefecten praetorio
Jovius bahnte sich eine, wie es schien, hoffnungsvolle Annäherung
83) Zosim. V. 37.
") c. 39.
^) c. 40.
**) c. 41. Völlig übereinstimmend Sozom. IX. 6.
*') Ebend. vgl. Dahn S. 45. Kaufmann S. 324 über die Mäfsigkeit der
Forderung, v. Wietersheim II. S. 147.
8«) c. 45.
**) c. 37. Vgl. Marc. Com. zu 410. Jordan, c. 30. Olymp, frgm. lO.
Oros. VII. 40. KÖpke S. 130. Dahn S. 55. Kaufmann S. 323. Pallmann S. 301.
^) Zosim. V, 44. Sozom. IX. 7. Vgl. Dahn S. 46.
i
213
zwischen Kaiser und Westgothenkönig an, die aber im letzten Augen-
blicke nicht daran scheiterte, dafs Alarich die Provinzen Venetien,
Noricum, Dalmatien für seine nach ruhigen Sitzen sich sehnenden
Volksgenossen forderte, sondern daran ®i), dafs Honorius dem Könige
die Würde eines magister militum, welche er im oströmischen Reich
aller Wahrscheinlichkeit nach bereits längst bekleidete, entschieden
abschlug.
Aber Alarich, wenn auch im Anfang über diese Beleidigung
aufs äufserste erzürnt, sah doch bald darauf von seiner Person ab
und nur das von seinem Volke gewünschte Ziel im Auge behaltend
stand er von der Bewilligung jener Würde ganz ab und wollte sich
sogar mit Noricum, dem zwischen Passau und Wien von der Donau
und im Süden von Drau und Sau begrenzten Lande, begnügen.^^)
Doch die Verblendung des Honorius liefs ihn auch diese billigen
Bedingungen verwerfen, so daft Alarich zum letzten schreitend
Rom von neuem bedrohte ®3) und durch die Einnahme des Hafens
den Senat zu seinem willenlosen Werkzeug machte. Dieser erhob
auf seinen Befehl den bisherigen heidnischen und jetzt zum Arianismus
übergetretenen Stadtpräfekten Attalus®*) zum Gegenkaiser, welcher
sogleich an Alarich die ihm von Honorius verweigerte Würde sowie
dem Athaulf die des Befehlshabers seiner Leibwache (comes domesti-
corum) erteilte.^^) Diese Nachricht raubte dem unwürdigen Beherrscher
des Westreichs den letzten Rest persönlichen Mutes und der Über-
legung, so dafs er bereits entschlossen war, sein Reich im Stiche zu
lassen und sich auf den in Ravenna bereit gehaltenen Fahrzeugen
nach Constantinopel einzuschiffen. Da langten endlich die sehnlichst
erwarteten Hülfstruppen des Orients , welche Anthemius dem Oheim
seines jugendlichen Herrn nicht abschlagen zu dürfen glaubte, im
Hafen an, und wenn sie auch nur 40CX) Mann stark waren®*), so be-
lebten sie den gesunkenen Mut des weströmischen Hofes doch zu
neuem Ausharren.
Und in der That trat ein Umschwung der Verhältnisse zum
**) Zosim. c. 48 — 49. Sozom. a. a. O.
9») Zosim. c. 50—51. *3) VI, c. 6. Sozom. IX. 8.
ö^) Zosim. c. 7. Olymp. 13. Vgl. Prosp. Aquit. 409. v. Wietersheim S. 150.
Dahn S. 49. Doch ist nicht einzusehen, warum 409, wieDahn will, nichtin Rom der
Heide Attalus P. U. sein konnte, hatte doch im O.-Reich erst kürzlich Optatus, ein
Heide, diese Würde bekleidet und war doch Generidus im W. (Zosim V. 46) trotz
seines offenbaren Heidentums zum Oberbefehlshaber ernannt worden. Vgl,
PhUost. XII. 3.
9«) Vgl. Dahn S. 96.
.98) Zosim. VI. 8,
214
Bessern ein, denn Attalus, welcher Alarich gegenüber keineswegs die
Rolle eines Werkzeuges ohne eignen Willen zu spielen beabsichtigte,
geriet mit diesem in Veranlassung der Absendung eines barbarischen
Heerführers zur Eroberung des von Heraclian zu Gunsten des Honorius
verteidigten Africas in Streit •'') und wurde von ihm seiner kaiserlichen
Würde entsetzt, um dadurch den sehnlichst gewünschten Frieden
mit Honorius zu ermöglichen. Von diesem plötzlichen Ereignis war
dem Anthemius wegen der mangelhaften Verbindung zwischen den
beiden Reichen so bald nichts zu Ohren gekommen, denn noch am
24. April 410 verfügte er auf Grund einer Abmachung zwischen ihm
und Honorius wegen der in Italien und Gallien auftauchenden Usur-
patoren an alle Präfekten, dafs alle Häfen, Gestade, Inseln und abge-
legenen Gegenden sorgfaltig überwacht würden, damit niemand heim-
lich oder offen ins Reich einbrechen könne. Nur diejenigen seien
ausnahmsweise zuzulassen, welche einen Brief vom Oheim des jungen
Kaisers Theodosius an ihn selbst vorzeigen könnten. Wenn dagegen
ein Schiffer vorgäbe, er habe an diesen von irgend einem anderen
ein Schreiben abzugeben, so solle derselbe nicht zugelassen, sondern
der Brief erst dem Anthemius vorgelegt werden.**)
Inzwischen aber griff Alarich zu dem seiner Meinung nach wirk-
samsten und letzten Mittel, den Honorius zur Einwilligung in seine
Wünsche zu bewegen, und beschlofs über Rom die Schrecknisse einer
feindlichen Eroberung zu verhängen. Nach kurzer Einschliefsung
nahm er die Stadt am 24. August 410®®) ein und überliefs sie drei
Tage lang der Habgier und den Leidenschaften seiner barbarischen
Krieger, deren Wildheit jedoch in so bemerkenswerter Weise durch
die besänftigende Gewalt des Christentums gedämpft wurde, dafs her-
vorragende Vertreter des katholischen Bekenntnisses die Mäfsigung
der Gothen nicht genug zu rühmen wufsten.^^^) Aber die Erhaltung
der Stadt wie schliefslich auch des Heeres war abhängig von dem
Besitze der reichen Komerträgnisse Africas; daher zog Alarich bald
von Rom ab und durch Campaniens üppige Gefilde und Lucanien
nach Bruttien, um von dort nach Africa überzusetzen. Indes auch
hier erwies sich von neuem die barbarische Unsicherheit in der Schiffs-
^ c. 12. Sozom. IX. 9. Phllost. XII. 3. Orosius VII. 42.
w) Cod. Theod. VII. 16, 2. 24. April 410.
••) Oros. Vit. 39. Theophanes 24. Aug. Cedren 26. Aug. Prosp. Aquit.
Marcell. Com. geben das Jahr. (Historia miscella XIII. 23. Aug.) c. 4. Köpke
S. 127. Pallmann S. 3ioflf. v. Wietersheim S. 152.
100) Oros. VII. 40. August de civit. dei I. c. 4 und 7. ; III. 29. Vgl. Hieronym.
ep. 127, 12 und 128, 4. Procop. de hello Vand. I, 2. Vgl. v. Wietersheim S. 153.
215
künde, welche so oft den Römern über sie den Sieg verliehen hatte,
und die reifsende Strömung der Meerenge von Messina machte den
Versuch zu schänden. ^^^) Alle übrigen Unternehmungen gerieten
jedoch erst recht ins Stocken, als der Westgothenkönig in der Blüte:
der Jahre durch eine tückische Krankheit dahingerajQft wurde.
Sein Nachfolger Athaülf versuchte ebenso vergeblich in zwei-
jährigem Hin- und Herziehen ^02) in Italien den Honorius zur end-
giltigen Abtretung einer römischen Provinz zu bewegen, bis er sich
entschlofs, jenseits der Alpen in dem durch die Wirren, welche die
Erhebung des Constantin und anderer Tyrannen sowie die Ver-
einigung der verzweifelten gallischen Bauern, der Bagauden, herbei-
geführt hatten, arg mitgenommenen Gallien seinen Volksgenossen die
festen Sitze zu suchen. Er vermählte sich, um diesem Vorhaben den
Stempel einer Versöhnung zwischen Gothen und Römern zu verleiben,
in Narbonne ganz nach römischem Ritus mit der seit 408 bereits in
den Händen der Gothen befindlichen Stiefschwester des Honorius,
der Placidia.V02a)
Die Nachrichten von allen diesen Ereignissen langten allerdings stets
erst spät zu der Hauptstadt des östlichen Reiches, doch läfst sich
denken, dafs man hier mit der höchsten Spannung die Wechselfalle
im Occident verfolgte, um so mehr als Anthemius durch den flüchtigen
Lagodius*®^)^ einen von den entfernteren Verwandten Theodosius des
Grofsen in Spanien, auch von der Eroberung dieser Provinz durch den
Constantin und durch Sabinus, den verwegenen Schwiegersohn des
Heraclian, von dessen unglücklichem Angriff auf Rom 413^®*) erfahren
hatte. Doch genügt der Überblick über diesen Zeitabschnitt vom Tode
des Stilicho bis zur Vermählung der Placidia, um den gewaltigen
Umschwung in dem Verhältnis der beiden Reichshälften zu einander
zu erkennen, denn an die Stelle der Zwietracht und Gleichgültig-
keit ist eine nicht nur ideelle, sondern auch* thatsächliche Teilnahme
getreten, welche sich in den Verfügungen und der Hülfesendung des
Anthemius deutlich ausprägt. Das Verdienst aber, diesen erfreulichen
Wechsel herbeigeführt zu haben, gebührt einzig und allein dem
Präfekten Anthemius, der hierdurch nicht minder wie durch seine
Beruhigung der Grenzen, die Herstellung guter Beziehungen zu den
*o*) Jord. c. 30.
102) Vgl. Aschbach S. 93—102. Dahn S. 55 — 61. Köpke S. 130 — 133.
Kaufmann S. 334 — 337.
102 a) Olymp, frgm. 24. Oros. VII. 43. Vgl. Sievers S. 439.
^) Zosim. VI. 4.
io4) Oros. VII. 42, 14. (MarceÜ. Com.) Prosp. Aquit.
2l6
Nachbarvölkern und die Anordnungen der inneren Verwaltung
mit Recht den Namen „des Grofsen"*^*) sich erworben hat, welcher
ihm zw^r nicht von dem befreundeten, gleichgesinnten Synesius, wohl
aber auf einer späteren Inschrift beigelegt worden ist
Dagegen müssen die Klagen über Mängel ^^) in der Verwaltung
der Ämter durch die Beamten bescheiden in den Hintergrund treten,
denn hier überall zu bessern war selbst einem Theodosius I. keineswegs
geglückt So waren denn die sechs Jahre der Präfektur des Anthemius
eine Zeit fast ungestörter Ruhe und gedeihlichen Friedens für das
oströmische Reich gewesen, für welches es sicher zu bedauern ist,
dafs das allmähliche Heranwachsen der ältesten Tochter des Arcadius
verbunden mit nicht weiter bekannten Hofränken im Laufe des
Jahres 414 den Rücktritt des hochverdienten Mannes herbeiführte.
Eine seiner letzten und jedenfalls wichtigsten Verfügungen i®'') war
ein weitgehender Steuererlafs, weichen die Notlage fast aller
Provinzen infolge der vorangegangenen Wirren und Verwüstungen nötig
machte und wie ihn Honorius im Westreich seit 401 mehrfach hatte
vornehmen müssen. ^<^8) Den Bewohnern aller Teile des Orients mit
Ausnahme des reicheren Ägyptens wurden sämtliche Steuerrückstände
jeder Art wie Naturalien, Erz, Geld, Gold oder Silber vom Jahre 368
bis 407 ein für allemal erlassen und zwar nicht blos den Curien
insgemein, sondern auch dem einzelnen Bürger. ^®®) Nicht in diese
Segnung wurden eingeschlossen wegen der zunehmenden Verschwendung
in den Prachtbauten die Schuldner der drei Marmorbrüche bei
Docimenum in Phrygien, Proconesus an der Propontis und in Troas.
106) Vgl. Synes. ep. 73. und C. I. L. III. 2. 739.
*<*) Synes. ep. 100, 118, 119.
107) Cod. Th. XI. 28, 9. 414 9. April,
w») Cod. Theod. XI. 28. 3—8.
^ . . . Omnium generalium titulorum sub aequa lance tarn curiis quam
coUatori privato et patrimoniali, divinae quin etiam domui omnique iuri munifico
nee non et cellariis praeter trium metallorum debitoribus Docimeni, Proconensis
et Troadensis, concessimus reliqua, sive species sive aes, pecunia, aurum argen-
tumque debetur etc.
217
Zweites Kapitel.
Pulcheria beginnt teil zu nehmen an der Erziehung der Geschwister und an den
Staatsgeschäften. — Ihr Character. — Sie nimmt den Titel „Augusta" an. —
Aurelianus zum zweiten Male Praefectus praetorio. — Pulcheria beschliefst Jung-
frau zu bleiben. — Ebenbürtigkeit der Ehen kaiserlicher Prinzessinnen. — Der
Bischof Atticus von Constantinopel; — Echt religiöser Sinn der Töchter des
Arcadius. — Die Ausbildung Theodosius II. — Bischof Cyrill von Alexandrien.
— Die jüdische Gemeinde in Alexandrien. — Streit zwischen Juden und Christen.
— Orestes, praefectus Augustalis, und Hierax. — Nächtliche Ermordung der
Christen. — Cyrill vertreibt die Juden aus der Stadt. — Die Mönche von Nitria
in Alexandrien. — Das Heidentum in Ägypten. — Der Mathematiker Theon
und seine Tochter Hypatia. — Ihre Studien, Sinnesart und Schönheit. —
Ihr Einflufs in Alexandrien und Verhältnis zu Orest. — Verschwörung der
Parabolanen. — Ihre Ermordung März 415. — Ergebnis der Untersuchung durch
Aedesius. — Andere Ereignisse aus den ersten Jahren der Regierung Pulcherias.
Bei der völligen Verwaistheit, in welche die Kinder des Arcadius
durch seinen Tod versetzt wurden, war es natürlich, dafs die älteste
Tochter am ehesten ihre gemeinsame Lage erkannte und sich dann
berufen fühlte, an den Geschwistern die bis dahin vermifste Mutter-
pflege auszuüben. Pulcheria empfand und erfafste diesen Beruf um so
früher, als ihr von Natur ein sich schnell entwickelnder Geist verliehen
var, welcher sie nicht nur befähigte, die Herrschaft über Bruder und
Schwestern, sondern auch viele Jahre lang über das ganze Ostreich
zu führen. Aus allem, was wir von ihr erfahren, leuchtet ein ernster,
mehr männlicher Sinn hervor, welcher neben der geistlichen Beschäftigung
nur Befriedigung in den Sorgen und Fragen der Staatsverwaltung
fand; aufserdem aber eine gewisse Herrschsucht, der es schwer wurde,
die erste Stelle zu Gunsten einer anderen aufzugeben; doch wurde
dieser harte Zug ihres Gemütes durch die echt weibliche Bethätigung
des Wohlthuns erheblich gemildert. Wann aber der Zeitpunkt ihrer
geistigen Reife eintrat und sie das hohe Amt einer Stellvertreterin
der Mutter auf sich nahm, läfst sich nicht mit Bestimmtheit feststellen 1) ;
^) Sozom. , welcher den Namen des Anthemius und Troilus nicht kannte,
ist hinwiderum über Pulcherias Thätigkeit des Lobes voll, während er anderer-
seits die Eudoxia nicht erwähnt, von der Socrates einiges berichtet. Ebendieser
Sozom. erzählt IX. i., dafs P. die Herrschaft bereits fährte ovTCOf Ttivts xal 6i-
xaxov ixoq ayovoa. Das wäre das Jahr 412, zu welcher Theophanes die
merkwürdige Notiz hat, di9i.hjivtLoxoq o ne^oijg ixno&wv yeyove xal fxaxccQKOtarij
HovXxsgla rsXelcaq t(Sv ngayfiaxiov ixgctti^aev. Zu der Persönlichkeit dieses
Antiochus vgl. Theophanus zu 400., Cedren p. 335. Job. Malal. lib. XIV. Auch
nennt Zonaras XIII. 35 als den ersten der Eunuchen des Theodosius einen
Antiochus, auf den sich wahrscheinlich Synes. ep. iio bezieht, wo von einem
2l8
es scheint jedoch, als ob sie bereits in ihrem 14. Lebensjahre anfing,
selbstständig zu werden und auf die Staatsangelegenheiten Einflufs zu
gewinnen. Bis dahin ist sie gewifs dem öffentlichen Leben sowohl
wie der Erziehung ihres Bruders Theodosius fem geblieben, welche
bis zum Jahre 412 der Oberstkämmerer Antiochus, ein Perser, in
Händen hatte.
Man kann sich denken, dafs die stolze und emporstrebende
Tochter des Arcadius, welche offenbar in Bezug auf den Geist die
Erbschaft der Mutter angetreten hatte, wie sehr sie auch in Anthemius
den hochverdienten und genialen Staatsmann verehren mochte, doch
im geheimen sich sagte, dafs es nur zuletzt ein Unterthan sei, welcher
die Leitung des ganzen Landes in sich vereinige, während sie es für
angemessener hielt, dafs, wenn nicht Theodosius selbst, so doch das
älteste Familienglied an seiner Statt regiere. Ob auch Einflüsterungen
anderer Art hinzugekommen sind, läfst sich voraussetzen, allein es ist
uns nichts davon bekannt; die Herrschaft Pulcherias tritt vielmehr
fast ganz unvermittelt in den Vordergrund und, wahrscheinlich gleich-
zeitig damit, Anthemius in den Hintergrund.^) Da ist es nun höchst
bedauerlich, dafs wir in keiner Weise über die weiteren Schicksale
dieses einzigen Mannes und über die Dankbarkeit oder Undankbarkeit
des Hofes irgend einen Anhalt besitzen. Jedenfalls legte er, wenn
auch äufserlich freiwillig, im letzten Grunde doch durch den Drang
der Ereignisse genötigt sein Amt nieder; denn, wenn wir nicht die
Herrschsucht der Pulcheria als erwiesen annehmen, so bleibt unerfind-
lich, warum Anthemius nicht noch so lange im Amte verblieb, bis
Theodosius mit fünfzehn Jahren die Mündigkeit erreicht hatte, was
bereits zwei Jahre später der Fall war. Entgegen der bisherigen
Gewohnheit, soweit man von einer solchen in der römischen Kaiser-
geschichte sprechen kann, nach welcher sonst nur die Gemahlinnen
A. TiQoxoiXoq (Siev. ngoxOLXoq) die Rede ist, der beim Kaiser alles kann, was
er will. Es mufs aber dieser Ant. von demjenigen, der nach Theoph. zu 436
(vgl. Cedren p. 336) vom praepositus und patricius zum Mönch degradiert wurde,
verschieden sein, da Bic no6* ysy» auf j^den Fall das Ende seiner Machtstellung
bedeutet.
2) Nach Cod. Theod. VIII. 4, 26 wäre Anthemius noch am 17. Febr. 415
im Amte gewesen, dem gegenüber steht die bestimmte Nachricht des Chron. Pasch.,
nach der Aurelianus schon 414 ausdrücklich als zum zweiten Male praefectus
praet. und als patricius genannt wird. Man mufs sich wohl für das Chron. Pasch,
erklären, weil dieses über die Orient. Verhältnisse (immer) gut unterrichtet ist«
AuTserdem kann die Datierung des obigen Gesetzes leicht verschrieben sein, da
Honorius und Theodosius cons. waren, was auch 412 der Fall war. Vgl«
Sievers S. 426.
219
der Kaiser den höchsten Titel der „Augusta" erhielten, nahm ihn
Pulcheria, nur die Tochter eines Kaisers, bereits mit fünfzehn Jahren
am 4. Juli 414*) unter grofsen Feierlichkeiten an, obwohl ihr gewifs
nicht unklar geblieben war, dafs, falls ihr Bruder zum Zwecke der
Fortpflanzung des Theodosianischen Herrscherhauses sich später ver*
heiraten würde, der zukünftigen Gemahlin desselben die gleiche Aus-
zeichnung zu teil werden mufste.
Der Regierungsantritt Pulcherias bedeutete nur einen Personen»
nicht einen Systemwechsel, denn an die Stelle des schwer zu ersetzen-
den Anthemius trat ein nicht minder tüchtiger Beamter, derselbe
Aurelianus, welcher zur Zeit des Aufstandes des Gainas Praefectus
praetorio und Consul und nach der Niederwerfung des Typhös aus
der Verbannung zurückgekehrt war, von dem sein Schützling Synesius
am Ende der Allegorie „die Ägypter" sagt, dafs er „als Greis ruhm-
voller denn als Jüngling war und von den Göttern der Ehre gewürdigt
wurde nach höherer Losung den Staat zu verwalten" — Worte*),
welche nur dann einen Sinn haben, wenn man sie auf diese zweite Amts-
führung des Patricius Aurelianus bezieht, welche er durch eine ehrfurchts-
volle Stiftung der Brustbilder der regierenden Häupter des römischen
Reichs: Honorius, Theodosius und Pulcheria für den Senat feierlich
antrat*) Doch war seine Thätigkeit nicht von der langen Dauer
^ Den Tag giebt auch Chron. Pasch.; nur das Jahr, Marceil. Com. Vgl.
Philost. XII. 7. und Cod. Theod. XIII. I, 21. 418. domina ac venerabilis Augusta
Pulcheria germana nostra, während die übrigen Schwestern nobilissimae sorores
heifsen. Ihre Münzen bei Eckhel Doctr. num. VIII. S. 192 und 193.
*) II. c. 5. 401 stand Aurelian nach desselben Synesius Darstellung in
der Blüte seiner Jahre und konnte unmöglich schon „Greis" genannt werden,
das pafst nur auf die Jahre 415 und 416. Auch sind die folgenden Worte des
c. 5 von den Vermittlem, welche den Staat reinigten, bevor Aurelianus wieder
auftrat, nur so zu verstehen, dafs zwischen der ersten und zweiten Praefectur
des Osiris Männer den Staat leiteten, welche nicht so ausgesprochene Gegner
der Germanen im Reich waren. Bei dieser Annahme gehören die Briefe des
Synesius 31, 34 und 38 ebenfalls in die Zeit der 2. Praefectur, deren Inhalt auf
eine hohe Stellung des Aurelian hindeutet. Dann erklären sich auch die Worte
in ep. 31. danatflfiai Sia t^g aefivoxattiq ipwvijg xov naxQoq xbv viov TavQov
xaq dya&ag ^Pcofialcov ikniöaq^ den Synesius gewifs bei seinem Aufenthalt in
Constantinopel als Kind gesehen hatte. Wir hätten damit überdies noch ein
Lebenszeichen von dem vielgenannten Philosophen und Bischof aus dem Jahre
415 oder 416, welches der allgemeinen Annahme, dafs er schon 413 gestorben
sei, entgegentritt. Vgl. Volkmann S3mes. v. Kyrene a. E. Aurelian erscheint
zuerst als praef, pr. II. Cod. Theod. 415 (doch vgl. Anm. 2). IX. 28, 2, zuletzt
416 12. Dec. XVI. 10,21. Sein Sohn Taurus (Oros) war in dems. Jahre Com.
R. P. VI. 30, 21.
*) 30. Dec. 414. Chron. Pasch,
220
seines Vorgängers, denn schön nach zwei Jahren sehen wir andere
in seinem Amte; Pulcherias Wirksamkeit dagegen hat mit kurzer
Unterbrechung ihr ganzes Leben hindurch nicht aufgehört und ist
deshalb von der einschneidendsten Bedeutung für das ganze oströmische
Reich gewesen.
Ihr Einflufs aber erstreckte sich naturgemäfs besonders auf die
Erziehung ihrer jüngeren Geschwister, und man mufs gestehen, dafs,
was Theodosius anbetrifit, sie aus ihm gemacht hat, was aus einem
Sohne des Arcadius werden konnte, der des Vaters wenig empfanglichen
Sinn geerbt hatte. Zunächst zeichnete sie sich allmählich immer
selbstständiger werdend mit fester Entschliefsung das Ziel ihres Lebens
vor, welches in nichts Geringerem bestand als in der Entsagung der
Freuden und Leiden, welche die Vermählung mit sich bringt*) Fromme
Gemüter erblickten in diesem Gelöbnis ewiger Jungfräulichkeit nur
die Liebe zum Bruder und den leicht erklärlichen Ausflufs jener
strengen Frömmigkeit, welche seit dem grofsen Theodosius ein Ver-
mächtnis seiner Nachfolger wurde ; profane Geschichtsschreiber werden
aber auch nachforschen, ob nicht noch andere Gründe die Augusta
zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Das Nächstliegende dürfte
wohl die Frage der Ebenbürtigkeit sein, welche für eine Vermählung
der Pulcheria in Betracht gekommen wäre. Denn ebensowenig, wie
es nach unserer oben ausgesprochenen Ansicht für die Kaiser und
Prinzen selbst keine der fürstlichen Abstammung nach gleichbürtige
Frauen gab, hatten die kaiserlichen Prinzessinnen eine Auswahl;
allerdings hatte Theodosius L die Serena mit dem General Stilicho
vermählt, aber einmal war die Dynastie damals erst im Werden und
sollte dadurch gestützt werden, andererseits konnte grade das Ende
Stilichos, der auch nach Anschauung des oströmischen Hofes heim-
lich die Absichten eines Thronräubers verfolgt hatte, nur abschreckend
wirken, abgesehen davon, dafs Serena nicht einmal königlichen Blutes
und nur Adoptivtochter des grofsen Kaisers gewesen war. Sodann
hatte Pulcheria den Sinn des Bruders genugsam erkannt, um sich
neben ihm im Besitze der Regierungsgewalt hinreichend sicher zu
fühlen, und das Gespenst einer herrschsüchtigen Schwägerin schreckte
sie nicht, da ihr voraussichtlich die Wahl derselben überlassen blieb.
Und dafs in der That neben den geistlichen Gründen auch der
Gedanke an den Genufs der höchsten Gewalt auf sie bestimmend
einwirkte, beweist am besten, dafs sie ihr mehrere Jahrzehnte hindurch
gehaltenes Gelübde, wenn auch nicht thatsächlich, so doch ideell noch
ö Sozom. IX. I. Ihm nach erzählt Suidas v, üovXxsgla,
221
am Ende ihres Lebens im einundfunfzigsten Jahre brach und sich
dem General Marcianus vermählte?), als es sich darum handelte, ob
sie nach dem Tode des Bruders ganz auf die Herrschaft verzichten
und sie einem thatkräftigen Manne überlassen wollte. Zuletzt mag
auch, wie ein ihr nahestehender Geisdicher behauptet®), die Erwägung
mit dazu beigetragen haben, dafs infolge ihrer Verheiratung der Friede
in der Familie und am Hofe durch ein fremdes Element gestört
werden möchte, doch entscheidend war gewifs das andere.
Für die Geschwister freilich war ihr Gelübde, welchem sie durch
die darauf bezügliche Widmung eines mit Gold und Edelsteinen
geschmückten, kostbaren Tisches an die Hauptkirche zu Constantinopel
ein offenkundiges Gepräge verlieh, auf jeden Fall eine unschätzbare Wohl-
that, da es ihr ermöglichte, ihre ganze Kraft und Liebe diesen allein
zuzuwenden. In der Ausübung dieses schweren Berufes aber stand
ihr getreulich ein Mann zur seite, dessen Stellung eine nähere Be-
ziehung zur kaiserlichen Familie an und für sich mit sich brachte,
der Bischof der Hauptstadt Atticus.^) Im Jahre 406 war er dem
bereits 405 gestorbenen Arsacius auf dem Patriarchenstuhle gefolgt,
welchem er zu nicht geringer Zierde gereicht hat Geboren in Sebastia
(Armenien) und hervorgegangen aus einem Kloster der Macedonianischen
Secte war er als Mann erst zum katholischen Bekenntnis übergetreten
und als Presbyter der grofsen Kirche in Constantinopel ein Gegner
des Johannes Chrysostomus gewesen. Er wird uns als sehr religiös
und mit natürlicher Klugheit begabt geschildert, während seine Predigten
im Gegensatz zu der Beredtsamkeit des Johannes nur mittelmäfsig
waren. Dagegen wufste er durch ein gewandtes , zur Zeit mildes,
zeitweise strenges Benehmen besonders die Sektierer für sich einzunehmen,
während er sich durch das Studium der heiligen Schrift und seine
Pflichttreue die Herzen seiner Gemeinde gewann. Mit den Töchtern
des Arcadius, die er in den Heilswahrheiten des christlichen Glaubens
unterwies, trat er bald in ein engeres Verhältnis, wobei ihm ein etwas
hofmännisches Wesen vorzüglich zu statten kam.^®) Die kindlichen
Gemüter der Prinzessinnen, welche in ihm infolge seiner wunderbaren
Heilung eines gichtbrüchigen Israeliten durch das Bad der Taufe ^^)
einen gottbegnadigten Heiligen erblickten, wurden sicherlich von Atticus
') Chron. Pasch. 450. Vgl. Theophan., Cedren u. a.
*) Sozom. a. a. O.
*) Socrat. VI. 20. VII. 2. Sozom VIII. 27. Suidas v. Xttixo'q schreibt
sie aus.
*<*) Sozom a. a. O. inißovXsvaairs xal UQoq imßovXaq dvrioxsTv ixavog.
") Socr. Vn. 4.
221
in ihrem Entschlüsse ewig jungfräulich zu bleiben — denn auch
Arcadia und Marina bekannten sich unter der Einwirkung des Beispiels
der älteren Schwester dazu — noch bestärkt, da er nach einem alten
Bericht ihnen ein treffliches Buch über den Glauben und die Jung-
frauenschaft ehrfurchtsvoll widmete.**)
Bei einer so ausgesprochenen Abneigung der Prinzessinnen gegen
das andere Geschlecht und Hinneigung zu einem stillen, gottgeweihten
Dasein war der Kaiserpalast am Bosporus trotz seiner üppigen Ein-
richtung und Ausstattung im Vergleich zum weströmischen Hofe eher
ein Kloster 13), in welchem geistliche Übungen mit stetiger Pünktlich-
keit vom Morgen bis zum Abend ängstlich innegehalten wurden.
Gingen früher mehr festlich gekleidete Senatoren und Beamte in
prächtigen Gewändern in den Hallen des Palastes aus und ein und
belebten früher die Uniformen der kommenden und abgehenden
Offiziere den grofsen Bau, so überwog jetzt das schwarze Priester-
gewand und die dunkle Mönchskutte unter den Besuchern, und an
Stelle fröhlicher Festesklänge drang zu fest bestimmter Zeit der ein-
tönige Gesang psalmodierender Menschen ans Ohr.^*) Und trat
jemand näher hinzu, so fand er die Prinzessinnen nicht mit eitlem
Putz beschäftigt oder unthätig, sondern am Webstuhl an der Her-
stellung schützender Kleider für Bedürftige und Arme eifrig arbeitend.
Denn mehr als je trat in Pulcheria und ihren Geschwistern die
werkthätige Christenliebe ins Leben, die nicht müde wurden in der
Barmherzigkeit und denen viele wohlthätige Anstalten die Entstehung
verdankten.*^) So erbaute Pulcheria, als Augusta über die Mittel
frei verfügend, zahlreiche Kirchen, unter denen die der Gottesmutter
in den Blachemen besondere Erwähnung verdient; auch Bethäuser,
Armenhäuser, Fremdenherbergen errichtete sie nicht nur, sondern stattete
sie auch mit den zur weiteren Erhaltung nötigen Kapitalien aus;
femer sch^ikte sie den Herbergen auch den Acker, auf welchem die
Fremden bestattet werden konnten. Endlich aber krönte sie ihre
Liebeswerke noch durch das Testament, in welchem sie alle ihre
Habe den Armen vermachte, welche ihr Gemahl Mardan in ebenso
frommer Gesinnung ohne Abzug herausgab. ^^)
So wuchs denn derjenige, welchem später allein die Leitung
^) Marc. Com. zu 416, doch konnte Atticus damals schon unmöglich das
Dogma des Nestorius bekämpfen, wie dieser Chronist behauptet.
>^) Socrat. Vn. a2.
") Sozom. IX. 2.
*5) Sozom. IX. I und 3. Theod. V. 36. Theophan. zu 443.
^«) Theophan. zu 445. * Vgl. Cedren.
des grofsen Reiches zufallen sollte, in einem Palaste auf, dessen
Mauern eine aufrichtige, ernste Frömmigkeit durchwehte, und diese
bildete daher allmählich auch den Grundzug seines Characters, auf
der alle anderen Eigenschaften ruhten.^'') Aber seine Kindheit verflofs
darum nicht minder fröhlich als die anderer Prinzen, denn er verlebte sie
nicht stolz abgeschlossen von der übrigen Welt, sondern Pulcheria
gesellte ihm zwei muntere Knaben hinzu, den Paulinus und Placitus i^),
mit denen er ohne jede Schranke höherer Abkunft kindlich und offen-
herzig verkehrte, und die er auch im spateren Leben niemals vergafs.
Überhaupt mufs man anerkennen, dafs Pulcheria ihm eine Erziehung
geben liefs, wie sie ihm eine besorgte Mutter nicht besser hätte können
angedeihen lassen; dazu befähigte sie ihre eigene gediegene Bildung,
welche nicht auf das Notwendigste beschränkt geblieben war; rühmlich
wird von einem Zeitgenossen hervorgehoben, dafs sie nicht nur griechisch,
sondern auch lateinisch sprechen konnte. ^^) Auf ihre Anordnung unter-
richteten ihn in allen Fächern des Wissens die besten Lehrer, an
deren Spitze gewifs der Bischof Atticus; besondere Unterweisung
scheint er seiner Neigung entsprechend in der Naturkunde erhalten
zu haben, wenigstens war ihm bis in sein reiferes Alter eine bestimmte
Vorliebe dafür eigen ^<^); daneben aber wurde die Ausbildung des
Körpers nicht vernachlässigt und der jugendliche Leib durch Reiten
und Fechten gestählt Einen Lehrgegenstand jedoch hatte sich die ältere
Schwester für sich behalten, wozu auch am ehesten eine Frau nach
Göthes bekanntem Ausspruch im Tasso berufen ist, die Anstandslehre.^^)
So erteilte ihm Pulcheria die Unterweisung in äufserer Haltung und
Geberde, über das Tragen des Gewandes, über die verschiedene Art,
wie er die Begrüfsung oder Bitte eines jeden aufzunehmen habe,
wann er lachen durfte, wann eine ernste Miene zeigen — kurzum,
es scheint ihm keine Lehre, wie sie noch heute Prinzen in dieser
Beziehung zu teil wird, erspart geblieben zu sein. So wuchs Theodosius
denn unter treuen Augen heran zu dem, was er vermöge der
geringen Energie und natürlichen Klugheit, die ihm innewohnte, über-
haupt werden konnte, zu einem frommen, gutherzigen, in seiner
Art pflichtgetreuen Regenten.22) Aber das römische Reich forderte
") Theodor. V. 36. Socrates und Sozom. a. a. O.
>^) Paulinvis war der Sohn eines Comes domesticorum. Chron. Pasch. Vgl.
Joh. Antioch. frgm. 192.
»9) Sozom. IX. I.
*) Vgl. Sozom. Prooem. seiner Kirchengesch.
^*) Sozom. IX. I.
*2) Socrat. VI. 22. Joh. Ant. frgm. 193. Vgl. 194.
224
nicht blöfs einen gutherzigen j sondern auch einen klugen und vor
allem thatkräftigen , tapferen Mann als obersten Leiter. Doch wie
sollte Theodosius in solcher Umgebung, deren Thun und Denken
einzig auf die Thätigkeit des Friedens gerichtet war, ohne ein leben-
des Beispiel und Vorbild zu einem tüchtigen Soldaten heranwachsen,
wie es sein erhabener Vorfahr gleichen Namens gewesen war?
Die ersten Jahre unter der veränderten Leitung verliefen für das
Ostreich bis auf geringe Vorkommnisse ruhig, von denen nur eins
besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, weil es von neuem
die Unduldsamkeit der christlichen Bischöfe gegen Andersgläubige in
wahrhaft erschreckender Weise darthut und dem Anfang dieses Jahr-
hunderts einen Makel anhängt, wie er häuslicher kaum gefunden werden
kann. In Alexandrien war Theophilus, der fanatische Heidenver-
folger und Gegner des Johannes Chrysostomus, im Jahre 412 an
Altersschwäche gestorben 2^), und um den erledigten Bischofsstuhl erhob
sich mit all' der Leidenschaft, welcher nur die Ägypter fähig waren,
ein heftiger Streit zwischen dem Archidiacon Timotheus und dem
Schwestersohn des Verstorbenen, Cyrillus. Obwohl der erstere in
dem Dux Aegypti Abudatius einen energischen Vorkämpfer fand,
gelang es doch dem Cyrill, sich zum Bischof emporzuschwingen. Aber
hatte schon Theophilus den Ruhm der alexandrinischen Kirche durch
sein hitziges Vorgehen gegen jeden vermeintlichen Feind des Glaubens
und des ägyptischen Patriarchats für lange Zeit geschädigt, so gelang
es. seinem Nachfolger nicht minder,, den Namen des Ägypters für immer
in der römischen Welt berüchtigt zu machen. Denn mehr noch als
sein Oheim scheint Cyrill sich die Aufgabe gesteckt zu haben, mit
allen Mitteln der Unduldsamkeit alle Andersgläubigen in Alexandrien,
seien es Sektierer, Juden oder Heiden, auszurotten oder, wenn nicht
anders, mit Gewalt zum Christentum zu bekehren.^*) Aber so ernst
es ihm hiermit um die christliche Sache scheinbar war, so hielt ihn
das keinen Augenblick ab,^ die schändlichste Simonie zu treiben und
Bistümer an Unwürdige zu veräufsern, abgesehen davon, dafs er später
nicht weniger als Theophilus darauf ausging, das Ansehen des con-
stantinopolitanischen Patriarchen herabzusetzen.
Er eröffnete seine Amtsthätigkeit mit der Schliefsung der Kirchen
der Novatianer, denen er zugleich die heiligen Geräte wegnahm und
deren Bischof Theopemptus er seiner Würde beraubte. Sodann brachte
*3) Socrat. Vn. 7. Theophan. zu 407.
**) Vgl. Neander AUgem. Gesch. der christl. Relig. VI. 4. S. 106. und
über seine Schriften Gennadius de vir illust. c 57, bei Fahr icius Bibliotheca
ecclesiastica. Hamb. 17 iB .
I
ihn sein heifsspomiges Wesen bald auch mit der jüdischen Gemeinde
von Alexandrien in ein blutiges Zerwürfnis, welches am meisten seine
Lieblosigkeit und fanatische Verblendung gegen die Nichtchristen
beweist. Der tiefere Grund dazu lag in der übermächtigen Stellung,
welche das Judentum auf eine jahrhundertelange ruhmvolle Ver-
gangenheit fiifsend in der Hauptstadt Ägyptens einnahm.^^) Denn
schon unter Alexander dem Grofsen waren neben anderen auch Juden
in die neu gegründete Nilstadt verpflanzt worden, deren Zahl sich
unter den ersten Ptolemäem bedeutend vermehrte, von der Gunst
dieser Könige geschützt im ganzen Pharaonenlande festen Fufs fafste
und namentlich einen bedeutenden Bruchteil der Bevölkerung Alexan-
driens ausmachte. Sie hatten sich mit dem griechisch-heidnischen
Teil derselben im Laufe der Jahrhunderte so eng durchdrungen, dafs
aus dieser Vereinigung des jüdischen und griechischen Geistes eine
eigne Philosophie entstehen konnte, deren Hauptvertreter Philo ist.^«)
Die Juden fühlten sich daher schon lange den Heiden hier gleich-
4
berechtigt und sahen die Stadt nicht wie eine fremde, sondern als
die ihnen gehörige an, von der ihnen zwei Fünftel als besonderer
Stadtteil eingeräumt waren, und in der sie auch unter der römischen
Herrschaft ihre eigenen Behörden behalten hatten.^') Von der ungefähren
Gröfse der jüdischen Gemeinde nun zu Anfang des fünften Jahrhunderts
^können wir eine Vorstellung durch die Erwägung gewinnen, dafs
bereits zur Zeit des Augustus in Alexandrien 300000 Bürger ohne
die Sklaven und Fremden gezählt wurden ^8), eine Zahl, die sich gewifs
bis zu unserer Periode wird nahezu verdoppelt haben, so dafs wir
nicht fehl gehen werden, wenn wir die israelitischen Glaubensgenossen
auf 200000 anschlagen.
Die Bedeutung derselben wächst aber noch dadurch, dafs in
Alexandrien keineswegs durch Theophilus das Heidentum ganz und
gar ausgerottet war 2»), sondern sowohl in den besseren Kreisen wie
im Volke noch zahlreiche Anhänger zählte. Infolge dessen kann die
christliche Gemeinde in der Hauptstadt Ägyptens nicht den breiten
Raum eingenommen haben, den sie sonst in den grofsen Städten
besafs, und man kann sich daher erklären, warum ein so fanatischer
Patriarch wie Cyrill sich die Aufgabe stellte, dem Judentum hier, wie
Theophilus dem Heidentum, einen vernichtenden Schlag zu versetzen.
*•) Bekker-Marquardt III. i. S. 208 flF. und 220.
*•) Zeller die Philosophie der Griechen III. i. S. 560 ff.
^) Bekker-Marquardt S. 224. O. Kiepert S. 197.
*^ Diodor XVn. 52.
^ Vgl. die Darstellung bei G. S. 190—193.
15
22f>
Andererseits lag es in der Pflicbt des Stadtkomidandanten wie des
kaiserlichen Präfekten eine Ruhestörung zu verhindern» deren Folgen
auf jeden Fall dem Vorteil des Staatsganzen» auch dem pecuniären,
zuwider liefen. An Reibereien geringfügiger Art fehlte es bei dem
heifsen Blute ^^) der Ägypter, welches selbst das Priestergewand nicht zu
beruhigen vermochte, und der sich ihrer Anzahl und Macht in Alexandria
be¥rufsten Juden fast niemals; sie traten gewöhnlich bei Volksfesten
oder öffentlichen Schaustellungen zu Tage. Bei dem gegen die
Juden eingenommenen Standpunkte des Bischofs Cyrill fehlte es ihm
unter seinen Untergebenen nicht an solchen, welche ihm alles auf
die Juden Bezügliche zutrugen, besonders, wie sich der kaiserliche
Präfekt Orestes zu ihnen verhielt, der den Bischof deshalb nicht leiden
konnte, weil er sich häufig herausnahm, seine Verordnungen zu ver-
nachlässigen, und sich ganz seinem Dienstkreise zu entziehen trachtete.
War somit der Stoff zu einem hitzigen Streit hinlänglich vorhanden,
so fehlte bald auch nicht der entzündende Funke.' ^)
Ihn brachte eine Bürgerversammlung, welche Orestes im Theater
abhielt, und in welcher auch die Juden zahlreich vertreten waren.
Mitten während der Verhandlungen bemerkten einige von ihnen den
Schulmeister Hierax'^), einen Menschen mit schamloser Zunge und
glühenden Anhänger des Cyrill, der bei dessen Predigten immer das
Zeichen zum Beifall zu geben pflegte. Sobald die Juden ihn erblickt
hatten, riefen sie, er sei nur ins Theater gekommen das Volk
aufzuhetzen und bewögen den Präfekten, der ohnehin dem Bischof
nicht wohlwollte, ihn als Unruhestifter foltern zu lassen. Gegen
dieses Vorgehen des Präfekten vermochte Cyrill, ohne sich blofs'-
zustellen, nichts einzuwenden und liefs daher an den Juden seinen
Groll aus, indem er den Vorstand der Gemeinde vor sich forderte und
ihnen strenge Bestrafung androhte, wenn sie die Beleidigungen der
^) Vgl. Ammian Marc. XXII. i6. 23: Homines autem Aegyptii plerique
subfusculi sunt et atrati magis quam maesti oris, gracilenti et aridi, ad singulos
motus excandescentes, controversi et reposcones acerrimi.
31) Die Hauptquelle für das Folgende ist Socrat. VIL 13. Vgl. Theoph.
zu 405 und Cedren p. 336. Während Socr. diese Vorgänge ausdrücklich nach
dem Tode des Theophilus ansetzt, läfst Theophanes zu 405 sie noch vor dem-
selben geschehen sein ; aber der letztere ist wie so oft hier unkritisch ; denn das
Ende der Hypatia März 415 beweist, dafs der jüdische Aufstand ins Jahr
414 gehört.
'*) Er ist offenbar identisch mit demjenigeB, den Eunap fragm. 83 trotz
seiner Schamlosigkeit zum Schweigen und Erröten brachte; doch nicht derselbe
wie der frgm. S6 Erwähnte.
\
227
Christen nicht einstellten.»^) Aber anstatt die Aufregung dadurch
unter den Juden zu besänftigen, gofs Cyrill mit seiner Drohung nur
Öl ins Feuer und trieb sie zu einer Handlung an, welche die bisherige
hochgeachtete Stellung der Juden im Reich gewaltig erschütterte und
ihnen das Wohlwollen entzog, welches ihnen die früheren Kaiser**)
des öfteren bezeugt hatten.
Sie ersannen einen häfslichen Trug und schreckliches Verderben,
dessen Parole lautete: Tod den Christen! In nächtlichem Kampfe,
sich selbst durch einen Fingerring von Palmenrinde kenntlich machend,
beschlossen sie die Gegner zu töten.**) Vorherbestimmte Männer durch-
eilten eines Nachts, als die übrigen Bewohner friedlich der Ruhe
pflegten, plötzlich die ganze Stadt mit dem Rufe „Die Kirche des
Alexander brennt!" Alsbald stürzten die Christen, wie es die Juden
gewollt hatten, von allen Seiten aus ihren Häusern schlaftrunken her-
bei, um dem Brande Einhalt zu thun, wurden dabei aber von den
sie erwartenden Israeliten in der Dunkelheit widerstandslos niederge-
stofsen, so dafs am nächsten Morgen die Strafsen mit ihren Leichnamen
bedeckt waren. Der Schmerz und Zorn der überlebenden Christen
war unbeschreiblich, und es war daher dem Cyrill etwas Leichtes, sie
zu einer nicht minder grausamen Rache zu veranlassen. Unter seiner
Führung zog eine riesige Menschenmenge zur Synagoge der Juden,
nahm diese in Besitz und trieb sie selbst, so wie sie standen und
gingen, mit Weib und Kind, ohne Nahrung und Habe, aus der Stadt
heraus, während ihre Häuser mit Erlaubnis des Cyrill von den Raub-
lustigen regelrecht wie bei einem Kriegszuge geplündert wurden.
Dafs die Juden an diesem ganzen Vorkommnis nicht völlig
unschuldig waren, leuchtet wohl von selbst ein, doch ist ebenso
unzweifelhaft, dafs die Hauptschuld daran auf Cyrills Haupt entfallt
dessen Aufgabe, falls er ein wahrer jünger Christi sein wollte, darin
bestanden hätte, einen Streit der beiden Religionsparteien zu ver-
hindern, statt ihn heraufzubeschwören und noch zu verschärfen. Man
kann sich daher in die Seele des Präfekten versetzen und mitfühlen,
wie unangenehm ihm diese Vorgänge waren, da er dazu gesetzt war,
über den Frieden in Stadt und Land zu wachen und vor allem die
Staatskasse vor grofsen Verlusten zu bewahren. Diese aber waren
unausbleiblich, wenn ein so arbeitsamer, fleifsiger Teil der alexandri-
nischen Handeltreibenden und noch dazu in solchem Umfange plötzlich
Socrat a. a. O.
»•) Vgl. Cod. Thcod. XVI. 8, 9—15.
**) Socrat a. a. O.
15^
2ZS ^ ^
die Stadt verliefs und dadurch den Handel und Wandel der Grofe-
stadt in der empfindlichsten Weise schädigte.^«) Er berichtete daher
in diesem Sinne an den Aurelianus, während Cyrill von entgegen-
gesetzten Anschauungen aus sich wahrscheinlich über die laue Unter-
stützung des christlichen Oberpräsidenten in einer religiösen An-
gelegenheit bitter bei Pulcheria beklagte.
Und in der That handelte es sich hier in Alexandrien um keine
andere Frage als die, welche durch das oben erwähnte Vorkommnis
in Castrum Callinicum an Theodosius L gestellt wurde, ob nämlich
die geistliche Gewalt unter Umständen der weltlichen vorangehe-^").
Inzwischen aber machte sich auch im Volke eine Stimmung gegen
den Bischof allmählich geltend, welche ihn bewog eine Versöhnung
mit Orestes zu suchen 3®), der jedoch vor der kaiserlichen Entscheidung
jeden derartigen Versuch zurückweisen zu müssen glaubte, um so
mehr, als er eine aufrichtige Reue bei Cyrill nicht voraussetzen durfte.
Infolge dessen kam es, bevor ein kaiserlicher Untersuchungscommissarius
aus Constantinopel angelangt war, zu weiteren Ausschreitungen der
Anhänger des Bischofs gegen den Orest und seine Partei, und merk-
würdig! im Gegensatz zu den unter Theophilus beobachteten Verhält-
nissen waren diesmal die ehrwürdigen Mönche der Einöde von
Nitria auf Seiten des alexandrinischen Patriarchen.
Von gewiegten Agenten aufgehetzt zogen sie fünfhundert an
der Zahl aus ihren Zellen nach Alexandrien, um ihrem Oberhirten
gegen den heidnischen Präfekten (denn so war er den Leichtgläubigen
bezeichnet worden) zu Hülfe zu eilen.3») Der Zufall fügte es, dafs
ihnen gerade beim Einzug in die Stadt Orestes selber fahrend begegnete.
Im Nu wurde der Wagen zmn Halten gebracht, und er selber mit den
härtesten Schmähreden wie „Opferer" und „Heide" überhäuft, obwohl
er ihnen verständlich zu machen suchte, dafs er ja von Atticus in
Constantinopel getauft und also Christ sei. Die Fanatiker aber hörten
nicht darauf, sondern drangen heftiger auf ihn ein, und seine wenigen
Diener fühlten sich der Übermacht nicht gewachsen und nahmen
Reifsaus. Ja, einer der Mönche, Ammonius mit Namen, ergriflf einen
spitzen Stein und verwundete den Beamten dergestalt am Kopfe, dafs
^) Eine genaue Beschreibung der Stadt aus dem Ende des 4. Jahrh. giebt
Ammian. Marc. XXII. 16, 7 ff. Vgl. Kiepert S. 197. Wie ängstlich Arcadius
seiner Zeit einen Steuerausfall zu verhindern suchte, beweist Marci Diaconi vita
Porphyrii Gazensis ed. Haupt c. 41.
") Vgl. G. S. 168 flF.
s«) Socrates VII. 13.
~) c. 14.
229
llim das Blut über die Stirn flofs, und wäre nicht inzwischen das
silexandrinische Volk herbeigeeilt und hätte die Mönche zurückge-
'trieben, so hätte Alexandrien einen neuen Mord auf dem Gewissen
£^ehabt
So aber wurde Ammonius ergriffen und so lange gefoltert, bis
er den Geist aufgab. Wiederum berichtete Orestes über die Greuel-
that an den Hof und ebenso Cyrill, wenn auch im anderen Sinne,
der übrigens, wenn das Volk es zugelassen hätte, am liebsten selbst
nach Constantinopel gegangen wäre, um seine Sache durchzufechten.*®)
Indes that er in Alexandrien zunächst noch manches, was den Streit
nicht zur Ruhe kommen liefs. So bestattete er den Ammonius nicht
wie einen Verbrecher, sondern wie einen Heiligen in der Kirche, hielt
ihm eine verherrlichende Gedächtnisrede und hiefs ihn einen Märtyrer
nennen.**) Zwar that ihm diese Unbesonnenheit wieder leid, gleich-
wohl wurde die Feindschaft mit Orest nicht beigelegt, sondern auf
Veranlassung des Cyrill am letzten Ende fiel ihr noch eine
der edelsten und bedeutendsten Frauen, welche je gelebt haben,
zum Opfer.
Schon oben ist darauf hingewiesen worden, wie das Vorgehen
des Theophilus im Jahre 390 wohl das Heidentum in seiner Wurzel
getroflfen , doch keineswegs völlig vernichtet hatte. Auch die Unter-
weisung in den heidnischen Gebräuchen wie insbesondere in den
philosophischen Disziplinen erlitt nur vorübergehende Unterbrechung
trotz der Vertreibung des Helladius, Ammonius und Olympius*^) und
wurde noch femer von einem, wenn auch engeren, Kreise eifrig ge-
pflegt. Die Richtung aber, welche der philosophische Gedankengang
der damaligen heidnischen Lehrer in Alexandrien nahm, war eine
entschieden neuplatonische und vermittelte wider ihren Willen durch
den Glauben an eine erlösende Kraft Gottes, den Zoyog, den Über-
gang zum Christentum, wie wir ihn sich zu dieser Zeit in dem bekannten
*o) Dies mufs man folgern aus Cod. Theod. XVI. 2, 42: Quid inter cetera
Alezandrinae legationis inutilia hoc etiam decretis scriptum est, ut reverendissimus
episcopus de Alexandrina civitate aliquos non exire, wofür Gothofr. in seinem
Commentar mit Recht aliquo non exiret zu lesen vorschlägt. Auch Hänel, der
den obigen Text giebt, tritt in der Note x dieser Ansicht bei für den Fall, dafs
nichts ausgefaUen ist. Vgl. zu den Reisen der Bischöfe an den Hof Neander
V. 3. S. 234.
*») Socrates VII. 14.
*') Vgl. Suidas V. ^OXvfinoq, Zur Sache noch Schröckh Kirchengesch. VII.
$.212—216. Neander II. I, 162. StufFken dissertatio de Theodosii Magni in
rem christianam meritis. Lugd- Bat. 1828 S. 57fiF.
230
Bischof von Kyrene Synesius vollziehen sehen. Damals ^^'^) nun stand
an der Spitze der Lehrenden nicht ein Mann, sondern — ein seltener
Anblick — ein Weib, Hypatia.
Sie war die Tochter des Philosophen Theon*^), der unter
Theodosius L lebte und sein Hauptstudium auf Mathematik und
Mechanik verwandt hatte. £r war noch Mitglied des Museums 4^)
gewesen, jener Stiftung der Wissenschaft liebenden Ptolemäer, in
welchem die Ordner und Erklärer der bibliothekarischen Schätze
Alexandriens einen sorgenlosen und ehrenvollen Unterhalt genossen.
Von seinen Kindern widmete sich ein Sohn ebenfalls mathematischen
Studien, weit mehr aber als diesen befähigte ein genialer Geist seine
Tochter Hypatia**), nicht nur gleich dem Vater geometrische und
mechanische Probleme zu erdenken und .zu lösen, sondern sich auch
in der eigentlichen Philosophie heimisch zu machen. Ihre Studien
begann und vollendete sie in ihrer Geburtsstadt Alexandrien unter
der Leitung des Theon, und war sie je in der anderen Metropole
des sinkenden Heidentums, in Athen, so ist es sicher nur vorüber-
gehend gewesen.^0) So stand sie denn, ein junges Weib, der Leitung der
Schule ihres Vaters vor, wozu sie vielleicht von Staatswegen beauftragt
war 4^, durchschritt die Stadt im Phüosphenmantel und lehrte öffentlich
den, wer es hören wollte, über Plato, Aristoteles und anderes Wissenswerte.
Den reichen Schätzen ihres Geistes aber fehlte nicht eine an-
mutige und schöne äufsere Hülle, welche die Bescheidenheit, Würde
und Sittsamkeit, mit der sie überall im Leben auftrat, nur noch erhöhte.
Sie zog es vor ledig zu bleiben, ein Umstand, der gewifs dazu bei-
getragen haben wird, ihr die Jugend zuzuführen. Wenigstens wird
42 a) Für das Folgende ist mafsgebend gewesen die ZusammensteUung Hoche's
„Hypatia, die Tochter Theons" im Philol. XV. S. 439 ff.
*3) Vgl. Suidas v. Semv. Vgl. Synes. ep. 16, wo er durch Hypatia Grüfse
aufträgt änb xov naxQoq Ssoxixvov xal dno rov aöeXfpov Äd-avaaiov ag^afiivti
TtdvTag hSvQ-
**) Vgl. Pauly Real-Encyclop. und Ammian Marcell XXII. 16, 15 ff.
**) Suidas V. ^Ynaria. Von ihren Schriften ist nicht das geringste Fragment
erhalten. Auf sie geht ein Epigramm von Palladas. Anthol. Graec. ed. Jacobls
IX. 400. otav ßXinm as, TtQogxvvdi, xal tovg Xoyovg
rfjg naQ^ivov xov olxov dax^<pov ßXinmv,
eig ovQuvbv yuQ iaxl aov xa ngayfiaxcc
^^Ynaxla aefivrj, xwv XoycDv evfiOQfpia,
axQCLVxov aaxQov xfjg aofpfjg Ttaiösvaswg.
**) Vgl. Hoche S. 441 und Hertzberg Gesch. Griechenl. unter den Römern
III. S. 505.
*') Vgl. Hoche a, a. O. Socr. VII. 15. und Suidas : iSijyslxo ^fioalff
xoZg dxQoäa^ai ßovXofiivotg,
231
uns ein Zug aus ihren reiferen Jahren erzählt, welcher darauf schliefsen
läfst, dafs mancher ihrer jugendlichen Zuhörer aufser durch ihr Wissen
xioch durch die Schönheit ihres Körpers angezogen wurde,**) Unter
den zahlreichen Schülern der Hypatia, welche uns als solche genannt
werden, steht natürlich Synesius und sein Bruder oben an**), dann
folgen die Namen des Troilus, Herculianus, Hesychius und Olympius;
mehr aber als die Zahl spricht für den anziehenden, liebevollen Ton des
TJnterrichts und ein taktvolles Benehmen die Art und Weise, wie diese
Jünglinge zu Männern herangereift ihrer auch in späteren Jahren ge-
dachten. Rührend ist die Verehrung des Synesius für sie, wie sie
sieh in seinen Briefen ausspricht; er giebt ihr die herzlichsten, süfsesten
Namen wie „Selige Herrin!*^) Mutter, Schwester und Lehrerin !**^>)
unter der Bedrängnis der Feinde zu einer Zeit, „da die Menschen
wie Vieh abgeschlachtet werden, die Luft von Leichen verpestet und
von Aasgeiern verdunkelt ist", da denkt er an seine alte Lehrerin *2)
und klagt ihr auch sein Leid, als ein Kind nach dem anderen
von seinem Vaterherzen gerissen ist und ihm keins mehr bleibt^^)
Ihr übersendet er unterstützungsbedürftige Landsleute, für die sie bei
den Behörden ein Wort einlegen soll**), ihr zuerst den Dio und „Über
die Träume"**), um ihr Urteil zu hören, und dann auch die Schrift
über das Astrolabium, während er sie ein andermal bittet, ihm
ein Hydroscopium anfertigen zu lassen.*®)
Der Ruhm aber, den ihre Schüler über den ganzen Orient ver-
breiteten, liefs nicht zu, dafs sie in Alexandrien wegen ihres heidnischen
Bekenntnisses zurücktrat, vielmehr nahm sie hier eine der angesehen-
sten und geachtetsten Stellungen ein, die sie durch Besonnenheit und
Gerechtigkeit sich erworben hatte und weiter erhielt Es waren darum
nicht blofs Heiden, welche zu ihrem Umgangskreise gehörten, sondern
^uch die christlichen Spitzen der Behörden *ö*) versäumten es nicht,
*•) Einen Zuhörer, der sie mit seinen Liebesanträgen verfolgte, brachte sie
^uf diese Weise davon zurück: avzr^v 6e TtQoeveyxa/jiivijv ti t<3v yvvaixelwv
^axdv avxov ßalXofiivrjv xal to avfißoXov iniöel^acav t^g dxad^agvov
yeviaeonq: Tovxov fiswotj <pavai, igäg, cw veavlaxs, xakov 6h ovöevog. Doch
stimmt dieser Zug wenig zu der Sittsamkeit, die ihr nachgerühmt wird.
*•) Volkmann S. ii. Vermählt mit Isidor war sie nie. Vgl. Hoche S. 450.
^ ep. IG.
*») ep. 16, firitfiQ xal äSeXfpti xal StöaaxaXe xal öia navxwv BveQyexixri
oeal ccTiav ort xlfiiov xal ngäyfia xal ovofxa,
») ep. 124. »3) ep. 80.
»*) ep. 33. 80. ") ep. 153.
»•) ep. 15.
••a) Snidas ▼. ^Ynaxla und Socrat. VII. 15. Totg agxovai aanpQOvwg eig
232
ihre Bekanntschaft zu machen und ihren erfahrenen Rat zu hören.
So war auch Orestes in ihr Haus gekommen und zählte, selbst erst
vor kurzem getauft, zu dem hochgebildeten Kreise, dessen Mittelpimkt
die Philosophin war.
Sie war daher einem so fanatischen Bischof wie Cyrill selbst-
verständlich ein Dorn im Auge; wie konnte es ihm auch gefallen,
dafs das Haupt des ägyptischen Landes, der kaiserliche Statthalter,
statt mit ihm, dem Bischof, zu verkehren, ihn vielmehr mied und
desto öfter die Gesellschaft jener Heidin aufsuchte! und noch viel
weniger gefiel es ihm, dafs so viel Volks ihr anhing und anstatt die
Predigten des Patriarchen von Alexandrien anzuhören, ihrem Vortrage
lauschte. In der That mufs man zugeben, dafs es jedem eifrigen
Christen, am meisten aber dem Bischof wohl als schönstes Ziel vor-
schweben konnte, wenn doch die ganze Stadt zu Christo geführt und
ein Herz und eine Seele würde. Aber ein anderes ist der Wunsch,
ein anderes das Mittel zu seiner Erfüllung. Ehrliche und verständige
Christen hielten es gewifs auch damals für richtiger, wenn das Evangelium
durch sich selbst und durch die würdige Haltung seiner Bekenner
sich neue Freunde und empfangliche Herzen erwürbe als durch rohe
Gewalt und Vernichtung des Bestehenden. Von Cyrill aber durfte
man nach seinem ganzen Charakter und den bisherigen Proben des-
selben kein ruhiges Gewährenlassen erwarten.
Schwerlich wird er nun selbst den Befehl zum Morde der stillen
Priesterin der Wissenschaften gegeben haben, doch ist unleugbar, dafs
in seinem Umgangskreise der Name der Philosophin nur mit verbissenem
Groll und Hafs erwähnt wurde, der seinen Höhepunkt erreichte, als
Orestes den Bisqhof gänzlich mied, dagegen seinen Verkehr mit
Hypatia fortsetzte. Es war daher nicht wunderbar, dafs sich in den
geistlichen Kreisen die Meinung verbreitete, Hypatia verhindere allein*'')
eine Aussöhnung des weltlichen und geistlichen Oberhauptes des
Landes, und dem Cyrill fehlte es nicht an Männern, die ihm blind-
lings ergeben waren und seinen Wünschen gern zuvorkamen. Es
waren das die sogenannten Parabolanen^s) (Waghälse), die nicht
") Sociales VIT. 15.
**) Cod. Thcod. hat die Lesarten parabalani und parabaiani; Cod. Just.
I. 3, 17 und 18 libri boni: Parabalanin. Vgl. Mansi VI. S. 827 und Harduinll.
S. 214 im Bericht des Bischofs Basil. v, Seleucia. Diesen !Namen erklärt Hoche
S. 469 auf Grund des Commentars des Gothofr. zu XVI. 2, 42, als gleichbedeutend
mit „Waghälse". Vgl. Neander VI. 4. S. 240. Ihre grofse Zahl hängt sicher-
lich auch damit zusammen, dafs in Alexandrien die berühmteste Schule für Ärzte
in damaliger Zeit war. Ammian. Marc. XXII. 16, 18.
233
»wohl dem geistlichen Stande angehörten, als vielmehr von Priestern
in der Krankenpflege unterrichtete Leute waren, deren Zahl in Alexandria
z^iänfhundert weit übertraf und die gewissermafsen, da sie unter Cyrills
^^ufsicht standen, seine Leibwache bildeten.
Unter ihnen nun verschworen sich einige Heifsspome und an
zmhrer Spitze der Lektor Paulus, dem ihnen anstöfsigen Treiben der
IHeidin ein Ende zu machen^®), indem sie sie ermordeten. Der bösen
^Absicht folgte die blutige That auf dem Fufse. Als Hypatia eines
"Tags aus einem Hause trat*^), stürzten sich die Verschworenen,
^^velche bereits auf sie gewartet hatten, auf die Unglückliche, welche
ixiichts ahnend mit ihrem Gefährt sich weiter begeben wollte, rissen sie
.SLUS demselben heraus, schleppten sie unter dem Zuströmen ihrer
^jenossen und des übrigen Volkes in die Kirche RacOoQiov^^) , ent-
Hdeideten sie hier und töteten sie mit scharfen Muschelschalen^^), die
:lhnen grade zur Hand waren. Nachdem sie sie so zerstückelt hatten,
Tiäuften sie die Glieder an einer anderen Stelle ^3) zu einem Haufen
siuf und verbrannten sie. Diese Blutthat geschah im März des Jahres
-4i5**)i ein ewiger Schandfleck für die Hauptstadt Ägyptens und eine
Schmach für das ganze Reich; denn nicht einen Mann hatte man
-ermordet, der mit tötlichen Waffen gegen friedliche christliche Bürger
gekämpft hatte, sondern eine hülflose Frau, deren einziges Verbrechen
<las Festhalten am alten Glauben und das wohlverdiente Ansehen bei
sillen Gutgesinnten gewesen war.
Wie grofs der Schreck und dann die allgemeine Entrüstung in
<ler Stadt war, können wir, da hier die Berichte abbrechen, nur ahnen,
-saber greifen gewifs nicht zu weit, wenn wir annehmen, dafs Cyrill allgemein
^Is der geistige Urheber des Verbrechens bezeichnet wurde, dafs
<üe Parabolanen sich fürerst nicht in der Öffentlichkeit blicken lassen
<lurften, stürmische Versammlungen von beiden Parteien abgehalten
6») Socrat VII. 15.
^) Die Erzählung des Suidas, dafs Cyrill, als er einst an ihrem Hause
vorübergehend eine grofse Menge von Menschen und Pferden vor demselben
erblickte, gefragt habe, wessen Haus das wäre, und ergrimmt fortgegangen sei,
während Hypatia gleich darauf bei ihrem Heraustreten getötet worden sei,
mufs aus dem Grunde als unrichtig angesehen werden, weil ihm, der seit vielen
Jahren in Alexandrien lebte, das Haus der berühmten Frau nicht unbekannt
sein konnte. Ich schliefse mich daher dem Berichte des Socrates an.
") inl riyv ixxXtjaiav y inmwfxov xaiaaQtov. avvikxovoi.
**) oaxQaxoiq dvsTXov.
*^) inl Tov xaXovfievov xivagdiva,
**) Soor. VII. 15. Vgl. die verkehrte Notiz des Theoph. zu 406 vor
Theophilus* Tod, Cedren p. 336 und Joh. Mal. XIV; auch Clint. Fast. R.
234
nnd Sondergesandtschaften mit widersprechenden Berichten an die
Elaiserin abgeschickt wurden.**) In Constantinopel brachten die sich
häufenden Schreckensbotschaften aus Alexandria einen peinlichen Ein-
druck hervor j um so mehr, als Aurelianus, wie wir aus den früheren
Jahren her wissen, keinen Unterschiekl in Bezug auf die Zuwendung
seiner Gunst zwischen Christen und Heiden machte und zahlreiche
Götteranbeter wie Troilus, würdige Vertreter des Heidentums, in der
Hauptstadt des Orients lebten und lehrten.
Und auch Pulcheria, ohsvohl sie einen streng christlichen Stand-
punkt einnahm, mufste sich doch vor der Staatsraison beugen, die von
allen Bürgern des grofsen Reichs ohne Unterschied Wahrung des
Landfriedens und Schutz aller Glaubensbekenntnisse forderte. Es
wurde daher, um Klarheit in die sich widersprechenden Nachrichten
zu bringen, ein hoher Beamter, Aedesius, nach Alexahdrien beordert
mit dem Auftrage, eine strenge und unparteiliche Untersuchung des
Sachverhalts anzustellen.®*) Bei dem Umfang der vorliegenden That-
sachen unä den vielen Zeugenvernehmungen zog sich sein Aufenthalt
in die Länge, so dafs wir erst aus dem Ende des Jahres 416 eine
Verfügung*'') besitzen, welche das abschliefsende Ergebnis seiner
Thätigkeit gewesen zu sein scheint Es geht aus ihr hervor, dafs
auch Aedesius in den Parabolanen die am meisten belasteten Schuldigen
erkannte und die Möglichkeit einer so fanatischen Überschreitung
ihrer Berufspflichten in dem Umstände erblickte, dafs sie von dem
Bischof von Alexandrien abhängig und in keiner Weise der weltlichen
Kontrolle unterstellt waren. Denn es wurde nunmehr bestimmt, dafs
einmal die Kleriker überhaupt in Zukunft all^n öffentlichen Versamm-
lungen, auch denen der Curialen, fem bleiben sollten, andererseits
wurde die Anzahl der Parabolanen auf fünfhundert beschränkt Auch
wurde der Modus ihrer Wahl dahin geändert**), dafs nicht die Reichen,
welche sich die Stelle erkauften, sondern nur diejenigen der Korporation
beigefügt werden durften, welche vom alexandrinischen Volke selbst
gewählt und deren Namen darauf dem kaiserlichen Präfekten und
•*) Darauf deutet die Verfügung Cod. Theod. XII. 12, 15. 5. Oct 416;
welche anordnet, dafs, wenn eine Gesandtschaft bestimmt wird, alle Curialen
zugegen sein und die gemeinsamen Beschlüsse durch Namensunterschrift be-
kräftigen sollen. Dann wird der prael August, sie prüfen und entscheiden, ob
eine Gesandtschaft abgehen darf oder nicht.
••) Suidas V. ^Ynatla, Vgl. Hochc S. 467.
ö') XVI. 2, 42. 29. Sept. '
^) ita ut non divites et qui hunc locum redimant, sed pauperes a corporatis
pro rata Alexandrini populi praebeantur.
235
durch ihn dem Praefectus praetorio in Constantinopel mitgeteilt worden
wären. Und auch diese durften weder zu irgend einem Schauspiel
noch zu Versammlungen und vor Gericht gehen, ausgenommen die-
jenigen, welche eine besondere Veranlassung dazu verpflichtete, und an
die Stelle der Zuwiderhandelnden oder Gestorbenen konnte der Präfekt
yoD. Ägypten selbstständig neue Mitglieder ernennen. Von den anderen
Strafen, die gewifs eine ganze Reihe von Klerikern und Laien nach
peinlicher Untersuchung getroffen haben wird, ist uns leider nichts
berichtet; es ist nur eine Notiz noch bemerkenswert, welche darauf
deutet, dafs auch Aedesius^^) der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht
wurde, von dem wir natürlich nicht entscheiden können, ob er ihn
mit Recht oder Unrecht traf.
Jedenfalls ist so viel sicher, dafs der Einflufs Cyrills, wie sehr
auch seine Person durch alle diese Vorkommnisse blosgestellt war, in
den nächsten Jahren bereits wieder zu steigen begann, wofür wir den
schlagendsten Beweis in einer Verordnung ''ö) Pulcherias haben, welche
die obige in der Weise änderte, dass die Zahl der Parabolanen auf
sechshundert, von Cyrill selbst aus den Gewesenen Ausgewählte erhöht,
die ganze Körperschaft dem Geschäftskreis des Statthalters entzogen
uiid dem Bischof von neuem völlig unterstellt wurde.''*)
So wurde der Anfang der Regententhätigkeit der jugendlichen
Augusta gleich durch bedauernswerte Ereignisse und Sorgen be-
schwert, doch fehlte es in denselben Jahren nicht an erfreulichen
Anlässen. Das Jahr 415 brachte am 24. Oktob. die Nachricht ''2),
dafs Athaulf, einer römerfeindlichen Partei unter seinen Gothen und
der Privatrache zum Opfer fallend, in Barcelona ermordet war, welche
in Ostrom als Triumph der gemeinsamen Reichsinteressen durch
Illumination und am folgenden Tage durch Circusspiele gefeiert wurde,
während das nicht minder wichtige Ereignis von der Gefangennahme
und Verbannung des zum zweitenmale von Athaulf in Gallien zum
Imperator erhobenen Attalus erst am 28. Juni 416 ''3) in Constantinopel
officiell bekannt wurde. Auch diese Meldung gab zu Circusspielen
•<*) Suidas v.^Ynaria: xal 6 ßaaiXevq riyavaxxriaev iitl tovtfp, sl
fifj Alöiaioq iSwQoöoxi]^, xal twv fxhv a^ayscov ä(peLXsxo rriv noivi^v, 6^'
havtbv 6h xal yevog tb d(p* iavxov tavtr^v aitBOTtacaro, Mir erscheint diese
Stelle daher bedenklich, weil auch in Bezug auf den Mord der unbekannte Autor
offenbar parteiisch berichtet.
w) Cod. Theod. XVI. 2, 43. 3. Febr. 418. .
^^) ita ut pro arbitrio viri reverendissimi antistitis Alexandrinae urbis etc.
sescenti parabalani . . eligantur.
''') Chron. Pasch. Vgl. Prosp. Aquit. Tiro Pr.
'*) Chron. Pasch, zu 416.
236
Veranlassung, welche am 7. Juli ihren Anfang nahmen. Aber auch
Feste geistlichen Inhalts bot diese Zeit den kaiserlichen Geschwistern
in der Einweihung der bei den Wirren, welche die Absetzung des
Johannes Chrysostomus herbeiführte, verbrannten und neu erbauten
Hauptkirche ''^) der Stadt und in der feierlichen Einholung der auf-
gefundenen Gebeine des Joseph, Jacobs Sohn, und Zacharias, des
Vaters Johannes des Täufers, welche Atticus und der Bischof Moses
von Antaradus in Phoenicien in grofser Procession von der Landungs-
treppe des Chersonnesus in die grofse Kirche überführten, geleitet
von dem Stadtpräfekten Ursus'^^) und dem ganzen Senate.
Drittes Kapitel.
Die Ereignisse in Westrom bis zum Jahre 421. — Emporkommen des Constantius.
— Sein Äufseres und Charakter. — Durch Athaulfs Tod wird Placidia frei
und von Wallia zurückgegeben. — Ihre Vermählung mit Constantius i. Jan. 417.
— Geburt Valentinians. — Erhebung des Constantius zum Mitregenten 421. *>
Er wird in Ostrom nicht anerkannt. — Zu derselben Zeit Ausbruch eines Krieges
mit Persien. — Das Christentum in Persien seit dem 4. Jahrhundert. — Die
diplomatischen Sendungen des Bischofs Maruthas. — Fanatismus des Abdas,
Bischofs von Ktesiphon. — Christenverfolgung in Persien. — Die Märtyrer
Hormisda, Jacob und Benjamin. — Beginn der Feindseligkeiten. — Pulcheria
sucht eine Gemahlin für Theodosius. — Athenais, Tochter des Leontius, aus
Athen wird von Pulcheria und Theodosius auserwählt und getauft. — Vermählung
421, 7. Juni. — Tod des Constantius. — Krieg mit den Persern. — Ardaburius,
römischer Feldherr. — Friede 422.
Hatten Pulcheria und ihr Berater Monaxius^), welcher den
Aurelianus in der Führung der Präfektur des Orients ablöste, gehofft,
das friedliche Einvernehmen, welches mit dem weströmischen Reiche
seit Arcadius Tod und dem persischen schon seit Theodosius I.
statt gehabt hatte, noch weiterhin erhalten zu sehen, so traten doch
■'*) Marcell. Com. Chron. Pasch..
") Ursus war §tadtpräfekt 415, Cod. Theod. VI. 23, i, XVI. 5, 57; und
416. XII. I, 180.
*) Er erscheint schon falschlich neben Anthemius 414, Cod. Theod. XIII.
3, 16; 415 gar nicht, 416 dagegen mehrfach; er blieb nachweisbar in seiner
Stellung bis zum 24. Sept. 419. IX. 40, 24; doch ist aus 420 und 421 wegen des
Perserkrieges nur eine Verfügung aus Ostrom erhalten, so däfs eine ausreichende
Sicherheit für jenen Termin fehlt.
^37
Ereignisse ein, deren Abwehr nicht in ihrer Hand lag, und welche
nach Westen hin nur vorübergehend, nach Osten zu aber auf längere
Zeit den Friedenszustand trübten.
In Westrom 2) nämlich wäre die Sache des Honorius niemals
mit so günstigem Erfolge geführt worden, hätte dieser unthätige Kaiser
nicht einen Mann gefunden, der, ein zweiter Stilicho an Energie und
Umsicht, dem sinkenden Reiche gegen die Westgothen und Tyrannen
noch einmal zum Siege verhalf. Dieser General, Constantius mit
Namen, war aber in allem übrigen das gerade Gegenteil des hoch-
herzigen Vandalen; denn G>nstantius war ein Römer 3) von altem
Schlage, gebürtig aus Naissus in Illyricum^), und hatte im Gegen-
satze zu dem einstigen Retter des weströmischen Reichs neben dem
Wohle seines Kaisers und Vaterlandes vor allem den eignen Vorteil
im Auge, zu dem sich in den späteren Jahren Eigennutz und Hab-
sucht gesellten, welche ihn früher nicht verunzierten.^) Sein Äufseres
war keineswegs einnehmend; er hatte ein stets finsteres, unschönes Gesicht
mit grofsen, listig hin- und herschielenden Augen imd einen breiten
Kopf, welcher sonst stolz emporgetragen, wenn er zu Pferde safs, den
Bewegungen des Tieres folgte und vomübemickte ; aber bei der fröh-
lichen Tafel taute er auf, und es gab dort keinen angenehmeren
Gesellschafter als diesen Offizier, welchen man wegen seiner körperlichen
Eigentümlichkeiten allgemein des Strebens nach der Tyrannis wohl
fähig erachtete.^)
Noch eins machte ihn einer grofsen Partei im Reich lieb und
wichtig, das war seine orthodoxe Glaubensrichtung, von der er bald
einen unverfälschten Beweis dadurch lieferte, dafs er durch die Ver-
werfung der störenden Lehre des Pelagius den kirchlichen Frieden
in Africa wiederherstellte.'') Er konnte in unserem Zeitabschnitt nicht mehr
jung sein, da er bereits untei Theodosius I. hohe Würden bekleidet
hattet); doch trat er erst 411 als comes durch die Vernichtung der
*) Vgl. für diese Verhältnisse v. Wietersheim S. 167 und 184 ff.
*) Orosius VII. 42, 2 : sensit tone demum respublica et quam utilitatem in
Romano tandem duce receperit et quam eatenus pemiciem per longa tempora
barbaris comitibus subiecta tolerarit.
♦) Olymp, frgm. 39.
*) Ebend.
«) frgm. 23.
'') Orosius VII. 42, 16. quod in bis diebus praecipiente Honorio et adiuvante
Constantio pax et unitas per universam Africam ecclesiae catholicae reddita est.
Vgl. Prosp. Aquit. 413 und 418. Neander VI. 4. S. 330 ff.
*) Olymp, frgm. 39.
Usurpatoren Constantinus und dessen Sohn Constans in Arelate in
den Vordergrund des politischen Lebens,*) Diese rühmliche Waifen-
that trug ihm die höhere Stellung eines kommandierenden Generals
ein^^) (magister utriusque miiitiae), in welcher er bereits 412 erscheint,
und der 414^*) ein höherer Glanz durch sein erstes Consuiat ver-
liehen wurde, dessen kostspielige Feier er aus dem Nachlafs des ge-
stürzten Gebieters von Africa Heraclian herrichten konnte. Das nächste
Ziel, welches er seinem Heere gesteckt hatte, war die Vertreibung
des Westgothen Athaulf vom Boden Galliens, gegen den ihn aufser
dem Staatsvorteii noch ein persönlicher Grund antrieb; denn nicht
minder als der Westgothenkönig hatte Constantius auf die Hand der
gefangenen Placidia gerechnet, um durch ihren Besitz auf rechtlichem
Wege den höchstbegehrten Preis, die Kaiserkrone, zu erreichen. Das
Glück schien ihm über die Mafsen günstig, da ihm nicht nur der
von den Gothen aufgegebene Attalus in die Hände fieH'^), sondern
Placidia auch durch die Ermordung ihres Gemahls, ohne Erben zu
hinterlassen, frei wurde und von seinem zweiten Nachfolger Wallia
nach dem Wunsche des sterbenden Bruders durch Vermittelung des
Magistrianen Euplutios dem Honorius zurückgegeben wurde. ^^)
Der Patricius Constantius — denn in dieser Würde befand er
sich 416 1*) — hatte seinem kaiserlichen Herrn so wesentliche Dienste
geleistet, dafs aus dem Schiffbruch, welchem das Staatsschiff unter
der Wucht der Angriffe von Seiten der Germanen und zahlreicher
Thronräuber entgegenzueilen schien, nicht unwichtige Trümmer gerettet
waren; denn hörte auch in Britannien die römische Herrschaft in Wirklich-
keit auf und war Spanien ein Spielball germanischer Stämme, so war doch
Gallien zum gröfsten Teil durch Constantius Tapferkeit noch römische
Provinz und gab Africa der Hauptstadt Rom und Italien alljährlich
wieder regelmäfsig das Brodkorn. Was lag daher für den schwachen
Honorius näher, als dafs er dem Drängen desjenigen Generals, welcher
seine einzige Stütze war, nachgab und seine Schwester Placidia, Gallas
Tochter und Justinas, der Gemahlin Valentinians I.^*), Enkelin, die
Witwe Athaulfs, zu einer Vermählung mit Constantius su bewegen
9) Orosius VII. 42, 2. Vgl. Prosp. Aquit. 411. Olymp, frgm. 16.
»0) Cod. Theod. XII. 18, 17.
") Vgl. Prosp. Aquit. Olymp, frgm. 23. und Series chron. const. Cod. f heod.
") Prosper Aquit. Oros. VIII. 42, 9.
1*) Prosp. Aquit. (Vgl. Marc. Com, zu 414). Olymp, frgm. 26.
**) Cod. Theod. XV. 14, 14, Comes et patricius; wie ihn Prosp. Aquit.
bereits 415 nennt.
»») Vgl. Ifland bei G. S. 153 flf.
«39
suchte! £s war für ihn, da das Ostreich doch nicht in der Lage
war, ihn mit ausreichenden Truppen und umsichtigen Fahrern zu ver-
s^en, der einzige Ausweg aus einer sonst dunklen Zukunft
Placidia allerdings, ein stolzes Weib und ihrer Abstanunung ein«
gedenk, vermochte sich fürerst nicht an den Gedanken gewöhnen, von
neuem die Fesseln der Ehe auf sich zu nehmen, aber sie konnte sich
sehliefsHch, mochte sie auch augenblicklich die Macht durch Beherrschung
des Bruders in Händen haben, doch nicht der Frage entziehen, was
denn aus dem Reiche und aus ihr werden solle, wenn Honorius kinderlos,
wie damals schon sicher war, die Augen schliefsen und sie selber
keinen männlichen Erben hinterlassen werde. So legte denn Honorius
ihre widerstrebende Hand am i. Januar 417 ^^) in die Rechte des Consuls
und Patridus Constantius, ein weltgeschichtlicher Augenblick von der
wichtigsten Bedeutung, da aus der Vereinigung dieser beiden derjenige
entsprofs, von dessen Willen und Neigungen das weströmische Reich
bis übet die Mitte des Jahrhunderts abhängig gewesen ist und dessen
Schicksale es geteilt hat. Es entsprangen der Ehe die 418 geborene
Honoria ^''), ein Kind, welches später den reinen Namen des Theodosischen
Geschlechts durch einen schweren Fehltritt für immer beflecken sollte,
und am 2. Juli 419^^) endlich ein Sohn, welcher in Rücksicht auf die
Ahnen der kaiserlichen Mutter Valentinian (III.) getauft wurde. Nach-
dem Constantius mit der Familie seines kaiserlichen Schwagers in so
enge Beziehungen getreten war, zog Honorius, wenn auch etwas wider-
willig, mit Recht aus denselben die letzte Folgerung und gab dem ge-
sunkenen Ansehen des Imparators neue Kraft und neues Ansehen, indem
er den Constantius, welcher 420 zum dritten Male das Consulat be^
kleidete, im Anfang des folgenden Jahres **) zum Mitregenten erhob,
eine Ernennung, die zugleich die Erhebung Placidias zur Augusta und
des Valentinian zum Nobilissimus unverzüglich zur Folge hatte.20)
") Olymp, frgm. 34.
") Ebend.
*■) Aufser Olymp, ebend. Marcell. Com. Prosp. Aquit. Vgl. Theoph. zu 411.
*•) Olymp, frgm. 34. Prosp. Aquit. 420. Idac. chron. Theoph. zu 413.
8. Febr. Wenn Sievers hierzu S. 450 bemerkt , Theophanes meine 421 , so ist
dagegen einzuwenden, dafs die Chronologie des Theoph. überhaupt sehr im
Argen liegt und man zu den von ihm gegebenen Daten bald eine höhere bald
niedrigere Zahl addieren mufs, um zum Richtigen zu gelangen. Vgl. z. B. 406 zu
Hypatiä. Femer beweisen die Verfügungen des Cod. Theod., dafs Constantius
erst 421 zum Augustus erhoben wurde; denn während ihn die Gesetze 420 nieht
erwähnen, findet er sich III. 16, 2. 10. März; X. 10,28, (vgl. Hänel note p.);
zuletzt II. 27, I. 26. Juli 421.
*>) Olymp, frgm. 39. Phüost. XII. 10. Vgl. v. Wietershehn S, 184.
a40
In Ostrom, wo man die Entwickelung dieser Verhältnisse mit
der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgt, hatte, fand das Ereignis
nicht die Billigung der Regentschaft aus einer Reihe von schwerwiegen-
den Erwägungen. Die Absicht des Honoriua im Jahre 408, in den
Orient zu gehen und dort die Regierung zu ordnen, beweist unwider-
leglich, dafs die Einheit des Reiches in den Gedanken der Nachfolger
des Theodosius keinen Augenblick trotz aller trennenden Vorkommnisse
erloschen war. Daher, wäre Arcadius ohne männlichen Erben zu
hinterlassen gestorben, würde Honorius den orientalischen Reichs-
teil ohne weiteres eingezogen und zum Westen geschlagen haben.
Die gleiche Sachlage wäre aber hier eingetreten, wenn Honorius
alleiniger Regent des Reiches geblieben wäre, und Theodosius II.
würde sicherlich ohne Zögern von dem erledigten Reichsteil Besitz
ergriffen und noch einmal, wenn auch in geschmählerter Ausdehnung,
das riesige Römerreich in einer Hand vereinigt haben. Auf den
Eintritt dieser Erwartung hatte man nun in Constantinopel so lange
rechnen dürfen, bis die Ernennung des Constantius erfolgte, durch
welche die Regierung Westroms unwiderruflich an eine andere D3n3astie
gefesselt wurde. Denn war auch Valentinian der Placidia Sohn, so
war doch vorauszusehen, dafs bei längerer Lebensdauer des Vaters
nach dem Tode des Honorius hier ein anderes Herrscherhaus mit
anderen Anschauungen autkommen werde, welchem der Gedanke an
die Reichseinheit immer mehr und mehr verloren gehen würde; um
so mehr, als Placidia wohl desselben Vaters Theodosius, aber nicht
derselben Mutter Tochter war wie Arcadius und Honorius leibliche
Brüder.
Die Regentin Ostroms Pulcheria fühlte sich deshalb im Einver-
ständnis mit ihrem kaiserlichen Bruder (421) nicht in der Lage dem
Gesuche des Constantius zu entsprechen, welcher unter Übersendung
seines Büdnisses der Sitte gemäfs um Anerkennimg des oströmischen
Herrschers und um Aufnahme seines Namens in die öffentlichen Kund-
gebungen des Reiches bat.21) Nach der bis auf den heutigen Tag
geltenden Ansicht wurde diese Zurückweisung aufser als persönliche
Beleidigung zugleich als eine versteckte Kriegserklärung angesehen,
welcher Constantius, wollte er sein eignes Ansehen, die Würde seines
Schwagers und die Zukunft seiner Familie sichern, sich auf keinen
Fall entziehen konnte. Und so schien im Beginn des Jahres 421 das
langjährige Freundschaftsband, welches Ost- und Westrom seit Arcadius
ai
) Olymp, frgm. 39. Fhilost. XIL 10.
241
Tod so innig umschlang, durch einen blutigen Elrieg für immer zerrissen
zu werden.
Nicht minder aber hatte sich im fernen Osten zu derselben Zeit
der politische Himmel verfinstert, an dem die dräuenden Kriegswolken
unabwendbar gegen die Grenzen des Reiches heraufzogen ^i*), welche
wie seit einem Jahrhundert zumeist in dem religiösen Gegensatz des
römischen und des Partherreichs ihre Begründung hatten. Denn
gemäfs der dem Christentum innewohnenden Aufgabe und Kraft, sich
über den ganzen Erdkreis auszudehnen und dem Heiland überall auf
Erden eine Heimat zu bereiten, waren auch zu den benachbarten
Persem frühe die Glaubensboten gekommen und hatten eine fröhliche
Saat gestreut, welche dem Christentum bis zum vierten Jahrhundert
vielfaltige Frucht getragen hatte.22) In jenen Zeiten stand an der
Spitze der bereits stark vertretenen Kirchen in Persien der Bischof
der Hauptstadt Seleucia (Ktesiphon a/Tigris), und es war sogar dahin
gekommen, dafs der erste Magier der Lehre von Zoroaster zum Christen-
tum übertrat und eine wirksame Schrift zur Bekämpfung seines ehe-
maligen Glaubensbekenntnisses veröffentlichte. Eine Verfolgung der
Christen brach erst unter Constantins des Grofsen Nachfolgern 343
aus, als man dem Perserkönig seine christlichen Unterthanen als
geheime Vaterlandsverräter und Verehrer des römischen Kaisers dar-
zustellen wufste, und dauerte mit Unterbrechungen vierzig Jahre.^^)
Mitten in diesen Wirren wirkte der schimpfliche Friede, welchen
Jovian 363 2*) mit den Persern schlofs, und in welchem er aufser
weniger bekannten Orten das alte Nisibis und Singara an die Feinde
abtrat, nur nachteilich auf das Verhältnis der persischen Christen zu
ihrem Herrscher, bis die Ausdauer der Christen in allen Leiden der
Verfolgung Sapor IL bewog Duldung zu gewähren, in derem Schutze
die persischen Bekenner des Nicaenums fast bis zum Anfang des
zweiten Decenniums des fünften Jahrhunderts lebten.
Besonders am Ende der Regierung des Arcadius und in den
ersten Jahren des Theodosius standen die beiden Reiche, wie auch
der erwähnte Handelsvertrag des Anthemius deutlich bezeugt, in den
lebhaftesten und freundschaftlichsten Beziehungen, deren Vermittler
^^ft) Dazu scheint nach der ungenauen Notiz bei Marc. Com. 418 ein Auf-
ruhr in Palästina gekommen zu sein. Vgl. Tillem. note 7. sur Th^odose.
«0 Neander V. 7. S. 155 flf.
") S. 157 flf.
^) Ammian Marc. ed. Gardthausen XXV. 7 , 9. Petebat autem rex . . «
Arzanenam et Moxoenam et Zabdicenam itidemque Rehimenam et Corduenam
cum castellis quindecim et Nisibin et Singaram et castra Maurorum, 12. postea
contigit, ut . . . Artaxata inter dissensiones et turbamenta raperent Parthi.
16
der Bischof Maruthas von Tägrit in Mesopotamien war.^«») Bei den
öfteren Reisen dieses Geistlichen an den persischen Hof war auch der
Ruf seiner aufserordentlichen Frömmigkeit bis zu den Ohren des
Königs Yazdejerd I. gedrungen, der ihn gerne bei sich sah und auf
seinen Rat hörte, und Maruthas wufste sich in dieser vertrauensvollen
Stellung, aus welcher ihn die Magier in der Befiirchttmg, Yazdejerd könne
Christ werden, vergeblich durch mancherlei Veranstaltungen zu verdrängen
suchten, wohl zu behaupten. Er machte alle ihre Anschläge mit Gottes
Hülfe und eigner Klugheit zu schänden und erhielt zur Belohnung
vom Könige die Erlaubnis, überall in Persien KLirchen bauen zu dürfen,
eine Thatsache, an der auch ein erneuter Ansturm der einheimischen
Götzenpriester nichts auszurichten vermochte.
Aber dies einträchtige und für die Ausbreitung der christlichen
Lehre so erspriefsliche Verhältnis wurde noch im letzten Jahre des
wohlwollenden Königs Yazdejerd^*) durch den Fanatismus des persischen
Metropoliten Ab das gestört, der ohne den Unterschied zu überlegen,
ob er auf römischem oder auf persischem Boden sich befinde, gleich
wie man jenseits des Tigris die Götzentempel vernichtete, einen der
Anbetung des Ormuzd geweihten Bau zerstören liefs. Die natürliche
Aufforderung des Königs den Tempel wieder aufzubauen, wies Abdas
mit derselben Entrüstung zurück, wie Ambrosius die Zumutung des
Theodosius, dafs die Mönche von Nicephorium die Bethäuser der
Juden und Valentinianer wieder aufrichten sollten; aber Abdas hatte
nicht einen christlichen Kaiser, sondern einen heidnischen Perserkönig
sich gegenüber, der schon um des gröfseren Bruchteils seines Volkes willen
die Verletzung seines Glaubens nicht ungeahndet lassen durfte. Abdas
wurde getötet und alle christlichen lürchen zum Entgelt vernichtet
und damit nicht genug, begann noch in den Tagen des Yazdejerd
eine Verfolgung, die sein Sohn und Nachfolger Vararam V. von seinem
Vater übernahm und welche über dreifsig Jahre gedauert hat. Es
fehlte auch hier nicht an heroischen Männern, die ihren Glauben an
Christum höher haltend denn Leib und Leben und Geld und Gut
alle Qualen, die ihnen ihre Peiniger erdachten, mit dem hingehendsten
Gleichmut und unerschütterlicher Treue ertrugen. Namen wie die
eines Hormisda, Jacob und Benjamin^') werden unter denMärtyrem
^) Soor. VII. 8. (Zu Maruthas vgl. VI. 15.) Ihm nach ganz kurz Theoph.
zu 406. Vgl. Neander S. 166.
*•) So berichtet Theodor. V. 39. Vgl. Neander S. 167. Doch steht dem
entgegen die Bemerkung des Socr. VII. iS: Sg rovg exei XQiattavovq ovöccfitSg
i6i<6xi]as.
3^) Theod. V. 39. Siehe das Nähere bei Neander S, 167 — 169.
«43
-•juiseres Glaubens immer voranleuchten, wenn auch der Ruf ihrer Aus-
<±lauer und Beharrlichkeit nicht so weit gedrungen ist, als der der
Itleiligen der ersten Jahrhunderte unserer Kirche. Wo anders aber
sollten sich die übrigen hinwenden, welche nicht vorweg ergriffen und
"^7on der Neigung, freiwillig sich dem Tode zu weihen, beseelt waren,
^Is zu ihren westwärts wohnenden Glaubensbrüdem! und viele von
ihnen scheuten den weiten Weg nicht, nach Constantinopel zu wandern
-«nd den Oberhirten Atticus um Hülfe anzugehen.*^)
Bei der ernsten Frömmigkeit, welche Pulcheria und ihren Ge-
schwistern eigen war, war es nicht wunderbar, dafs die Klagen der
christlichen Perser durch den Mund ihres alten Lehrers einen tiefen
^Eindruck auf sie hervorbrachten und ihnen die Erwägung nahe
legten, ob es nicht eine Pflicht gegen den gemeinsamen Himmelskönig
sei, eine blutige Strafe an den Feinden auszuüben, da Gott ihnen
sicher den Sieg verleihen werde. Es waren noch andere Gründe
vorhanden diese Überlegung zu unterstützen, einmal hatten die
Perser den Römern abgemietete Goldgräber trotz aller Aufforderungen
bei sich behalten, sodann aber waren römischen ELaufleuten gegen
den von Anthemius abgeschlossenen Handelsvertrag kostbare Waren
abgenommen worden. Endlich, nachdem die Verhältnisse so auf
die Spitze getrieben waren, forderten die Perser ihre zu den Römern
geflohenen christlichen Unterthanen zurück, welchem Verlangen die
römische Regierung selbstverständlich nicht entsprach. So sah denn
das Jahr 42i*<>) in jeder Beziehung drohend aus und schien dem
oströmischen Reiche eine Reihe schwerer Prüfungen aufzuerlegen.
Und doch gerade in diesen Tagen der Aufregung und Spannung
war es, wo in dem Herzen des jungen Fürsten Theodosius zum ersten-
male die Liebe aufging mit all' ihren Freuden und Leiden ^i) und
unter einer Verkettung von Umständen, wie sie sich romantischer
nicht einem der gewöhnlichen Sterblichen darbieten konnten. Indes
war der Entschlufs des Theodosius zu heiraten keineswegs so zufallig
««) Socr. VII. i8.
2») Ebend. — Goth. bezieht hierauf Cod. Theod. YJL i6, 3. 18. Sept. 420.,
worin untersagt wird den Barbaren verbotene Waren wie Wein, Öl, Salz, 'Eisen,
Getreide, Holz u. a. zu liefern.
^) Marc. Com. erwähnt 420 eine Christenverfolgung in Persien; 421 den
Krieg, womit Chron. Pasch, übereinstimmt, und 422 den Frieden.
3^) Über Eudoxia vgl. W. Wiegand : Eudoxia Gemahlin des ostr. Kaisers
Theodosius II. 1871 und besonders die geistreiche Schrift von F. Gregorovius
Athenais Geschichte einer byzantinischen Kaiserin. Leipzig 1882.
2. Aufl. Eine kurze Bemerkung bei Hertzberg Gesch. Griechenl. III. S. 429 ff.,
über Leontius S. 5i7fF. Vgl. Sievcrs S..431,
i6»
244
wie die Wahl, welche er traf; da ihn zu jenem mannigfiache Gründe
in zwingender Weise nötigten. Denn sowohl ihm wie seiner ältesten
Schwester hatte die Thatsache, dafs die Dynastie vorläufig nur auf
zwei Augen ruhte, schon längst den Gedanken an eine möglichst
baldige Vermählung nahe gelegt, und nur die grofse Jugend des
Kaisers, sodann auch der offenbare Mangel an passenden Persön-
lichkeiten hatten die Ausführung desselben verzögert Aber noch ein
anderer Umstand drängte zur Entscheidung, die Verheiratung des
Constantius in Westrom mit Placidia und die Geburt eines männ-
lichen Thronerben im Jahre 419, obwohl damit nicht gesagt werden
soll, als ob die Furcht, dieser könne noch einmal bei kinderlosem
Tode des Theodosius Herr Ostroms werden, die Absichten des letzteren
beschleunigt hätten; jedenfalls aber war die Geburt des Valentinian
auch für Ostrom ein wichtiges Ereignis, das zu denken gab. Die
Auswahl derjenigen, welche neben Theodosius nunmehr den Kaiser-
thron einnehmen sollte, lag natürlich in der Hand der Pulcheria, der
man es gewifs nicht verdenken kann, wenn sie dabei auch die Frage
in Erwägung zog und berücksichtigte, in wie weit etwa die Erkorene
ihr selbst den beherrschenden Einflufs auf den Bruder und Hof ent-
ziehen könne. Es kam, ihre Entschliefsung zu bestimmen, die schon
mehrfach betonte Unmöglichkeit hinzu, für einen Kaiser in jenen
Jahrhimderten eine nach unseren Begriffen ebenbürtige Ehe zu schliefsen,
und das Beispiel des eignen Vaters, welcher sich bei seiner Wahl
auch mehr durch die Schönheit der Eudoxia einst hatte leiten lassen.
Theodosius erklärte daher seiner Schwester ^2) bald, dafs er weniger
auf den Adel des Blutes als auf den der Gesinnung und vor allem,
wie er mit jugendlichem Feuer hinzufügte, auf eine seltene körper-
liche Vollkommenheit sehen wolle. Pulcheria war damit von Herzen
einverstanden und gab sich in Verbindung mit dem Jugendfreunde
des Kaisers Paulinus, dem Sohne des Kommandeurs der kaiserlichen
Leibwache, die möglichste Mühe, gleichviel ob in der Hauptstadt
oder den Provinzen, das den Wünschen des kaiserlichen Jünglings
entsprechende Ideal zu finden.
Doch, ehe sie es ahnten, führte ihnen ein wunderbares Zusammen-
treffen von an und für sich ganz unwichtigen Vorgängen in der
ehemaligen geistigen Metropolis der Griechen, Athen, diejenige in
die Arme, welche das Geschick zur Gemahlin des neunzehnjährigen
Fürsten bestimmt hatte. Dort lebte in jenen Jahren Leontius^^), einer
3») Chron. Pasch. 420.
33) Gregorovius S. i2flF. Vgl. Olymp, frgm. 28.
I
245
<fieT bekannteren Lehrer der Philosophie an der Hochschule, welcher
meinen Lehrstuhl der Sophistik vielleicht den Bemühungen eines für
mansere Zeit sehr wichtigen Geschichtsschreibers, des Olympiodor, ver-
<lankte und wenn auch kein reicher, so doch jedenfalls ein vermögen-
<ier Mann war.^*) Er hinterliefs bei seinem Sterben zwei Söhne
"Yalerius und Gesius^*), aufserdem eine Tochter Athenais^*) als
"Waisen, und hatte gegen die Erwartung der letzteren, die ihn in seiner
ICrankheit mit der gröfsten Aufopferung gepflegt hatte, nicht alle
Xinder zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt, sondern den Söhnen
alles vermacht, während er in Bezug auf die Tochter die merkwürdige
Äufserung that: „Meiner innig geliebten Athenais sollen nur hundert
Goldstücke zufallen, denn für sie genügt ihr Glück, welches das aller
Frauen übersteigt"
Welche Beweggründe aufser dem von ihm selbst erwähnten,
der einen vernünftigen Vater doch unmöglich allein leiten durfte,
Leontius zu der Enterbung der Athenais gehabt hat, entzieht sich
völlig unserer Kenntnis, genug er starb, und alle Bitten, so inständig
sie auch waren, vermochten nicht das harte Bruderherz gegen die
berechtigte Forderung der Schwester zu erweichen, sie war und blieb
enterbt Zum Glück nahm sich der Verstofsenen ihrer Mutter Schwester
in. Athen an und hielt sie wie ihr eigen Kind, zog auch mit ihr nach
Constantinopel, wo eine andere Tante wohnte, und bestand darauf,
dafs Athenais einen Prozefs gegen die Brüder anstrengte. War
die Fjitscheidung desselben nun zu Ungunsten der Klägerin ausgefallen
oder gedachte sie durch den Kaiser auf diese einzuwirken, jedenfalls
hatten Athenais und ihre Tante eine Audienz bei der Augusta Pulcheria,
um ihr unter Darlegung des Sachverhaltes eine Bittschrift zu über-
reichen.
Die jugendliche Klägerin ergriff dabei selbst das Wort und ver-
stand ihre Gedanken und Klagen in so wohlgebauten Sätzen und so
abgerundeter Form der Kaiserin vorzutragen, dafs diese ergriffen von
der Eindringlichkeit und Klugheit, welche aus ihrer Rede hervorleuchtete,
und der. wunderbaren Schönheit des Mädchens unwillkürlich und un-
widerstehlich zu der Überzeugung gebracht wurde, diese Jungfrau und
keine andere sei diejenige, nach welcher sich das Herz des jungen
M) Joh. Mal. lib. XIV.
'*) Über die Namen vgl. Gregorovius S. 22.
**) Vgl. für das Folgende Chron. Pasch. 420, mit welchem Joh. Mal. XIV.
wörtlich übereinstimmt ; nur nennt Chron. P. den Leontius Heraclitus. Vgl. dazu
Theoph. 41 1 und Cedren p. 337. Niceph. XIV. 23. Zonar. XIII. 23. Über die
Entwickelung der Erzählung von Eudoxia, vgl. Gregorovius S. 62 — 67.
f46
Fürsten sehne. Und in der That war Athenais körperlich und geistig
in einer Weise entwickelt, wie das Menschengeschlecht nicht oft eine
Frauengestalt hervorzaubert; denn man denke sich eine hohe schlank-
gewachsene Mädchengestalty von dem seltensten Ebenmafs der Formen,
mit grofsen sittsam niedergeschlagenen Augen, deren lebhafter Blick
die Schärfe des Geistes ankündigte, mit echt griechischer Nase ohne
starke Ausprägung, das klare Weifs des Gesichtes umrahmt von der
üppigen Fülle blonder Locken, dazu die unnachahmliche einer Königin
würdige Grazie — so stand die Fremde vor ihr wie ein Bild längst
vergangener Zeiten aus den Blütetagen Athens.^^) Aber die Unter-
haltung mit ihr wies bald noch einen anderen Vorzug der Bittstellerin
nach, wie man ihn kaum in ihr vermutet hätte, eine ungewöhnliche
Ausbildung des Geistes und Gemütes, eine seltene Schärfe des Verstandes,
wie ihn nur der fortgesetzte Umgang mit logisch denkenden und geist-
reichen Männern 3^) in der Frauenseele wachzurufen pßegt, so in jeder
Beziehung ein vollkommenes Bild einer eben erblühenden Jungirau.^^)
Sobald Pulcheria sich gefafst und durch Fragen erfahren hatte,
dafs Athenais noch unverheiratet und aus hochgebildeter Familie sei,
hiefs sie die Frauen eine Weile im Audienzzimmer, bewacht von den
Dienern, warten, eilte mit der Bittschrift in der Hand zu Theodosius,
bei welchem sich gerade sein Freund Paulinus aufhielt, und schilderte
ihm das Mädchen in so überschwenglichen Ausdrücken, dafs Theodosius
bat, sie unter einem Vorwande in sein Zimmer zu senden, damit er
sie zusammen mit seinem Freunde aus einem Versteck ungestört be-
trachten könne. Pulcheria that, wie ihr Bruder wünschte, Athenais
trat ein, und auch die hinter den Vorhängen beobachtenden Jünglinge
wurden von ihrem Anblick so fortgerissen, dafs Theodosius von jugend-
lichem Feuer glühend sogleich darauf bestand, die Jungfrau sich zu
vermählen.
Bis hierher führt der romantische Bericht, welcher uns davon
erzählt, wie ein Kaiser, hoch oben von dem Herrscherthrone herab-
stieg und sich mitten aus dem Volk diejenige holte, welche ihm wohl-
gefiel: er beschreibt uns nicht die Gefühle der enterbten, vater- und
mutterlosen Waise, wie ihr in ihrem Elend ein so plötzliches Glück
sich bot; er sagt uns nicht, ob sie zuerst sich noch sträubte daran
^) Vgl. Chron. Pasch.
^) Über die Ausbildutig der Athenais und der damaligen Frauen, vgl.
Gregorovius S, 23 — 28.
^•) Vgl. S. 23 und 76. Gregorovius nimmt an, dafs sie etwa 400 oder 401
geboren war.
I
247
2U glauben, dann aber freudig einwilligte, die Gemahlin eines als so
gutherzig bekannten Fürsten zu werden, das alles überläfst er der
Phantasie eines jeden sich auszumalen und knüpft nur an ein that-
sächliches HindemiSi welches allein der ehelichen Verbindung entgegen
zu stehen schien ^% an den heidnischen Glauben der schönen Athenais
an. Indes das schreckte Theodosius nicht, galt es doch nunmehr
für ihn zweierlei an der Zukünftigen zu gewinnen, für sich ihr
Herz und für den Heiland die Seele, und wo Athenais ein so herr-
licher Preis winkte und in so liebenswürdiger Weise in Aussicht ge-
stellt wurde, da gab sie sich darein abzuschwören, was ihr einst lieb
und teuer, und anzunehmen, was ihr bis vor kurzem verhafst war.
Dem ehrwürdigen Bischof Atticus fiel die angenehme und interessante
Aufgabe zu, die Professorentochter von dem Einflufs der heidnischen
Irrlehre zu befreien und ihren, Geist in die Hallen der ewigen Heils-
wahrheiten einzuführen. Bald schien die schöne Schülerin den Lehr-
inhalt des Dogmas sich in zufriedenstellender Weise angeeignet zu
haben, und so wurde sie durch das Bad der heiligen Taufe endgiltig
von den Folgen des heidnischen Unglaubens gereinigt* 9, welches sie
nach dem Wunsche ihres zukünftigen Gemahls als Eudocia*^), eine
christliche Jungfrau, wieder verliefs.
Da unter solchen Umständen der Beendigung dieser so wunder-
bar entstandenen und märchenhaft klingenden Liebesgeschichte nichts
mehr im Wege stand, so fand die feierliche Vermählung des jungen
Paares bereits am 7. Juni des folgenden Jahres (421)*^) unter grofsen
Feierlichkeiten statt, von denen uns indes aufser den hippischen und
scenischen Festlichkeiten im Cirkus am 10. Juni näheres nicht bekannt
ist. Aber bevor wir an die Würdigung der Thatsache gehen, dafs
ein Theodosius die Athenais freite, müssen wir schon des rechten
Abschlusses wegen noch mit einem Worte der Art gedenken, wie sie
ihren Brüdern für ihr hartherziges Benehmen nach dem Tode des
Vaters dankte. Valerius und Gesius**) waren auf die Nachricht hin,
dafs ihre Schwester den Thron des oströmischen Reiches besteigen
sollte, geflohen und mufsten erst durch Boten ausfindig gemacht und
nach Constantinopel gebracht werden; hier fanden sie bei ihrer Schwester
^^) VgL Gregorovius S. 29 ff.
*^) Chron. Fasch. u. s. w. Socrat. VII. 21. Näheres aber die Taufe erst
bei Nicephor. XIV. 13.
42) Zum Namen vgl. Gregorov. S. 69. Eckhel Doctr. num. VIII. S. i84flF.
wirft ihre und Eudoxia's Münzen zusammen. Sabatier Inscription des monnaies
Byzantines I. S. 108. Euagrius bist eccles. I. 21. und Suidas v. EvSoxia,
*3) Chron. Pasch. Marc. Com. Vgl. Gregorov. S. 72.
**) Chron. Pasch, und die abgeleiteten Quellen,
248
die freundlichste Aufnahme, welche zu ihnen sprach: „Hättet ihr mich
nicht so schlecht behandelt, so wäre ich nie gezwungen worden, nach
Constantinopel zu gehen, und wäre nie Kaiserin geworden. Ihr habt
mir somit die Krone, die mir seit der Geburt bestimmt war, allein
verschafft, denn mein gutes Glück hat euch gegen mich treulos ge-
macht und nicht eure Meinung gegen mich!" So söhnte die Erhebung
der Athenais die Geschwister wieder mit einander aus, von deren
Eintracht und besonders der Gunst der Athenais am besten der fest-
stehende Umstand Zeugnis ablegt, dafs Valerius allmählich bis zum
magister officiorum und gar Consul**), Gesius ebenfalls bis zu den
höchsten Staatsämtem im Laufe der nächsten Jahre emporstieg.**)
Aber hatte denn diese wunderbare Heirat nicht auch für die
übrigen Unterthanen des weiten Reichs noch seine besondere Bedeutung?
Gewifs, denn auf die Vermählung des Kaisers mit der Tochter eines
heidnischen Philosophen durften auch die früheren Glaubensgenossen
derselben stolz sein, wufsten sie doch, dafs neben der äufseren Schön-
heit nicht zum wenigsten der Besitz der hohen Bildung für ihre Wahl
mafsgebend gewesen war, welche allein die Beschäftigung mit den
Schätzen antiker Kunst und Wissenschaft damals zu verleihen ver-
mochte; sie war daher in gewissem Sinne ein Triumph des Heiden-
tums und hat sicherlich nicht wenig auf eine versöhnlichere Stimmung
zwischen den Christen und Gentilen hingewirkt. Aber nicht nur für
diese, sondern überhaupt für alle Unterthanen Ostrom's war die
Heirat ein ebenso wichtiges wie freudiges Ereignis; denn durch
dasselbe war einmal wieder die starke Wand durchbrochen worden,
welche sonst Fürsten und Volk unter Arcadius streng geschieden hatte,
es war einmal wieder dem Volke gezeigt, wie auch jene seiner
fortgesetzt bedürften und die Unsterblichen ohne die Sterblichen
nimmer auskommen können. Endlich warf sich in jenen Tagen wohl
mit Recht die Frage auf, ob der in strengstem Glauben erzogene
Kaiser auf seine eben erst getaufte Gemahlin einen nachhaltigen Ein-
**) Valerius ist uns bezeugt im Cod. Theod. als Com. R. Pr. 425 X. lO, 32;
V. 14, 9; als Com. S. L. 427. X. 20, 17; als Mag. bfF. 435 VI. 28, 8 und VII. 8, i6*
432 ist ein Valerius Consul, wozu Sievers S. 432 bemerkt, dafs er von jenem
gewiCs verschieden sei, obwohl auch in dem für den obigen von S. citierten Gesetze
VII. 8, 16. Val. Mag. ofF. et ex-consule ordinario genannt wird. Dafs er
in dem vorangehenden VI. 28, 8 nicht denselben Titel führt, beweist nichts, da
auch ,patricius* oft weggelassen wird. Mithin war der Bruder der Kaiserin wahr-
scheinlich 432 Consul. Dafür spricht auch die allerdings späte Notiz bei
Nicephor. XIV. 12. Vgl. Gregorovius S. in und 233.
*^) Er wurde nach Chron. P. Prf. pr. Illyr. Doch findet sich dafür kein
Beleg im Cod. Th.
249
iifs ausüben oder ob umgekehrt der Bildungsgang, den Eudoxia
:eiiossen hatte und mit allen seinen Erinnerungen nicht vergessen
J^önnte, am Hofe selbst, von dem bisher Schöngeisterei und Beschäftigung
lit nicht geistlichen Dingen streng verbannt gewesen war, allmählich
äne Umgestaltung hervorrufen werde?
Aber wenn Theodosius diese Ehe schlofs trotz des Kriegslärms,
reicher vom Westen und Osten seines Reiches nach Constantinopel
-Ininüberschallte, so that er es gezwungen durch höhere Erwägungen,
^Dhne etwa die Gefahren, welche ihm aus jenen Gebieten her drohten,
.2SU verkennen; auch lag es nicht in der Art der umsichtigen Pulcheria,
"^chtige Angelegenheiten leichtfertig zu behandeln. So sah denn das
oströmische Reich der Zukunft nicht so unvorbereitet entgegen, als es
siuf den ersten Blick scheinen möchte und mit der Hülfe Gottes, auf
<ien sie und ihr kaiserlicher Bruder stets ihre einzige Hofihung setzten,
gelang es demselben teils durch die Tapferkeit seiner Heerführer teils
±ifo]ge eines unerwarteten günstigen Ereignisses, auf das man vorher
jucht hatte rechnen können, seiner Gegner Herr zu werden.
Die nächste Not drängte von Osten her, wo in den römischen
Grenzlanden, wie merkwürdiger Weise berichtet wird, die dort statio-
nierten Truppen aus näher nicht bekannten Gründen augenblicklich nicht
zur Stelle waren *^); sonst wären Mesopotamien und Osrhoene durch
ihre zahlreichen Reiterregimenter und Armenien durch seine Infanterie ^^)
für den ersten Angriff mehr als gedeckt gewesen. Gleichwohl waren
die Römer die ersten auf dem Kriegsschauplatz, unter der Führung
des Ardaburius**), eines tapferen Feldherm, welcher in seinem Sohne
Aspar seinem Vaterlande einen nicht minder tüchtigen Soldaten er-
zog, nur dafs beide noch im arianischen Irrglauben befangen waren.
Dieser brach zunächst aus dem römischen Anteil Armeniens ^®) in die
persische Provinz Arzanene ein , verwüstete sie und brachte viele
Gefangene ein. Das Schicksal dieser beklagenswerten Perser, deren
") Socr. VIL i8. Vielleicht waren daran schuld der Aufstand des Plinta
comes 418 oder die Soldatenaufstände 420, von denen Marceil. Com. zu diesen
Jahren spricht. Vgl. Tillem. note 7 sur Th6odose.
*«) Notitia Dign. ed. O. Seeck cap. XXXV. XXXVI. und XXXVIH.
*^) Socr. VII. 18. ip^aaaq o Q(OfAal(ov ßaaiksvg dnoaxiXXei fiSQixrjv
övvafjiiv, ^g rJQx^^ ^ atgari^yog ÄQÖaßovQiog, Joh. Ant. 195. Aspar wird
Arianer genannt bei Theoph. zu 452 und Cedren p. 347. Dessen Sohn hiefs
wieder Ardaburius. Priscus frgm. 20 und Suidas v. SsßijQiavog. 427 war
Ardaburius Consul. Vgl. Sievers S. 483 S, und Series chron. Const. Cod. Th.
^) Aufser Socrates a. a. O. berichtet noch über den Perserkrieg Theophan.
zu 418 und Cedren p. 337. Zu Arzanene, das Cassiodor Hist. trip. XI. 15 Azanene
und Theophanes Arzane nennt, vgl. Kiepert S. 79.
250
Erhaltung wegen ihrer Anzahl dem römischen Feldherm nicht möglich
war, wäre wahrscheinlich ein langsamer Hungertod gewesen, hätte sich
hier nicht der Bischof Acacius der römischen Grenzstadt Amida ins
Mittel gelegt und durch sein nachahmungswertes Beispiel einen Beweis
von der Opferwilligkeit der Geistlichen dieser Periode gegeben, wie
man das Wort des Herrn von der Liebe gegen den Feind auch
durch die That beherzigen könne. Dieser heilige Mann scheute sich nicht
seinen Klerikern vorzuschlagen ^i), dafs die goldenen und silbernen
Kirchengeräte veräufsert würden, um jene Unglücklichen loszukaufen
und mit den nötigen Lebensmitteln zu versehen, ein Vorschlag, welcher
die allseitige Zustimmung derselben fand und zur Verwunderung des
Perserkönigs auch wirklich ausgeführt wurde.
Inzwischen rückte der persische Feldherr Narsaeus heran, um
die Römer zu vertreiben, wurde aber von Ardaburius aufs Haupt ge-
schlagen.^'"^) Dennoch beschlofs Narsaeus, nachdem er sein Heer von
neuem gesammelt hatte, durch Mesopotamien in die schutzlosen
römischen Provinzen einzufallen, aber auch dies Unternehmen schlug
fehl, da Ardaburius schleunigst aus Arzanene herangerückt war. Beide
Heere trafen in der Nähe der persischen Grenzstadt Nisibis aufein-
ander; da richtete Narsaeus an den Ardaburius, wie einst die Gimbem
an Marius das Ansinnen, Ort und Zeit zu einer Entscheidungsschlacht
zu bestimmen, allein Ardaburius wies es stolz zurück, und beide Völker
zogen neue Verstärkungen an sich. Doch scheinen die Perser zunächst
sich zurückgezogen haben, da es den Römern möglich war, sie in
Nisibis mit Holztürmen und Mauerbrechern regelrecht zu belagern und
selbst die Hülfe, welche den Eingeschlossenen von Aufsen gebracht
wurde, ohne Erfolg zurückzuwerfen. Da rief .der Perserkönig zu seiner
Unterstützung die nomadenhaften Reitervölker der syrisch-arabischen
Wüste unter ihrem Könige Alamundarus herbei, der, ein edler,
kriegerischer Mann, mit unzähligen Schwärmen der Sarazenen erschien
und Vararam verhiefs, er werde ihm bald die Römer als Gefangene
und das reiche Antiochia erobert übergeben. Aber sein stolzes Wort
war zu früh gesprochen, denn, wenn wir auch nicht mjt dem
Kirchenhistoriker Socrates, der uns hier als alleinige Quelle vorliegt,
ein Wunder annehmen können, so steht doch soviel fest, dafs die
Sarazenen durch ein elementares Ereignis ^3) beim Übersetzen über
*^) Socrat. VII. 21; 6 d^eag ijfKov ovts öLaxmv ovxe noxriQifov /(»jJS«.
ovxB yag iad-iei ovra nivei, inel fitj jtQogösijg iativ,
*2) Socr. VII. i8.
^') Sollte sich hierauf beziehen, was Theodoret V. 37 zum Perserkrieg be-
richtet? und wohin gehört die Belagerung von Xheodosiopoli^ ebend«?
251
en Euphrat so grofse Verluste erlitten, dafs sie den Zug auf-
^^ebend schleunigst wieder unokehrten. Dennoch hatte die Nachricht,
<3ars der Perserkönig sogar mit Elephanten heranziehe, die Folge, dafs
cüe bestürzten Römer ihre Belagerungsmaschinen in Brand steckten und
£iuf die Einnahme von Nisibis verzichteten.
Inzwischen langten die Verstärkungen des römischen Heeres
^unter dem General Areobind^^), einem Gothen, an und gaben dem
Kriege wiederum eine günstige Wendung, der übrigens aufser durch den
oben erwähnten Antrag des Narsaeus an Ardaburius auch dadurch
«in antikes Gepräge erhält, dafs Areobind im Zweikampfes^) einen
übermütigen Perser, der ihn herausgefordert hatte, mit der Schlinge
-vom Pferde gerissen und getötet haben soll. Jedenfalls neigte sich
durch die Vernichtung von sieben persischen Feldherrn durch Ardaburius
im Hinterhalt und die Besiegung der Sarazenen durch den Vitianus
der Sieg entschieden auf die Seite der Römer, wovon die Nachricht
infolge des trefflich eingerichteten Kourierdienstes sehr schnell in
Constantinopel anlangte (6. Sept. 42 i).s<*)
Doch bevor der endgiltige Friede mit den Persem abgeschlossen
wurde, lief eine andere Nachricht ein, welche Pulcheria und Theodosius
von einer schweren Sorge und Verantwortung befreite. Denn, wie
oben erwähnt, begann Constantius, dessen Erhebung zum August von
der oströmischen Regierung nicht anerkannt worden war, ernstlich zu
rüsten, um seiner Stellung durch einen Krieg mit Ostrom den nötigen
Rückhalt zu gewinnen; aber mitten in den Vorbereitungen dazu ent-
rifs ihn eine Krankheit der Lunge nach kaum viermonatlicher Herr-
schaft s**) seinem thatenreichen Leben, auf das Honorius und seine
Schwester Placidia die weitgehendsten Hoffnungen gesetzt hatten. Nun
5tand Honorius wieder schutzlos da, imd im Falle seines Todes war
es um sein Reich schwach bestellt, denn selbst, gesetzt Theodosius
würde den Valentinian als Kaiser anerkennen, so fehlte Westrom
•*) Socr. VIT, 18 und vgl. Sievers S. 485. Areobind war 434 Consul.
") Socr. a. a. O. Vgl. Cedren p. 337, der ihn comes foederatorum nennt.
Ausführlich wurde der Zweikampf bei Joh. Mal. XIV. beschrieben, doch ist der
Krieg, in welchem er hier erwähnt wird, wahrscheinlich ein späterer.
56) Über die Schnelligkeit der Läufer vgl, Soc. VII, 19. Der hier erwähnte
Courier Palladius wird auch während des Concils in Ephesus von Theodosius
als Eilbote verwandt Harduin. Concil. coli. I. p. 1565. Er heifst hier magistrianus.
— Das Datum bringt Chron. Pasch.
^A) Olymp, frgm. 34. Prosp. Aquit. 421. Idac. ebenfalls, doch fälschlich
im 3. Consulat (420.) Nach Theoph. im Jahre seiner Erhebung am 2. September.
Ganz verkehrt Tiro Prosp. 423. dignitas — qua vix octo menses usus interiit.
Vgl. Philost. XII. IG. Constantius Münzen vgl. bei Eckhel S. 175.
252
immer noch die starke Hand, deren es so sehr bedurfte. Für Ostrom
freih'ch war dies Ereignis wieder eine Gabe des Geschickes, för die
Theodosius Gott gewifs nicht genug danken zu müssen glaubte; es
gewährte ihm im Osten freie Hand und eröffnete für die Zukunft die
Möglichkeit, entweder noch einmal das weite Römerreich in einer
Hand zu vereinigen oder doch wenigstens einen mafsgebenden £in-
flufs auf die Westhälfte auszuüben.
Trotz des günstigen Wechsels in den politischen Verhältnissen
wollte der Kaiser, welchem der Krieg bei seiner aufrichtigen Frömmig-
keit stets nur Mittel zum Frieden war und blieb, dem Zerwürfnis mit
den Persem ein Ende machen und schickte daher einen hohen Hof-
beamten Helio*''), welcher späterhin die Würde eines Kanzlers und
Patricius erlangte, zum Kriegsschauplatz mit dem Auftrage Unter-
handlungen anzuknüpfen. In Mesopotamien angelangt, wo die Römer
einen Schutzwall und Gräben aufgeworfen hatten, entsandte er als
besonderen Unterhändler einen sehr redegewandten Mann aus der
Umgebung des Ardaburius Maximinus *8) mit besonderen Aufträgen
an Vararam ab. Diesem erklärte Maximin, er komme nur vom
römischen Feldherm, nicht vom Kaiser, der hiervon nichts wisse, und
bitte um Vorschläge zum Frieden.^') Gern wäre der König auf seine
Anerbietungen eingegangen, aber er fürchtete sich wegen seiner Leib-
truppen, der sogenannten Unsterblichen ^% einen unvorteilhaften Frieden
zu schliefsen, hiefs den Maximinus zunächst bei ihm bleiben und zog
die Unterhandlungen in die Länge. Gleichwohl war er hinterlistig
genug, diese Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff auf die Römer
zu benutzen, welche sich während des Aufenthalts ihres Gesandten
vor jeglicher Gefahr sicher wähnten. Die Perser hatten einen Hinter-
halt gelegt, in welchem sich die Unsterblichen versteckt hielten, um
den überraschten Römern den Rest zu geben, aber im entscheidenden
Augenblick erschien der General Procopius**), fiel seinerseits den
Feinden in den Rücken und bereitete den Unsterblichen den den
Römern zugedachten Untergang.
*') Er war 424 Com. et mag. offic. Cod. Th. I. 8, 3, ebenso 426. VI. 27,
20; 427 patricius et mag. offic. VII. 8, 14. Xin. 3, 18; patricius auch bei Socr.
VI. 24 und Olymp, frgm. 46.
w) 424 Com. S. L. Cod. Th. XI. 21, 3. 426. X. 20, 15.
*») Socr. Vn. 20.
*») Vgl. Suidas v. d^avaxoi: fxvQioi JIbqcwv inlkexroi ovg ÄgSaßovQioq
inl ßsoöoaiov ßccaikiotg 6ii(pd^€iQ€v xal ij<paviaev,
**) Er war 424 mag. mil. per orientem. Cod. Theod. VII. 4, 36.
«*) Socr. VII. 20. Marc. Com,
253
Nach diesem unglücklichen Verlaufe des Kampfes ^^) sah Vararam
die einzige Rettung in dem sofortigen Abschluis des Friedens, obwohl
er dem Maximin gegenüber so that, als wisse er von jenem Angrift
nichts und wolle ihm persönlich einen Gefallen erweisen; doch sind
wir über die Bedingungen desselben im Unklaren, es scheint, als ob
der Status quo ante von beiden Seiten von neuem anerkannt worden
ist Man kann sich denken, dafs die Friedensbotschaft (422) in den
Herzen des Theodosius und seiner Geschwister den innigsten Dank
gegen Gott hervorrief, der ihnen von neuem einen so wunderbaren
Beweis seiner Gnade gegeben und sie von allen drohenden Gefahren
errettet hatte. Aber sie jubelten nicht allein, denn ihr Beispiel regte
viele zu lobpreisenden Reden an, welche die Thaten des Perserkrieges
verherrlichten, und vor allem fand die jugendliche Gemahlin des Kaisers
gleich im Anfang ihrer Ehe in denselben einen würdigen Gegenstand,
in dem sie ihre grofse poetische Begabung in heroischem Versmafs
bethätigen konnte.<^3)
Viertes Kapitel.
Geburt der Eudoxia — Verhältnis Placidia's zu Honorius nach dem Tode des
Constantius. — Verbannung der Placidia mit ihren Kindern in den Orient. —
Honorius stirbt 15. Aug. 423, — Geheime Mafsregelh des oströmischen Hofes.
— Johannes, primicerius notariorum, wird in Italien zum Kaiser erhoben. —
Seine Gesandtschaft nach Constantinopel. — Ardaburius, Aspar und Candidian
werden gegen ihn geschickt. — Valentinian zum Caesar erhoben. — Des Arda-
burius unglückliche Expedition zur See und Gefangennahme. — Aquileia genommen.
— Ardaburius und Aspar siegen durch Verrat. — Johannes wird hingerichtet.
Valentinian wird von Theodosius in Rom zum August ernannt 23. Oktob. 425.
— Sieg über die hunnischen Hülfsvölker. — Fürsorge des Theodosius für Illyrien.
— Aufserordentliche Besteuerungen werden notwendig. — Professoren und Arzte
unter den Kaisem. — Die Gründung der Universität Constantinopel.
Das Jahr 422 brachte Theodosius, vielleicht noch vor dem Ab-
schlufs des Perserkrieges, ein anderes freudiges Ereignis, die Geburt
einer Tochter, welche wie die Enkel in diesen Zeiten gewöhnlich nach
ihren Grofsvätem benannt wurden, im Andenken an die Mutter des
Kaisers in der heiligen Taufe den Namen Eudoxia^) empfing. Zwar
^) Socr. Vn. 21. Gregorovius, welcher S. 251 if. von den Dichtungen der
Kaiserin handelt, erwähnt diese Nachricht nicht, obwohl der ganze Zusammen-
hang bei Socr. darauf hinweist, dafs ihr der Sieg über die Perser Veranlassung
zum Dichten gab.
*) Marc. Com. Vgl. Chron. Pasch, zu 421. Socrat. VH. 44. Euagrinsl. 20.
Sievers S. 431.
«54
war dadurch die Hofinung auf den erwarteten Thronerben wieder
in die Zukunft gewiesen, dennoch war gewifs die Freude über die
Geburt im Kaiserpalast zu Constantinopel allgemein, und wer eine
kühne Phantasie besafs, weissagte der kleinen Prinzessin wohl die
Kaiserkrone, ohne zu ahnen, dafs dieser Traum sich einst verwirklichen
sollte. Jedenfalls fafste Eudoxia dadurch immer mehr festen Fufs in
der Familie des Theodosius, in welche sie verhältnismäfsig doch fremd
eingetreten war, und so konnte ihr nun nicht länger der Titel der
Augusta entzogen werden, welchen vor ihr alle Kaiserinnen getragen
hatten. Er wurde ihr am 2. Januar*) des folgenden Jahres zu teil,
doch änderte diese Erhebung vor der Hand nichts in den Zuständen
am Hofe, wo Pulcheria nach wie vor das entscheidende Wort sprach,
während ihr kaiserlicher Bruder nur seinen Namen zu den Rescripten
hinzufügte.
Lenkte so thatsächlich eine Frau, wenn auch mit männlichem
Sinn ausgestattet, das weite Gebiet des östlichen Römerreichs, so
entwickelten sich die Verhältnisse im Occident derartig, dafs wenige
Jahre später auch dieser den Geboten eines Weibes gehorchte.^) In
Westrom nämlich führten die nächsten Jahre nach dem Tode des
Constantius äufserst wichtige Veränderungen herbei, welche das Ost-
reich lebhaft in Spannung versetzten und schliefslich stark in Mitleiden-
schaft zogen. Infolge des Verlustes ihres Gemahls hatte sich Placidia
wie natürlich zunächst auf das Engste an ihren Bruder angeschlossen,
welcher ihr auch Mitgefühl und die wärmste Liebe entgegenzu-
bringen schien.*) Allein wie so oft die vertrautesten Verhältnisse, eben
weil sie zu vertraulich geworden sind, in argen Hafs, Mifstrauen und
grimmige Feindschaft umschlagen, so trat auch plötzlich hier eine auf-
fallende Kälte zwischen den Geschwistern ein, für welche der Grund
in persönlichem Zwist gesucht werden mufs; doch wissen wir über ihn
nichts Näheres, als dafs zwei Frauen in der Umgebung Placidias,
Spadusa**) und ihre ehemalige Amme Elpidia, den Streit schürten,
worin sie von dem Haushofmeister der Augusta Leonteus eifrig unter-
stützt wurden. Es war also eine Kabale, wie sie so oft an Höfen
auftritt, zumal an solchen, wo die Herrscher schwach sind und die
Macht in den Händen von Frauen oder Eunuchen liegt.
') Chron. Pasch.
8) Vgl. V. Wietersheim IL«- S. 184.
*) Olymp, frgm. 40. Vgl. Sievers S. 451.
**) Hansen de vita Aetii diss. Dorpat. 1840, vermutet S. 26. Anm. 46.,
dafs Sndöovaa gleich bedeutend sei mit der von Prosp. Aquit. 430 erwähnten
Gemahlin des Felix Padusia.
255
Hier aber blieb sie nicht auf die Palastmauem beschränkt, sondern
^land noch auf der Strafse Wiederhall und blutigen Austrag; denn
SLUch Piacidia hatte durch ihre Vermählung mit Athaulfnoch immer
.Anhang unter den Soldaten gothischer Abstammung und nicht minder
<:3urch die Heirat mit Constantius, welcher die Zuneigung des ganzen
lE^eeres genossen hatte, unter den römischen Truppen. Es kam daher
^u manchem heifsen Zusammenstofs zwischen der Leibwache des
Honorius und den Parteigangern seiner Schwester, welche nicht ohne
gefährliche Verwundungen hüben und drüben abging. Der Zwist
2swischen den Geschwistern erreichte endlich, geschürt von der-
jenigen Partei am Hofe, welche am liebsten den Valentinian und
T^lacidia von der Nachfolge auf dem Thron verdrängt hätte und zu
<ler auch der General Castinus gehörte, den Grad von Feindschaft,
<iafs Honorius die Augusta samt Honoria und Valentinian wie eine
politische Verbrecherin ihrer Titel beraubte und aus seinen Landen
verwies.*)
So mufste die jüngste Tochter des grofsen Theodosius<^), welche
schon in den Jahren, welche sonst die schönsten des Lebens sein
sollen, das schwere Geschick barbarischer Gefangenschaft in den
Gebieten getragen hatte, welche ihr Vater mit dem Blute seiner Tapferen
den Tyrannen wieder abgewonnen hatte, noch im reiferen Alter, wo
sie dem Throne bereits so nah gewesen war, mit ihren unmündigen
Kindern heimatlos über das Meer irren, um im fernen Orient in
Constantinopel, wo auch ihre Wiege gestanden, um freundliche Auf-
nahme zu bitten. Aber sie war nicht ungetröstet, denn ihr kam gewifs
ins Gedächtnis, wie ihre eigene Mutter in Begleitung der Justina einst
vor dem Tyrannen Maximus in den Orient geflohen war und hier
nicht nur eine bleibende Stätte, sondern sogar die Krone der Augusta
gefunden hatte ''), und aufserdem wufste sie, dafs sie eine starke Partei,
welche ihr wohlwollte, im Westen zurückliefs. Wenigstens einer von
den Grofsen, Bonifacius, der tapfere Verteidiger Massilias gegen Athaulf
und jetzt Statthalter der wichtigen Provinz Africa, blieb ihr in uner-
schütterlicher Treue ergeben 8), wovon die Geldsendung, welche er
ihr damals zufliefsen liefs, und seine sonstige Bereitwilligkeit ein un-
verkennbares Zeugnis ablegten.
In Constantinopel fand die Augusta von selten des Theodosius,
*) Olymp, ibid. MarceU. Com. giebt die Zahl, aber unrichtig in Bezug auf
die Namen der Kinder. Vgl. Olymp, frgm. 46, Tiro Prosp., Cod. Theod. I. 6, 1 1
V. 6. Aug. 423.
•) Vgl. Sievers S. 447.
7) G. S. 153.
^) Olymp, frgm. 21 und 40. Vgl. Marc. Com. zu 422 und Sievers S. 450.
256
seiner Gemahlin und seiner Geschwister, trotz der Nichtanerkennung
des Constantius eine angemessene Aufnahme, während Honorius ganz
in den Händen seiner Günstlinge verblieb. Da auch Placidia gleich
ihrem Gemahl zuletzt eine Beschützerin des orthodoxen Bekenntnisses
gewesen war, so konnte sie sich in das eintönige, halb klösterliche
Leben des Hofes am Bosporus und in die Persönlichkeiten der Eudoxia,
Pulcheria und ihrer Schwestern leicht hineinfinden, denen sie in dem
Palaste, welcher ihr eingeräumt wurde und nachmals ihren Namen
trug^), auch räumlich nahe blieb.
Aber das Ereignis, auf welches Theodosius durch Placidia schon
vorbereitet war, der Tod des Honorius an der Wassersucht, trat früher
ein, als man erwartet hatte, wenige Monate nach der Ankunft der
Flüchtlinge in Constantinopel am 15. August 42 ^A^) Es ist hier nicht
die Aufgabe, den Thaten oder Unterlassungssünden dieses entarteten
Sohnes des Theodosius ein endgiltiges Urteil zu sprechen, seine
unmännliche Schwäche und sein Mangel an Einsicht sind indes mehr-
fach auch in unserer Darstellung aufs deutlichste hervorgetreten und
beweisen, dafs jene Anekdote ^>), nach welcher er auf die Nachricht
von der Einnahme Roms durch Alarich verwundert ausrief: „Sie hat
aber doch eben erst Futter aus meiner Hand genommen!'' und dann
von dem Eunuchen belehrt, dafs nicht seine Henne Roma, sondern
die ewige Stadt gemeint sei, weniger erschreckt geantwortet habe:
„Ach so, ich glaubte, du meintest das Huhnh' wenigstens gut erfunden
ist, falls sie nicht auf Wahrheit beruht Für Ostrom aber war das
Hinscheiden dieses Fürsten, der kinderlos starb, ein Ereignis von der
höchsten Bedeutung, da Theodosius ohne Frage der einzige erbbe-
rechtigte Angehörige des Verblichenen war, und noch einmal sollte
sich also in der Hand eines Mannes fast das ganze ehemalige
Römerreich vereinigen.
Schwerlich hatten Theodosius und seine Beraterin Pulcheria von
vornherein die Absicht, den westlichen Anteil der Leitung eines anderen
anzuvertrauen, sondern zunächst nur den festen Entschlufs, sich das
zugefallene Erbteil auf keinen Fall entwinden zu lassen. < 2) Wären
^ Notitia urbis CP. ed. O. Seeck S, 237. Er lag in der zehnten Region.
*®) Das Jahr bei Marc. Com. Prosp. Aquit. (Unrichtig Idac. und Philost. XII.
II.) Das Datum giebt Olymp, frgm. 41 auf den 27. Aug. an, Socrates VII. 22 (und
Theoph.) auf den 15. Aug. Vgl. Sievers S. 451. v. Wietersheim S. 185 hat falsch
subtrahiert.
") Procop. de hello Vandal. I. 2.
1') Dagegen ist nicht anzunehmen, dafs Theodos. noch nach der Nieder-
werfung des Johannes schwankte, wem er das Reich übergeben solle, wie Socr.
VII. 24. meint. Vgl. v. Wietersheim S. 185 ff.
257
Tlacidia und ihre Kinder in Italien geblieben und nicht verbannt
ivorden, wer weifs? ob nicht Valentinian, der Sohn des einstigen Mit-
Tegenten Constantius, und in seinem Namen die Mutter Pladdia ohne
weitere Stöhmgen und auch anerkannt vom oströmischen Hof die
Erbschaft des Oheims angetreten hätte; nun aber, wo sie als Flücht-
linge in Constantinopel Zuflucht gesucht hatten, war ihr Rechtsanteil
mehr als je von der Güte und Entscheidung des Theodosius abhängig.
Indes bei der völligen Verwaistheit des westlichen Reiches und dem
Vorhandensein einer Partei, welche von der Rückkehr der Pladdiä
und einer ihr günstigen Regierung alles befurchten mufste, war vor-
auszusetzen, dafs das Staatsschi£f nicht ohne Unterbrechung der
Fahrt und verhängnisvolle Stürme in den Hafen der Rühe einlaufen
werde.
Die Regierung in Constantinopel machte daher den Tod des
Kaisers nicht sogleich bekannt ^3), sondern schickte, um zu verhindern,
dafs in Illyrien sich Widerstand gegen die Übernahme der Regent-
schaft zeige, heimlich eine starke Truppenabteilung in diese weströmische
Provinz mit dem Auftrage sich des wichtigsten Hafenortes an der
adnatischen Küste, Salonae, zu bemächtigen. Dann erst wurde die
Trauerbotschaft veröffentlicht und eine officielle Landestrauer geboten,
welche sogar dem schaulustigen Publikum der Hauptstadt das Opfer
^ebentägiger Enthaltung von den Vergnügungen im Hippodrom auf-
erlegte.*^) Inzwischen aber lief eine Nachricht ein, welche die Be-
fürchtungen hinsichtlich der Folgen des Todesfalles für das Westreich
nur zu sehr bestätigten. Denn die Hofpartei ^^) , welcher vor kurzem
Placidia hatte weichen müssen und die durch den General' CastinusV^)
eine mäditige Stütze auch im Heere hatte, suchte ihrem voraussicht-
lichen Sturze durch das so oft versuchte Mittel der Erhebung eines
Gegenkaisers zuvorzukommen und fand eine gedgnete und willige
Persönlichkeit in einem hohen Ministerialbeamten, dem Primicerius
notariorum Johannes*''), auf den allerdings in Rücksicht auf den
^3) Socr. VII. 23. Zu Salonae vgl. Mommsen Rom. Gesch. V. S. 184 ff*
") Theoph. zu 415.
^*) Procop. de hello Vand. I. 3.
^^) Prosp. Aquit. 423 : connivente ut putatur Castino. Er hatte 422 unglück-
lich gegen die Vandalen in Spanien gekämpft. Prosp. Aquit. Idac. chron. Salvian.
de gubernat. dei. VII. Vgl. Mannert Gesch. der Vandalen S. 40 ff. Papencordt
Gesch. der vand. Herrschaft in Airica S. 16.
") Aufser Prosp. vgl, Marc. Com, zu 424, Philost, XII. ii, Socr. VII. 23.
Olymp, frgm. 41. Joh. Ant. frgm. 195. und die abgeleiteten Quellen, v. Wieters-
heim S. 186 nennt ihn Oberhofiiotar ; es. war das erst die zehnte Charge in der
Rangordnung des Hofes. Vgl. Not. Dign. Cap. I.
17
«8 .^
gewöhnlichen Ausgang aller Usurpatoren mit mehr Recht das damals
m Umlauf kommende geflügelte Wort: ^Er fallt und steht nicht!"
anzuwenden vrar als die Umkehrung dieses Satzes durch das VolL
Politisch hervorgetreten war der neue Imperator Johannes in den vor-
angehenden Jahren ebenso wenig wie einst der Usurpator Eugenius ^%
der sich in gleicher oder ähnlicher Stellung befiänd und vom Franken
Arbogast nur zum Deckmantel seiner eigenen Herrschaftsgelüste auf
den unsicheren Thron erhoben worden war, auch von seinen persön-
lichen Eigenschaften wissen wir so gut wie nichts, da die Bemerkungen
emes viel späteren Geschichtsschreibers i*), welcher ihn als einen ver-
ständigen, mäfsigen Mann von mildem Gemüt schildert, nur nodt Vor-
sicht aufzunehmen sind. Wie alle Thronräuber zunächst den Versuch
machen, sich von dem rechtmäfsigen Staatsoberhaupt die Anerkennung
zu verschaffen, welche dem Tyrannen Constantinus vor gar nicht langer
Zeit wirklich von dem geängstigten imd übel beratenen Honorius an-
fangs zu teil geworden war, so sandte auch Johannes einige Männer
nach Constantinopel, welche den Mut hatten den heiklen Auftrag zu
übemehmen.2<)) Hier fanden sie und jedenfalls mit besserer Begründung
eine ähnliche Aufnahme, wie sie einst die Abgesandten des römischen
Bischofs von selten der Organe des Arcadius erfahren hatten, denn
sie wurden unter Verletzung der sonst im Völkerrecht üblichen Ge-
wohnheiten als Gefangene behandelt und in verschiedenen Orten der
Propontis als Verbannte festgehalten.
Nach solchen Er£ihrungen war Johannes nicht mehr im Unklaren
über die Absiditen des oströmischen Hofes, er traf daher auch seiner-
seits alle Vorkehrungen zur Abwehr des bevorstehenden Angriffes und
schickte einen gewandten Offizier, den Aetius, zu den hunnischen
Völkern, um möglichst schnell eine Schar von Hülfstruppen herbeizu-
führen. Inzwischen hatte auch Theodosius im Einverständnis mit seiner 2^)
Schwester Pulcheria seinen Entschlufs in betreff der Kriegsföhrung
und des endgiltigen Schicksals der zu erobernden Westhälfte gefafst:
Nicht im Lager aufgewachsen und im Waffenlärm wollte er persönlich,
ebenso wie es Arcadius und Honorius zu thun pflegten, dem Feld-
zuge fem bleiben, obwohl ihn die Anwesenheit der Pulcheria in Con-
stantinopel wohl abkömmlich gemacht hätte; er übertrug daher die
Leitung der Operationen dem bereits aus dem Perserkriege rühmlichst
**) Ausführlich behandelt bei G. S. 214 £f.
*•) Procop. I. 3.
«0 Philost. XII. II. Theoph. 415.
^*) Prosp. Aquit. zu 425. Prosp. Tiro. Ren. Prof. Frig. bei Gregor. Tur.
II. 8, Vgl. Hansen de vita Aetii L S. 31.
«59
bekannten Feldherrn Ardaburius, welchem als Generale sein Sohn
Aspar und Candidian^^^, welcher einst die Heirat der Placidia
mit Athaulf vermittelt hatte und wahrscheinlich mit ihr nach dem
Orient gegangen war, als genauer Kenner der occidentalischen
Verhältnisse und des Terrains beigegeben wurden. Als Trägerin der
kaiserlichen Autorität aber entschlofs sich Theodosins seine Tante
Placidia und seinen jungen Vetter Valentinian mitzusenden ^3), denen
er daher ihre ehemaligen Würden erneuerte.
Diese Erhebung der Placidia zur Augusta und des fünfjährigen
Valentinian zum Caesar, welche Thedosius in Thessalonich durch den
Kanzler und Patricius Helio vornehmen liefs^^), wäre gewifs ebenso
wie die Mitsendung der beiden unterblieben, wenn er nicht in Über-
einstimmung mit Pulcheria sich schon endgiltig dahin entschieden ge-
habt hätte, das eroberte Westreich seinem jungen Verwandten unter
der Leitung der Mutter anzuvertrauen. Doch wurde ihnen diese Aus-
sicht nicht ohne bindende Versprechungen in Bezug auf eine Ab-
rundung der NW.-Grenze Ostroms, die Verwaltung des Occidents
und die Richtung der einzuschlagenden Politik erö&et, welche dadurch
noch eine festere Grundlage erhielt, dafs, so weit man es von so
jugendlichen Menschenkindern sagen darf, dieTochter derEudocia
mit dem Sohne der Placidia feierlich verlobt wurde.'^) Und
hierin haben wir einen nicht unwesentlichen Fingerzeig zur Erklärung
der Entschliefsung des Theodosius, denn Eudoda wird nicht müde
geworden sein, den erfreulichen Gedanken, ihre Eudoxia dermaleinst
auf dem Throne Westroms zu sehen, auf das lebhafteste zu betreiben
und ins Werk zu setzen. So sollte denn von neuem die Reichsein-
heit durch das Band enger Blutsverwandtschaft gestützt und erhalten
werden.
Inzwischen hatte das oströmische Heer den beschwerlichen, aber
oft betretenen Weg in den Occident angetreten, die Infanterie unter
Ardaburius, die Reiterei unter Aspar, und war zusammen mit seinen fürst-
lichen Begleitern in Salonae angekonmien.^^^) Hier trennten sich die
Heerführer, da Ardaburius auf der in Salonae in Dienst gestellten Flotte
mit den Fufstruppen eine Landung an der italischen Küste am Nord-
rande des Istiischen Busens versuchen wollte, indes Aspar und
^ Socr, VII. 23. Phil. a. a. O. Olymp, frgm. 46. Zu Candidian vgl.
Olymp, frgm. 24 und Sievers S. 439.
«») Philost. a. a. O.
^*) Prosp. Aquit. 424. Olymp, frgm. 46. Marc. Com.
**) Marc. com. 424. Vgl. v. Wietersheim S. 379 und Gregorovius S. 125.
^) Philost. und Socrat. a. a. O.
17*
26o
Candidian ^'') mit den übrigen vorwiegend aus Reitern bestehenden
Abteilungen den Landweg über Sirmium durch Pannonien einschlugen,
durch den bekannten Pafs der Julischen Alpen in Italien einbrechen
und sich dann mit Ardaburius wieder vereinigen wollten. Aber während
es den letzteren gelang, ihren Operationsplan, ohne Widerstand zu
finden, auszufuhren und sogar das feste durch seine Waffenfabriken
wie seine Lage wichtige Aquileja^s) einzunehmen, scheiterte die Ab-
sicht des Ardaburius an dem Eintritt eines heftigen Sturmes, welcher
seine Transportflotte auseinanderwarf und ihn selbst nebst zwei Drei-
ruderem an die italische Küste trieb, wo die in Ravenna stationierte
Flottille des Johannes treue Wacht hielt und ihn samt seiner Begleit-
mannschaft gefangen nahm.^')
So günstig dieser Fang für den Usurpator war, so sehr schlug
die unglückliche Expedition des Ardaburius Placidia und die oströmischen
Feldherm für den Augenblick nieder, und die Operationen gerieten
in ein unheilvolles Stocken, ja der ganze Feldzug wäre erfolglos
ausgefallen, wenn Johannes selbst mehr Überlegung und Klugheit be-
sessen hätte. In der Annahme nämlich, dafs der Verlust eines so
tüchtigen Feldherm wie Ardaburius den oströmischen Kaiser sehr
schmerzlich berühren werde, wiegte er sich in der Hoffnung durch
eine glimpfliche Behandlung seines Gefangenen auf Theodosius ein-
wirken und sich selbst gegen Herausgabe desselben die Krone erhalten
zu können. Auch fühlte er sich, so lange der erwartete Zuzug von
den Hunnen nicht zur Stelle war, dem oströmischen Heere nicht ge-
wachsen, da er einen Teil seiner eigenen Truppen zur Eroberung
des von Bonifacius tapfer verteidigten Africas ausgesandt hatte.^®) Er
hatte sich jedoch zum eignen Schaden in der Person des Ardaburius
getäuscht, denn dieser benutzte die ihm zu teil gewordene freie Be-
wegung in Ravenna dazu, mit den obersten Hofbeamten des Johannes
sowie besonders mit den abgesetzten Generalen des Honorius eine
enge Verbindung anzuknüpfen und sie zu einem Verrat an dem Usur-
pator zu bewegen. Nachdem er so fast die ganze Umgebung desselben
auf seine Seite gebracht hatte, liefs er durch einen geheimen Eilboten
seinem Sohne Aspar**), der noch immer in Aquileja erwartungsvoll
und ratlos stand, die ersehnten Nachrichten zugehen, welche die ost-
^) Sievers S. 452 und v, Wietersheim S. 186 nehmen an, dafs auch Candidian
die Expedition zur See mitmachte.
M) PhUost. XII. II ist Hauptquelle.
29) Vgl, Olymp, frgm. 46. Socr. VII. 23. (Joh. Ant. frgm. 195.)
^ Prosp. Aquit. zu 424.
31) Philost. a. a. O.
26l
römische Reiterei zu schnellem Zuge auf Ravenna veranlafsten, während
auch Candidian^^) mit dem Reste der Truppen von neuem vorging
und eine Anzahl Städte eroberte.
Aspar trieb aber nicht nur der Ruf des Vaters zur Eile an,
sondern auch die berechtigte Befürchtung, Aetius könne mit den er-
warteten hunnischen Hülfstruppen herbeieilen und die Hofihung au^
das Gelingen vereiteln. So erschien er denn mit ungewöhnlicher
Schnelligkeit jenseits des Po, besiegte mit Hülfe des Verrats die ihm
entgegengesandten Reiter des Johannes in einem Treffen, gelangte
mit Unterstützung eines ortskundigen Hirten '3) durch die gefahrlichen
Sümpfe und Kanäle, welche Ravenna von der Landseite her so unein-
nehmbar machten ^'^), befreite den Vater und nahm den nunmehr von
allen verlassenen Usurpator widerstandslos gefangen, der darauf za
Pladdia nach Aquileja gebracht wurde, um sein nicht zweifelhaftes
Urteil zu erfahren. Hier wurde ihm zunächst, weil er seine Hand
gegen den rechtmäfsigen Kaiser erhoben hatte, die rechte abgeschlagen,
darauf wurde er auf einem Esel reitend zum Spott und Hohn durch
den Cirkus geführt und endlich hingerichtet'^)
Wäre Aspar nur zwei Tage später vor Ravenna erschienen, so
würde Johannes nicht nur nicht gefangen worden, sondern wahrschein-
lich auch auf lange Zeit noch Kaiser geblieben sein, deim am dritten
Tage nach der Katastrophe traf der zu den Hunnen entsandte Aetius
mit 60000 Mann barbarischer Hülfstruppen vor Ravenna ein'^^) und
begann den Kampf auf eigne Faust gegen Aspar fortzusetzen, da seine
Krieger nicht umsonst den weiten Marsch unternommen haben wollten.
Indes, da der Usurpator tod war und Aetius selbst keine Neigung
hatte, das Loos eines Tyrannen zu übernehmen, so liefs er sich auf
Unterhandlungen mit Placidia ein und machte endlich seinen Frieden
mit ihr unter der Bedingung, dafs er selbst straflos und in seiner
Stellung als Comes im römischen Heere verbleibe, wogegen er die
Barbaren durch Geldspenden bewog friedlich wieder abzuziehen. Doch
32) Olymp, frgm. 46.
33) Socrat. VII. 23. So ist es in Wirklichkeit gewesen, während Socr. in
dem Hirten den Engel des Herrn sehen will.
3*) Jordan, c. 39 : Habet ab Oriente mare . . . ; ab occidente vero habet
paludes, per quas uno angustissimo introitu ut porla relicta est. A septentrionali
qnoque plaga ramus Uli ex Pado est, qui fossä vocatur Asconis. A meridie idem
ipse Padus etc. Vgl. Pallmann II. Beil. Kiepert S. 329 und Güldenpenning Über die
Besiedelung der Meerbusen S. 8 und die Karte.
3^) Philost. Olymp., die Chronisten a. a. O,, aufserdem Procop, I. 3.
»•) Philost. Xn. 12. Prosp. Aquit. 425. Vgl. Hansen I. S. 32 ff. v. Wieters-
heim S. 187. Sievers S. 463 ff.
202
mufsten sie ihm daraufhin ein eidliches Versprechen geben und Geiseln
stellen; den magister militum Castinus'^) dagegen traf die Strafe der
Verbannung.
Mit Recht machen diejenigen, welche über den Verlauf dieses
Krieges berichten, darauf au&nerksam, dafs in demselben weniger
Ts^ferkeit und ehrlicher Kampf, als vielmehr glückliche Zufalle und
List den Ausschlag gegeben haben; Theodosius aber erblickte in dem
günstigen Ausfall des Kriegszuges noch eine höhere Hand und forderte
daher, als ihn die Nachricht vom Siege der Seinen gerade während
der Circensischen Spiele gemeldet wurde, das Volk alsbald auf, die
irdische Lustbarkeit üahren zu lassen und mit ihm in die Kirche zu
ziehen, um dem Herrn der Heerscharen den geziemenden Dank ab-
zustatten, worauf die in ihren Stimmungen so leicht beweglichen Be-
wohner der Hauptstadt auch sogleich eingingen und in feierlichem
Zuge Psalmen singend sich in das Gotteshaus begaben.^^)
Da nach der Besiegung des Tyrannen und der Beruhigung des
weströmischen Heeres der endgiltigen Einsetzung des Valentinian zum
Kaiser des Occidents nichts mehr im Wege stand, gedachte Theodosius
die erste gröfsere Reise seines Lebens zu unternehmen und persönlich
zur Ordnung der Verhältnisse nach Westrom sich zu begeben, allein
imterwegs ergriff den an und für sich nicht kräftigen Fürsten eine
Krankheit, welche ihn nötigte, in Thessalonich halt zu machen und
endlich seinen Plan ganz aufzugeben.'^) £r gab daher seinem vertrauten
Kanzler und Patridus Helio den ehrenvollen Auftrag, in seiner Ver-
tretung die ELrönung des jungen Valentinian vorzunehmen, zu welchem
Zweck ihm das Diadem und das kaiserliche Gewand eingehändigt
wurden. Zu derselben Zeit verliefsen auch Placidia und ihre Kinder
das feste Aquileja^^) und langten gegen die Mitte des Oktobers 425
in dem seit Honorius zur Residenz erhobenen Ravenna an, während
am 23. Oktober^^) inRom unter dem Zuströmen von schaulustigen
•^ Prosp. Aquit.
3«) Socr. VII. 23.
*) c. 24.
^) Placidia und Valentinian blieben bis zum 8. Oktob. 425 in Aquileia
Cod. Theod. XVI. 2, 47.
*») Das Jahr bei Prosp. Aquit. Marc. Com., nur die Thatsachc Philost. a. a. O.
Olymp, frgm. 46. Das Datum geben Chrpn. Pasch, und Socr. VII. 25. Wenn
nun Sievers S. 453 sich dahin äufsert, dafs der 23. Oktob. nur der Tag der Ver-
kündigung in Constantinopel war, so hat er allerdings die Meinung des Socr. und
die Praxis des Chron. Pasch, für sich, indes, wenn Placidia und Valentinian
nachweislich noch am 8. Oktob. in Aquileia waren, so konnte Val. zwar vor
dem 23. Okt. in Rom gekrönt werden, aber die Nachricht davon auf keinen Fall
«03
Menschen aus ganz Italien die feierlicfae Inthronisation Valen*
tiniäns III. durch Helio auf Befehl des Theodosius stattfand. Durch die
schnelle Art, wie es dem oströmisch^i Kaiser gelungen war, das Erbe
des <%eims ungeschmälert anzutreten und den ihm entg^^eintretendeti
Usurpator zu überwältigen, wurde der Ruhm, welcher schon durch
die Siege des Perserkrieges den Lorbeer um die unkriegerische Stirn
des Theodosius wand, bedeutend erhöht und die römische Welt von
neuem mehr als je auf den zeitweise in Vergessenheit geratenen Ge»
danken der Reichseinheit wieder hingeführt, welcher durch diese
Ereignisse unterstützt für viele Jahre nicht mehr verschwand. Theodosius
besonders, dem es vergönnt war, dem weströmischen Reidi einen
Sprofs aus der Dynastie der eignen Ahnen als Herrscher zu geben«
hat während seiner ganzen Regierung nie aufgehört die wediselvoUen
Schicksale des Nachbaxreiches mit ungeteilter und bisweilen werk«
Üiätiger Teilnahme zu begleiten, wie er denn bei der grofsen Jugend
des Valentinian sdion verpflichtet war, ein wachsames Auge auf die
Vorgänge am weströmischen Hofe zu richten.
£s war somit von ihm durch die Gunst der Umstände ein ähn-
liches Verhältnis herbeigeführt worden, wie es einst sein grofser Ahn-
herr durch die Niederwerfung des Maximus geschaffen hatte, als neben
ihm der jugendliche Valentinian IL unter der Leitung seiner Mutter
Justina wenige Jahre im Ocddent^^^ herrschte. Aber insofern hatten
sich die Umstände gewaltig geändert, als dieser Valentinian III. nicht
wie jener noch über Britannien, Spanien, Gallien, Africa und Italien in
ungeschmälerten Umfange gebot, sondern seine Macht sich aufser auf
Italien und Africa nur noch auf einen Teil Galliens und Spaniens
erstreckte; und auch dieser war ihm kein sicherer Besitz, da noch in
dem Jahre der Thronerhebung 425 der Westgothenkönig Theodorich
in Gallia Narbonensis eingebrochen war und Atelate, damals die
Beherrscherin der Mündungen des Rhodanus, belagerte, von dem ihn
erst Aetius wieder unverrichteter Sache zurücktrieb.
Dagegen schlofs sich an die Niederwerfung des Johannes noch
ein NachspieH^), welches eine Erweiterung des weströmischen Reichs
bereits an diesem Tage in Constantinopel gemeldet sein. Ich nehme daher an,
da£5 das Datmn der Erhebung schon früher mit Theodosius vereinbart war und
das Ereignis mit der Verkündigung in CP. zusammenfieL (VgL v. Wietersheim
S. 187.) Die erste Verfügung Valent. aus Rom ist erst vom Jan. 426. Cod.
Th. X. 26, 2,
*») VgL G. S. i6iff.
*^ Prosp. Aquit. Vgl. v.Wietersh. S. 188 und' S. 379. Anm. 2. Sievers S.453«
**) Über diesen Vorfall berichtet nur Socrat. VII. 43. Doch während er
ausdrücl^lich sagt, es seien die dem Job. zugefuhrten Söldner gewesen j lafst er
204
nach Osten zu zur Folge hatte. Die hunnischen Völker nämlich,
welche Aetius für den Tyrannen herbeigeholt hatte und durch ihn
wieder zum Abzüge bewogen waren, achteten, wie es scheint, nicht
die Schwüre und das Leben ihrer Geiseln, sondern üngen, als sie
Italiens Grenzen im Rücken hatten, an, in Pannonien nach Feindesart
zu verfahri^ und auch das oströmische Gebiet zu verletzen. Da das
weströmische Reich förerst der Ruhe bedurfte, um seine in Unordnung
geratene Verwaltung wieder zu ordnen, so fiel, zumal auch Aetius im
Westen beschäftigt war, die Sorge und Abwehr der Eindringlinge
wiederum Theodosius II. zu. Nach der wunderbaren Auffassung eines
Zeitgenossen wurde der Hunnenführer Rhu gas nicht durch Waffen-
gewalt vom römischen Boden vertrieben, sondern elementare Ereignisse
wie Unwetter imd Pest sollen die Feinde so zu Paaren getrieben
haben, dafs es dem oströmischen Heere gelang, tiefer als je in das
sonst von den Schwärmen der Barbaren durchzogene und dem Ver-
bände der römischen Provinzen fast völlig entrissene Pannonien ein-
zudringen und es wieder dem weströmischen Reiche einzufögen.^^)
dennQch den Bischof Proclus die Siegespredigt halten, der erst 434 (vgl. c. 40.)
zum Patriarchen erhoben ward. Entweder ist das eine Verwechselung mit Sisinnius,
welcher auf Atticus (f 425.) folgte, oder es bezieht sich auf die Zwischenzeit, in
der sich auch Proclus um das Amt bewarb, das er erst später erlangte. Vgl.
V. Wietersheim S. 220. Sievers S. 427, Haage Geschichte Attilas. Progr. des
Gymnas. zu Celle 1862. S. 4., der den ^ovyag des Socrat. mit dem Rhoilus des
Theodoret Y. 37 und beide wieder mit Rua identificiert und demgemäfs das, was
Socr. erzählt, in eine viel spätere Zeit verlegt, während Theodoret's Nachricht
sogar vor dem Perserkriege eingeschaltet ist.
*^ Die quellenmäfsigen Belege für diese Vermutung sind i. Marcell. Com.,
der zu 427 bemerkt: Pannoniae quae per quinquaginta annos ab Hunnis retinö-
bantur, a Romanis receptae sunt. 2. Jordan, c. 32. duodecimo anno Valliae
qäando et Hunni post paene quinquaginta annos invasa Pannonia a Romanis et
Gothis expulsi sunt. 3. Theoph. p. 146. Fox^oi 6h Ilawoviav saxov TtQwxov'
BTteita t<p 16* ezsi z^<; ßaaiXeiaq ßeoöoaiov xov veov iniTQiTtovxoq xa x^g
Bgaxriq xc^Q^cc ipxfjaav xal inl x^ovovg iv xrj BQaxy öiexQiipav. In Bezug
auf die Notiz des Jordan, mufs man nun zwar v. Wietersheim S. 382 darin Recht
geben, dafs J. ein höchst unzuverlässiger Berichterstatter ist und in der Beziehung
auf Wallia sich sehr im Irrtum befindet, andererseits ist es doch wunderbar, dafs
sowohl er wie der ebenfalls nur mit Vorsicht zu benutzende Theophan. p. 146.
gerade auf dasselbe Jahr kommen, welches Marcell. für die Wiedereinnahme
Pannoniens angesetzt hat. Es ist daher ohne Zweifel mit diesem Lande irgend
eine Veränderung vorgegangen, was auch Wietersh. a. a. O. zugestehen mufs.
Dagegen weist derselbe Autor mit Ironie die Vermutung Buat*s in der hist
ancienne des peuples d* Europe Vn. S. 291 — 295. zurück, dafs diese Wiederge-
winnung oder Befreiung Pannoniens von Ostrom ausgegangen sei. Hat nun schon
Sievers S. 427 das Vorgehen v. Wietersheim*s als zu entschieden bezeichnet, so
mufs ich demselben noch mehr widersprechen aus folgenden Gründen: i. Es ist
205
X)och ist die Überlieferung hier gerade so zweifelhaft und voller Wider-
sprüche, dafs wir es uns versagen müssen auf die Bedeutung dieser,
^^enh besser bezeugt, höchst wichtigen Thatsache näher einzugehen.
Jedenfalls bildet aber dies Decennium von 420 — 430 den ruhmvollsten
Teil der Regierung des Theodosius, da neben den kriegerischen
Sorgen auch die Pflege und Förderung der wirtschaftlichen Interessen
der Rdchsfingehörigen sowohl wie auch der geistigen keineswegs ver-
nachlässigt wurde.
Und in der That waren teils einzelne Provinzen durch unheil-
volle Ereignisse besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, teils rief die
Mifswirtschaft unter Arcadius einen allgemeinen Notstand der Staats-
kasse hervor, welchem Theodosius abzuhelfen mit Recht bestrebt war.
Vor allem anderen zunächst hatte sich die Bevölkerung der Provinz
Illyricum, welche schon zu Strabos Zeiten furchtbar zusammenge-
schmolzen war und im zweiten nachchrisüichen Jahrhundert das traurige
Bild zeigte, das tms Pausanias von derselben entwirft ^<^), von den letzten
Verwüstungen und Plünderungen der Gothen nicht erholen können
und selbst jene zu freiwilliger Leistung anspornende Verfügung des
Anthemius hatte eine bemerkenswerte Besserung der Verhältnisse nicht
herbeizuführen vermocht. £s wäre daher, wenn nicht der Hang zu
öffentlichen Lustbarkeiten in diesem Jahrhundert so stark ausgeprägt
gewesen wäre, von selbst angezeigt gewesen die bisherige Bestimmung,
dafs zu den kostspieligen Spielen in Q>nstantinopel auch die Duumviri
der Provinzialstädte eine Beisteuer entrichten mufsten^'), in Bezug auf
kein zu gewagter Schritt, den Einbruch der Hunnen, welche aus Italien nach
Johannes Niederwerfung heimkehrten, Socr. VII. 43 mit dem von Marcell. zu 427
berichteten in Verbindung zu bringen, (doch vgl. Haage S. 4.). Dies zugegeben,
so sagt 2. Socrat. a. a. O. ausdrücklich von den Hannen: ^TOifxoi ^oav xata-
vgiXBiV xh ^(Ofialwt^ n^dy/xata, was man sich wohl dahin erklären kann, dafs
die Barbaren unbekümmert, wessen Land sie verwüsteten, auch das Gebiet Ost-
roms nicht verschont haben. 3. Theodosius war daher durchaus in der Lage bei
der Vertreibung der Hunnen vom Boden Pannoniens mitzuwirken, um so mehr,
weil durch die Erhebung des Valentinian auf den weströmischen Thron die Ein-
heit des ganzen Römerreichs von neuem hergestellt war, und Theodosius, wie
seine spätere Hülfeleistung gegen die Vandalen beweist, sich in gewissem Sinne
auch als Schutzherm des Occidents betrachtete. Endlich wurde 4. Aetius gewifs
noch durch den Krieg mit Theodorich und seine Folgen in Gallien zurückge-
halten, und konnte daher hier nicht, mit eingreifen. — .Wenn ich nun aber auch
V. Wietersheim in diesem Punkte entgegentreten mufs , so pflichte ich ihm doch
in der Annahme bei, dafs die Hunnen damals Pannonien noch nicht völlig in
Besitz genommen hatten und dafs sich eine Vertreibung derselben also auch nicht
auf die ganze Provinz beziehen kann. Vgl. Fallmann II. S. 49 A.
*«) Vgl. Bekker-Marquardt m. i. S. 129. Mommsen V. S. 245 ff.
*') .Vgl. Gothofired. zu Cod. Theod. Xu. 145 und 176. Mommsen S. 264 ff.
266
Illyricum aufzuheben. Indes bedurfte es doch erst eines besonderen
AnstofseSy welcher von der Gemeinde Delphi, die wahrscheinlich durch
Erdbeben oder andere Naturereignisse neuerdings besonders gelitten
hatte, ausging, bevor eine Abstellung dieser unangemessenen Gewohn-
heit erfolgte. Sicherlich wird auch die Kaiserin Eüdocia, selbst ein
Griechenkind, nicht verfehlt haben, ihre wirksame Teilnahme dem engeren
Vaterland zu erhalten, in dem sie die Folgen und Nachweh^i jener
Züge mit eigenen Augen geschaut hatte, während sie in Athen gewüs
von der allgemeinen Lage des unglücklichen Landes durch ihren Vater
unterrichtet war.
Wir dürfen daher die mancherlei Erleichterungen, welche jetzt
und demnächst Griechenland zu teil wurden, zumeist auf ihre Rechnung
setzen, wenngleich die Gutthat ihres Gemahls dadurch durchaus nicht
beeinträchtigt werden soll. Zunächst wurde auf die Bitte Delphis nicht
nur diesem jene lästige Beisteuer erlassen, sondern diese Wohlthat
auch auf die übrigen Teile der Provinz ausgedehnt, indem Theodosius
den Behörden bei Strafe verbot in Zukunft die Quote zu erheben.^^)
Aber mehr noch als der partielle Antrag Delphis auf Erleichterung
deutet auf die völlige Erschöpfung der ausgesogenen Provinz die all-
gemeine Beobachtung, welche die kaiserliche Regierung noch in dem-
selben Jahre machte, dafs Illyrien nicht einmal im stände war, die
gewöhnlichen Steuern zu erschwingen, und die vom Kaiser abgesandten
Inspektoren nach eingehender Inspizierung der einzelnen Gebiete sich
genötigt sahen, im Verein mit den Provinziallandtagen eine herabgesetzte
Steuerrolle je nach der Lage der Provinzen aufzustellen und der Ge-
nehmigung des Kaisers zu empfehlen.^^) Theodosius erklärte daher,
es solle keine neue Abschätzung stattfinden, und er wolle mit dem
zufrieden sein, was leisten zu könn^i eine jede Provinz laut der
Erklärung ihrös Landtages ^®^) sich anheischig gemacht habe; demge-
mäfs solle Macedonien die Hälfte des Bisherigen zahlen und die übrigen
Teile der gleichnamigen Diözese Greta, Thessalia, Epirus sich dieser
Quote anschliefsen, Achaja dagegen, also das alte Hellas, der Peloponnes
und die Inseln, nur den von ihm angebotenen dritten Teil der ganzen
Steuer entrichten, und zwar solle diese Veranlagung nicht blos für
*«) Cod. Th. XV. 5, 4. 22. April 424. Vgl. Hertzberg Gesch. Grriech. L S. 63.
*») Cod. Theod. XI. i, 33. 10. Okt. 424 an Isidor FrL P. Illyr. Cod. Just.
V. 2, 8. nur der Schlufs. Hertzberg a. a. O. will Creta ausnehmen.
^*^) Dafs die Erklärung von den Landtagen ausgegangen sei, wird zwar
nicht ausdrucklich gesagt, sondern nur von Macedones und Achivi im allgemeinen
gesprochen, allein es leuchtet unzweifelhaft bei einer Vergleichung von Cod. Theod.
XII, 12. de legatis et decretis legationum ein. Vgl. Menn die röm. Provinzialland-
tage. Progr. Neuss 1852. Bekker-MarquardtllL i. S. 267 ff. Mommsen V. S. 242f.
267
cien Aug^iblick, sondern für immer gelten und mit dem Jahre 425
üiren Anfang nehmen. £ndlich wurde noch die Kirche von Thessalonich,
der griechischen Metropolis, in Bezug auf ihre Liegenschaften eine
iDesondere Vergünstigung zu teil, denn sie wurde in Zukunft ganz von
Steuern befreit, doch unter der Bedingung, darauf streng zu achten,
<iafs nicht imter dem Deckmantel kirchlichen Besitzes andere Unter»
thanen sich eine Steuerdefraudation zu schulden kommen liefsen.^^)
Fiel auf solche Weise notwendig ein erheblicher Teil der Er-
träge des Landes für die Staatskasse fort, so mufste man versuchen
den Ausfall durch andere Mittel zu decken. Das Nächstliegende wäre
gewesen, die übrigen Provinzen dafür stärker zu belasten, aber die
kaiserliche Regierung wufste zu genau, wie schwer bereits die Steuern
auf den Dekurionen lagen, die nicht minder in dieser Periode wie
unter Theodosius dem Grofsen sich durch Schliche aller Art ihrem
undankbaroi Amte zu entziehen suchten, und konnte daher an eine
Erhöhung um keinen Preis denken, zumal der jüngste Steuererlafs des
Anthemius für den Orient von 414 doch nur von dem Zwange der
bittersten Not diktiert worden war. Aber bei einer näheren Betrachtung
der Sachlage fand sich leicht, dafs die Beträge keineswegs gleich*
mäfsig und nach Verhältnis des Vermögens verteilt waren, dafs die
Ärmeren im Vergleich zu den Besitzern der grofsen Vermögen zu viel
zahlten, während diese wiederum im Verhältnis zu wenig. Besonders aber
trat die Ungerechtigkeit bei denen hervor, welche vorzüglich durch die
übertriebene Freigebigkeit des Arcadius, unter dem die Zahl der so-
genannten Petitoren um verfallenes Gut so gewaltig anschwoll ^^), dafs
er mehrfach gegen sie einschreiten mufste, ihren Grundbesitz durch
Schenkungen in hohem Grade vermehrt hatten, ohne dafs sie dafür
eine höhere Steuer entrichteten, ja zahlreiche Liegenschaften waren
ihnen geradezu steuerfrei überlassen worden.
Von diesen Grofsgrundbesitzern mehr einzufordern war daher
ein nicht mehr als billiges Verlangen, welches Theodosius auch
ohne Zögern und mit Recht stellte und, wie es scheint, nicht nur auf
alle Provinzen des Orients mit Ausnahme Illyriens, sondern auch auf
Dalmatien, welches damals bereits von seinen Truppen wiedergewonnen
war, ausdehnte.^2j j){q aufs erordentliche Besteuerung nun traf
'®) . . . ita tarnen, ut aperte sciatpropriae tantummodo capitationis modum
beneficio mei numinis sublevandum nee externonim gravamine tributonim rempubli-
cam ecclesiastici nominis abusione laedendam.
") Vgl. Cod. Theod. X. 10, 21. IX. 40, 18. IX. 42, 17.
*') Das mufs man ans dem Anfang des Gesetzes Cod. Theod. XI. 20, 5
schliefsen : Ab universis qui post obitum divi avi clemenüae meae ex munificentia
268 - . _^
den ganzen seit 395 von Arcadius, Honorius und Theodosius II.
geschenkten Grundbesitz ohne Rücksicht auf seinen ehemaligen Gerichts-
stand , stellte als Norm für die Verteilung und Abschätzung die Zeit
der Nutzniefsung fest, gerechnet vom Tage des Erscheinens der Ver-
fugung und bestimmte folgendes: Wer seit drei Jahren im Besitz
der Schenkung sei, solle für ein Jahr gänzliche Immunität haben, für
die beiden andern aber den halben Ertrag eines Jahres zahlen; wer
die Schenkung drei bis fünf Jahre in Händen habe, den Ertrag eines
Jahres; wer fünf bis zehn, den Ertrag zweier Jahre; wer sie 10 Jahre
und länger genossen habe, den Ertrag dreier Jahre. Dabei aber solle
ein Unterschied gemacht werden zwischen denen, die das Grundstück
und die Steuerfreiheit, und denen, welche nur die Steuerfreiheit für
ein bereits besessenes Besitztum erhalten hätten; jene sollen von den
Erträgnissen des Ganzen nach obigem Mafsstabe beisteuern, diese
nur nach Mafsgabe des sonst gezahlten Steuercanons eine ebenso
nach der Zeit des Genusses der Steuerfreiheit berechnete Quote. Da
aber unter dem Geschenkten auch häufig sogenanntes „ödes und
unfruchtbares** Land^^) war, das oft durch fleifsigen Anbau recht
ertragfähig geworden war, so solle in Zukunft nach Angabe der zu
diesem Behuf vom Praefectus praetorio Asclepiodotus ausgesandten
Inspektoren auch von diesem eine Steuer erhoben werden und zwar
in derselben Weise wie im obigen Falle, je nach der Zeitdauer. Sollten
die Besitzer mit der letzteren Mafsregel nicht einverstanden sein, so
wurde ihnen eine erneute Untersuchung durch andere Inspektoren in
Aussicht gestellt, bei der sie bestenfalls nicht vorteilhafter wegkommen,
konnten. Da nun aber im Laufe der dreifsig Jahre, auf welche sich
die Verfügung bezieht, vielfache Veränderungen im Besitztitel ein-
getreten waren, so ordnet der speziellere Teil dieses Gesetzes an, dafs
im Falle des Verkaufes der durch Schenkung überkommenen Güter
der Empfänger des Kaufgeldes die aufserordentliche Steuer zu
entrichten habe, im Falle einer erneuten Verschenkung pder Vererbung
der legitime Nachfolger im Besitz und zwar ganz in der oben ange-
deuteten Weise nach dem Zeitverhältnis. Dasselbe gilt, wenn jemand
tarn divae recordationis patris ac patrui mei quam etiam serenitatis meae fundos
cuiuslibet iuris petiverunt. — Da Honorius kein Recht gehabt hatte, im oström.
Reich Güter zu vergeben, so bleibt nur übrig seine Erwähnung, wie oben ge-
schehen ist, zu erklären. Die Verfugung ist vom 13. Mai 424 datiert, als die
Feldherm des Theodosius Dalmatien sicherlich bereits erobert hatten. — Die
inhaltliche Erklärung des Gesetzes beruht auf dem Comraentar Gothofred's, doch
blieb noch manches der eigenen Interpretation übrig.
*^ ieiunae ac desertae possessiones. Vgl. über ihre Besteuerung B. Matthias
die röm. Grundsteuer und das Vectigalrecht. Erlangen 1882. S. 19 ff.
269
im Namen eines anderen ein der kaiserlichen Gnade verdanktes
Grundstück innehat, dann ist der Besitzer steuerpflichtig. ' Ist endlich
c^s Besitzverhältnis nicht klar, so soll die Steuer nicht darunter leiden,
sondern von den Einkünften der Grundstücke genommen werden.
Die Gerechtigkeit einer solchen Mafsregel, die zum Wohle des
Oanzen mehr als billig bevorzugte Bürger zur Steuerzahlung heranzog,
leuchtet gewifs auf den ersten Blick ein, ein anderes aber ist die
Trage, ob die Wirkung derselben den ihr zu gründe liegenden Ab-
sichten entsprach. Denn einmal war ohne Zweifel im Laufe der dreifsig
seit der Reichsteilung verflossenen Jahre eine grofse Zahl von Ver-
änderungen im Besitzstande durch Tod, KLauf, Verpfandung, Verbannung
u. a. vor sich gegangen , die zu sichten und klar zu stellen den Be-
hörden ungemein schwer fallen mufste, sodann ist von der Bestech-
lichkeit der römischen Beamtenwelt schon so oft die Rede gewesen,
dafs man sich von selbst sagen kann, wie vieles in den Händen derer
hängen blieb, durch welche das eingelieferte Geld endlich auch in die
Generalstaatskasse zu Constantinopel gelangte. Die in jenem Reskript
den Beteiligten schliefslich bewilligte Zahlungsfrist von vier Monaten,
deren Nichtbeachtung den Verlust der Schenkungen zur Folge haben
sollte, wird daher schwerlich innegehalten und die Steuern werden
sicherlich nur mit Mühe und Not teilweise eingetrieben worden sein.
Im umgekehrten Verhältnis aber dazu steigerten sich die Bedürf-
nisse des Staatshaushaltes, nicht als ob allein der Hof des Theodosius
ungeheure Summen verschlungen hätte, sondern, weil die äufseren Ver-
hältnisse wie der Perserkrieg und die Niederwerfung des Johannes
wegen des erhöhten Soldes der Truppen und ihrer gröfseren Anzahl
eine nicht unbedeutende Mehrausgabe veranlafst hatten. Schon wenige
Jahre daher, nachdem Theodosius diese aufserordentliche Besteuerung
dem ganzen Reich auferlegt hatte, im Jahre 430, sah er sich wiederum
genötigt den vermögendsten Bürgern des Staates neue Lasten zuzu-
muten, wenn auch nach einer anderen Seite hin. Auch diesmal mufste
er an die leichtsinnigen Beweise einer übel angebrachten Munifenz
des Arcadius anknüpfen, welcher nicht nur Landschenkungen in der
übertriebensten Weise vorgenommen, sondern auch vielfach die auf
denselben arbeitenden Menschen und Tiere von der Kopfsteuer
zu Gunsten des Besitzers befreit oder erleichtert hatte. Demgemäfs
verordnete Theodosius durch eine an den Praefectus praetorio Antiochus
gerichtete Verfügung, dafs alle diejenigen Besitzer, deren Grundstücke
aus Schatullengütern oder Domänen*^"), oder Gemeinde- und Tempelbe-
**a) privsti iuris vei patrimoniatis. Vgl. Goth. im Paratitlon zu Cod. Theod.
X. 3. und Bekker-Marquardt III. 2. S. 223 ff.
270
sitz hervorgegangen und in irgend einer Weise vom Beginn der Regienmgs-^
zeit des Arcadius ab entweder ganz oder teilweise entlastet oder deren
Naturallasten in eine Gold-, Erz- und Eisenleistang umgewandelt wären,
den fünften Teil des Vorteils, den sie davon in dieser Zeit gehabt
hätten, nach Abschätzung der einzelnen Jahre als einmalige aufs er-
ordentliche Grundsteuer an die Staatskasse zahlen sollten; doch
bleibe dabei alles das in Geltung, was ihnen in betreff der Kopf-
steuer auf Menschen und Vieh irgendwie zugestanden sei.
In speziellerer Ausführung dieses Prinzipes verordnete er für die
Zukunft weiter, dafs, wenn jemandem etwas in Bezug auf die Be-
steuerung des Bodens und der Seelen von Arcadius und von
Theodosius L erlassen worden sei, falls der Erlafs bis zu 400 Joch
oder Köpfen ^^^) gehe, er die Hälfte der sonst zu zahlenden Steuer
entrichten solle, wenn er dagegen diese Zahl übersteige, so sollen 200
Joch oder Häupter ganz frei sein, das übrige aber der allgemeinen
Besteuerung unterliegen und zwar gilt das auch, wenn die Besitzungen
nicht zusammenhängend in einer, sondern in mehreren Provinzen liegen,
gleichviel, ob der betreffende in seinem oder einem untergeschobenen
Namen die Erleichterung erlangt hat Auch hier wurde endlich, wie
billig, über die sogenannten „öden und unfruchtbaren" Landstriche eine
besondere begünstigende Veranlagung verfügt, dafs nämlich, wenn
der Besitzer sich der Abschätzung und Begutachtung eines Insp>ektors
unterwerten wolle, von 431 ein neuer Canon durch den Präfekten
Antiochus unter Berücksichtigung der Verhältnisse in den verschiedenen
Provinzen aufgestellt werde. Von dieser ganzen Auflage aber wurde
eine einzige dahingehende Ausnahme gemacht, dafs, was den Gemeinden,
Kurien, Offizien und einzelnen Personen****) erlassen worden sei, auch
femer bestand haben solle, doch unter der Einschränkung, dafs, falls
dem Präfekten dabei etwas verdächtig erscheine, er getreue Inspektoren
zur Untersuchung entsenden würde. Die Einziehung der erstgenannten
") Cod. Theod. XI. 20, 6. Antiocho. Pf. P. prid. Kai. Jan. Constantinopel
430. Zwar hat auch hier Gothofr. in seinem Commentar mancherlei Auf-
schlüsse zur Erklärung des Wortlautes gegeben, doch scheint manches noch
gröfserer Klarheit zu bedürfen.
"*) Unter iugum ist zu verstehen, „eine Portion von Grundstücken, deren
abgeschätzter Kapitalwert looo solidi betrug.** Savigny Vermischte Schriften II.
S. i74flF. Vgl. Matthias a. a. O. S. 17. Walter S. 482 ff.
^b) Ich ziehe die Lesart des Pithoeus personarum meritis der des
Gothofred provinciarum malis vor, weil die Reihenfolge der aufgezählten
Kategorien eine absteigende vom Umfangreicheren zum Kleineren ist und wir für
die Erleichterung einer einzelnen Person ein treffendes Beispiel im Cod. Th. XI. 1,37
an dem Bischof Cyrus von Aphrodisia haben, cuius tanta sunt mcrita, ut etiam
contra generalem huiusmodi sanctionem speciali beneficio perfrui non vetetur.
I
171
xruckläufigeii Steuer werde sogleich beginnen und zwar auch von den
XiLäufem und Erben sc^cher Grundstücke, wenn sie zahlungsfähig seien,
cxler überhaupt von den Inhabern, je nachdem wie lange der Besitzer
cHe Nutzniefsung bis zu seinem Tode gehabt habe;^^) auch dürften
<^e jetzigen Besitzer gegen die früheren den Rechtsweg betreten, aber
l)ezahlen müsse jeder.
Wenn nun Theodosius die Grofsgrundbesitzer in dieser Weise
zur Füllung des entleerten Staaisseckels heranzog, so that er es einmal
Tiur gezwungen und zu gunsten der ohnehin schon schwer belasteten
Xurien, andererseits fühlten diese Geldaristokraten in der That es
weniger, wenn sie Tausende dahingehen mufsten, als wenn ein Armer
das Geringfügigste beizusteuern angehalten wurde. Denn, da es nicht an-
zunehmen ist, dafs die oströmischen reichen Familien weniger vermögend
waren als die weströmischen^*), so hatten viele von den Grofsen und
Senatoren in Constantinopel ein jährliches Einkommen von 300000 Mk.,
manche sicherlich bis zu 900 000 Mk., wovon ihnen, zumal sie gerade
noch mit Schenkungen bedacht waren, mit Recht zur Aufhülfe des
ganzen Staates ein Teil damals wieder entzogen wurde.
Aber neben den Sorgen, welche die äufseren Verhältnisse
und der Niedergang des Wohlstandes im Innern des Reiches der
Pulcheria und ihrem Bruder bereiteten, beschäftigte sie nicht minder
die Pflege und Förderung des geistigen Lebens ihrer Unterthanen,
vornehmlich in der Reichshauptstadt Constantinopel. Es ist das kein be-
sonderer Vorzug der Geschwister, denn der zunehmende Bildungsdrang
hatte trotz allen Kriegslärms und aller Verwickelungen den Wert der
Wissenschaft der theoretischen nicht minder, wie der sich auch praktisch
bethätigenden in der römischen Kaiserzeit ^^) immer mehr zur Geltung
gebracht, so dafs der Jugendunterricht, welcher in der Republik
ganz unabhängig von der Staatsgewalt gehandhabt worden war, nun-
mehr auch in die Beaufsichtigung und Leitung der Behörden über-
ging. Der Stand der Lehrenden und als Arzte amtierenden verlor
dadurch keineswegs weder pekuniär noch nach der Seite des Ansehens,
denn, waren sie vorher auf frei abgemessene Gaben und darauf ange-
wiesen, ein jeder für seine Person, sich Geltung zu erwerben, so wurden
'•) So verstehe ich die Worte : vel detentatoribus, pro quo quisqe possedit
tempore, quo obiit
^) Olymp, frgm. 44 giebt diese Zahlen in Bezng auf die reichen Familien
in Rom an. Über die xsvrrjvaQia vgl. Bekker-Marquardt III. 2. S. 23.
*^ De professoribus et medicis eorumque privilegio in iure Romano dissert.
scripsit £. Theod. Gaupp Vratislaviae 1827. cap. VII. de immunitate professoribus
et medicis usque ad Constandni aetatem concessa. Vgl. Walter Gesch. des röm.
Rechts S. 456 ff. und Haeser Lehrb. der Gesch. der Medizin I. S. 407 — 418.
2J2
nunmehr allmählich ihre Gehaltsverhältnisse geordnet und ihnen ebenso
langsam auch eine bestimmte Rangstufe zugewiesen. Uns, die wir
das Verhalten des Theodosius diesen Corporationen gegenüber würdigen
wollen, liegt es besonders nahe im Vergleich dazu vorzüglich die Ver-
änderungen kurz zu verfolgen, welche die Lehrer und Ärzte in dem
letzt vorangehenden Jahrhundert erfuhren, wofür uns das Theodosianische
Gesetzbuch*^*) wie so oft eine unversiegbare Quelle abgiebt
Nachdem schon das erste Jahrhundert zunächst den Medizinern,
später auch den Professoren die Immunität von persönlichen Lasten
gebracht hatte, zu der durch Vespasian noch die Freiheit von der
Einquartierung hinzugekommen war, schlössen sich an die alteii Rechte
teils neue an, teils wurden die Vorrechte der Männer auf ihre
Kinder und Witwen ausgedehnt. So bestätigte Constantinus, 326^®),
den Ärzten die Freiheit von den Kurial- und Senatorenlasten auch in
bezug auf ihre Söhne, wogegen ebendasselbe den Professoren erst 333
nachgegeben wurde mit der Erweiterung, dafs auch die Frauen in
die Immunität eingeschlossen seien. An diesem Vorrecht änderten
die folgenden Kaiser bis zu Theodosius 11. nichts, nur verfügte Valen-
tinianl.*®), da sich oft schwer beiästete Kurialen in andere Provinzen
eingeschlichen und für Lehret der Philosophie ausgegeben hatten, dafs
jeder derartige Versuch durch die Zurückweisung derselben in ihre
Heimat verhindert werden solle. Mithin besafsen jene Gelehrten in
unserer Periode sowohl für sich wie ihre Familie volle Freiheit von
allen Leistungen der Kurie und des Senats, auch der besonderen Senats-
steuer (glebalis collatio), von der Einquartierung und Verpflegung der
Soldaten, vom Kriegsdienst, vom Cursus publicus, von der Übernahme
einer Gesandtschaft oder Vormundschaft, endlich von jeder Last,
welche ihnen sonst die ihnen verliehene Würde auferlegt haben würde.6i)
Aber nicht nur auf das, was sie selbst zu leisten hatten, richtete
der Staat sein Augenmerk, sondern er schützte sowohl ihre Person
durch harte Strafandrohung^*^ als auch sah er darauf, dafs ihnen far
die geleisteten Dienste der entsprechende Lohn zu teil wurde. Mit
Recht wachte er daher auch über die sittliche Haltung der Korporationen,
M) XIII. 3,1 ff.
'*) 1. 2 und 3 : quo facilius liberalibus studiis et memoratis artibus multos
instituant.
^) 1- 7* 3^* turpe enim est ut patriae functiones ferre non possit, qui
etiam fortunae vim se ferre profitetur.
«>) Vgl. Digest, de exe. us. XXVII. i. 1. 6. § 8.
«*) Cod. Theod. XIU, 3, i.
273
und mehrfach ^3) schärften die Kaiser ein, dafs die Lehrer der Jugend
zu allererst die nötige sittliche Reife besitzen müfsten, und dafs die
Lehrgabe und das Wissen erst das zweite Erfordernis für ihre Stellung
sei. Eine besondere Fürsorge genossen begreiflicherweise die Ärzte
in den Hauptstädten^-*), deren jedem ein eigener Stadtteil als Dienst-
bezirk überwiesen wurde zur Hülfeleistung bei den Krankheiten der
Armen, und deren innere Organisation sowie die Aufnähme neuer Mit-
glieder der Beaufsichtigung des S.tadtpräfekten unterlag. In ähnlicher
Weise wurden auch die öffentlichen Lehrer in den Provinzialhaupt-
städten besoldet und kontrolliert, wovon wir gerade über die Verhält-
nisse in Gallien gegen Ende des vierten Jahrhunderts eine interessante
Notiz besitzen. Es wurde nämlich hier 376^^) angeordnet, dafs in
den volkreichsten und berühmtesten Städten die besten Lehrer der
griechischen und römischen Beredtsamkeit und Grammatik angestellt
würden; und zwar die Redner mit je 24 Annonae, die Grammatiker
mit je 12; in Trier dagegen ausnahmsweise der Rhetor mit 30, der
lateinische Grammatiker mit 20, der griechische, wenn anders sich eine
würdige Persönlichkeit finden lasse, mit nur 12, welche ihnen aus den
Staatsmitteln ausgehändigt wurden.
Wir haben keinen Grund eine grundsätzliche Verschiedenheit
dieser Verhältnisse von den oströmischen anzunehmen, zumal die
Gesetze, auf denen jener Überblick beruht, zum grofsen Teil aus dem
Orient stammen. Es ist daher weder wunderbar noch ein grofses
Verdienst Theodosius II. und der Pulcheria, wenn sie in Nachahmung
der früheren Kaiser ebenfalls den Ärzten und Professoren eine wohl-
wollende Gesinnung bezeugen. So böstätigten sie . ihnen 414^^) im
ganzen genommen dieselben Vergünstigungen, welche wir eben zu-
sammengestellt haben, nur mit der Erweiterung, dafs, wenn einer von
ihnen einen Posten in der Verwaltung übernehme oder in den Ruhe-
stand trete, er trotzdem sowohl selbst wie auch seine Frau und Söhne
im Genufs aller jener Vorrechte verbleibe; ein gröfserer Gunstbeweis
dagegen war es, dafs 428^'«), obwohl eine ganze Anzahl anderer Be-
amtenkreise, welche bisher von der Zahlung der Senatorensteuer befreit
gewesen waren, durch ein kaiserliches Reskript*^) jüngst dieses Vor-
recht verloren hatte, die Leibärzte (archiatri palatini) mit der Geheimrats-
*^) 1« 5. 362. Magislros studiorum doctoresque excellere oportet moribus
primum, deinde facundia. Vgl. 1. 6. 364.
•*) 1. 8— IG. Vgl. 12 und 14. Haeser S. 413 ff.
••) 1. II. Die annona bestand in Getreide und Öl. Haeser S. 415. Vgl.
auch Mommsen S. 337.
6«) 1. 16 und 17. «') 1. 18.
••) VI. 2. 21 vom Anfang desselben Jahres.
18
274
würde L Klasse oder noch höherem Range nach wie vor im Besitz
ihres Privilegs verblieben.
Aber mehr als durch solche Verordnungen , welche doch nur
einzelnen zu gute kamen, haben sich die beiden Geschwister, welche
an der Spitze des Staates standen, einen immerwährenden Nachruhm
durch eine Einrichtung erworben, die für das ganze Reich ohne
Unterschied eine Wohlthat und wohl dazu geeignet wie darauf be-
rechnet war, das wissenschaftliche Studium allseitig zu fördern. Zwar
gab es bereits im europäischen Ostrom eine derartige Bildungsstätte, die
altberühmte Alma mater Atheniensis<^*), welche ihren uralten Ruhm
trotz des Untergangs der politischen Selbständigkeit des griechischen
Volks; trotz aller Ipriegsläufe und mangelhafter Staatshülfe in unge-
schmählertem Glänze sich voll und ganz bewahrt hatte. Selbst die
Plünderungszüge der Westgothen am Ende des letztverflossenen Jahr-
hunderts hatten an ihrer Lebenskraft nicht zu rütteln vermocht, sondern,
wie so oft das neue Leben aus Ruinen sprofst, gerade nach diesen
Wirren nahm die Universität zu Athen einen neuen wunderbaren
Aufschwung, welcher sich diesmal an den Namen des Philosophen
Plutarch''®) knüpft, des Stifters der letzten neuplatonischen Schule,
dessen Vorlesungen gleich nach Alarichs Abzüge die studierende Jugend
aus allen Gauen des weiten Reichs von neuem nach der stillen
Musenstadt lockten.
Aber wie erfreut die Regierung auch einerseits über die Zug-
kraft des alten Namens Athen sein mufste, so wenig behagte ihr anderer-
seits der deutlich ausgesprochene heidnische Charakter der Universität,
welche ihre Bürger durch reiche Dotierung der Lehrstühle und grofs-
artige Spendungen freiwilliger Art auf ihrer Höhe zu halten redlich
bemüht waren. Es war auch in der That ein schreiender Widerspruch,
dafs die Kaiserliche Regierung von Ostrom, während sie wiederholt
das Opfern und die heidnischen Gottesdienste mit den härtesten.
Strafen bedrohte und ahndete, hier in Athen die ungehinderte Ver-
breitung götzendienerischer Lehren in halber Gesetzlichkeit nachsichtig
bestehen liefs, ein Widerspruch, der nur in der ruhigen Haltung der
Gelehrtenrepublik und ihrer Enthaltung von Angriffen auf den christ-
lichen Glauben seine Erklärung findet. Am allerwenigsten aber konnten
Pulcheria und ihr Bruder daran denken, dem fleifsigen Stillleben der
athenischen Universität ein Ende zu machen, da ihr Eudocia, welche
naturgemäfs immer noch mit liebevoller Erinnerung an den heimat-
^^) Die letzten Schicksale der athenischen Universität s. bei Hertzberg III.
S. 488 fr.
'^^) Zeller die Philosophie der Griechen III. 2. S. 911.
275
liehen Statten ihrer Jugend hing» ihren gewichtigen Schutz nicht wird
entzogen haben.
Wo so viel Bildung und Verständnis für die Wissenschaft auf
dem Throne vorhanden war» wie hier in Ostrom in Theodosius und
seinen weiblichen Beraterinnen, konnte daher mit Leichtigkeit der
Gedanke auftauchen, ob es nicht möglich wäre, durch die Stiftung
einer neuen Universität in Constantinopel''*) der heidnischen Alma
mater den Boden zu entziehen und der Hauptstadt des Reichs auch
denjenigen wissenschaftlichen Glanz offiziell zu verleihen, welcher sie
als Sammelpunkt alles gesellschaftlichen Lebens auch ohnehin schon
umstrahlt hatte, seitdem sie der bleibende Sitz der Herrscher geworden
war. Denn ohne dafs Constantinopel eine Lehrstätte im Sinne Athens
gewesen, waren doch bedeutende Geister der Zeit entweder für immer
oder vorübergehend aus den verschiedensten Gründen hier anwesend,
sei es, dafs sie wie die alexandrinischen Grammatiker Ammonius und
Helladius ''2) hier eine Zuflucht gegen Verfolgungen fanden, oder wie
Troilus durch öflentliche Vorträge sich den Lebensunterhalt zu erwerben
suchten. Auch war es nicht nötig von Grund aus eine neue Ein-
richtung zu schaffen, da bereits Constantin der Grofse, auch hierin
bemüht seine Hauptstadt zu heben, eine Universität in Cbnstantinopel
errichtet und ihr das Kapitolium zum Sitze angewiesen hatte.
Aber, wenn nun auch Theodosius bei Neubegründung seiner
Lehrapstalt auf diesem Fundamente weiterbaute, so mufs, was nicht
immer geschehen ist, klar imd deutlich gesagt werden, dafs der
Charakter der neuen Universität ein ausgesprochen christlicher
war; das bedingt schon die strenge Gläubigkeit des Kaisers und seines
Hofes, das bedingt auch der Gegensatz zu Athen, welcher ihr von
vornherein aufgedrückt wurde; wir müssen daher annehmen, dafs
entschieden die meisten, vielleicht alle Professoren bereits Christen
waren, denn eine heidnische Universität neben dem orthodoxen
Hofe mufs billig als Unmöglichkeit bezeichnet werden. ''3) Während
uns nun die Bedeutung dieses Ereignisses so grofs erscheint, ist es
umgekehrt an den Zeitgenossen wie spurlos vorübergegangen, da selbst
die Chroniken, welche sonst genau die Erderschütterungen, Hagel-
schläge, Feuersbrünste in der Hauptstadt mit ängstlicher Genauigkeit
buchen, keine Notiz davon genommen haben. So bleiben uns denn
als einzige Zeugen die Stiftungsurkunden, wenn man so sagen darf,
'*) Hertzberg IIT. S. 494 ff. Gesch. Griech. seit dem Abst. u. s. w. I. S. 115.
w) Socr. V. 16 und 17. Vgl. G. S. 141.
''') Ich nehme daher an, dafs der später noch genannte Helladius sich hat
taufen lassen.
i8*
276
welche uns, allerdings um so sicherer und zweifelloser, iii dem Theodosia-
nischen Gesetzbuch aufbewahrt sind.
Vom 27. Februar und 15. März 425 sind die drei Freibriefe der
Alma mater Constantinopolitana datiert, von denen der erste'*) den
lokalen Verhältnissen, der zweite und dritte dem Lehrpersonal Rechnung
trägt. Um der neuen Gründung auch äufserlich ein würdigeres Local
und gröfsere Räumlichkeiten zu verleihen, bestimmte Theodosius, dafs
die Hörsäle an der Nordseite des Porticus auf dem, in der achten
Region mitten in der Stadt mehr der grofsen Mauer zu gelegenen,
Capitol, welche allein hinreichend geräumig und schmuckvoll waren,
in Zukunft für die Vorlesungen der Professoren frei bleiben sollten,
während die nach Osten und Westen liegenden dem alten Zwecke
der Garküchen weiter dienten.''*) Sollten die neu zu emennendien
Professoren nicht durch die Eingriffe staatlich nicht anerkannter Wander-
lehrer leiden, so mufste es ebenfalls eine der ersten Mafsregeln des
Theodosius sein, diesen einen beschränkenden Damm entgegenzusetzen.
Er that das in einer Verfügung'*) des Inhalts, dafs alle, welche sich
den Namen von Magistern anmafsten und in öffentlichen Anstalten
und Sälen vor ihren von überall her zusammengelaufenen Schülern
Vorträge hielten, fernerhin sich dieser Thätigkeit bei Strafe der Infamie
und Ausweisung zu enthalten hätten, wogegen es ihnen unbenommen
bleibe privatim ihren Unterricht fortzusetzen. Umgekehrt durften die
einmal von der Regierung ernannten Professoren nur in den öffent-
lichen Hörsälen, nicht in Privathäusern bei Verlust ihrer Privilegien
lehren.'')
Die Anzahl dieser ordentlichen Professoren setzte Theodosius
sodann dahin fest, dafs für die lateinische Sprache drei Lehrer der
Beredtsamkeit und zehn Grammatiker, für die griechische dagegen
ebenso viele Grammatiker, aber fünf Sophisten anzustellen seien, und
da, wie es in der Constitution heifst'®), Theodosius wünschte, dafs die
ruhmvolle Jugend nicht blos hierin unterrichtet werde, so gesellte er
den genannten noch Lehrer einer tieferen Wissenschaft und Rechts-
'4) Cod. Th. XV. I, 53.
^^) Da nach Hänel nole e zu diesem Gesetze anstatt magislris, wie Gothofr.
wollte, ministris zu lesen ist, so bezieht sich der Schlufs auf die Garküchen.
76) XIV. 9, 3. an ConFtantius P. U.
"") sin autem ex eorum numero fuerint, qui videntur intra Capitolii auditorium
constituti, hi omnibus modis privatorum aedium studia sibi interdicta esse
cognoscant.
'^^) Et quoniam non his artibus tantum adolescentiam gloriosam optamus
institui, profundioris quoque scientiae atque doctrinae memoratis magistris socia-
mus auctores.
277
kenntnis hinzu und gründete einen Lehrstuhl für die Philosophie und
zwei für die Jurisprudenz. Damit nun aber die Vorlesungen nicht
durch das Ab- und Zuströmen der Studierenden und durch einen
Streit über die Benutzung der Räumlichkeiten gestört würden ''ö), wies
der Kaiser den Stadtpräfekten, dem die Universität wie alle städtischen
Korporationen unterstand, an eine entsprechende Einteilung der Hör-
säle zu veranlassen. Endlich — und das ist die dritte Verfügung ^^j —
machte Theodosius bekannt, dafs er die griechischen Grammatiker^^)
Helladius und Syrianus, den lateinischen Grammatiker Theophilus, die
Sophisten Martinus und Maximus und den Professor der Jurisprudenz
Leontius bereits durch die Verleihung der Geheimratswürde S2) geehrt
habe, dafs er aber zugleich geneigt sei, diese Auszeichnung auch den
übrigen Professoren zukommen zu lassen, welche neben einem sittenreinen
Wandel Lehr- und Redefertigkeit, Schärfe der Auslegung und Gedanken-
reichtum aufzuweisen vermöchten, wenn sie zwanzig Jahre hindurch
mit Eifer und Pflichttreue ihren Obliegenheiten nachgekommen wären.
Die Aufnahme neuer Dozenten in den Lehrkörper behielt sich weder
die Regierung vor noch wurde sie der Cooptation der Fakultät über-
lassen, sondern der Senat^) wurde mit der Aufgabe betraut, die
Candidaten in der angedeuteten Richtung zu prüfen; dagegen ist es
selbstverständlich, dafs, wie in Athen aus den Mitteln der Stadt,
so hier die Professoren ein bestimmtes Gehalt aus der Staatskasse
bezogen.
Fassen wir nun noch einmal die Verteilung der Lehrstellen auf
die verschiedenen Disziplinen ins Auge, so ist auf den ersten Blick klar,
dafs diejenigen unter ihnen, welche für den praktischen Beruf, besonders
für den Unterricht in den Sprachen vorbereiteten, einen entschiedenen
Vorzug vor den übrigen genossen, denn den dreifsig Professoren für
Latein, Griechisch und Jurisprudenz steht nur ein philosophischer
Universitätslehrer gegenüber. Gerade nun diese Beobachtung spricht
wohl am meisten für den christlichen Charakter der Universität,
'•) ne discipuli sibi invicem' possint obstrepere vel magistri neve linguärum
confusio permixta vel vocum aures quorundam aut mentes a studio literarum
avertat.
») VL 21, I. 15. März.
81) Über die Personen vgl. die Vermutungen Gothofr. in seinem Commentar.
Helladius ist der bereits oben erwähnte Lehrer des Socrates. Photius Bibl. c. 28.
und 145. Socrat. V. 16 und 17.
83) placuit honorari codicillis comitivae ordinis primi . . . ita ut eorum
qui sunt ex — vicariis, dignitate potiantur.
83) si... coetu amplissimo iudicante digni fuerint aestimati, qui in
memorato auditorio professorum fungantur officio.
278
denn es gab damals noch keine christliche Philosophie aufserhalb der
Klöster und des Klerus und die von diesen getriebene Philosophie
stand der heidnischen schroff gegenüber, da sie nicht wie heutigen
Tages an die Lehren der alten Naturphilosophen anknüpfte, sondern
sich einzig und allein um die christlichen Dogmen und ihre philosophische
Begründung drehte. Es war daher der Regierung unmöglich mehr
als einen Christen aufzutreiben, der die Systeme der Alten genau
studiert hatte und sie zu lehren sich im stände fühlte, wenn anders
überhaupt zu Anfang ein Christ diese Stelle bekleidete. Die Universität
Constantinopel trat somit von vornherein durch die Zurückdrängung
der Philosophie gegen Athen in den Schatten, dessen Gröfse damals
auf den Lehrern jener Disziplin beruhte, von denen Proclus**) der
bedeutendste wurde, und dieser Umstand war die Veranlassung, dafs
es in unserem Jahrhundert noch eine letzte Nachblüte erlebte. Doch darf
ebenso wenig dabei übersehen werden, dafs auch die Rechtswissenschaft
neben den übrigen eine untergeordnete Stellung einnimmt, jedenfalls
ein Beweis dafür, dafs diese Seite der Studien damals damiederlag
und nur wenige Verehrer zählte.
Endlich aber ist die Verteilung der Lehrkräfte noch besonders
wichtig in Bezug auf das Verhältnis der beiden Sprachen, der lateinischen
und der griechischen, zu einander; denn während die Lehrer der
Grammatik für beide an Zahl sich gleich sind, erhält die griechische
Rhetorik zwei Lehrkräfte mehr als die lateinische. Über die Notwendig-
keit einer solchen Mafsregel ist kein Wort zu verlieren, denn die
allgemeine Landessprache des oströmischen Reichs und vor allem die
Kirchensprache war das Griechische, auch verrät die hervorhebende
Bemerkung eines Geschichtsschreibers, Pulcheria habe lateinisch
sprechen können, dafs die lateinische Sprache nicht mehr von den
meisten gebildeten Oströmern verstanden wurde. Gleichwohl hat jene
Bevorzugung des Griechischen für uns noch eine andere Bedeutung,
nämlich die, dafs wir sehen, wie, wenn auch die officielle Sprache der
Behörden und Gesetze femer die lateinische bleibt, diese doch immer
mehr verdrängt wird, bis endlich die griechische unter Justinian L
auch im amtlichen Geschäftsverkehr die herrschende wurde. Zwei
Reiche nun, die ehemals zusammengehört haben und noch dazu die-
selbe Sprache sprechen, besitzen in derselben ein unzerreisbares Binde-
mittel, welches sie sich stets von neuem nähern läfst, während der
Mangel einer gemeinsamen Sprache, wie es die modernen Verhältnisse
deutlich zeigen, selbst Glieder, die politisch zusammen gehören, einander
M) Vgl. Hertzberg S. 488 IT. Zeller a. a. O. 6. 916 ff.
i
279
mehr und mehr entfremden kann. Es tritt also in der Begünstigung der
griechischen Sprache bei der Gründung der Universität auch ein
Moment hervor, das abgesehen von anderen Gründen die allmähliche
Trennung des grofsen Römerreichs in eine lateinische Westhälfte und
eine griechische Osthälfte schon damals anbahnte. Schliefslich mufs
auch darauf mit einem Worte hingewiesen werden, dafs G^nstantinopel
durch die Gründung der Hochschule nicht nur Athens Glanz nach
und nach in den Schatten stellte, sondern auch die anderen grofsen
Städte des Orients, vor allen Dingen Alexandrien, überflügelte, das in
Hypatia ein unschätzbares Anziehungsmittel verloren hatte, und somit
auch in geistiger Beziehung der Brennpunkt wurde, von dem die be-
lebenden Strahlen über das ganze orientalische Reich hin ausgingen.
Fünftes Kapitel.
Die Verhältnisse in Westrom. — Bonifacius und Aetius. — Ihr Vorleben und
Charakter. — Die Intrigue des Aetius. — Aufstand des Bonifacius. — Mavortius,
Galbio und Sinox werden gegen ihn gesandt. — Bonifacius ruft die Vandalen
zu Hülfe. — Diese setzen unter der Führung Gaiserichs nach Africa über. —
Aussöhnung Placidias und des Bonifacius. — Unglücklicher Kampf mit den
Vandalen. — Theodosius II. sendet seinen Feldherm Aspar, der ebenfalls unter-
liegt. — Die kirchlichen Zustände des Orients. — Nach dem Tode des Atticus
und Sisinnius wird Nestorius aus Antiochia Bischof in Constantinopel. — Zwie-
spalt der alexandrinischen und antiochenischen Lehrrichtung. — Streit über Maria
als S-eoTOXOg. — Cyrill zieht den Kaiser und Hof in denselben hinein. — Synode
zu Ephesus 431. — Absetzung des Nestorius. — Ende der Spaltung 433.
Während das oströmische Reich im Laufe des zweiten Decenniums
des Jahrhunderts in allen seinen Unternehmungen von dem glücklichsten
Erfolge begünstigt wurde und sich das Regiment des zweiten Theodosius,
so schwächlich er selbst war, immer mehr befestigte, waren dem west-
römischen eine Reihe von Prüfungen ernster Art beschieden, welche
den Kaiser des Orients zu neuem Eingreifen nötigten. Er hatte seinen
Vetter Valentinian UI. als noch nicht siebenjährigen Knaben durch
seinen Abgesandten Hello mit dem Purpur begabt, aber die eigentliche
Leitung der Staatsangelegenheiten in die Hände seiner Mutter Placidia
gelegt, weil ein männlicher Sprofs der Theodosianischen Dynastie
aufser ihm nicht vorhanden war, und weil er meinte, dafs sie wie
seine Schwester Pulcheria mit Klugheit und männlichem Geiste hin-
reichend ausgestattet sei.
%
28o
Doch, hatte sich die Feindschaft der beiden ehemaligen Leiter
des Römerreichs, des Stilicho und Rufinus, nicht durch die Ehrfurcht
vor den Kaisem Honorius und Arcadius Schranken setzen lassen, um
wie viel weniger vermochte die vormundschaftliche Regierung einer
fürstlichen Frau den Ehrgeiz ruhmsüchtiger Generale zu zügeln, zumal,
wenn sie ihnen zu Dank verpflichtet war! In diese unheilvolle Lage
geriet Placidia sogleich, nachdem sie die Staatsgeschäfte übernommen
hatte, denn zwei Männer hatten vor allen andern Anrecht auf Aus-
zeichnung und ihre Gunst, Bonifacius und Aetius; und diese waren
nicht gewillt einander im geringsten zu weichen. Von ihnen ist uns
Bonifacius *) bereits näher bekannt als ein rückhaltsloser Anhänger der
Kaiserin -Mutter schon seit Honorius Zeiten, der unbekümmert um die
feindliche Partei am Hofe zu Ravenna der flüchtigen Fürstin seine
Treue erhalten und sie mit den ihm als Statthalter der reichen Provinz
Africa zu geböte stehenden Mitteln nicht unwesentlich unterstützt hatte.
Über seine militärischen Fähigkeiten ein Urteil zu fallen ist bedenklich,
da seiner tapferen Verteidigung Massilias gegen Athaulf und Africas
gegen die Truppen des Usurpators Johannes auch unglückliche Feld-
züge gegenüberstehen. Wie nun aber auch seine Begabung nach
dieser Seite hin beschaffen sein mochte, jedenfalls hatte er die Kaiserin
sich durch seine unerschütterliche Anhänglichkeit für inmier und aufs
engste verpflichtet, welche ihn auch nach der Niederwerfung des
Johannes in seinem hohen Amte beliefs.
Aus ganz entgegengesetztem Grunde zunächst machte auch
Aetius Anspruch auf die besondere Gunst der Herrscherin, da er im
Gegenteil zu der ihr feindlichen Partei gehört und im Auftrage des
Johannes jene Hunnenscharen herbeigeführt hatte, welche er dann nach
seinem Frieden mit Placidia mit Mühe und Not wieder zur Umkehr
bewog. Aetius 2), dessen Persönlichkeit in den nun folgenden Wirren
überall die Hand im Spiele hat, würde sich schon durch die letzte
Grofsthat seines Lebens und durch seinen berühmten Gegner Attila
unvergänglichen Ruhm erworben haben, wenn er nicht auch schon
vorher die Geschicke des weströmischen Reichs nach seinem Willen ge-
Wkt hätte. Er war geboren in der niedermoesischen Stadt Dorostorena*)
*) Prosp. Aquit. 422 und 424. Olymp, frgm. 40 und 42. Augustin. ep. 220, 7.
Procop. De hello Vand. I. 3. Vgl. Papenkordt Gesch. der vandal. Herrschaft
in Africa S. 54—56. Sievers Stud. S. 454: Bonifacius und Aetius.
^) Über ihn hat eine ausführliche Darstellung Hansen gegeben in der
Dissertatio de vita Aetii part. prior, und posterior. Dorpat 1840. Vgl.
aufserdem v. Wietersheim S. 187. §ievers S. 463 ff.
3) Jordanis c. 34. Renat. Prof. Frigeridus bei Gregor. Tur. II. 8. Vgl.
Hansen S. i. Aetii parentes. Vgl. besonders Anm. II. Kiepert S. 392.
28l
(oder Dorostulum j. Silistria) als Sohn einer edlen Italienerin und des
Gaudentius, der ursprünglich in oströmischen Diensten stehend mit
Theodosius dem Grofsen 394 nach Westen gegen Eugen gezogen
und dann im Occident zurückgeblieben war. Hier bekleidete er im
Jahre 401*) die Würde eines Befehlshabers der römischen Truppen in
Africa, wo er zusammen mit Jovius nach dem Zeugnis des hl. Augustinus^)
die heidnischen Tempel zu Karthago zerstörte, vielleicht noch 409*)
die eines vicarius Africae und war dann später als General (mag. mil.)
von seinen eignen Soldaten in Gallien getötet worden.'') Inzwischen
hatte sein jugendlicher Sohn Aetius mannigfache Schicksale erfahren;
er war 408 von Alarich neben dem Sohne des Jason als Geisel ge-
fordert worden 8), doch bleibt es fraglich, ob er in der That an die
Westgothen ausgeliefert worden ist; sicher dagegen ist die Nachricht,
dafs er später als Geisel zu den Hunnen 9) entsandt wurde und aufser
ihren Sitten und Gebräuchen auch seinen grofsen Gegner Attila kennen
und achten lernte. Nach seiner Rückkehr^ über welche nichts fest-
steht, diente er in der kaiserlichen Leibgarde i^) und hatte gegen
das Ende der Regierung des Honorius ein so hohes Ansehen sich
erworben, dafs der Usurpator Johannes, nachdem er ihn zum Castrensis
sacri palatii**) erhoben hatte, ihn wegen seiner alten Beziehungen zu
den Hunnen sandte, ein Auftrag, dessen Ausgang bereits oben berichtet
worden ist
Hatte den Aetius schon diese wichtige Rolle, welche in dem
Kampf um das Erbe des Honorius den Ausschlag gab, mit grofsem
*) Im Text von Cod. Theod. XI. 17, 3.
») De civ. Dei VIIl. 54, i.
«) Cod. Th. VII. 5, I. Vgl. Sievers S. 463.
') Ren. Prof. Frigeridus a. a. O. und Prosp. Tiro. Vgl. Hansen S. 11. A. 9.
*) Greg. Tur. II. 8. tribus annis Alarici obses, dehinc Chunnorura. Hansen
S. i4fF. verficht diese Nachricht als Faktum; Sievers S. 464 stellt es als möglich
hin, V. Wietersheim S. 187. A. a. schenkt mehr Zosim. V. 36. Glauben und ver-
wirft jene Annahme.
») Greg. Tur. a. a. O. Jedenfalls nach 410, meint Sievers S. 463. Vgl. Haage
Gesch. Attilas. Progr. Celle 1862. S. 4. Hansen S. 20. nimmt an, dafs der Aufent-
halt bei den Hunnen schon vor 408 stattfand.
*^ Sievers a. a. O. bezieht mit Hansen S. 23. das : ex comite domesticorum
des Ren. Prof. Friger. auf den Carpilio, des Aetius Schwiegervater. Anders
V. Wietersheim S. 187. Vgl. ebend. zu dem Ausdruck derselben Quelle a puero
praetorianus.
") Frigeridus: Johannis curam palatii gerere coepit. Vgl. dazu Hansen
S. 31, Anm. 52. Sievers S. 464. v. Wietersheim S. 187. Anm. b. Der castr. S. Pal.
rangiert in der Hofrangordnung an elfter Stelle. Not. Dign. c. i. Seine Befug-
nisse ebend. c. 17. ed. Seeck.
282
Selbstgefühl erfüllt, so erhob ihn noch mehr der glückliche Erfolg
seines Vorgehens gegen den Westgothenkönig Theodorich I. , den er
425/426 von Arelate vertrieb und zum Frieden nötigteJ*) So hatte
er sich bereits bis hierher als den gezeigt, welcher er auch in Zukunft
blieb, nämlich als einen echten Römer und aufrichtigen Patrioten, in dem
die alte Kriegstüchtigkeit eines Theodosius und G^nstantius wieder auf-
lebte und mit einem reichen Mafs diplomatischer Klugheit, leider aber
auch mit unbesieglichem Ehrgeiz und unauslöschlichem Hafs gegen
seine Feinde innig gepaart war. Eben diese letzten Eigenschaften
nun waren es, welche dem weströmischen Reich zunächst einen schweren
Schlag in dem Verluste der reichen Provinz Africa versetzten, von
dem es sich nie wieder erholte. Denn Aetius von seinem eigenen
Werte übermäfsig eingenommen und auf seine Thaten stolz, verzehrte
sich in innerer Eifersucht bei der Wahrnehmung, dafs trotz seiner
grofsen Verdienste sein Nebenbuhler Bonifacius dem Herzen und
Throne der Augusta am nächsten stand, und beschlofs auf das Ver-
trauen, welches ihm Placidia entgegenbrachte, fufsend, ihn durch eine
klug eingeleitete Intrigue^^) aus der einflufsreichen Stellung zu ent-
fernen.
Besorgnis um das Wohl des Reichs vorschützend, redete er der
Augusta ein, Bonifacius sei willens sich in Africa selbständig zu machen,
und werde, falls sie sich davon überzeugen wolle, einer Aufforderung
an den Hof zu kommen sicherlich nicht Folge leisten; an Bonifacius
dagegen schrieb er, Placidia stelle ihm nach und werde, um ihren
Anschlag auszuführen, ihn zu sich rufen lassen. So plump diese List
für einen ruhigen und besonnen überlegenden Mann war^ so leicht
liefsen sich Placidia und Bonifacius von ihr bestricken; denn wenn-
gleich ihr besseres Selbst an die Schlechtigkeit des anderen Teils nicht
glauben mochte, so hatten die letzten Jahrhunderte doch mehr als
ein Beispiel von Fürstenlaune und Vasallenuntreue geliefert, und so
erschien Bonifacius von Placidia berufen in der That nicht vor ihr.
Der Besitz Africas war, wie wir bereits aus den Zeiten Stilichos wissen,
für Rom eine Lebensfrage und jetzt um so mehr, als grofse Teile des
gallischen Getreidebodens und fast ganz Spaniens ihre Erzeugnisse
**) Prosp. Aquit. 425. Vgl. Hansen S. 44. Anm. 81. Sievers S. 453.
Wietersh. S. 188.
13) Alleinige Quelle für das Folgende ist Procop. De hello Vand. I. 3 ff.
Hansen S. 45. Anm. 82» verwirft die Mitteilungen des Procop., indem er sich auf
Prosp. Aquit. 427, wo Aetius nicht genannt werde, beruft. Vgl. Dahn bei
Wietersh. S. 189 und 379. Ausführliche Darstellungen dieser Ereignisse gehen
Mannert Gesch. der Vandalen Leipzig 1785; Gibbon a. a, O. VII., und Papen-
kordt a. a. O. S. 57 ff.
283
nicht mehr für die römische Hauptstadt lieferten; es niufste daher um
jeden Preis dem vermeintlichen Aufruhrer entzogen werden, der not-
gedrungen um sein Leben kämpfend ebenfalls zu den Waffen griff.
Aetius aber, um nicht dem Argwohn in der Brust der Placidia neue
Nahrung zu gewähren, liefs sich nicht selbst gegen seinen Nebenbuhler
entsenden, sondern sein Parteigenosse, dermagister militum Felix ^^),
beauftragte den Mavortius, Galbio und Sinox mit der Führung der
römischen Truppen gegen den „Reichsfeind" Bonifacius.
Allein während dieser von ihnen in einem festen Orte, dessen
Name nicht genannt ist, belagert wurde, fielen die beiden erstgenannten
durch den Verrat des Sinox, der bald darauf aber ebenfalls den Lohn
durch Bonifacius erhielt. Gleichwohl fühlte sich der letztere den
römischen Streitkräften nicht gewachsen, da Placidia den comes
Sigisvultus'^) von neuem gegen ihn entsandte, und er sicherlich zu-
gleich auch von den Numidem in die Enge getrieben wurde *•), welche
diese Gelegenheit das angebaute Land zu brandschatzen nicht unbe-
nutzt vorübergehen liefsen. Da that er^ um sich selbst das Leben zu
retten, einen gewagten Schritt, welcher seinem Vaterlande diejenige
Landschaft kostete, welche bisher von den Leiden der Völkerwanderung
völlig verschont geblieben war. £r rief nämlich zu seiner Unterstützung
das Volk der eroberungslustigen und beutelüsternen Van dal en herbei ")
welche den Süden der spanischen Halbinsel einnehmend dem schwarzen
Erdteil benachbart wohnten und auf ihren kühnen Raubfahrten zur
See nicht nur die nahen Gestade der Balearen heimgesucht i^), sondern
mit ihren rohen Fahrzeugen selbst die Küste Nordafrikas in Schrecken
gesetzt hatten.
Und gerade damals stand an der Spitze derselben ein Mann,
dessen Ehrgeiz über die Grenzen Hispaniens weit hinausging. Es war
G aiser ich**), der unebenbürtige Sprofs des Königs Gunterichs L^^^),
der seinen zwar ebenbürtigen, aber unthätigen Bruder Guntherich IL,
mit welchem er die Herrschaft teilte, durch seine kriegerische
Tüchtigkeit gänzlich in den Schatten stellte. Zwar sein Äufseres
") Prosp. Aquit. 927. Über seine Nachrichten vgl. die Untersuchung bei
Sievers S. 455 fF. Papenkordt S. 58.
") Prosp. Aquit, 427.
*«) Papenkordt S. 59.
") Über die Vorgeschichte der Vandalen vgl. Papenkordt S. I — 20.
*•) Idac. Chron. Papenkordt S. 53.
**) Seine Charakteristik bei Jordanis c. 33. Procop. I. 3. deivotaroq wv
^ So Wietersheim S. 188; anders Dahn Könige I. S. I42ff. , der nur
einen Ghintherich annimmt. Vgl. Procop. a. a. O. Papenkordt S. 61.
284
entsprach nicht dem Sinne, der ihn beseelte, denn seine keineswegs
hohe Gestalt litt unter dem Fehler des Hinkens, welches er sich durch
einen Sturz vom Pferde zugezogen hatte, dafür aber entschädigte ihn
eine geistige Begabung von bewunderungswürdiger Schärfe, welche
ihn zum Verächter alles unnützen Geschwätzes wie überflüfsiger Be-
quemlichkeit, aber auch zu einem gefahrlichen Friedenstörer und
Ränkeschmied für die übrigen Völker machte; endlich zeigte sein
Charakter einen zügellosen Jähzorn und den gemeinsamen Zug dieser
Zeiten, die schmutzigste Geldgier. Er ging daher auf den Vorschlag
des römischen Feldherm, ihn in Africa gegen seinen Widersacher zu
unterstützen, mit der gröfsten Bereitwilligkeit ein 21), bot sich ihm doch
und seinem Volke aufser den versprochenen Landteilen neue Gelegen-
heit ihre Beutelust und ihren Kriegseifer zu behriedigen; er setzte im
Laufe des Jahres 428 oder erst 42922) mit seinen Volksgenossen und
Zuzüglern der Alanen 22») nebst ihren Angehörigen "über die schmale
Strafse von Gibraltar nach Africa hinüber und betrat in der Provinz
Mauretania Tingitana das römische Gebiet. Nach der glaubwürdigen
Notiz eines Zeitgenossen betrug die Gesammtzahl aller übergesetzten
auf Grund der von Gaiserich alsbald veranstalteten Zählung nur 80 CXK>
Seelen 23), so dafs die kriegstüchtige Mannschaft nicht mehr als 50 000
Mann gezählt haben wird.
Während Gaiserich nun mit derselben den ebenso weiten wie
beschwerlichen Marsch durch Mauretania Tingitana und Sitifensis an-
trat, war auf Veranlassung der Placidia, welche einige von den Freunden
des Bonifacius an denselben abgeschickt hatte, weil sie an seine Treu-
losigkeit nicht glauben wollten, das zwischen ihnen obwaltende Mifs-
verständnis gelöst und der Trug des Aetius klar gelegt worden.24)
Indes bei der mächtigen Stellung des letzteren und den augenblick-
lichen mifslichen Verhältnissen zog Placidia vor gute Miene zum bösen
Spiele zu machen und verzichtete auf eine Bestrafung; viel weniger
durfte sie aber dem hintergangenen Bonifacius zürnen und liefs ihm
deshalb die Verzeihung zu teil werden mit der Aufforderung, die
'*) Prosp. Aquit. 427. Chron. Pasch. 428. Idac. 429- Vgl. Sievers S. 456.
Wietersh. S. 190. Papencordt S. 63. Anm. i.
2*) Possidonius in vita S. Aug. c. 28.
**a) Bevor er nach Africa übersetzte, besiegte er die Sueben, welche in das
Land der Vandalen eingefallen waren. Idac. vgl. v. Wietersheim S. 190. Papen-
kordt S. 63.
*3) Victor, episcop. Vitensis historia persecutionis africanae ed. Halm in
Mon. Germ. Übersetzt v. M. Zink. Progr. Bamberg 1883. I. cap. I. Procop.
a. a. O. I. 5. ") I. 3.
285
Barbaren zürn Abzüge aus Africa zu bewegen. Allein Bonifacius hatte
sich in dem Vandalenkönig getauscht, der das Verlangen des Römers
für einen Treubruch haltend ungesäumt den Krieg gegen ihn selbst
und damit auch gegen die Provinz Africa, welche er bisher nur als
Bundesgenosse behandelt hatte, begann. Da kostete dies unglückliche
Land alle die Leiden, welche die anderen Teile des Reichs nach und
nach erduldet hatten, mit einem Schlage durch, und grauenvoll ist die
Schilderung^^), welche uns der Bischof Victor von Vita von ihr ent-
wirft Nicht nur, dafs die Vandalenhordeu wie andere Barbaren die
blühenden Gefilde durch Sengen, Brennen und Morden verheerten
und entvölkerten, bezeichnender für ihre und ihres Führers Sinnesart
war es, dafs sie selbst die fruchtbaren Sträucher nicht von der allge-
meinen Vernichtung ausnähmen, ,> damit nicht etwa die Bewohner,
welche sich in die Gebirgshöhlen und sonstige Schlupfwinkel geflüchtet
hatten, nach ihrem Abzüge von den Früchten derselben sich ernähren
konnten." 2«) Namentlich waren es die Kirchen und Kapellen der
Heiligen, die Begräbnisplätze und Klöster, an denen sie auf die frevel-
hafteste Weise ihre Wut ausliefsen, so dafs sie die Bethäuser noch
weit mehr als die grofsen und kleinen Städte insgesamt in lodernden
Flammen aufgehen liefsen.
Die Not der also bedrückten Bewohner, an deren Elend Bonifacius
allein schuld war, bewog ihn endlich dem Vandalenkönige entgegen-
zutreten, aber unglücklich im Treffen warf er sich mit dem Reste
seiner Truppen, welcher aus föderierten Gothen bestand, in Hippo
regius^''), den Bischofssitz des hl. Augustinus. Hier aus Italien zur
See mit allem Nötigen versorgt verteidigte er sich, während die Vandalen
nunmehr auch Numidien und die eigentliche Provinz Africa bis auf
das feste Cirta und Karthago einnahmen, mit Ausdauer und Geschick
vierzehn Monate lang, bis Gaiserich durch den Mangel an Lebens-
mitteln gezwungen die Belagerung aufhob. Inzwischen war auch das
oströmische Reich durch diese unglücklichen Ereignisse ins Interesse
gezogen worden; denn Placidia hatte Theodosius Nachricht gegeben,
und es zeugt sowohl von dem guten Verhältnis zwischen den beiden
Höfen als auch von dem richtigen Blick der Pulcheria, dafs sie die
Gefahr des Westreichs auch für die ihres kaiserlichen Bruders ansah
und keinen Augenblick zögerte, dem bedrängten Bonifacius Hülfe zu
senden. Diese Sendung (431) stand unter dem Befehle des aus dem
") Victor Vitens. a. a. O. «•) I. i.
*') Procop. I. 3. Während dieser Belagerung starb der hl. Augustinus, V.
Kai. Sept. inter impetum obsidentium Vandalorum. Prosp. Aquit. 430. Possidonius
c. 28. Vgl. Sievers S. 455. Mannert S. 56. Papenkordt S. 67.
286
letzten Kriege vorteflhaft bekannten Sohnes des Ardaburius Aspar^^),
doch wissen wir über die Stärke seines Kontingentes gar nichts, nur
wird berichtet, dafs sich der spätere Kaiser Marcian in seiner Begleitung
befand und in vandalische Gefangenschaft fiel.^^) Die Truppenmacht
des Aspar war, da sie zur See auf den Kriegsschauplatz gebracht
wurde, gewifs nicht bedeutend; jedenfalls vermochte auch er nicht
dem Kriege eine andere Wendung zu geben, sondern beide, er und
Boni&cius, wurden nach tapferer Gegenwehr in einer zweiten Schlacht
von Gaiserich so aufs Haupt geschlagen, dafs Aspar den weiteren
Kampf aufgebend nach Constantinopel zurückkehrte, und Bonifacius
von Placidia nach Italien berufen wurde, während Africa seinen Be-
drängern hilflos überlassen blieb.^*»)
Aber nicht nur durch die wechselvollen Ereignisse, welche sich
im Occident abspielten, wurde die Aufmerksamkeit der Regierenden
im Ostreich in denselben Jahren in Anspruch genommen, sondern
die Interessen und Neigungen des Theodosius wie seiner Gemahlin
und Schwestern zog nicht minder eine andere Angelegenheit in ihre
Kreise, welche wiederum wie zu den Zeiten des Johannes Chrysostomus
zunächst Constantinopel, dann aber in ihrem weiteren Verlaufe auch
das ganze Reich in Aufregung und Verwirrung versetzte. In denselben
Tagen nämlich, in denen Theodosius die grofse Reise in den Occident
zur Krönung Valentinians III. vorhatte, starb der Bischof Atticus*®)
von Constantinopel, der sämmtlichen Kindern des Arcadius und nicht
weniger der Eudocia aufserordentlich nahe gestanden hatte und nach
allem , was wir von ihm wissen , ein gutherziger Mann von milder
Gemütsart gewesen war. Ist es nicht angenehm in diesen Zeiten, wo die
Gegensätze der Bekenntnisse sich noch so schroff gegenüberstanden
und so viele Kirchenfürsten ihren Ruhm in der Verfolgung Anders-
gläubiger zu mehren trachteten, auch einmal auf einen Geistlichen zu
stofsen, vor dessen Herzen wenigstens die „Mühseligen und Beladenen'*
alle gleich waren, welchem Glauben sie auch angehörten! Atticus war
ein solcher. Er sandte einmal ^i) dreihundert Goldstücke an den Presbyter
Calliopius von Nicaea mit der Bitte, sie an die schamhaften Armen,
nicht an die gewerbsmäfsigen Bettler zu verteilen und ohne Rücksicht
auf religiöse Unterschiede. Nicht minder zeugt von der Versöhnlich-
'*) Procop. I. 3. Damals schenkte Aetius den ihm von Attila übersandten
Maurusier Zercon dem Aspar. Priscus frgm. 11. Suidas v. ZiQXWV.
^) Ebend. führt diese Thatsache noch weiter aus.
89 a) Vgl. Papenkordt S. 69 fr. v. Wietersheim S. 190.
30) Socrat. VII. 25. 10. Okt. 425.
31) Ebend.
287
§
keit seines Sinnes die Aufnahme des Namens des Johannes Chrysostomus
in die bischöflichen Diptychen und seine Aufforderung an Cyrill von
Alexandrien das Gleiche zu thun.^**) Es war Theodosius, der diesen
seltenen Mann gewifs recht hoch geschätzt hatte, nicht mehr vergönnt
gewesen ihm die letzte Ehre zu erweisen, da er durch seine Erkrankung
in Thessalonich zurückgehalten worden war; den Streit dagegen, der
sich wie immer um die Nachfolge erhob, konnte er bereits schlichten*
und zwar geschah dies dahin, dafs der durch Wohlthätigkeit und
Frömmigkeit ausgezeichnete Presbyter Sisinnius aus der Vorstadt
Elaea auf den Patriarchenstuhl erhoben wurde.'^)
Allein der frühzeitige Tod des ehrwürdigen Mannes am Ende
des folgenden Jahres (427) ^3) brachte Theodosius und seinem Hause
die gleiche Sorge von neuem, und diesmal fiel ihre Wahl nicht auf
einen Geistlichen der eignen Kirche, sondern auf den Presbyter
Nestorius aus Antiochia. Er stammte aus Germanicia in Syrien ^-^),
wo er sich bald durch die Gewandtheit seiner Rede, welcher ein
schönes Organ noch mehr Nachdruck verlieh, auszeichnete und bekannt
machte. Nachdem er darauf eine Zeit als Mönch im Kloster des
Euprepius gelebt hatte, wurde er zuerst als Diakon, dann als Presbyter
an die antiochenische Kirche berufen. Schon in diesen Zügen
zeigt er eine auffallende Ähnlichkeit mit seinem unglücklichen Vor-
gänger Johannes 3**), (dessen Andenken durch seine Einwirkung
damals am Hofe wiedergefeiert wurde), welche noch durch den ihm
anhaftenden Mangel an Mäfsigung vergröfsert wird. Auch fehlte es
ihm an der einem Geistlichen so wohl anstehenden Bescheidenheit,
dafs er nie oder höchst selten von seiner eigenen Person spricht; er
hatte vielmehr etwas Fanatisches in seinem Wesen, welchem er gleich
in seiner Antrittspredigt feurige Worte verlieh, indem er dem Kaiser
zurief: „Gieb* mir, o Kaiser, die Erde gereinigt von den Ketzern, und
ich will Dir den Himmel dafür geben. Vernichte Du mit mir die
Irrgläubigen, so will ich mit Dir die Perser vernichten!" Und diesen
Worten folgte auch bald die That, denn schon am fünften Tage nach
'•a) Aufser Socrat. a. a. O. Vgl. Attici ep. ad Cyrillum in Cyrilli op.
V. 3, 201.
**) Am 28. Febr. 426. Aufser ihm bewarben sich die Presbyter Philippus
und Proclus um den Bischofsstuhl. Socrat. c. 26.
^) 24. Dec. 427. Socrat. c. 28.
'*) Socrat. c. 29. Marc. Com. 428. Vgl. die auch im Folgenden vielfach
benutzten kirchengeschichtlichen Darstellungen von Neander AUgem. Gesch. der
christl. Religion und Kirche, ed. 1856. 1.2. S. 667; Gieseler Lehrbuch der
Kirchengesch. I. 2. S. 131 ff. v. Hefele Conciliengeschichte 1X-. S. 149.
3*a) Marc. Com. 428.
288
seiner Ordination machte er sich daran, die Kirche der Arianer zu ver-
nichten^*), in der sie heimlich ihre Gebete verrichteten, er bewirkte aber
nur, dafs sie in Brand gesteckt und die benachbarten Häuser mit ein-
geäschert wurden. Nicht minder fanatisch ging er gegen die Mace-
donianer vor, denen in Constantinopel und den Gegenden am Helle-
spont ebenfalls die Bethäuser genommen wurden.^) So beherrschte
er anfangs die frommgläubigen Herzen des Theodosius und der
Pulcheria, wovon aufser diesen Thatsachen auch eine erneute Ver-
fügung gegen die Haeretiker aus der ersten Hälfte des Jahres 4283')
Zeugnis ablegt.
Allein schneller noch als bei Johannes Chrysostomus wurde das
gute Verhältnis, in welchem der Patriarch zunächst mit seiner Gemeinde,
seinem Klerus und dem Kaiser stand, durch eine dogmatische Streitig-
keit getrübt, in deren Verlaufe das eben erst aufgegangene glänzende
Gestirn des redegewandten Nestorius nach kurzem Leuchten alsbald
wieder in Finsternis versank. Sie wurde nicht von ihm heraufbe-
schworen, sondern lag schon längst vor ihm in dem tiefen Gegensatz,
welcher inbetreff der Auffassung des Verhältnisses Gottes zu Christus
und zu den Gläubigen sich zwischen der antiochenischen Kirche, aus
der Nestorius stammte, und der alexandrinischen allmählich herausge-
bildet hatte.*^) Denn während diese in dem Nebeneinandersein von
göttlichen und menschlichen Eigenschaften in Christo überall auf das
Übernatürliche darin hinwies, liefsen es sich die antiochenischen
Dogmatiker angelegen sein, in der Offenbarung des Übernatürlichen
das Natürliche und Erklärbare zu finden, und während sie in dem Ver-
hältnis Gottes zum Menschen ein Analogen zu dem zwischen Gott
und Christo zu sehen meinten, erschien gerade dies den Alexandrinern
als eine Läugnung der Göttlichkeit des Heilandes; Stoff genug, um
bei der leichten Erregbarkeit der orientalischen Gemüter ein Feuer
anzufachen, von dessen zunehmender Mächtigkeit die Urheber nichts
geahnt hatten. Aber alle diese Fragen würden an und für sich nicht
zu unerfreulichem Streit und zur Absetzung des Patriarchen geführt haben,
wenn dieser nicht ebenso wie Johannes in einer Zeit berufen wäre,
in welcher an der Spitze der alexandrinischen Kirche ein ehrgeiziger
und vor keinem Streit zurückschreckender Bischof stand. Es war der
uns bereits bekannte Cyrill, bei dessen Erwähnung uns sogleich das
^) Socrat. ebend. Marc. Com. 428.
**) c. 31. Marc. Com. 429.
37) Cod. Theod. XVI. 5, 65. 30. Mai.
»«) Neander S. 666.
26q
Bild jener aufregenden Vorgänge ^9) in Alexandrisn vor die Seele
tritt, deren Anstifter der Patriarch selbst war. Dafs er Veranlassung
zu persönlichem Groll gegen Nestorius gehabt hätte, wird nirgends
berichtet, gleichwohl dürfen wir im Hinblick auf seine alexandrinische
Thätigkeit annehmen, dafs er demnächst in seinem Vorgehen gegen
denselben nicht blos von rein sachlichen und kirchlichen Beweggründen
geleitet wurde.^^)
Unter den Erscheinungen, welche dem neuen Patriarchen in
seinem Wirkungskreis entgegentraten, war ihm von Anfang an die
auffällig, dafs die Mitglieder seiner Gemeinde und seines Klerus mit
einer nach seiner Meinung übertriebenen Verehrung von der Mutter
Christi als „Gottesgebärerin" {d-soroxog) sprachen**); er unterliefs es
daher nicht, in seinen Predigten seine abweichende Ansicht über den
wunderbaren Anteil Marias an der Geburt des Heilandes auszusprechen,
welche er in dem Ausdruck „Christusgebärerin'* {xQiCtotoxog) zü-
saomienfafste^^^^ und jene Verehrung in die geziemenden Schranken
zurückzuweisen. Natürlich gab er dadurch nicht nur für seine Kleriker,
sondern auch für die Laien, welche seine Kirchen besuchten, ein Ge-
sprächsthema, welches nach allen Seiten hin beleuchtet und verhandelt
wurde. Unter den ersteren erregte der mit ihm aus Antiochia ge-
kommene Presbyter Anastasius*') die öffentliche Meinung noch mehr,
indem er eines Tages in der Kirche erklärte: „Niemand nenne die
Maria eine Gottesgebärerin, denn Maria war Mensch, von einem Menschen
aber kann unmöglich ein Gott geboren werden I" Vergebens versuchte
Nestorius in seinen Predigten den Eindruck dieser unvorsichtigen
Äufserung abzuschwächen und seiner eigenen mafsvollen Meinung zum
Siege zu verhelfen, die Aufregung unter Klerus und Volke ward viel-
mehr immer gröfser und brachte ihm nicht nur offenen Angriff und
3«) Vgl. II. Buch c. 2. der Darstellung.
*0) Neander S. 671.
**) So versichert Nestorius, und gewifs mit Recht, selbst in einem Briefe
an Johannes von Antiochia bei Harduin conciliorum collectio I. S. 1331 : Puto
enim et tuam religiositatem cognovisse, quia mox ut venimus huc, aliquos . . .
eorum, qui ad ecclesiam pertinent, seditione dissidentes invenimus; quorum aliqui
quidem sanctam virginem Theotocon tantummodo nominabant, alii vero hominis
genitricem. Unde utramque partem ut diligenter colligerem . . . Christi eam
vocavimus genitricem, ut haec vox utrumque manifeste signaret, id est deum et
hominem. Anders Socrat. VII. 32. Vgl. Neander S. 667 iF.
**) Neander S. 670. Gieseler S. 138. Anm. 15.
*3) Socrat. VII. 32 : &st6xov ttjv (lagiav xaXskw fjiijSslg' /Aagia yag
av^Qwnoq t]v' vnb avS-QWTtov 6t d-sov TexO^fjvcti dövvazov.
19
«
Widerspruch aus den Reihen der Geistlichen wie den des Pröclus**),
des mnstigen Mitbewerbers um den bischöflichen Stuhl, sondern selbst
aus der Menge der Laien**) ein.
Allmählich nahm der Streit immer mehr den Charakter einer
Kirchenspaltung an, da eine Anzahl Kleriker ihm offen die Kirchen-
gemeinschaft aufkündigten und gegen ihn predigten, wogegen Nestorius
sowohl die kirchliche Strafe der Excommunication gegen sie verhängte
als auch den Arm der weltlichen Gerechtigkeit gegen alle diejenigen
zu Hülfe rief, welche in ihrem Fanatismus die Grenzen der erlaubten
Handlungen gegen ihr Oberhaupt weit überschritten.**) Die Nachricht
von den Vorgängen in Constantinopel fand, da sie durch eine alle
katholischen Christen angehende Frage veranlafst waren, schnell
allgemeine Verbreitung*') und erregte vor allem die ägyptische Kirche
als diejenige, welche den Inhalt des Wortes d-eoTOXog mit allen
Consequenzen verfocht, und zumeist den Cyrill. Sie gab ihm erwünschte
Gelegenheit, nachdem er so lange nicht von sich reden gemacht hatte,
seiner innersten Natur gemäfs einen Streit aufzunehmen, von dessen
erfolgreichem Ausgang er sich für den Glanz seines Namens und
seiner Kirche die herrlichsten Früchte versprach. Schon in dem Hirten-
briefe*^), welchen er nach der Sitte 429 zu Ostern an die Geistlichen
seines Bezirkes richtete, wies er auf eine abweichende Lehre von der
Jungfrau Maria hin, ohne jedoch Nestorius selbst zu nennen. Auch
in einem besonderen Schreiben an die ägyptischen Mönche, deren
Beschränktheit einige Ereignisse dieser Zeit bereits hinlänglich darge-
gethan haben, wurde der Name des Patriarchen nicht erwähnt, wohl
aber fühlte sich Cyrill berufen, die Mönche über den Begriff des
ß-sOTOXOg aufzuklären, damit sie nicht in ihrem Glauben durch ge-
wisse Gerüchte verwirrt würden.*^) Wenn er damit die Absicht
verfolgte, den bisher auf Constantinopel beschränkten Streit zu einem
allgemeinen zu machen, so gelang ihm das zunächst nur unvollkommen,
denn Nestorius fühlte sich zwar durch dieses Vorgehen seines Amts-
bruders aufs tiefste beleidigt, liefs jedoch die Herausforderung unbe-
**) Vgl. Socrat. c. 26 und 28. Cedren zum 22. Jahre des Theod. Vgl.
Neander S. 669.
**) So besonders Eusebius, der spätere Bischof von Dorylaeum. Cedren a. a. O.
*•) Klageschrift des Archimandriten Basilius und des Lectors und Mönches
Thalassius und der übrigen christl. Mönche an die christl. Kaiser Theod. und
Valent. in 5 Teilen. Harduin S. 13360*. Neander S. 670.
*'') Mansi Conciliorum omnium amplissima collectio IV. S. 599.
*•) yQapLfiaxa Ttaoxa^tct. Mansi S. 587 flf.
*•) Mansi S. 599, bes. c. 20. Vgl. Neander S. 671.
29 t
antwortet. Erst ein Entschuldigungsschreiben des Cyrill, in welchem
er seine Handlungsweise durch den Hinweis auf die Verpflichtung,
über die Reinheit des Glaubens zu wachen, zu beschönigen suchte*®),
rief eine kurze, nicht minder deutliche Entgegnung des Nestorius her-
vor, welche wiederum von Cyrill eine Widerlegung erfuhr. Gleichwohl
wäre der Streit vielleicht zwischen ihnen beiden geblieben, wenn nicht
durch die Ankunft gemafsregelter alexandrinischer Geistlichen in Con-
stantinopel das persönliche Moment in demselben verschärft worden
wäre. Ähnlich wie einst die von Theophilus vertriebenen Mönche bei
dem Bischöfe der Reichshauptstadt Schutz suchten und die Veran-
lassung zu Klagen des alexandrinischen Patriarchen wurden, so war
auch Cyrill über die Aufnahme seiner Kleriker erzürnt und wandte
sich in einem neuen Schreiben**) an Nestorius, in welchem er sich
darüber beschwerte und eine wiederholte Auseinandersetzung seiner
Lehre gab. Nestorius blieb ihm die Antwort nicht schuldig *^) und
wies in derselben besonders die Berufung des Cyrill auf das Nicaenum
zurück, während er zum Schlufs die Bemerkung machte, dafs auch
„die Kaiser eingenommen seien vom Lichte seines Dogmas.*'
In dieser Weise hätte der Streit noch lange fortgehen können,
ohne die ganze orientalische Kirche zu verwirren und zu entzweien,
so lange nicht die weltliche Macht mit in das Parteiinteresse gezogen
wurde. Da war es nun för Nestorius höchst verhängnisvoll, dafs Cyrill
einen Apell an den Hof richtete, um diesen für seine Anschauung
zu gewinnen *3), da er inzwischen erfahren hatte, dafs an demselben
eine Einigkeit in Bezug auf den Gegenstand des Streites nicht
herrsche. Es ist zwar nur ein verdächtiges Zeugnis vorhanden*^),
dafs Pulcheria mit dem neuen Patriarchen nicht znm besten stand,
indes weist die Art, wie Cyrill seine Berufung an die mafsgebenden
Persönlichkeiten im Reich richtete, nicht undeutlich darauf hin, dafs
sich allmählich ein persönlicher Gegensatz zwischen der Gemahlin
^ Mansi S. 883. Neander setzt diesen Brief später an, vgl. S. 673. Während
er in demselben ,, Aufrichtigkeit und einen Beweis seines edlen Herzens" sieht,
erblickt von Hefele a. a. O. darin nur „Eigenlob und Derbheit."
**) Harduin ep. 4. S. 1273.
") ep. 5. S. 1277.
**) So nehme Ich mit Neander S. 674 an , vgl. dagegen v. Hefele a. a. O.
**) Suidas V. HovXxsQla berichtet, Pulch. habe grofsen Hafs gegen Nestorius
gehegt, weil dieser dem Kaiser ihre Buhlerei mit dem damaligen Mag. off. Paulinus
hinterbracht habe. Es liegt bei der bekannten Lebensweise der Princessin auf
der Hand, dafs jene Nachricht ein gegenstandsloses Geklätsch ist: doch scheint
eine feindselige Stimmung der Pulch. gegen Nestorius daraus hervorzugehen. Vgl.
Neander S. 674. Anm. 4. upd Gregorovius Athenais S. 136.
19*
2g2
des Kaisers und seiner Schwester ausgebildet hatte, von denen jede
den Augustus und damit das Reich zu beherrschen trachtete. Diese
Sachlage schlau benutzend richtete er zwei ausführliche Darlegungen
seines Standpunktes zur Frage der Maria als Gottesgebärerin, die eine
an Theodosius und Eudocia, die andere an die Augusta Pulcheria^^),
ohne indes dabei des Nestorius Erwähnung zu thun. Seine Absicht
war offenbar, die Spaltung am Hofe zu seinen gunsten zu verschärfen
und insbesondere die Fürsprache der Schwester des Kaisers zu ge-
winnen, durch welche er dann den schwachen Theodosius ebenfalls
zu seiner Anschauung zu bekehren hoffte. Allein er hatte sich zu-
nächst in Theodosius arg verrechnet, der die Kränkung, welche seiner
Autorität durch dies zweite Schreiben an Pulcheria zugefügt worden
war, mit Unwillen empfand, wie seine spätere Antwort an Cyrill
klar zeigt
Gewinnt mm der persönliche Streit des Nestorius mit Cyrill da-
durch an Bedeutung, dafs das weltliche Staatsoberhaupt mit in ihn
verwickelt wurde, so erhielt er aufserdem noch eine besondere Wichtig-
keit durch die Bemühungen der beiden Patriarchen, den Bischof von
Rom, Coelestinus, in ihr Interesse zu ziehen. Wer von beiden
zuerst**) an diesen sich gewandt und seine Meinung über die Teil-
nahme Marias an der Geburt Christi erforscht hat, lässt sich schwer
entscheiden ; aber die Art und Weise , wie Cyrill die Verhandlungen
betrieb, scheint mehr für diesen zu sprechen. Denn während Nestorius
in den hierauf bezüglichen Schriftstücken niemals den Standpunkt
der Gleichheit zwischen ihm und dem Bischof von Rom verläfst,
scheinen die Ausdrücke, welche Cyrill in den seinen gebraucht, eine
gewifse Prärogative desselben in Glaubenssachen anzuerkennen. Der
römische Bischof war daher von vornherein gegen Nestorius und
für Cyrill eingenommen, wie die von ihm 430 zu Rom abgehaltene
Synode der italischen Bischöfe aufs deutlichste beweist Denn diese
beschlofs höchst einseitig, dafs Nestorius, wenn er nicht innerhalb zehn
Tagen vom Tage des Empfanges des Beschlusses an gerechnet durch
eine offene und schriftliche Erklärung seine Irrlehren verdammt habe,
aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche auszuschliefsen sei^'^).
**) Mansi IV. 6i8fF. Er wird bei Cedren zum 24. Jahre des Theodosius
und von Justinian in seinem Schreiben an die 5. oecumenische Synode erwähnt.
Cedren p. 379.
*•) Nach Neander S. 674 war es Cyrill, nach Hefele a.a.O. Nestorius.
vgl. den Brief des Nestorius Harduin S. 1308 und des Cyrill Mansi IV. S. lOii.
") Harduin S. 1301, vom 11. August 430. Marcell. Com. zu 430. Prosp.
Aquit. zu 428. Euagrius I. 3.
293
Diese Entscheidung, deren Ausführung man zugleich dem Bischof von
Alexandrien übertrug, wurde aufser Nestorius auch dem Qerus*»*)
desselben sowie den angesehensten morgenländischen Bischöfen Jo-
hannes von Antiochia, Rufus von Thessalonich, Juvenal von Jerusalem
und Flavian von Philippi durch besondere Schreiben mitgeteilt.
Nachdem die Angelegenheit ein so gefahrliches Gepräge ange-
nommen hatte, versuchte der Bischof Johannes von Antiochia, der
Jugendfreund des Nestorius, diesen noch einmal brieflich zur Nach-
giebigkeit zu bewegen, allein Nestorius antwortete ihm ausweichend,
er hoffe auf ein Concil und bitte ihn sich nicht über die bekannte
Anmafsung des aegyptischen Bischofs zu wundem, da schon zahlreiche
Beispiele derselben aus der Vergangenheit vorlägen *9), Bevor aber
der Beschluss der römischen Synode Nestorius bekannt gemacht
wurde, hielt Cyrill noch eine eigene Kirchenversammlung zu Alexan-
drien ab, deren Ergebnis in zwölf Ana thematismen zusammengefafst
wurde. Nun erst teilte Cyrill seinem Gegner die Entscheidung der
römischen Bischöfe und zugleich die der aegyptischen mit und forderte
ihn zum Widerruf auf. Diesem Ansinnen, welches an ihn gestellt
wurde, während er selbst nicht gehört worden war, setzte Nestorius,
noch immer im Besitze der kaiserlichen Huld, den gleichen Trotz
entgegen und stellte den Verdammungen der Ägypter zwölf andere
gegenüber®*). So weit war der Streit gediehen, ohne dafs bisher die
weltliche Macht ihr Urteil abgegeben hätte, und doch war ohne diese
eine Einigung oder ein Sieg der einen Anschauung über die andere
nicht möglich, nachdem es seit Constantin dem Grofsen Sitte ge-
worden war, dafs kirchliche Streitigkeiten durch Zusammenkünfte der
Geistlichen entschieden wurden, welche das Staatsoberhaupt zu be-
rufen hatte. Da nun von beiden Parteien ein Concilium gewünscht
worden war, so entschloss sich Theodosius, gewiss aufrichtig um den
kirchlichen Frieden in seinem Reiche besorgt, im Einverständnis mit
Placidia und Valentinian eine Synode aller katholischen Bischöfe zu
versammeln, um die Einheit der Lehre wiederherzustellen.
Am 19. November 430^2) erliefs Theodosius die Einladungs-
schreiben an die Metropoliten des Inhalts, dafs sie sich am Pfingst-
tage des Jahres 431 inEphesus mit den abkömmlichen Suffragan-
bischöfen einfinden sollten. An Cyrill aber sandte er aufser diesem
68) Harduin S. 1311.
w) S. 1317 und 1331.
^) S. 1283. Vgl. Gieseler, der sie S. 143—145 ebenfalls mitteilt. Neander
S. 676.
81) Harduin S. I298flf. Gieseler S. 145 und 146.
«) Harduin S. 1343.
i
294
noch ein besonderes Schreiben**) als Antwort auf die an ihn, seine
Gemahlin und Pulchcria gerichteten Ausführungen, welches im Gegen-
satze zu den Zügen, welche uns von ihm mitgeteilt werden, von einem
recht männlichen und energischen Sinn zeugt, welcher sonst an ihm
nicht zu bemerken ist. Denn nachdem er darin betont hat, dafs
auch ihm die Gottesfurcht am Herzen liege, fordert er den Cyrill
auf zu erklären, „warum er Unruhe uud Spaltung in die Kirchen
hineingetragen habe, wie wenn die Heftigkeit der Kühnheit in Sachen
der Frömmigkeit mehr vermöge als die Genauigkeit. . . . Und ist es
nicht wunderbar, fahrt er fort, dafs der, welcher in diesen Dingen
das Mafs überschritten hat, sein Unternehmen nicht nur gegen die
Kirchen und Priester richtete, sondern auch von uns selbst etwas
unserer Gottesfurcnt Unwürdiges glaubte. Oder welchen Zweck hätte
es sonst gehabt, dafs du ein Schreiben an uns und unsere erlauchte
Gattin, die Kaiserin Eudocia, und ein anderes an die erlauchte Kaiserin
Pulcheria, meine Schwester, sandtest, es sei denn, dafs du meintest,
wir wären veruneinigt oder hofftest, wir würden es werden". Er ge-
denke daher Cyrills Worte dem Urteil des Concils zu unterbreiten
und fordere ihn auf pünktlich zur festgesetzten Zeit zu erscheinen.
Auch den Augustinus lud Theodosius durch besondere Boten ein der
Synode beizuwohnen **), doch war dieser inzwischen während der
Verwüstungen, in Afrika gestorben. Ebenso erklärte Coelestinus von
Rom durch dringende Amtsgeschäfte von der Teilnahme an den Ver-
handlungen abgehalten zu sein**^), er beauftragte aber die beiden
Bischöfe Arcadius und Proiectus und den Presbyter Philipp us
mit seiner Vertretung, deren Vollmacht ö^) dahin lautete, dafs sie stets,
unbeschadet der Autorität des bischöflichen Stuhls, im Einverständnis
mit Cyrill handeln sollten, doch ohne sich in die Streitigkeiten selbst
einzumischen*^). Ihre Aufgabe sei es vielmehr über dieselben zu
richten, und, wenn die Synode zu Ende sei, zu untersuchen, ob die
Entscheidung mit dem alten katholischen Glauben übereinstimme
oder nicht; käme es dabei zur Spaltung, so sollten sie immer mit
Cyrill gemeinsame Beschlüsse fassen. Man sieht, wie gelegen dieser
w) S. 1348.
•*) i] xLva slxe Xoyov ^tsQa fxhv ngbq fjfiag xal ttjv evosßsordtfjv
Avyovaxav EvSoxiav t^v i/xfjv avfißiov iniatiXXeiv, ?re()a öh itQoq ti^v i/i^v
aöeXipriv trjv evaeßeardtfjv Avyovaxav üovXx^Q^^^f ^^t^h ^t^^ovoelv rjfxag (pijd^ag
ij öixovoi^aeiv rihtiaocq ix xav xrjg a^g d-soaeßeiag yQafXfxdxcov.
'^) Harduin S. 1419. Brief des Bischofs Capreolus an die Synode.
^) S. 1473- 15- Mai 431.
*^) S. 1347. 8. Mai und S. 147 1.
^^) de eorum sententiis iudlcare debeatis, non subire certamen.
t95
Streit dem römischen Bischof kam, um ein vermeintliches Vorrecht
vor den übrigen Patriarchen zu beanspruchen und zu befestigen und
wie klug in dieser Beziehung die Instruktion seiner Abgesandten ab-
gefasst ist; ohne zu wissen, wie die Entscheidung ausfallen werde,
stellt er sich doch von vornherein auf die Seite des einen, immer
eingedenk des alten Wortes: teile und herrsche! Der alexandrische
Patriarch kam ihm noch dazu mehr als je entgegen und machte sogar
die Frage, ob es zulässig sei, dafs Nestorius selbst auf dem Concil
erscheine^®), von seiner Meinung abhängig. Wenn nun neuere Dar-
steller ^<)) dieses Streites einen Beweis der friedfertigen Gesinnung des
Coelestin darin sehen, dafs er die Frage bejahte, so zeigen sie nur
damit, dafs sie dem römischen Bischof von vornherein einen höheren
Rang einräumen, den ihm erst allmählich die Verhältnisse und besonders
die der orientalischen Kirche beigelegt haben.
Da auch Theodosius der Synode nicht persönlich beiwohnen
wollte, so beauftragte er mit seiner Vertretung den aus dem letzten
Kriege her rühmlichst bekannten Commandeur der Kaiserlichen Leib-
wache Candidian'^^), dessen Vollmacht der Kaiser in einem Schreiben
der Synode kund gab'^'^). Als erste Pflicht wurde ihm darin aufge-
geben, sich selbst in keiner Weise in den Streit zu mischen, sondern
die Verhandlungen derartig zu überwachen, dafs er jeder Störung,
komme sie aus der Versammlung selbst oder von unbeteiligten Mönchen
oder Laien, vorbeuge und so den Beratungen alle Freiheit der Ent-
schliefsung gewähre. Vor allem machte Theodosius ihn dafür ver-
antwortlich, dafs kein Bischof vor der Zeit an die Rückkehr oder
eine Reise an den Hof denke und keine andere Angelegenheit vorher
in Angriff genommen werde, bevor nicht die Nestorianische Streitig-
keit ihre Erledigung gefunden habe. Zum Schlufs giebt er noch der
Synode davon Kenntnis, dafs der den Nestorius als Freund nach
Ephesus begleitende Comesirenaeus weder mit den Beschlüssen der
Versammlung noch den Aufträgen des Candidian irgend etwas zu
schaffen habe. Wer diese Vollmacht unbefanngen liest, wird gern
zugestehen, dafs sie das Muster für eine klare und unparteiliche Über-
wachung kirchlicher Verhandlungen abgiebt, denn, indem sie Rück-
sicht nimmt auf die voraussichtlich stürmischen Erörterungen, will sie
jeden störenden Einbruch Unbeteiligter zurückgewiesen sehen, nicht
minder aber auch das lärmende Niederschreien der Minderheit durch
•8) Harduin S. 671, 1473. 7- Mai.
TO) Hefele S. 179.
^*) Vgl. über ihn die Zusammenstellung bei Sievers S. 439.
7^) Harduin S. 1345. Neander S. 678.
i
29Ö
die Überzahl auf jeden Fall verhindern. Allseitige, ungehinderte Frei-
heit die Ansichten zu äufsern, das ist das Ziel, welches sie dem
Kaiserlichen Commissarius steckt. Um aber Mifsdeutungen zu ver-
meiden, als sei Nestorius ein besonderer Schützling des Monarchen,
giebt sie zugleich Aufklärung über die unofficielle Sendung des Ire-
naeus. Gleichwohl wird man nicht fehl gehen in der Anwesenheit
dieses Freundes, eines hohen Officiers, in Ephesus und der Erwähnung
desselben in Candidians Beglaubigungsschreiben" einen Fingerzeig
darauf zu erblicken , dafs Nestorius damals noch in der Gunst des
Kaisers stand und dieser fest entschlossen war, seinen Patriarchen
ohne überzeugende Gründe nicht fallen zu lassen''*).
Von den an der Synode am meisten beteiligten Bischöfen langte
Nestorius zuerst, gleich nach Ostern 43 1 ''^), in Ephesus mit zahlreicher
Begleitung an, zu Pfingsten erschien Cyrill mit fünfzig Suflraganen,
Juvenal von Jerusalem und Flavian von Thessalonich einige
Tage nachher'*); aufserdem waren anwesend die Bischöfe Memmon
von Ephesus und diejenigen der benachbarten Provinzen. Es fehlte noch
die grofse Zahl der antiochenischen Bischöfe und ihr Patriarch Johannes.
Es fanden daher, damit die Zeit nicht nutzlos verstreiche, schon vor-
läufige Erörterungen statt, in denen einmal Nestorius von Cyrill in die
Enge getrieben sich zu der Äufserung verleiten liefs, er könne ein'
Kind vQn zwei oder drei Monaten nicht Gott nennen'*), was ihm
sogleich als Leugnung der Thatsache ausgelegt wurde, dafs Christus
als wahrer Gott von der Jungfrau Maria geboren sei. Sechzehn Tage'*)
noch wartete man nach Pfingsten auf Johannes und obwohl schliefs-
lich die Nachricht eintraf, dafs er, vorher durch die Beschwerlichkeit [
des Weges und Regengüsse aufgehalten ''^), nunmehr in der Nähe der r
Stadt eingetroffen sei, so drang Cyrill, dem das Zögern des anti- f
ochenischen Patriarchen sehr gelegen kam, dennoch mit seinem An- -
hange durch und bestimmte, dafs die Verhandlungen am 22, Juni 431
in der grofsen Marienkirche zu Ephesus eröffiiet würden'^). Die Synode
f
'») S. 679.
^*) Das Jahr Chron. Pasch, und Prosp. Aquit., während Marc. Com. 43^
anninxmt. 7^) Socrat. VJI. 34.
'•) Ebend. Tov yevofxevov SifjiTjvaZov xal xQifxi^vatov ovx av d^sbv ovi
fxdoaifjii.
") Harduin S. 1435 und 1506.
^•) Euagrius I. 3. macht besonders geltend , dafs Ephesus dreifsig T^
Wegs von Antiochia entfernt ist.
^•) Das Protokoll der Verhandlungen bei Harduin S. 1353 ff. Actio I.|
S. 1465. Vgl. Socrates VII. 34. Euagrius I. 4 und 5. Cyrills Brief an
und Pat. Harduin S. 1433. Neander S. 680 flf.
297
zählte ungefähr zweihundert Mitglieder, fast ausnahmslos willige Werk-
zeuge des fanatischen Cyrill, der sogleich den Vorsitz im Namen des
abwesenden Bischofs von Rom einnahm®^), während äufserlich die
Verhandlungen von dem Presbyter Petrus von Alexandria geleitet
wurden. Zunächst wurde trotz des Einspruches Candidians®*) das
kaiserliche Einladungsschreiben vorgelesen, dann erhob sich Cyrill
und erklärte, die Synode habe lange genug gewartet und müsse nach
dem in jenem Edict ausgesprochenen Wunsche des Kaisers sofort ihren
Anfang nehmen.
Nachdem über die erste fruchtlose Citation des Nestorius, der er-
klärt hatte, nur in einer Versammlung aller Bischöfe erscheinen zu wollen,
berichtet war und die weiteren Einladungen denselben Erfolg hatten,
ja die zu ihm entsandten Bischöfe zuletzt sogar durch die ihn um-
gebenden Wachen zurückgewiesen waren, begann auf Vorschlag Ju-
venals®2) der dogmatische Teil der Verhandlungen, deren Beginn die
Vorlesung des nicaenischen Glaubensbekenntnisses bildete. Sodann
wurden die Briefe des Cyrill und Coelestin ^^j^ welche sie in dieser
Angelegenheit geschrieben hatten, und die Antwort des Nestorius 8*)
erörtert, wobei die Mehrzahl der Anwesenden ihre Zustimmung oft in
den schmeichelhaftesten Ausdrücken für Cyrill zu erkennen gab. Nach-
dem endlich eine Reihe von Stellen aus den Kirchenvätern über das
Verhältnis der beiden Naturen in Christo verlesen waren ®^), trat die
Synode zur Beschlufsfassung zusammen und fällte folgendes Urteil ^^J:
,Da der gottlose Nestorius weder unserer Einladung hat Folge leisten
noch die abgesandten heiligsten und religiösesten Bischöfe hat vor
sich lassen wollen, so mufsten wir zur Prüfung seiner gottlosen Lehre
schreiten. Indem wir daher teils aus seinen eigenen Briefen und
Schriften, teils aus Reden, die er zuletzt in dieser Metropolis führte
und durch Zeugnisse belegt werden, erfahren, dafs er gottlos denke
und predige, so sind wir gezwungen durch die hl. Satzungen und
den Brief des heiligsten Bischofs Coelestinus von Rom, unseres Mit-
dieners, wenn auch zu Thränen gerührt, zu dieser traurigen
Sentenz gegen ihn notgedrungen gelangt: Unser von ihm geschmähter
^) öiinovxoq xal xbv xonov xov ayiioxdtov xal baiioxaxov dQ^t^TtiaicoTCov
xijg "^PcDfiaicDV ixxXtjaiag Kekeaxivov. Harduin S. 1353.
**) Auch privatim hatte er davon abgeraten, wie er in seinem Bericht an
den Kaiser (Harduin S. 135 1) erklärt.
88) Harduin S. 1361.
") S. 1373— 1388. M) S. 1278.
") s. 1399— H19.
««) S. 1421. Vgl. Neander S. 680.
293
Herr Jesus Christus hat durch die an^^esende hl. Synode geurtdRT
dafs ebendieser Nestorius von der bischöflichen Würde
zu entsetzen und von jeder priesterlichen Gemeinschaft
fern zu halten sei!^'')'* Dieses schnell gefasste Urteil wurde zu-
nächst von 198 Bischöfen unterschrieben, denen sich später noch
andere hinzugesellten, so dafs es über zweihundert waren ^^)« Als
Candidian das Geschehene am folgenden Tage durch den öffentlichen
Maueranschlag der alexandrinischen Partei erfahren hatte, war er mit
Recht auf das äufserste entrüstet, denn ihm, so mufste er fürchten,
werde der Kaiser die Schuld an dem Vorgange beimessen. £r be-
eilte, sich daher, den Anschlag in den Strafsen abreifsen zu lassen
und ein Exemplar desselben sowie einen Bericht an Theodosius ein-
zusenden; aufserdem gab er durch öffentliche Bekanntmachung seine
Unzufriedenheit über die Verhandlungen zu erkennen und erklärte
den Synodalbeschlufs für ungültig, s*) Inzwischen lief sowohl von
Nestorius und zehn Bischöfen seiner Partei eine Beschwerdeschrift ^®)
an den Kaiser ein als auch der Bericht der Cyrillianischen Bischöfe
über die Veranlassung ihrer Verhandlungen ohne Johannes von Antio-
chien und die in Übereinstimmung mit Coelestinus getroffene Ent-
scheidung. *i)
Wenige Tage später, am 26, oder 27. Juni ^^j^ langte endlich
der Patriarch von Antiochien an und in der Erregung über das Vor-
gefallene verfiel er in denselben Fehler, welchen Cyrill begangen hatte,
indem er, nachdem Candidian ihm Bericht erstattet und das kaiser-
liche Einladungsschreiben verlesen hatte, sich mit den anwesenden
43 Bischöfen als allein rechtmäfsige Synode ®3) constituierte und nach
kurzem Verfahren über Cyrill und Memmon wegen des zu frühen
Beginnes des Concils die Absetzung aussprechen liefs, während ihre
Anhänger excommuniciert wurden. Auch von diesem Urteil wurden
Theodosius, Pulcheria und der Clerus von Constantinopel 0*) alsbald
") o ßXaaq>t]fjirjS^€ls xoivvv naQ avtov xvgioq ^fjiwv ^h^aovg XQLOxhq
wQiae öia tijg Ttagovatjq ayi(otdt?]g aovoöov dXXoTQiov elvat tov avtbvi
NeaxoQiov tov imaxonixov dSiojfjiatog xal navxbg avXXoyov isQarixov. Vgl
Euagrius I. 4.
8«) Harduin S. 1431.
••) S. 1447. »0) s. 1437. W) S. 1439.
w) Laut Memnons Bericht S. 1595.
M) Die Akten S. 14470".
**) S. 1458 — 1466. Im ersten Schreiben sagt Johannes: xal avtoi
KvqHXov tov kXa^avÖQewg imaxeiXavxog /xoi r^g Ävxioxiiov ngb ovo ^fi^
tov yevofiivov in ^avtov aweSgiov mg t] avvoöog näaa dvafievei /äo\
nagovaiav. Davon weifs Hefele S. 182 nichts.
«99
in Kenntnis geseUt. Hier aber war der Bericht des Candidian bereits
eingelaufen und hatte den Kaiser zu einer neuen Mafsregel veranlafst,
welche wiederum von der Mäfsigkeit und Unparteilichkeit desselben
Zeugnis ablegt. Denn, nachdem er in seinem Rescript-^^) dargelegt
hat, dafs die in Ephesus -gefafsten Beschlüsse ihre Entstehung un-
gezügelter Leidenschaft verdankten, erklärte er das Geschehene für
ungültig und ordnete eine zweite Beratung an, deren Ergebnisse für
die Zukunft Bestand haben sollten; zugleich teilte er mit, dafs der
zur Untersuchung abgesandte Palastbeamte angewiesen sei, keinen
Bischof vorher abreisen oder an den Hof sich begeben zu lassen.
Diese kaiserliche Kundgebung rief bei den Anhängern des Johannes
lebhafte Freude hervor, welcher sie in zwei Bittgesuchen an den
Kaiser Ausdruck verliehen <)<^) ; die Anhänger Cyrills dagegen blieben
auch nicht müfsig und reichten einen zweiten Bericht mit Ausfällen
gegen Candidian, der als Begünstiger des Nestorius hingestellt wurde ^''),
an den Kaiser ein. Sie versammelten sich am lO. Juli zu einer zweiten
Sitzung ^^), in Anwesenheit der inzwischen angelangten päpstlichen
Legaten, welche die Schreiben des Coelestinus übermittelten und ihre
Absicht das Urteil über Nestorius zu bestätigen, zu erkennen gaben.
Dieses wurde ihnen von Cyrill begreiflicherweise zugestanden, und so
wurden ihnen denn in der am folgenden Tage stattfindenden dritten
Sitzung*®) die Verhandlungen vorgelesen, welche sie unter bemerkens-
werter Betonung der römischen Prärogative ^®") ihrer Instruction gemäfs
ebenfalls unterschrieben.
Nachdem nunmehr das Einverständnis mit der römischen Kirche
hergestellt war, ging Cyrill und seine Partei gegen Johannes und
seine Anhänger vor. Indem sie sich nach wie vor als die allein zu
recht bestehende Versammlung ansahen, riefen sie die Gegenpartei
dreimal vor ihren Richterstuhl, und da diese die Einladungen nicht
annahm, so wurden Johannes und die übrigen Bischöfe in der
Sitzung vom 17. Juli ^^i) gleichfalls excommuniciert, wovon dem Kaiser
sogleich Mitteilung gemacht wurde ^<^2j. Bis dahinwar die Hauptstadt,
in welche aus naheliegenden Gründen das Concil nicht gelegt worden war,
vom Kampfe der Parteien verschont geblieben, weil der ausdrücklichen
Anordnung des Kaisers gemäfs in Constantinopel eine strenge Hafen-
polizei gehandhabt und niemand aus Ephesus zugelassen wurde^ der
9») Harduin S. 1537.
90) S. 1539 und 1545.
•7) S. 1581. »8) s. 1465 ff. M) S. 1475 ff.
100) Vgl. besonders die Worte des Presbyters Philippus S. 1477.
««») S. 1494 ff. ^ö») S. ijoiff.
^K'
30Ö
entweder selbst Bischof war oder von einer der Synoden noch Sonder-
benachrichtigungen an den Clerus und das Volk zu bringen beab-
sichtigte. Das Verhalten des Kaisers, auf den bisher von Seiten der Be-
völkerung und des Hofes kein Druck ausgeübt worden war, blieb daher
noch immer ein im allgemeinen dem Nestorius günstiges. Da aber
gelang es einem von der alexandrinischen Partei abgesandten und
als Bettler verkleideten Geistlichen, wie es heifst, sich den Späher-
augen der Behörden zu entziehen und mit den in der Hauptstadt be-
findlichen Bischöfen und Äbten in Verbindung zu setzen^®*). Unter
den letzteren genofs der Archimandrit Dalmatius 'wegen seines fast
fünfzigjährigen Klosterlebens, in welchem er die Mauern desselben
nicht ein einziges Mal verlassen hatte, ein besonders hohes Ansehen
in der Geistlichkeit und unter den Laien. Dieser wurde durch die
ihm auf solche Weise zugehenden Nachrichten aus Ephesus so erregt,
dafs er, vorgeblich einer inneren Stimme folgend, seine Mönche und
den übrigen Clerus, welchem sich das Volk anschlofs, zu einer grofsen
Massenkundgebung zu Gunsten der Cyrillianischen Partei veranlafste.
Unter dem Gesang von Psalmen und Hymnen begab sich der Zug
vor den kaiserlichen Palast und versetzte den schwachen Kaiser
in nicht geringe Verlegenheit. Theodosius hörte dem leidenschaft-
lichen Vortrage des Dalmatius*®^) zunächst ruhig zu, als aber dieser
heftiger in ihn drang und den Brief der ersten Synode ihm übergab,
sagte er: „Wenn sich die Sache so verhält, so mögen Bischöfe von
dort herkommen!" Dalmatius hielt ihm entgegen: „Niemand läfst sie
aber durch!", worauf Theodosius erwiderte: „Niemand hindert sie!"
Dalmatius entgegnete freimütig: „Doch, von jener Partei kommen und
gehen viele ungehindert; die Vorgänge aber auf der hl. Synode läfst
niemand zu deiner Kenntnifs gelangen. . , . Wen willst du nun lieber
hören, die sechstausend Bischöfe oder einen gottlosen Menschen?"
Da antwortete der Kaiser: „Du hast gut gefragt!" und fügte zu den
übrigen gewandt hinzu: „Betet für mich!" Diese Antwort nahm das
Volk mit Jubel auf und laut ertönte sein Ruf: „Anathema dem
Nestorius ! "
Indem der Kaiser die Erlaubnis erteilt hatte, dafs Abgesandte
der Parteien aus Ephesus nach Constantinopel kommen dürften, hatte
er nicht nur der Überredung und Bestechung am Hofe Thür und
Thor geöffnet, sondern sich selbst auch den Einflüssen der verschie-
densten Strömungen ausgesetzt, in denen er sich nun nicht mehr
**>') Über die Vorgänge in Constantinopel vgl. S. 1485 ff.
>o*) Er hat selbst darüber berichtet S. 1587.
301
zurecht finden konnte. Zuerst erschienen zwei *^^) Bischöfe von Seiten
des Cyrill und seiner Anhänger, während die antiochenische Partei
den Freund des Nestorius Irenaeus als Berichterstatter an den Kaiser
absandte. Am Hofe hatte Nestorius dadurch bisher einen besonderen
Anhalt gehabt, dafs der kaiserliche Kammerherr Scholasticus stets
seine Sache verfocht, und noch in diesen Tagen richtete er an
ihn einen Brief, in dem er sich gegen den ungerechten Vorwurf ver-
wahrte, als ob er den Inhalt des Ausdrucks {d-soroxog Gottesgebärerin)
geleugnet habe, und schliefslich seine Sehnsucht nach seinem früheren
Klosterleben ausdrückte.*®*») Als nun Irenaeus wenige Tage nach
jenen in Constantinopel anlangte ^ö''), machte er bald die Beobachtung,
dafs aufser anderen mächtigen Männern auch Scholasticus gegen die
Einflüsterungen der Abgesandten des Cyrill nicht unempfindlich ge-
blieben war. Er setzte daher alle Hebel in Bewegung, um ihren Ein-
flufs zurückzudrängen, gewann die obersten Hoibeamten wieder für
Nestorius, wurde seinen Gegnern vor dem Kaiser gegenübergestellt
und errang schliefslich die allerhöchste Billigung des Verhaltens der
anderen Synode, während Cyrills Vorgehen lebhaft getadelt wurde.
Aber wie wenig war auf diese Entscheidung zu geben! Kaum, dafs
Irenaeus einen Augenblick gesiegt hatte, erschien der Arzt des Cyrill,
Johannes, und wufste die Meinung der ausschlaggebenden Männer
so zu bearbeiten, dafs Irenaeus überall auf abweisende Mienen und
Antworten stiefs.
So zwischen beiden Parteien hin und her schwankend machte
der Kaiser noch einen letzten Versuch, eine Versöhnung derselben
herbeizuführen. Er erklärte die Absetzung des Nestorius, Cyrill und
Memnon für gültig ^^^) und sandte den Finanzminister (Comes S. L.)
Johannes als Untersuchungscommissar nach Ephesus. Dieser ging
einerseits gegen Cyrill und Memnon energisch vor und übergab sie,
während auch Nestorius bewacht wurde, dem Comes Jacobus, welcher
sie getrennt festen Gefangnissen überantwortete *®*) , andererseits
suchte er die übrigen Bischöfe der beiden Richtungen zu einer Einigung
zu bewegen, aber alle seine Bemühungen scheiterten an ihrem Wider-
spruch. Von neuem wandten sich die Gegner des Nestorius mit einem
Schreiben an den Kaiser **öj^ und veranlafsten den Klerus der Haupt-
105) Neander S. 683 spricht von dreien.
^^) Harduin S. 1522. Ab huiusmodi enim quiete nihil est divinius neque
beatius apud me.
i<") S. 1547fr. W8) s. 1554.
109J Ygi^ seinen Bericht an den Kaiser S. 1555 — 1560.
*»«) S. 1591.
30i
Stadt eine Bittschrift an ihn zu gunsten Cyrills und Memnons zu richten ^i^);
in gleicher Weise gaben auch Johannes von Antiochien und sein Anhang
dem Kaiser Aufschlufs über das Scheitern des Versöhnungsversuches
und fügten ihr Glaubensbekenntnis in betreff des „d-eoxoxoq" bei**^,
welches in seinen Worten so gemäfsigt gehalten war, dafs es sogar
später von Cyrill selbst gebilligt wurde. Wie sich der Umschwung
in der Stimmung des Kaisers weiter vollzog, läfst sich nicht mehr
verfolgen; fest steht nur, dafs er von jeder Partei acht Vertreter forderte,
welche in Constantinopel vor ihm erscheinen sollten. Während die
Anhänger Cyrills es ihren Abgesandten zur Pflicht'^*) machten keinen
Frieden zu schliefsen, es sei denn, dafs die Gegner des Nestorius Ab-
setzung billigten und Cyrill und Memnon wieder zu ihrem Amte ver-
hälfen, schärften die Antiochener den ihren nur ein, um jeden Preis
auf Verwerfung der Anathematismen des CynW zu bestehen, und liefsen
ihnen im übrigen freie Hand.*'*) Im letzten Augenblicke aber änderte
Theodosius noch seine Absicht ynd beschied die Bischof 3, um allem
Tumulte für und wider vorzubeugen, statt nach Constantinopel nach
Chalcedon, wo er sich am i. September in der Vorstadt Ruünianum
aufhielt.
Schon vorher jedoch war über des Nestorius Geschick endgiltig
entschieden worden'**), denn seiner Bitte gemäfs wurde ihm vom
Praefectus pr.*'®) als zukünftiger Aufenthalt das Kloster des Euprepius
bei Antiochia, in welchem er mehrere Jahre früher zugebracht hatte,
angewiesen und für die Reise dahin Staatspost und Lebensunterhalt
zur Verfügung gestellt Schon aus dieser Entscheidung war die That-
sache ersichtlich, dafs der Kaiser, ursprünglich ein Freund deS Patriarchen,
nunmehr ganz ins andere Lager übergegangen war. Gleichwohl wiegten
sich Johannes und seine Anhänger noch immer in der Hoffnung'*')
gegen Cyrill Recht zu erhalten; doch machte sie bereits stutzig *^8j^
dafs es ihren Abgesandten zuerst gar nicht erlaubt war, in Chalcedon
vor dem Volke zu predigen, und sie sogar einmal nach einer solchen
Predigt von Laien und Mönchen mit Steinen beworfen wurden. Zur
völligen Klarheit aber über die Eriolglosigkeit ihrer Absichten kamen
sie erst, als der Kaiser die Hoffnung auf eine Versöhnung aufgebend
sich nach Constantinopel zurückbegab und nur den Cyrillischen Ab-
«") S. 1599 und S. 1607 flf.
"^ S. 1557. "?) S. 1610. "*) S. 1562.
»») S. 1568. Vgl. Euagrius I. 7.
* >ö) Das Schreiben desselben S. 1 83 1 . Antiochus ? Vgl. Ser. chron. Cod. Theod.
'") S. 1572.
*'*) ep. Theodoret. ep. Cyri ad Alex. Hierap. Harduin S. 1568.
303
gesandten erlaubte ihm zu folgen. Der zunehmende Anhang des
Cyrill in Constantinopel , welcher sich besonders auf die Mönche
stützte, das Geld, welches er durch seine Agenten freigebig an die
einflufsreichsten Persönlichkeiten verteilen liefs^^®), und nicht zum
mindesten die Einwirkung der Pulcheria, welche von Anfang an eine
dem Nestorius feindselige Haltung eingenommen hatte, trieben den
Kaiser schliefslich ganz in die Enge und machten ihn Cyrills Absichten
gefügig. Das sahen denn die anderen Bischöfe selbst ein und baten
in einer der beiden Denkschriften ''^ö), welche sie Theodosius nach-
sandten, sie von Chalcedon zu entlassen. Theodosius willfahrte
nicht nur ihrer Bitte, sondern gab auch den in Ephesus befindlichen
Bischöfen die Erlaubnis nach Hause zurückzukehren 121), indem er
zugleich des Nestorius Absetzung bestätigte, den Cyrill und Memnon
aber wieder in ihre Ämter einsetzte.
War damit von Seiten der Staatsgewalt geschehen, was sie zu
leisten vermochte, so lag es doch nicht in ihrer Macht, die einander
gegenüberstehenden Ansichten über die Veranlassung des Streites zu
vereinen. Zwar versuchte Theodosius, dem die Herstellung der kirch-
lichen Einigkeit in seinem Reiche nicht blos Gegenstand der inneren
Politik, sondern mehr noch Herzenssache war, persönlich die alexan-
drinische Richtung mit der antiochenischen zu versöhnen, indem er
mehrere Briefe deshalb an Johannes von Antiochia, an den Säulen-
heiligen Simeon, Acacius von Beröa und andere schrieb, allein es
vergingen doch Jahre, bis der Kirchenfriede wiederhergestellt war.
In diesen Zeiten war es, wo Cyrill seiner Intriguantennatur folgend
wiederum alle Mittel in Bewegung setzte, um sich die Gunst des
Hofes zu verschaffen. Welcher Art diese waren, verrät uns ein Brief
seines Archidiaconen Epiphanius an den zum Nachfolger des Nestorius
gewählten Patriarchen Maximian *22), aus welchem wir erfahren, dafs
Cyrill in seiner Angelegenheit an Pulcheria, den Praepositus Paulus,
den Kammerherm Romanus und zwei Hofdamen Marcella und Droseria
schrieb und ihnen angemessene Präsente machte. Auch an den ihm
**") Neander nimmt S. 686 stillschweigend an, dafs Cyrill sein Gefängnis
verlassen und sich nach Constantinopel begeben hat. Doch fehlt es darüber an
sicheren Zeugnissen. Der Com. S. L. scheint mir vielmehr, als ein pflichtgetreuer
Diener seines kaiserlichen Herrn, den Cyrill nicht entlassen zu haben. Vgl. ep.
Acacii epist. an Alex. v. Hiera|)oUs und dazu Hefele S. 246.
*«>) Harduin S. 1563— 1565.
«») S. 1615.
»«) Theodoret V. ep. 173. Mansi V. S. 988. Neander S. 686. Anm. 3. —
Zu Maximian vgl. Socrat. VII. 35.
.,e et GescV^'^^^^^Kva^i^
^..icVietv^® «'^?* vetzeicVi«^^' des ^*^ =vat»de^^ )' „.„ die ^^
^«^Cn ^otdeT«-«;^:, v,-aVvt-^^2..etvsbeUe-^V ^-^^^^^et
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^^^^^^l unsete^^^^;^,,ettu«g ^^^^, besoldete ^^^,aet^eg^^ ;^,,v.e
"■" L va^' ^"''len T^-°^°^^";^den^e- ^^i tbenso abet ^^
^* A..tv scbv'acbe^ ^, \ft te.»«) pec\cflxa^
T T g^^^ ^ Vlist. ^o^ a IAO.
305
sondern äufsere Rücksidit auf Macht und Glanz, i^'^) Am meisten
tritt dabei die agitatorische Thätigkeit des Patriarchen von Alexandrien
hervor, der kein Mittel der Überredung und der Bestechung — denn
anders kann man es nicht nennen — unversucht liefs, selbst auf
Kosten des Kirchenvermögens, seiner Meinung das Übergewicht zu
verschaffen. Theodosius endlich hat sich nicht minder unselbständig
in den ihn bestürmenden Gegensätzen erwiesen als sein Vater Arcadius,
und da ihm von der Vorsehung noch eine lange Regierung beschieden
war, so wurde er durch eigne Schuld noch ernsteren Prüfungen aus-
gesetzt, welcher der Welt zu dem seltenen Schauspiel der sogenannten
Räubersynode verholfen haben.
Sechstes Kapitel.
Die africanischen Grenzlande. — Veruneinigung mit Rua. — Aetius tötet den
Bonifacius und flieht zu den Hunnen. — Friede zwischen ihm und Placidia durch
Vermittelung des Rua. — Vermählung Valentinians III. mit Eudoxia in Con-
stantinopel 437. — Endgiltige Abtretung Dalmatiens an Ostrom. — Veröffentlichung
des Codex Theodosianus 438. — Geschichte seiner Entstehung. — Überiührung
der Gebeine des Johannes Chrysostomus nach Constantinopel. — Erste Reise
Eudocias nach Jerusalem und ihr Aufenthalt in Antiochia. — Rückkehr im
Jahre 437. — Der Hof Theodosius II.: Antiochus, Chrysaphius und der Dichter
Kyros. — Vorübergehende Zurückdrängung des Einflufses der Pulcheria. —
Sturz der Eudocia. — Paulinus und die Erzählung vom Apfel. — Eudocia zieht
sich nach Jerusalem zurück.
Das dritte Jahrzehnt des fünften Jahrhunderts war im Gegen-
satz zu dem vorangehenden für das oströmische Reich eine Zeit fast
ununterbrochener Ruhe, in welcher es die Segnungen der friedlichen
Regierung Theodosius U. ungestört genofs. Dafs die africanischen
Grenzlande nach wie vor durch die Einfalle der nomadisierenden
Wüstenvölker oft in Angst und Schrecken versetzt wurden i), hätte
wohl durch ein energischeres Auftreten der dort gamisonierenden
römischen Truppen in etwas gehindert werden können, aber völlig
würde diese Gefahr bei der Unmöglichkeit die Feinde zu verfolgen
nie beseitigt worden sein. So dürfen wir denn annehmen, dafs die
Auxorianer, wie sie im Anfange der Regentschaft des Theodosius die
Dörfer der Pentapolis niederbrannten, die Städte belagerten und die
«") Vgl. Gieseler S. 308—313.
*) Synes. ep. 57. Catast. p. 302 flf. p. 193B.; ferner ep. 77. und Cat. P.299D.
und 300. Elogium Anysii p. 305 und 306. ep. 125. 62. Vgl. Sievers S. 409 ff.
20
i
3o6
Frauen und Kinder fortschleppten, so auch in diesen Zeiten ihre
Raubzüge fortsetzten, wenn auch die Stimme des Augenzeugen Synesius
allmählich verstummt Dafür aber läfst uns die Verbannung des
Nestorius wieder einen, leider nur kurzen, Blick in diese Verhältnisse
thun, der selbst in der Oase von den Blemmyem gefangen, dann
aber von ihnen samt vielen anderen freigelassen wurde, weil die
Maziken in ihr Land eingefallen waren.'^) Auch die von Norden über
die Donau herziehende Kriegswolke ging ohne Gefahr vorüber. Sie
war dadurch hervorgerufen, dafs die an dem Ister wohnenden Völker,
die Amilzuren, Itimaren, Tonosuren, Boisken und andere, ohne Erlaubnis
des Hunnenkönigs Rua, dem sie unterworfen waren, den Römern
ihre Dienste angeboten hatten und zahlreich über den Strom ins römische
Gebiet geflohen waren. Rua schickte daher seinen gewöhnlichen Ge-
schäftsträger Esla an Theodosius mit der Drohung, dafs er den Frieden
brechen werde, wenn die Flüchtlinge nicht wieder ausgeliefert würden.
Zur Ausgleichung dieser Zwistigkeit bestimmte Theodosius die Consulare
Plinthas und Dionysius; aber bevor die Gesandten an den König
abginge!^, traf die Nachricht von seinem Tode ein und erledigte vor-
läufig die Angelegenheit.^*)
Doch mehr als diese Nachrichten beschäftigten die kaiserliche
Regierung die Ereignisse in Westrom, welches infolge des Gegensatzes
zwischen Bonifacius und Aetius noch immer in Aufregung erhalten
wurde. Während der erstere sehr wider seinen Willen gegen die
Kaiserin Placidia die Fahne des Aufruhrs erhob, hatte Aetius in Gallien
ein ergiebiges Feld für seine Kriegstüchtigkeit gefunden, die er hier im
Kampfe mit den Franken, Juthungen und Burgunden aufs glänzendste 2
bewährte.*) Für diese ruhmvollen Waffenthaten war er, trotzdem seine
gegen Bonifacius gesponnenen Ränke ans Licht gekommen waren, 42g
zum kommandierenden General ernannt worden,^) Aber neben ihm ge-
nofs der Magister militum Felix am Hofe das höchste Ansehen, der zu
gleicher Zeit mit dem Titel eines Patricius von Placidia ausgezeichnet
wurde. Es zeugt nun von dem ungezügelten Ehrgeiz des Aetius und
seinem Mangel an sittlichem Gehalt, dafs er, da er einen Nebenbuhler
neben sich nicht ertragen konnte, diesen um seine Herrin hochver-
dienten General mit seiner Gemahlin Padusia im folgenden Jahre um-
*) Euägrius I. 7. Vgl. Nicephor. XIV. c. 54.
*a) Prise, frgm. I. Vgl. Haage a. a. O. S. 4. v. Wietersheim S. 222. Zur
Frage der Herkunft dieser Völker, vgl. F. Kanitz Serbien S. 326 fF.
^ Prosp. Aquit. Idac. chron. Prosp. Tiro. Vgl. Sievers S. 456 ff. v. Wieters-
heim. S. 209. Hansen I. S. 48 ff.
*) Prosp. Aquit.
107
bringen liefs, angeblich, weil sie ihm Nachstellungen beratet hätten.^)
Jetzt stand dem Übergewicht seines Einflufses nur noch der des
Bonifacius im Wege, der gerade 432, als Aetius das Consulat<^) be-
kleidete, von Placidia aus Africa abberufen und zum magister militum er-
nannt in Italien landete und sicherlich die geheime Absicht hatte, sich an
seinem Todfeinde zu rächen. Aetius mochte in der That derartiges geahnt
haben, denn unter dem Druck des bösen Gewissens glaubte er jenem
nur mit den Waffen in der Hand gegenübertreten zu dürfen und rüstete
sich mit den wenigen Truppen ''), welche ihm anhingen, zum £nt-
scheidungskampfe. In diesem siegte zwar Bonifacius, vielleicht im Be-
sitze der grösseren Menge, wurde aber so schwer verwundet, dafs er
einige Tage darauf starbt)
So hatte Aetius allerdings sein Ziel erreicht, seine Nebenbuhler
waren aus dem Wege geräumt, gleichwohl fühlte er sich als geschlagener
Feldherr ohne Heer nicht sicher in Italiwi, sondern entwich übers
Meer nach Dalmatien und von da nach Pannonien zu seinen alten
Freunden, den Hunnen.®) Über diese gebot damals der ebenerwähnte
Rua (Rugilas), der den Flüchtigen freundlich aufnahm und eine Aus-
söhnung mit Placidia herbeizuführen suchte.^) Die Kaiserin von allen
verlassen, die ihr in ihrer verzweifelten Lage Stützen gewesen waren,
dachte weniger an die Wunden, welche der gewaltige Mann ihrem
Herzen geschlagen hatte, als an die hülflose Lage des Reichs, welches
eines energischen Feldherm vor allem bedurfte. So ging sie denn
auf die Unterhandlungen mit dem Hunnenkönige ein und nahm den
Aetius 433 wieder zu Gnaden an, während Rua für seine Be-
mühungen einen an der Save gelegenen Teil Pannoniens als Preis
davontrug. 1^) Schon machten die verwirrten Zustände in Gallien
*) Ebend. vgl. Hansen S. 49.
ß) Die Belege bei Sievers S. 542. Hansen IL S. i — 6.
') Dafs die Truppen des Aetius nicht zahlreich waren, folgert man aus
seiner Niederlage, v. Wietersheim S. 210.
®) Prosp. Aquit. Marc. Com. Der letztere berichtet, Aetius habe sich für
den Kampf eine ungewöhnlich lange Lanze anfertigen lassen und mit dieser den
Bonifacius verwundet. Nach ihm starb Bonifacius erst im 3. Monate nachher,
doch ist die Nachricht des im Occident lebenden Prosper vorzuziehen. Vgl.
Prosp. Tiro. Hansen S. 6 ff. v. Wietersheim S. 383, der meint, Aetius sei heim-
lich vorher nach Constantinopel gegangen.
9) Prosp. Aquit.
»0) Ebend. und Prosp. Tiro.
**) Das wird gefolgert aus Priscus p. 147 und 198. Vgl. Hansen S. 10.
V. Wietersh. S. 221. Zu dies^ von Priscus ^ TiQoq tfJS Saip nota/xi^ Ilaiovwv
XWQav (vgl. zu diesem Namen Kiepert S. 361.) genannten Landschaft gehörte das
20*
3o8
seine Anwesenheit notwendig. Die Bagauden erhoben sich, die
Burgunder fielen von neuem ein und die Westgothen brachen den
Frieden, aber alle diese Gegner warf der tapfere und umsichtige
General mit Hülfe eines hunnischen Hülfskorps bis 439 so nieder ^^),
dafs die Provinz Gallien bis zum Einfall des Attila ungestörter Ruhe
sich erfreute.
Auch in Africa wurde im Jahre 435 den Verwüstungen der
Vandalen Einhalt gethan durch einen in Hippo abgeschlossenen
Vertrag 1^), durch welchen den Eindringlingen zwar die eigentliche
Provinz Africa aufser Karthago, Byzacena und der östliche Teil
Numidiens überlassen wurde, ganz Mauretanien aber römisch blieb.
Aufserdem verstand sich Gaiserich zu einer Tributzahlung, sicherlich
in Naturalien, an Valentinian und übergab als Unterpfand seiner Treue
seinen Sohn Hunerich.
Diese verhältnismälsig günstige Lage des weströmischen Reichs
machte es Valentinian II L, der inzwischen das achtzehnte Jahr er-
reichte, möglich, die im Jahre 424 zwischen ihm und der einzigen
Tochter Theodosius II. Eudoxia geschlossene Verlobung**) durch eine
feierliche Vermählung zu besiegeln. Auch von Seiten des ost-
römischen Reichs stand dieser Absicht, welche gewifs der Kaiserin
Eudocia besonders am Herzen lag***), nichts im Wege, denn aufser
einer Hungersnot im Jahre 43 1 '*), und 434 infolge eines dreitägigen
Brandes*^), in Constantinopel, welcher aufser den Staatsspeichern imd
den Achillischen Bädern einen grofsen Teil der Stadt in Asche legte,
hatte hier nichts den Gang der Regierungsgeschäfte unterbrochen.
Gern erteilte daher Theodosius seine Einwilligung, da auch Eudoxia
inzwischen zur Jungfrau herangeblüht war, und bestinmite als den
Ort, wo die Vermählung gefeiert werden sollte, die von Ravenna aus
leichter zu erreichende Stadt Thessalonich. *'^) Aber der jugendliche
Eidam, welcher sich daran erinnerte, dafs sein zukünftiger Schwieger-
vater schon einmal hier erkrankt war, bestand darauf, ihm die Reise
am linken Saveufer gelegene Sirmium nicht, da es von den Hunnen nach Prise,
frgm. 7. später erst erobert wurde.
") Prosp. Aquit. Prosp. Tiro. Idac. Vgl. Hansen II. S. 11 — 16. Sievers
S. 458. V. Wietersh. S. 211,
*') Prosp. Aquit. Procop. I. 4. Vgl. Papenkordt S. 71 ff.
") Vgl. ihr Gelübde bei Socrat. VII. 47.
^*ft) Marc. Com. quam dudum desponsaverat.
*^) Marc. Com.
*^) Chron. Pasch. Marc. Com. Prosp. Aquit.
") Socr. VII. 44.
309
ersparen und selbst nach Constantinopel kommen zu wollenj^) Dort
langte er in Begleitung hoher Staatsbeamten^^) im Jahre 437 ^•)
wohlbehalten an und legte am 29. Oktober unter dem Segen des
Patriarchen Proclus seine Hand in die seiner jugendfrischen Verlobten,
indem er so v^enig wie sie alle die liarten Schicksalsschläge voraussah,
welche ihnen nicht ohne ihr eigenes Verschulden bevorstanden. Nach
der Beendigung der Festlichkeiten sahen die Eltern ihre einzige 2^)
Tochter schweren Herzens gen Westen ziehen, doch blieb sie den
Winter über ihnen noch in Thessalonich ^^) nah und erst der Frühling
438 sah das neuvermählte Paar in ihre Residenz Ravenna einziehen.
Aber die Verehelichung der Kinder des Theodosius und Constantius
hatte nicht blos für sie selbst ein persönliches Interesse, sondern, da
der Leib der Eudocia voraussichtlich für inmier verschlossen blieb,
sollte zugleich die Sicherheit der Zukunft des oströmischen Reiches
gewahrt werden, denn schwerlich dachte Theodosius, dem der Sohn
nun einmal versagt war, schon damals daran, dermaleinst mit der Hand
der Pulcheria sein Land an einen Fremden, aufserhalb der Familie
stehenden zu vererben. Nach den Verhältnissen, welche 437 obwalteten,
mufste man vielmehr annehmen, dafs im Falle des Todes des Theodosius
das ganze römische Reich wiederum einem Herrscher, dem des West-
reichs, zufallen werde.
1«) Die Unterhandlungen führte in Constantinopel im Auftrage des Valentinian
der Stadtpräfekt Volusianus. Vita S. Melanae Romanae beim Surius zum 31.
Januar.
**) Vgl. Gesta in senatu urbis Romae de recipiendo codice Theodosiano.
*®) Marc. Com. Prosp. Aquit. geben das richtige Jahr; auch das Datum
Chron. Pasch. Den Ausschlag gegen Socr. VII. 44, der die Consuln des Jahres
436 nennt» geben die Gesta in senatu etc., wo Acilius Glabrio Faustus sagt:
Proximo superiore anno cum felicissimam sacrorum omnium coniunctionem
pro devotione comitaremur peractis feliciter nuptiis . . . Vgl. Sievers S. 46.1.
Gregorovius a. a. O. S. 143.
*^) Gregorovius S. 141 nimmt ohne nähere Begründung an, dals die Notiz bei
Marc. Com. zu 431, Flaccilla, die Tochter des Theodosius sei gestorben, auf eine
zweite Tochter Eudocia's gehe. Doch dagegen spricht die Bemerkung des gut
unterrichteten Chron. Pasch, zu 421, dafs Eudocia. dem Th. die Eudoxia geboren
habe, da sonst diese Chronik alle Kinder aufzählt, vgl. es zu 437. Aber eine
Tochter Theodosius I. kann diese Flaccilla ebenfalls nicht sein, da sich Zos. IV. 57
auf die Geburt der Placidia bezieht. (Denn avv T(p ßgeipet xal rbv ßiov
dnoS-EfxivTjV bedeutet keineswegs, wie Sievers S. 447 meint, dafs auch das Kind
tot zur Welt gekommen ist.) Es bleibt daher übrig hier ein Versehen des Marc.
Com. anzunehmen, dafs er anstatt „Schwester** Tochter geschrieben habe; wo-
gegen nur Sozom. IX. i. spricht.
•*) Marc. Com.
3IO
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet ist die Thatsache der
Abtretung eines Teiles des Occidents an das Ostreich nicht so auf-
fällig, als es im ersten Augenblick erscheinen mag, zumal sie eine Folge
von Erwägungen schwerwiegender Art war. Denn Theodosius hatte
mit Aufgebot eigener Kräfte und auf Kosten der ohnehin genugsam
belasteten Staatskasse des Orients das Erbe des Honorius erobert und
seinem jugendlichen Verwandten Valentinian überlassen, während er
es für sich selbst hätte behalten können. Doch mit Recht hatten
424 Pulcheria und seine übrigen Ratgeber ihm nahe gelegt, diese
Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, um seinem Reiche
eine bessere Grenze im Nordwesten zu gewinnen. Denn schon ein
Blick auf die Karte lehrt, wie unnatürlich nach dieser Seite hin die
Provinz lUj^en zwischen West- und Ost-Rom geteilt war und wie
unbequem die weströmische Herrschaft der oströmischen hier sein
mufste. Während ein feindlicher Gebieter des Occidents mit seinen
Truppen ohne Beschwerlichkeit direkt ins Herz der oströmischen Madit
stofsen und Thessalonich oder Constantinopel in wenig Wochen er-
reichen konnte, hatte eine oströmische Truppenmacht, wenn sie den
Süden des weströmischen Illyriens einnahm, noch immer die gefähr-
lichen Pässe der julischen Alpen und einen weiten Weg bis nach Ra-
venna und Rom vor sich. Theodosius fafste daher im Einverständnis
mit Placidia von vornherein die Einverleibung eines Teiles dieser
weströmischen Provinz schon 425 ins Auge, ohne dafs indes über die
Begrenzung desselben ein förmlicher Vertrag geschlossen wäre; doch
gab ihm bereits der Einfall der aus dem Occident zurückkehrenden
hunnischen Hülfstruppen des Aetius Veranlassung Illyrien gegen sie
zu schützen und den Süden desselben in Besitz zu nehmen. Als
nun 437 Valentinian in Constantinopel anwesend war, verweigerte er,
auch in Anbetracht der Hülfe, die ihm Theodosius gegen die Van-
dalen geleistet hatte, nicht seine Einwilligung zu einem Tractat, weicher
Dalmatien bis zur Grenze von Pannonia inferior und Savia dem
oströmischen Gebiete hinzuschlug und so demselben eine natür-
liche Grenze verlieh 23); Pannonien dagegen, soweit es nicht durch
^3) Den einzigen Anhalt für diese Ausführung bietet Cassiodor, Variar. XI.
ep. I. Nurum denique sibi (seil. Placidia) amissione lUyrici comparavit factaque
est coniunctio regnantis divisio dolenda provinciis. Diese Notiz veranlafste
Tillemont VI. (zu 437) zu der Annahme, dafs ganz West-Illyricum an Ostrom
abgetreten worden sei, dafs gelegentlich der Hochzeit: Valentinien peut bien
n* avoir fait que ratifier en ce temps -ci ce que sa mere avait d6ja accord6 en
424, lorsqu' eile lui fit fiancer Eudoxie. Dieser Meinung schliefst sich auch
V. Wietersheim S. 378 an, indem er zugleich die Annahme, ganz Illyrien sei an
3"
Aetius an Rugilas abgetreten war, und insbesondere Noricum blieben
mit dem weströmischen Reiche verbunden.
Die Anwesenheit des Beherrschers des Occidents in Constan-
tinopel war aber auch noch in anderer Beziehung für das ganze
Römerreich von der weitgehendsten Bedeutung, weil sie eine Institution
ins Lebens rufen half, welche für den Gedanken der Reichseinheit
von der höchsten Wichtigkeit war, denn was vermag aufser der gleichen
Sprache, wenn wir an moderne Verhältnisse denken, das Bewufstsein
der Zusammengehörigkeit mehr zu fördern als ein gemeinsames
Gesetzbuch! Freilich, was damals von Theodosius und Valentinian
geschaffen wurde, ist weniger ein solches, als vielmehr eine Sammlung
kaiserlicher Verordnungen, welche mehr dem Verwaltungsbeamten als
dem Richter zu gute kamen, deren Amt allerdings damals nicht ge-
trennt war. Dem Bedürfnis, die Rechtsanschauung der vorangehenden
Jahrhunderte seit den Zeiten der Republik zu fixieren und in über-
sichtlicher Darstellung zu ordnen, waren bereits zwei Privatsammlungen,
der Codex Gregorianus und Hermogenianus, entsprungen 2*),
von denen der erstere die Constitutionen von Hadrian bis Diocletian
enthält und wahrscheinlich seine Entstehung der Anregung des letzt-
genannten verdankt, während der Nachtrag dazu, der codex Hermo-
genianus, ein Erzeugnis des vierten Jahrhunderts ist. Von beiden
sind Reste auf uns gekommen. Allein auch sie waren nicht im stände
der allgemeinen Unsicherheit in der Anwendung des Rechts zu steuern,
Ostrom abgetreten, mit Recht entschieden verwirft. In der That kann es sich
nur um Dalmatien gehandelt haben, denn i. ist die Verfügung Theod, II. über
die aufserordentliche Besteuerung der Provinzen Cod. Theod. XI. 20, 5. (vom
13. Mai 424) zu einer Zeit ediert, in welcher die Feldherrn Ardaburius und Aspar
Dalmatien bereits eingenommen hatten, und bezieht sich (vgl. die Ausführung in
cap. 4. Anm. 52 der Darstellung) offenbar mit auf dieses, 2. wird selbst nach
jenem Vertrage des Rugilas mit Aetius das weström. Sirmium von den Hunnen
belagert, (Prise, frgm. 8 p. 846.), welches in Pannonia inferior lag, 3. erscheint
noch später Promutos, Statthalter Noricums, unter den weström. Gesandten. Prise,
ibid. Vgl. Sievers S. 461 — 462. Daher könnte es immer noch einen west-
römischen Pf. pr. Illyrici gegeben haben, wenn auch Dalmatien abgetreten war.
Aber der so Nov. Val. II. 3. (443) bezeichnete Albinus war es sicher nicht, da
sich der Inhalt der auf ihn bezüglichen Verfügungen auf Africa bezieht, das zur
Präf. Italia gehörte. Unter allen Umständen aber ist es ein Irrtum Hertzbergs
Gesch. Griech. I. S. 62. , dafs der Sitz des oströmischen Prf. pr. Illyrici in
einem der Jahre 424 bis 427 von Thessalonich nach Sirmium verlegt worden sei.
Danach ist die Angabe der Darstellung S. 10. zu berichtigen. Vgl*
noch Pallmann Gesch. der Völkerw. II. S. 49. A., der Pannonien schon 424
an Ostrom abgetreten werden läfst.
^*) Bruns in Holtzendorfs Encyclop. der Rechtswissensch. S. 147. Sie
sind ediert von Haenel Bonn 1837.
312
wie die Verfügung Valentinians III. aus dem Jahre 426 (13. Nov.
Ravennae ad senatum urbis Romae^*) beweist, in welcher er den ge-
samten Schriften des Papinian, Paullus, Gaius, Ulpian und Mode-
stinus und auch den Entscheidungen derjenigen Rechtskraft verlieh,
deren Abhandlungen und Urteilssprüche die Genannten in ihre Werke
aufgenommen hatten, wie des Scaevola, Sabinus, Julianus und Marcellus
und der übrigen von jenen Citierten, vorausgesetzt, dafs eine Ver-
gleichung der Handschriften stattfände.
Mehr aber als für die Rechtssprüche hatte sich die Notwendig-
keit eines Sammelwerkes für die kaiserlichen Constitutionen allmählich
immer dringender geltend gemacht, weil die Absichten und Ansichten
der Herrscher auf dem Gebiete des Rechts und des kirchlichen wie
socialen Lebens so oft gewechselt hatten und ihre Verordnungen sich
nicht stets auf das ganze Reich bezogen, sondern bald hier, bald
dorthin gerichtet waren, so dafs dem Beamten eine Übersicht über
sie ganz unmöglich war. Wollte er daher einen aufsergewöhnlichen
Procefs erledigen, so mufste er aufser einer grofsen Menge von Büchern
auch die kaiserlichen Verfügungen zu Rate ziehen, ohne dabei sicher
zu sein, dafs er keine derselben übersehen habe. Es war somit ein
höchst verdienstliches Werk, welches Theodosius 11. unternahm, wenn
er die Edicte der Kaiser seit Constantin des Grofsen Zeit in einem
Compendium zusammenstellen liefs. Die Anregung dazu mag neben
dem praktischen Bedürfnis seine eigne Liebe zur Wissenschaft und das
Darniederliegen der iuristischen Studien überhaupt gegeben haben;
zur Reife kam dieser Gedanke schon im Jahre 429, in welchem er
durch eine Verordnung, die wir so glücklich sind noch zu besitzen,
die Einsetzung einer Commission sachverständiger Männer zur Aus-
arbeitung eines Gesetzbuches verfügte.
Wir beschliefsen, heifst es darin, dafs nach dem Vorbild des Codex
Gregorianus und Hermogenianus alle Constitutionen gesammelt werden,
welche der erlauchte Constantin und die seligen Fürsten nach ihm
und Wir gegeben haben, die sich auf die Kraft von Edicten oder
auf kaiserliche Generalerlasse stützen. Erstens müssen die Titel, das
heifst die Bezeichnungen der Materien, so getrennt werden, dafs wenn
eine einzige Verfügung in verschiedene Abschnitte zerfallt und zu
mehreren Titeln gehört, jedes an seine passende Stelle gesetzt wird.
Darauf möge dasjenige, was die Verschiedenheit der Lesarten für
beide Teile in Anspruch nehmen wird, nach der Reihe geprüft werden,
nicht nur unter Berücksichtigung des Consulats und der Zeit des
2*) Cod. Theod. I. 4, 3. Zu den Namen vgl. den Comm. Gothofr. und
Gregorovius Hadrian S. 296.
313
Reiches, sondern auch, indem die Zusammensetzung des Werkes selbst
zeigt, dafs das spätere von gröfserer Kraft ist. Sodann ist darauf
zu achten, dafs die eigenen Worte der Constitution, welche zur Sache
gehören, erhalten bleiben, doch mit Übergehung derjenigen, welche
zur Einschärfung des Gegenstandes hinzugefügt, jedoch nicht durchaus
notwendig sind. Aber obwohl es einfacher und gerechter ist, dafs
mit Übergebung der Verordnungen, welche die späteren aufheben,
die allein erläutert werden, welche allgemein Gültigkeit haben werden,
so möchten Wir doch sehen, dafs dieser Codex und die früher von
Fleifsigeren verfafsten, deren wissenschaftlichen Studium sie verdankt
werden, auch diejenigen Verfügungen kennen, welche dem Schweigen
verfallen und aufser Gebrauch gekommen sind und nur für die Vor-
kommnisse ihrer Zeit Geltung haben.
Von diesen drei Gesetzbüchern aber und den in den einzelnen
Titeln zusammenhängenden Abhandlungen und Entscheidungen der
Rechtsgelehrten wird das unsrige (4.) durch die Arbeit ebenderselben,
welche den dritten ordnen werden, sich unterscheiden, der keinen
Irrtum, keine Umschweife dulden, der nach Unserem Namen her
nannt, alles zu Befolgende und zu Vermeidende aufzeigen wird. Zur
Vollendung des so grofsen Werkes und zur Abfassung der Gesetz-
bücher, von denen das erste die gesamten verschiedenen generellen
Verordnungen enthaltend und keine, welche man vorbringen könnte,
auslassend den nichtigen Ausputz von Worten zurückweisen, das
andere mit Ausschlufs jeglicher Rechtsverschiedenheit die Special-
verfügungen aufnehmen wird, müssen Männer von besonderer Treue
und scharfem Verstände auserlesen werden, die, sobald sie das erste
Gesetzbuch Unserer Einsicht und der öffentlichen Wirksamkeit unter-
breitet haben, sich an die Bearbeitung des andern machen werden,
bis er zur Herausgabe reif sein wird.
Die Auserlesenen mögen deiner Excellenz hiermit bekannt werden:
Wir haben erwählt die Illustres Antiochus, Ex-Quaestor und
Ex-Praefect, Antiochus, Quaestor S. P., die Spectabiles Theodorus,
Comes und Vorsteher der geheimen Kanzlei, die Ministerial-Directoren
Eudicius und Eusebius, Johannes, Ex-Comes Unseres Con-
sistoriums, die Ministerial-Beamten a. D. C o m a z o n te s und E u b u 1 u s
und den Professor A pell es, einen sehr beredten Mann. Wir haben
das Vertrauen zu diesen von Unserer Ewigkeit Erwählten, dafs sie die
Gelehrtesten hinzuziehen werden, damit durch ihren gemeinsamen
Eifer falsche Rechtsbestimmungen ausgeschlossen werden. In Zukunft
wird aber, wenn eine Verordnung ergehen soll, diese in dem andereij
Teile des Vereinigten Reichs solche Geltung haben, dafs sich die
314
private Anmafsung durch den Zweifel an ihrer Richtigkeit nicht schützen
kann, sondern sie möge von dem Teile, in dem sie gegeben worden
ist, imter kaiserlichem Begleitschreiben übersandt werden, um auch in
die Archive des andern aufgenommen und in der Form eines Ediktes
veröffentlicht zu werden: Denn das übersandte wird verabredeter-
mafsen angenommen werden und ohne Zögern Geltung haben, doch
bleibt Unserer Milde das Recht der Verbesserung resp. Zurücknahme
vorbehalten. An den Senat. Gegeben am 26. März zu Constantinopel
unter dem Consulate des Florentius und Dionysius" {^zg),^^)
In wie weit der Kaiser in der Auswahl der Persönlichkeiten das
Rechte getroffen hat, vermögen wir nicht zu erkennen, doch verdient
die Art der Zusammensetzung der Kommission entschieden Beifall,
weil er aufser im Dienste ergrauten Beamten auch der Theorie einen
Platz in der Person des Inhabers einer der beiden Professuren für
Rechtswissenschaft an der Universität Constantinopel einräumte. Diese
Männer nun arbeiteten sich mit Hülfe von Sub-Commissionen im Laufe
der nächsten sechs Jahre so fieifsig durch den überreich vorhandenen
Stoff hindurch, dafs Theodosius ihnen am Ende des Jahres 435 für
die endgiltige Abfassung des Gesetzbuches eine besondere Voll-
macht erteilte.27) Sie sollten überflüssige Worte fortlassen, notwendige
hinzufügen, zweifelhafte ändern, widersprechende verbessern dürfen.
Doch waren in diesem Zeiträume von den oben genannten Sachver-
ständigen alle bis auf den Präsidenten Antiochus, Theodorus und
Eubulus entweder gestorben oder ausgeschieden, so dafs wir unter
den hier wieder aufgezählten Mitgliedern aufser jenen Dreien neuen
Namen begegnen: Maximinus, Quästor, die Konsistorialräte Sperantius,
Martyrius, Alipius, Sebastianus, Apollodorus und Oron; die Ministerial-
beamten Maximus, Epigenes, Diodorus, Procopius, der Ex -Vikar Erotius
und Neuterius; im ganzen waren es also sechszehn, von denen dies-
mal keiner dem Professorenberufe angehörte, und welche im Falle
eines Todes oder Behinderung eines Mitgliedes stets vom Kaiser
wieder ergänzt wurden.
Endlich nach etwa zweijähriger Arbeit der neuen Kommission
konnte Theodosius am 15. Februar 438, nachdem er sich des Ein-
verständnisses Valentinians bei seiner Anwesenheit in Constantinopel
versichert hatte, den nach ihm benannten Codex Theodosianus
der Öffentlichkeit übergeben. Er sagt in der darauf bezüglichen an
den Patricius Florentius gerichteten Verfügung :28) Oft habe er
2«) I. I, 5. (fehlt bei Gothofred.)
^) I. I, 6. 21. Dec. 435.
3B) Novell. Theod. II. Tit. i. und Hänel p. 90 ff. in den Gesta senatus.
315
darüber Betrachtungen angestellt, woher es komme, dals trotz der so
hohen Belohnungen, durch welche die Kunst und Wissenschaft gefördert
würden, so wenige sich gefunden hätten, welche mit der Fülle des
Civilrechts sich bereicherten, und dafs trotz der so schwächenden
Nachtarbeiten kaum einer oder der andere das Ganze der vollendeten
Wissenschaft in sich aufgenommen habe.*®) Wenn er nun so die
ungeheure Menge der Bücher, die Verschiedenheit der Formalitäten,
die Schwierigkeit der Prozesse, wenn er endlich die Masse der kaiser-
lichen Verordnungen betrachte, die- gleichsam begraben unter einem
Wall dichten Nebels und Finsternis dem menschlichen Geiste die
Übersicht unmöglich mache, so glaube er in Wahrheit ein zeitgemäfses
Werk vollführt und die Finsternis zerteilend durch ein zusammen-
fassendes Kompendium über die Gesetze Licht verbreitet zu haben.
Er habe durch auserlesene Männer von erprobter Treue und berühmter
Gelehrsamkeit die Entscheidungen der früheren Kaiser veröffentlicht,
damit nicht in Zukunft gleichsam aus dem Allerheiligsten selbst furcht-
erweckende Urteile erwartet würden *<^), da nunmehr jedem klar vor
Augen liege, durch was für eine Urkunde eine donatio übertragen,
auf welchem Rechtswege eine Erbschaft erlangt werde, mit welchen
Worten eine rechtmäfsige Stipulation vor sich gehen müsse. Dies
alles sei nun durch die Arbeit der Rechtsgelehrten und unter dem
strahlenden Glänze seines Namens ans Licht gezogen. Und diejenigen,
welchen er die göttlichen Gedanken seiner Brust anvertraut habe,
möchten nicht argwöhnen, dafs ein geringer Preis ihrer warte, denn
wenn er richtig mit menschlichem Scharfsinn in die Zukunft blicke,
so würden sie durch die Teilnahme an seiner Arbeit auf die Nach-
welt kommen. Darum gebe er nach Besichtigung der Wolke nichts-
nutzender Bände einer zusammenfassenden Kenntnis der kaiserlichen
Konstitutionen seit Constantins Zeiten Gesetzeskraft, so dafs niemand**)
nach dem i. Januar (des folgenden Jahres) die Erlaubnis habe, auf
dem Forum oder in den täglichen Sitzungen kaiserliches Recht zu
sprechen oder Prozefsakten zu verfassen, aufser auf Grund dieser
Bücher, die auf seinen Namen übergegangen seien und im Staatsarchiv
aufbewahrt würden. Doch sei deswegen keines der früheren Kaiser
Andenken beseitigt, keines Gesetzgebers Name untergegangen, nein.
^•) . . . et in tanto locubrationum tristi pallore vix unus aut alter receperit
soliditatem perfectae doctrinae.
^) ne iurisperitorum ulterius severitate mentita dissimulata scientia, velut
ab ipsis adytis, exspectarentur formidanda responsa.
3') nulli post Kai. Jan. concessa licentia ad forum et cotidianas advocationes
ins principale deferre vel litis instrumenta componere.
3i6
die Gunst des Lichtes eintauschend, würden sie mit ihm in erlauchter
Genossenschaft verbunden. Aufserdem, fügt er hinzu, dürfe in Zukunft
keine Verordnung als im Westreich oder in einer anderen Gegend
von Valentinian UI. gegeben vorgebracht werden oder Gesetzeskraft
erlangen, wenn nicht eben dies ihm durch eine kaiserliche Note mit-
geteilt worden wäre; dasselbe gelte umgekehrt natürlich auch für die,
welche im Orient veröffentlicht würden.^^j
Zum Schlufs zählte er unter ehrenden Bemerkungen die acht
Männer der oben erwähnten Kommission auf, welche bis zum Abschltifs
des Werkes ihm ihre Kräfte gewidmet hatten — es waren der Vor-
sitzende Antiochus, Ex-Präfekt und Ex-Consul, femer Maximinus,
der später zu Attila als Gesandter geschickt wurde, Sperantius,
Martyrius, Apollodor, Theodor, Epigenes und Procopius,
— und beauftragte den Präfekten Florentius dieses Edikt zu allge-
meiner Kenntnis zu bringen.
Der Publikation im Orient folgte die im Occident am Ende des
Jahres nach, wie wir aus dem darüber aufgenommenen und erhaltenen
Protokoll ersehen.33) Am 2^, Dezember 438 berief der Consul und
Praefectus praetorio Acilius Glabrio Faustus zu Rom den Senat zu
einer Sitzung in seine Wohnung, in welcher er zunächst berichtete,
dafs, als er im verflossenen Jahre bei Gelegenheit der Hochzeit des
Kaisers Valentinian in Constantinopel war, Theodosius ihn und den
Praefectus pr. des Orients rufen liefs und ihnen eigenhändig ein Exemplar
des Codex Theodosianus überreichte, damit derselbe in beiden Reichen
Geltung habe. Das Gesetzbuch liege nun hier vor ihren Augen und,
wenn es dem Senate gefiele, so werde er das VeröiFentlichungsedikt
verlesen. Nachdem dies unter allgemeinem Beifall geschehen war,
wurde die Anfertigung dreier Copien in der Art beschlossen, dafs der
vorliegende Codex im Archiv des Praefectus pr. verbleiben, die erste
Copie in dem Archiv des Stadtpräfekten aufbewahrt werden, dagegen
die zweite als Norm für die zahlreichen Abschriften zum praktischen
Gebrauch dienen sollte und die dritte für Africa bestimmt wurde.
So war denn in einem Zeitraum von neun Jahren ein Werk
gelungen, welches auf die Anregung und unter der fördernden Teil-
^) His adiicimus nullam constitutionem in posterum velut latam in partibus
Occidentis aliove in loco ab invictissimo principe filio nostrae clementiae pierpetuo
augusto Valentinano posse proferri vel vim legis aliquam obtinere, nisi hoc idem
divina pragmatica nostris mentibus intimetur. Quod observari necesse est in his
etiam quae per Orientem nobis auctoribus promulgantur.
33) Bei Hänel vor dem Cod. Theodos. als Gesta in senatu urbis Romae
de recipiendo codice Theodosiano.
317
nähme des Kaisers Theodosius entstanden ist. Grofse Thaten würdig
eines Helden kann man diesem unkriegerischen und wenig soldatischen
Herrscher nicht nachrühmen, um so mehr ist es daher angebracht
diese seine selbständige Thätigkeit anzuerkennen, in welcher er dem
friedlichen Könige, wie ihn einst der kühne Synesius seinem Vater
gezeichnet hatte, so nahe kommt. Theodosius hatte zwar Vorbilder
in seinem Unternehmen, gleichwohl war dasselbe doch in anderer
Weise originell, da es sich nicht nur auf die Sammlung von Rechts-
sprüchen beschränkte, sondern den ganzen Wust unendlich vieler kaiser-
licher Konstitutionen zu sichten und das Brauchbare und Praktische
herauszuschälen unternahm. Sein Werk hat für seine eigene Zeit
einem unerträglich werdenden Mangel abgeholfen, die Rechtspflege
gehoben und den Gang der Geschäfte erleichtert Wenn nun aber
Theodosius in die Zukunft schauend der Meinung war, sein Werk
werde bleibenden Wert haben, so hat er sich zwar insofern getäuscht,
als durch die 'umfassenderen Sammlungen Justinians I. seine eigne
überholt und erweitert wurde, nach einer anderen Seite dagegen hat
er vollständig Recht gehabt Denn der Codex Theodosianus mit seinen
Nachträgen 34) wird für alle Zeiten in Hinsicht auf die Sprache, die
Sitten, Einrichtungen und Gebräuche, endlich die Ereignisse der
Zeit von 3 1 3 — ^468 eine unentbehrliche Quelle des Geschichtsforschers
bleiben, haben wir an ihm doch häuüg die einzige Wage, auf der wir
die absichtlich gefärbten Nachrichten parteiischer Geschichtsschreiber
allein und am besten abzuwägen im stände sind.
In demselben Jahre, in welchem Theodosius dies verdienstliche
Werk schuf, war es ihm auch vergönnt das Unrecht seiner Eltern an
dem Patriarchen Johannes Qirysostomus, wenn auch erst nach seinem
Tode, zu sühnen. . Schon als Atticus den Bischofssitz in Constantinopel
einnahm, war, wie wir sehen, sein Name in der Reihe der übrigen
Bischöfe wieder genannt worden und dieser Umschwung hatte durch
den Antiochener Nestorius eine weitere Förderung erfahren.*^) Erst
aber dem Bischof Proclus, der nach zweimaliger Zurückweisung
434 3ö) endlich das Ziel seiner Sehnsucht erreichte, war es vorbehalten
den letzten Schritt zur Aussöhnung mit den Johanniten zu thun. Denn
3*) Den sogen. Novellae (leges) Theodosius II. , Valentinian III. , des
Martianus, Maiorianus, Sevenis, Anthemius; ebenfalls ed. von Hänel. Sie gingen
mit dem Codex zusammen über in die lex Romana Visigothorum und Burgundionum.
Vgl. Teuffei Rom. Literaturgesch. S. 1085 ff. Walter Gesch. des r. Rechts II. S.35
bis 37. £dm. Vogt. Prögr. des Gymnas. a. d. Apostelkirche zu Köln 1870.
S. 23. G. S. 42.
^ Marc. Com. 428.
»•) Socrat. VII. 40—42.
3i8
auf seine Veranlassung und auf den Wunsch der kaiserlichen Ge-
schwister wurden die Gebeine des edlen Seelsorgers in Comana dem
Grabe entnommen ^^) und nach der Hauptstadt überführt Als sie in
Chalcedon angekommen waren, fuhr ihnen der Kaiser mit seinem ge-
sammten Hofstaat entgegen, holte sie am 27. Januar 3») feierlichst ein
und schritt neben Pulcheria der Procession voran, welche sie zu ihrer
letzten, endlichen Ruhestätte, der Apostelkirche, geleitete. Damit war
auch den fanatischen Johanniten Genüg« geschehen und sie hörten
fortan auf, Sonderversammlungen und Gottesdienste abzuhalten.
Den Namen der Kaiserui Eudocia finden wir in dieser Ange-
legenheit nicht genannt, doch ist es keinem Zweifel unterworfen, dafs
sie sich ebenfalls an der Einholung beteiligte, wenn anders sie über-
haupt in Constantinopel anwesend war. Denn Eudocia hatte sich in
den achtzehn Jahren, seitdem sie die Gemahlin des Theodosius war,
äufserlich vollständig in die fromme Weise eingelebt, welche der
byzantinische Hof vor den Augen der Welt zur Schau* trug, und hatte
im Hinblick auf den sehnlichsten Wunsch ihres Herzens, die Ver-
mählung ihrer Tochter Eudocia mit Valentinian, dem Himmelsherm
gelobt^®), gleich der frommen Mutter Constantins Helena, zu den Statten
zu wallfahrten, wo der Erlöser gelitten hatte und für die Menschheit
gestorben war. Diesem Gelöbnis hielt sie die Treue und noch im
Jahre 438*^), um den Trennungsschmerz eine Ableitung zu geben,
machte sie sich auf den weiten Weg, doch wissen wir nicht, ob sie
die Land- oder Seereise vorgezogen hat*i)
Jedenfalls berührte sie auf ihrer Wallfahrt, welcher der kaiserliche
Glanz nicht gefehlt haben wird, das alte, durch eine lange Geschichte
und den Aufenthalt des Apostelfürsten ehrwürdige Antiochia. Aber
mehr als die neuen Bauwerke der christlichen Zeit zogen die Tochter
des Leontius die Reste der antiken Denkmäler an, welche zu ihr in
einer Sprache redeten, die ihr noch aus ihrer Jugendzeit in Athen
heimisch und vertraut war. Euer, fem den Späheraugen neugieriger
'^ c. 45. Theoph. zu 430. Cedren zum 28. Jahre des Theodosius. Legenden-
haft ausgeschmückt bei Nicephor. XIV. 48.
^®) Marcell. Com. am 28. Jan. Socrat. am 27. Jan,
8») Socrat. VII. 47.
^) Dies ergiebt sich daraus, dafs Socrates seine Geschichte 439 beendigte
•und von ihrer Rückkehr wufste. Vgl. Marc. Com. zu 439.
*^) Gregorovius nimmt S. 148 ff. ohne weiteres an, dafs sie zur See reiste;
er hat überhaupt diese Reise mit Hülfe der eignen Phantasie ausgeschmückt. Die
Stationen der Wallfahrtsstrafse nach Jerusalem zahlt das Itinerarium Hierolsolymi-
tanum (ed. Parthey et Pinder) S. 271 ff. Wessel. p. 571 ff. auf. Vgl. Itin.
Anton. S. 65 ff.
319
lind hämischer Höflinge und inmitten eines sie jubelnd umgebenden
Volkes, knüpfte sie einmal wieder an jene Erinnerungen an, welche in
die Zeit gehörten, da sie noch Heidin war. Im Senatsgebäude
Antiochias*'^) vor den Spitzen der Behörden des Staates und des
grofsen Gemeinwesens und zahlreichen Bürgern hielt sie auf goldenem,
von Edelsteinen funkelnden Throne sitzend eine begeisterte Dank-
und Lobrede auf die Stadt, deren überreiche Gastfreundschaft sie ge-
nofs, und an die Zeit erinnernd, als die Griechen noch kolonisierend
das Mittelmeer auf schwankendem Kiel kühn durchfuhren, rief sie dem
Volke das homerische Wort zu:
„Eures Geschlechts und Blutes zu sein, des rühme auch ich mich.^*)"
Eine Kaiserin, die nicht nur durch den äufseren Rang, sondern auch
durch die Gaben ihres Geistes sich als Herrscherin von Gottes Gnaden
bethätigte, hatten die Antiochener noch nie gesehen, und ihre Freude,
ihr Jubeln wollte daher kein Ende nehmen. Noch in den späteren
Zeiten sah der Fremde im Senate ihr goldenes Bildnis und im Museum
ihre eherne Statue*-*) als Andenken an die schönen Tage ihrer An-
wesenheit in der Hauptstadt Syriens, welche die dankbaren Bürger
Antiochias ihrer Kaiserin gestiftet hatten. Aber auch Eudocia binter-
iiefs wohlthätige Spuren ihres Aufenthalts, denn auf ihre Bitte erweiterte
Theodosius die Stadtmauern bis zum Thore, das zum Hain Daphne
führte, und 200 Pfd. Gold (180000 Mk.) spendete sie mit freigebiger
Hand zur Wiederherstellung der Bäder des Valens, welche durch eine
Feuersbrunst zum teil vernichtet waren.**)
Von Antiochia zog die Kaiserin, wahrscheinlich auf der alten
Pilgerstrafse **) über Laodicea, Tripolis, Berytus, Sidon, Tyrus, Caesarea
zum gelobten Lande Palästina und stattete allen den heiligen Orten,
welche der Erlöser durch seine Anwesenheit für immer geweiht hatte,
kurze Besuche ab, bis sie endlich in der ersehnten Stadt Jerusalem
anlangte. Jerusalem*'') oder wie es seit der Zerstwung durch Titus
hiefs, Aelia Capitolina, war, nachdem die einheimische jüdische Be-
völkerung durch Hadrians Gebot aus ihr verbannt worden war, eine
rein christliche Stadt, aber von der Höhe der ehemaligen Einwohner-
*^) Euagrius L 20. und 21. unterscheidet die beiden Reisen ganz deutlich;
ebenso Theoph. 427 und 440; nicht so das Chron. Pasch, zu 444, welches nur
eine kennt und Joh. Mal. Vgl. Sievers S. 462 und 463. Gregorovius S. 148 ff.
*^) vfjistSQfjg ysvsfjg ts xal aifjiaxoq svxofxai slvat. Euagrius I. 20.
**) Chron. Pasch. Enagr. ebend.
**) Euagrius ebend. Von Antiochia entwirft ein lebendiges Bild Mommsen V.
S. 456 ff.
**) Vgl. Gregorovius S. 156. Itin. Hieros. p. 581 ff.
«) S. 158 ff.
I
3«o
zahl tief herabgesunken; denn das gewerbtreibende Leben war erloschen,
seitdem die Mönche und Nonnen ihren bleibenden Sitz hier aufge-
schlagen hatten. Gleichwohl zog das heilige Grab, über welchem Con-
stantin der Grofse eine marmorne Kapelle erbaut hatte, Pilger aus allen
Gegenden der Welt herbei, so dafs der hl. Hieronimus, welcher am
Ende des 4. und zu Anfang des 5. Jahrhunderts in Betlehem lebte, in
einem Briefe^*) sagen konnte: „Aus dem ganzen Erdkreis strömt man hier-
her zusammen; die Stadt ist angefüllt mit Menschen aller Gattungen und
so grofs ist die Ansammlung beiderlei Geschlechts, dafs, was du anders-
wo geteilt flohest, du hier ungeteilt zu ertragen genötigt wirst" Denn
abgesehen von den heiligen Orten und den zahlreichen Kirchen und
Klöstern bot Aelia Capitolina das gewöhnliche Bild einer Stadt, welche
aufser ihren Bürgern Soldaten und daher auch diejenigen Dinge in ihren
Mauern birgt, an denen sie Freude haben: die Statten des Lasters
und der Volksbelustigungen. Ungefähr ein Jahr hielt sich Eudocia
in Jerusalem auf und brachte die Tage in geistlichen Übungen und
im Umgang mit frommen Frauen hin.**) Dann kehrte sie im Besitze
wertvoller Reliquien, für die sie der Kirche reiche Geschenke machte,
noch im Jahre 439 nach Constantinopel zurück*®), wo die von ihr
mitgefuhrten Gebeine des Protomärtyrers Stephanus in der Kapelle
des heiligen Lauren tius feierlichst beigesetzt wurden.* i)
Aber die Tage des Glückes und des Frohsinns waren für Eudocia
mit der Vermählung ihrer Tochter und der Reise nach Jerusalem zu
Ende, denn, was uns ^weiter von ihr berichtet wird, ist die Kehrseite
des glänzenden Lebens, das sie als byzantinische Kaiserin geführt hatte.
Der Umschwung trat nicht plötzlich ein und unvorbereitet, sondern
er hatte seine Begründung in den eigentümlichen Verhältnissen, welche
damals am Hofe zu Constantinopel obwalteten. Weniger zwar als bei
Arcadius machte sich unter Theodosius die heimliche Macht der Eunuchen
bemerklich, besonders in den ersten Jahren seiner Regierung, weil einer-
seits das Andenken an die durch Eutropius herbeigeführten Unruhen
noch zu frisch in aller Gedächtnis war, andererseits, weil die Herr-
schaft über den Kaiser ganz und gar von den beiden Frauen Pulcheria
und Eudocia gehandhabt wurde und neben ihnen das Übergewicht
der Oberstkänunerer weit zurücktrat Dennoch finden sich Anzeichen,
dafs auch unter dem schwachen Theodosius IL die Eunuchen eine ge-
*^ ep. 58 ad Paulinum § 4 ff. Non Jerosolymis üusse, sed Jerosolymis bene
vizisse laadandom est.
^ Gregorovius S. 169 ff.
**) Mareen. Com. Theophan. xa 427.
••) VgL Gregorovius S. 171 und 172.
321
bietende Rolle zu spielen vermochten, denn die verworrenen und dürf-
tigen Quellen dieser Zeit erzählen von einem Eunuchen Antiochus'^^)^
der seine Macht, welche er über den Kaiser hatte, milsbrauchend von
ihm plötzlich seines Amtes, des Titels Patricius und aller seiner Güter
beraubt und dann als Geistlicher in ein Kloster gesteckt wurde. Er
sei femer auch die Veranlassung geworden zu der Verordnung des
Theodosius, dafs hinfort ein Verschnittener nie wieder durch die
Würde des Patricius ausgezeichnet werden dürfe. Der Fall dieses
allmächtigen Mannes wird von den Chronisten in das Jahr 443 ge-
setzt, allein es sind triftige Gründe zu der Annahme vorhanden, dafs
Antiochus damals längst beseitigt war und seine Stelle von einem
anderen, dem Eunuchen Chrysaphius^^), von dessen gewaltigem
Einflufs uns noch eine andere Angelegenheit überzeugen wird, einge-
nommen wurde. Ihn hatte dem Kaiser seine schöne Gestalt und ein ge-
winnendes Aufsere empfohlen, und auch er verstand es bald Theodosius
nach seinem Willen zu lenken und sein Besitztum zu vermehren.
Aufser ihm teilten sich in die Herrschaft über den Gebieter des
oströmischen Reichs seine Schwester Pulcheria und seine Gemahlin
Eudocia, von denen die erstere durch die energische und umsichtige
Art, wie sie während Theodosius Minderjährigkeit die Staatsgeschäfte
geführt hatte, sich ein bleibendes Anrecht auf die Dankbarkeit des
Bruders erworben hatte, die andere dagegen auf das Recht der Ge-
mahlin pochte. Dafs ein Zerwürifnis zwischen ihnen zeitweise herrschte,
konnte man bereits aus dem Nestorianischen Streit erkennen^*), doch
scheint gerade zu dieser Zeit, da Eudocia ihre Tochter vermählt hatte
und aus Jerusalem heimkehrte, die Gemahlin des Kaisers mehr denn
je den Hof zu Constantinopel beeinßufst zu haben.
Es läfst sich dies aus mancherlei Erwägungen folgern : Einmal stand
^'^) Dafs es der von Theoph. zu 412 erwähnte A. nicht sein kann, ist be-
reits oben dargelegt worden. Dagegen könnte er der Cod. Theod. I. i, 5 424 an
zweiter Stelle erwähnte quaestor S. P. sein , der 435 I. i, 6 nicht mehr als Mit-
glied der Kommission genannt wird. Da nun die bei Theoph. zu 440 erzählte
Intrigue nicht erst 446 — 449, als Flavian Bischof war, geschehen sein kann, und
zur Zeit des Sturzes der Eudocia Chrysaphius bereits im Amte war, so mag Ant.
im Laufe des 3. Decenniums gestürzt sein. Über das Ereignis berichten nur Cedren
p. 336 und Theoph. zu 436. Vgl. Suidas v. IlaxQixLoq und SsoSoaiog. Andere
Eunuchen von Einflufs waren Lausus, Amantius, Macrobius. Vgl. Tillem. art. 26
und Cod. Theod. VI. 8, i.
*^ Er trug den Beinamen Ta'iovfxä oder Zovfxvä oder Ztovfiäg. Über
ihn vgl. Joh. Mal. XIV. Theophan. zu 436. Cedren zum 41. Jahre des Theod.
Joh. Ant. frgm. 194. Suidas v. SeoSoöiog sagt, dafs Chrys. nach Kyros den
Theod, beherrscht habe. Vgl. Sievers S. 434.
^) Suidas V. novXx^QioL-
21
3«*
gerade in den Jahren von 439 — 44 1^^ an der Spitze der Staatsver-
waltung ein Mann, der ohne Zweifel mehr mit Eudocia denn mit
Pulcheria harmonierte und offenbar ein Günstling der ersteren war. Es
war dies der Ägypter Kyros^®) aus Panopolis, einer von den wenigen
Dichtem dieser poesielosen Zeit, dessen Name uns neben dem des
Ciaudian aufbewahrt worden ist. Aber weit weniger als des letztge-
nannten Erzeugnisse vermögen die von Kyros erhaltenen sechs Epi-
gramme'»'') unsem Beifall zu erringen, sie verraten vielmehr eine auf-
fallende Gedankenarmut und atmen dem Herrscher gegenüber nicht
den unabhängigen Geist eines Dichters, sondern den servilen Sinn
eines Höflings, wenn eins derselben den Theodosius an Gestalt den
Agamemnon und an Klugheit den Odysseus*^) übertreffen läfst und
ihm den Ruhm der Thaten eines Achill zuerkennt. Ihn schätzte die
Kaiserin bei der Gleichartigkeit ihrer Neigungen sehr hoch 5®), nicht
minder aber genofs er die Gunst des Kaisers wegen seiner staats-
männischen Verdienste. Als im Jahre 438 ®ö) ein Erdbeben wieder
einen Teil der von Anthemius erbauten Ringmauern Constantinopels
niederrifs, stellte sie Kyros als Praefectus pr. unter der wetteifernden
Teilnahme der beiden Cirkusfraktionen der Prasinen (Grünen) und
Veneter (Blauen) in kürzester Frist wieder her 6*); auch als Stadt-
präfekt hatte er manche für den Verkehr wohlthätige Änderungen in
Constantinopel geschaffen, so dafs ihm das Volk im Cirkus jubelnd zu-
rief: „Constantin hat gegründet, Kyros wiederhergestellt l"®^)
Das enge Verhältnis aber zwischen der Kaiserin und dem Dichter
gefiel selbstverständlich nicht den frommen Gemütern, welche jeden
Zusammenhang mit der Götterwelt der Heiden abzuschneiden für
Christenpflicht und die Beschäftigung mit den Musen und Grazien
einer schöneren Vergangenheit für eitel Sünde hielten.^^) An der
**) Nov. Theod. XVIII. de lenonibus Cyro P. P. 6. Dec. 439. 441 war er
Constd. Novell. Theod. V. 3 ; aufserdem zahlreiche Verfügungen im Jahre 440
an ihn im Cod. Justin; die letzte I. 55, 10. 18. August 441.
*•) Suidas y. KvQoq. Euagrius I. 19. Joh. Malal. XIV. Chron. Pasch. 450.
Er hat aber nicht die röm. Truppen gegen Gaiserich angeführt, als dieser Karthago
eingenommen hatte, wie Euagr. a. a. O. erzählt, denn Kyros war Civilbeamter.
") Anthol. Graeca ed. Jacobs. VII. 557; IX. 136, 623, 808, 809; XV. 9.
M) XV. 9. Vgl. Gregorovius S. 202 ff.
*ö) Suidas y. KvQOq,
•®) Theoph. zu 430. und Cedren zum Jahre 28. des Theod.
*^) Chron. Pasch. Zonaras XII. 34. Vgl. Hammer Constantinopel und der
Bosporus cap. XIX. und XX. und H. y. Moltke Briefe über Zust und Begebenh.
in der Türkei aus den Jahren 1835 — 1839. S. 182. No. 34.
«) Chron. Pasch. Joh. Mal. XIV.
^) Vgl. auch Suidas y. Ssoöoaioq,
3^3
Spitze derjenigen, welche dieser Ansicht huldigten, stand Pulcheria,
und wenn gerade damals ein aus dem Versteck geführter Kampf
zwischen ihr und Eudocia entbrannte, so handelte es sich nicht nur
um den Vorrang und die Macht über den Kaiser, sondern auch
um den Sieg ihrer verschiedenartigen Geistesrichtungen. Wir können
in das Getriebe der Minen und Gegenminen am Hofe heute nicht
mehr klar sehen, da die Phantasie der späteren Chronisten aus eigenem
Antriebe manches hinzugedichtet hat, nur so viel scheint aus allem
als sicher hervorzugehen, dafs es zunächst Eudocia im Bunde mit
Chrysaphius gelang den Einflufs Pulcherias so zurückzudrängen^^) und
den Theodosius so zu beherrschen, dafs Pulcheria es vorzog aus dem
Kaiserpalast am Bosporus sich in die Einsamkeit ihres Hauses nach
dem Hebdomon^^) zurückzuziehen, wobei es fraglich gelassen werden
mufs, ob Theodosius wirklich auf Zureden der Eudocia die Absicht
hatte, seine Schwester zur Diaconissin zu machen oder nicht
Aber man kann sich denken, dafs dieser Schritt der Augusta,
welche so viele Jahre ihren Einflufs am Hofe behauptet hatte, eine
starke Partei, die orthodoxe, gegen Eudocia aufs äufserste erregte,
und dafs dieselbe in der Geistlichkeit eine mächtige Stütze hatte.
Ihr gelang es, nachdem Eudocia kurze Zeit die Alleinherrschaft in
den Händen gehabt hatte, sie von dieser Höhe in die jäheste Tiefe
hinabzustofsen. Als Hebel zur Erreichung des Zieles benutzte sie die
Eifersucht des Kaisers, eine sth wache Seite an ihm, welche bei der
Schönheit seiner Gemahlin verzeihlich erscheint, die ihn aber durch
die Umstände, welche die Verleumdung begleitete, aus einem sanft-
mütigen Herrscher, wie ihn die Kirchenhistoriker zu schildern belieben,
in einen blutdürstigen Tyrannen verwandelte.
Bekanntlich war es der Jugendfreund Paulinus gewesen, welcher
hingerissen von der Schönheit der Jungfrau, den Kaiser mit bestimmte,
Eudocia zu seiner Gemahlin zu erheben; auch in der Folgezeit hatte
das in gemeinsamen Erinnerungen wurzelnde Band das liebevolle Ver-
hältnis zwischen den beiden Männern unverändert erhalten, denn Paulinus
erscheint bald nach der Vermählung seines kaiserlichen Freundes in
den höchsten Staatsämtem.^^) In dieser Stellung stand ihm der freie
Verkehr, wie ausdrücklich erzählt wird^'), mit Kaiser imd Kaiserin
6*) Theoph. zu 440. Vgl. Sievers S. 434. Gregorovius S. 176 ff.
^) In der 1 1 . Region stand domus Augustae Palcheriae. Not, Urb. Const.
ed. Seeck S. 238.
*ß) Chron. Pasch. 421. Marc. Com. 440. Cod. Theod. VI. 27, 23 wird
er als mag. offic. bezeugt 435. "VT. 20, 8 ist es Valerius.
ö7) Chron. Pasch, a. a. O.
21
3^4
ohne die beengenden Schranken der Eiiquette ungehindert offen, und
auch seine Beziehungen zur Eudocia wurden und blieben höchst
freundschaftlicher und herzlicher Art. Diesen Umstand beschlossen
nun die Gegner der Eudocia zur Verwirklichung ihrer Absicht zu be-
nutzen, und ihr Versuch gelang ihnen nur zu gut
Als Theodosius, so lautet die älteste Nachricht ^8), am Epiphanien-
tage in die Kirche ging, war Paulinus durch ein Fufsübel am Erscheinen
gehindert und liefs sich entschuldigen. Da bot dem Kaiser aus der
Menge, welche ihn umdrängte, ein armer Mann einen phrygischen
Apfel von ungewöhnlicher Gröfse. Der Kaiser nicht minder als der
ihn begleitende Senat die Gröfse der Frucht bewundernd hiefs dem
Manne ein reichliches Geldgeschenk reichen und schickte den Apfel
der Kaiserin Eudocia. Diese, wohl um dem kranken Freunde eine
Freude zu machen, sandte ihn an Paulinus, der nichts Arges darin
sehend ihn wiederum an den noch in der Kirche befindlichen Kaiser
übermittelte. Theodosius war daher nicht wenig erstaunt beim Her-
austreten aus dem Gotteshause den Apfel wiedervorzufinden; er ver-
l^arg ihn zunächst und fragte dann nach seiner Rückkehr in den Palast
die herbeigerufene Augusta: „Wo ist der Apfel, den ich dir geschickt
habe?" Eudocia erwiderte: „Ich habe ihn aufgegessen!" Da beschwor
sie Theodosius bei ihrem Seelenheil die Wahrheit^ zu sagen, ob sie
ihn gegessen oder einem anderen geschenkt habe. Sie aber schwur,
dafs sie den Apfel verzehrt habe; da holte Theodosius den Apfel her-
vor und zeigte ihn ihr. Seit dieser Zeit trat eine merkliche Trennung
zwischen den beiden Gatten ein, während Paulinus dem Argwohn des
Kaisers unwiderruflich verfiel. So weit der Chronist.
Nachdem nun einmal das Mifstrauen in dem schwachen Kaiser
gegen Gattin und Freund erregt worden war, liefs die Gegenpartei,
in deren Hände er jetzt völlig wieder geriet, ihn nicht mehr los
und schürte das Feuer der Eifersucht in der Seele des gutmütigsten
aller Herrscher zu einer solchen Stärke an, dafs er den Paulinus
zunächst nach Cappadocien verbannte und endlich sogar töten
liefs.**) Es war daher begreiflich, dafs Eudocia, welche sich mehr
und mehr zurückgesetzt und von argwöhnischen Augen bewacht fühlte,
das Leben am Hofe zu Constantinopel unerträglich fand und sich
••) Chron. Pasch. 444. Joh. Mal. XIV,
^) Theophan. Niceph. — Marcellinus Com. 440: Paullinus magister
officiorum in Caesarea Cappadociae iubente Theodosio principe interemptus est. —
Demgemäfs nimmt Sievers, dem ich mich anschliefse, S. 426 an, dafs Eudocia
zwischen 437 — 440 gestürzt ist, Gregorovius S. 182 zwischen 440 — 444; Clinton
Fast. Rom. 444, der sie noch in demselben Jahre nach Jerusalem gehen läfst.
325
nach einer Stätte sehnte, wo sie sich fern allem Weltgetriebe der Be-
schaulichkeit und frommen Übungen hingeben könnte. Sie richtete
deshalb — und das wird in den Jahren 441 — 443 geschehen sein''®)
— die Bitte an ihren Gemahl, er möge ihr gestatten, dafs sie sich
nach Jerusalem zurückziehe, um hier den Rest ihres Lebens zu ver-
bringen. Nachdem einmal das zarte Band der Liebe, welche allein
diese beiden Herzen zusammengeführt hatte, so jäh zerrissen war,
konnte Theodosius keine Veranlassung haben, die einst innig geliebte
und jetzt ebenso glühend gehafste Frau bei sich zurückzuhalten.
So zog denn Eudocia wenige Jahre, nachdem sie zum ersten
Male die heilige Stadt aufgesucht hatte, von neuem''*) dorthin, um
ihren bleibenden Wohnsitz dort aufzuschlagen. Aber welch' ein Unter-
schied zwischen damals und jetzt! Damals eine glückliche Mutter
und Gemahlin des Gebieters des oströmischen Reichs, jetzt eine frei-
willig verbannte und unter dem Verdachte des Ehebruchs stehende
Frau! Doch wurden ihr von Theodosius die kaiserlichen Ehren ge-
lassen und reichliche Mittel zur Verfügung gestellt ''2), welche ihr nicht
nur ermöglichten einen angemessenen Hausstand in Jerusalem zu führen,
sondern auch die Stadt mit wohlthätigen und nützlichen Bauwerken
zu schmücken''^), zu denen sie vielleicht auf der ersten Reise schon
den Grund gelegt hatte. Aber auch in Aelia, so weit es auch von
Constantinopel lag, war sie den Späherblicken geheimer Hofspione
ausgesetzt, welche von ihrem Leben und Treiben dem Kaiser ein so
abschreckendes Bild entwarfen, dafs er im Jahre 444*^*) in neuerwachter
Eifersucht den Presbyter Severus und den Diacon Johannes, welche
schon in Constantinopel von Eudocia begünstigt waren, durch den
Befehlshaber seiner Leibwache Saturninus in Jerusalem umbringen liefs.
Doch blieb diese That nicht ungerächt, denn Eudocia, in deren Seele
ebenfalls neben der Liebe der Hafs und neben der Sanftmut die
Rachsucht schlummerten, ruhte nicht eher, als bis auch Saturninus''^)
'^^) Theophan. zu 440. nimmt auch an, dafs zwischen Paullinus Tod und
Eudocias Abreise noch einige Zeit verstrichen sei. Vgl. Gregorovius S. 183—187.
Sievers S. 463.
■'i) Euagrius T. 21. spricht sich über die Veranlassung aus: xal otov X^Q^'^
i^TS TiQWTOzvTiwg Sg (paai ßovkofisvrj , zolq ioTOQrjaaai xaraktjTtreov, ei xal
IJLri dkrjd'i'Zsod'ai (.iol Soxovaiv; doch nennt Marc. Com. die Eudocia bereits
moecha.
72) Vgl. Gregorovius S. 188 ff.
■'3) Euagrius I. 21 und 22. Cedren a. a. O. Nicephorus XIV. 50. Vgl.
Gregorovius S. 250.
■'*) Marcell. Com. 444. Priscus frg. 8. Theoph. und Cedren a. a. O.
'*) Es ist ein Irrtum von Gregorovius S. 191, wenn er meint, dieser Satur-
ninus habe sich im Kriege mit Gainas bereits einen Namen gemacht. Denn der
3^6
durch bezahlte Schergen oder in einem Aufstande der zahlreichen
Mönche in Aelia — wer vermag es zu sagen? — das Leben verlor.
In Constantinopel hatte ihr Sturz und Fortgang Pulcheria und
die orthodoxe Partei ans Ruder gebracht, welcher natürlich der poesie-
liebende Präfekt Kyros mit seiner offen ausgesprochenen Schwärmerei
für die Dichter der alten Welt ein Dom im Auge war. Er war zwar
noch Ende des Jahres 441 in seinem Amte''*), aber seit dieser Zeit
verschwindet sein Name aus den öffentlichen Akten, denn seine Hin-
neigung zu den Erzeugnissen der heidnischen Literatur mufsten ihn
einem Kaiser verdächtig und unlieb machen, dessen ganzes Leben
fast den Beschäftigungen der Geistlichen und Mönche gewidmet war ;
auch jener Zuruf des Cirkus mochte diesem nicht gefallen, und so traf
denn den Kyros das Los so vieler in Mifsgunst gefallener Beamten,
er wurde seiner Ämter und Güter beraubt und zum Geistlichen be-
stimmt.'''') Als Bischof von Cotyaeum in Phrygien soll er noch bis
zu der Zeit des Kaisers Leo in Frieden und unbehelligt von weiteren
Zeichen kaiserlicher Ungnade gelebt haben.
So endete die unter so sonderbaren Umständen entstandene
Neigung des oströmischen Kaisers zu der Tochter eines Professors
der Sophistik, und die Verbindung des orthodoxen Christentums mit
dem übertünchten Heidentum auf dem Throne hatte sich als unmög-
lich herausgestellt, denn schliefslich brachte doch nur der Gegensatz
der geistigen Richtung Eudocias zu der am Hofe herrschenden streng-
christlichen die Kaiserin zu Falle und zeigte auch an ihrem Beispiele,
wie an dem der Kriemhild, wie — „liebe mit leide ze iungest lönen kann."
in der Geschichte des Gothenaufstandes genannte Saturnin war schon damals ein
älterer Mann, der 382 die letzten Gothen besiegt und 383 das Consulat bekleidet
hatte. Noch weniger würde er 444 in der Würde eines Comes dorn, gewesen
sein. Vgl. Richter das Westr. Reich S. 585. Ifl. S. 89. Zur Thatsache vgl.
Gregorovius S. 190 ff.
^ö) Cod. Just. I. 55, 10. 8. Aug.
*") Joh. Mal. Chron. Pasch. Suidas v. Oeodooioc und KvQoq. Vgl.
Gregorovius S. 196 ff.
3^7
Siebentes Kapitel.
Die Beziehungen der Hunnen seit ihrem ersten Auftreten in Europa zu Ost- und
West -Rom bis zum Tode des Rua. — Der Schwerpunkt ihrer Macht rückt all-
mählich bis in das heutige Ungarn vor. — In wiefern entsprach dieses den Lebens-
gewohnheiten der Hunnen? — Attila und Bleda» Ruas Nachfolger. — Äufseres
und Charakter Attilas. — Sein Verhältnis zu Aetius und Gaiserich. — Austrag
des Streites zwischen Ostrom und Rua. — Gaiserich erobert Africa und greift
Italien an. — Die Hülfesendung Ostroms. — Einfall der Perser, Sarrazenen,
Hunnen von Osten, Attilas und Bledas von Norden. — Eroberung der Donau-
kastelle und Verwüstung Thraciens. — Friede 443. — Ereignisse in Ostrom von
443 — 447« — Zweiter Raubzug Attilas, Alleinherrschers der Hunnen. — Die
Friedensbedingungen. — Die Gesandtschaftsreise des Priscus. — Letzte Be-
ziehungen des Theodosius zu Attila.
Auf den Gang der politischen Ereignisse hatten diese Wandlungen
am Hofe keinen Einflufs, doch waren jene nicht minder betrübend und
nahmen von Jahr zu Jahr einen bedrohlicheren Charakter an. Denn
wenn auch seit dem Beginn der ostwestlichen Völkerbewegung, welche
man die Völkerwanderung nennt, zahlreiche Feinde dem römischen
Namen erstanden waren, die Westgothen im Ostreich und nach der Wende
des Jahrhunderts im Occident, Greothungen, Carpodaken, Skiren zu
den verschiedensten Zeiten im Orient, Sueven, Alanen, Vandalen im
Westreich, zu denen sich in den letzten Jahren auch die Franken
und Burgunder gesellt hatten, so erfolgten doch ihre Angriffe nicht
gemeinsam und erschütterten von allen Seiten die Grenzen des
mächtigen Kolosses, der allmählich in seinen Grundfesten zu erzittern
begann. Erst dem letzten Jahrzehnt der Regierung des Theodosius
vielmehr blieb es vorbehalten, gemeinsame Operationen der Feinde
des Römerreichs hervorzurufen, welche auch den oströmischen Kaiser
in so verzweifelte Lagen brachten, dafs selbst ein anderer als der
schwache Theodosius in ihnen den Kopf verloren hätte. Diejenigen
Völker aber, von denen diese Angriffe ausgingen, waren die Vandalen
und Hunnen, von denen die ersteren, wie wir sahen, infolge der
Eifersucht zwischen Bonifacius und Aetius nach Africa übergesetzt
waren und diese reiche Provinz zum grofsen Teil erobert hatten, während
wir bisher nur hin und wieder Veranlassung hatten den Hunnen
unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Denn diese traten nicht, wie man nach dem ersten Ansturm
ihrer Reiterscharen durch die kaspische Pforte erwarten sollte, auch
in den nächsten Jahren nach diesem welthistorischen Ereignisse in
den Vordergrund der politischen Erwägungen und kriegerischen Vor-
328
sichtsmafsregeln für das römische Reich, sondern nur vorübergehend
erheischen sie die Abwehr und waren vielmehr meistens freundliche
und dienstwillige Nachbarn, i) So erschienen sie im Kampfe der West-
gothen unter Fritigern^) gegen Valens neben den Alanen als beute-
lüsterne Hülfsvölker und mufsten nebst Carpodaken und Skiren von
Theodosius I. 38 1 ^) über den Ister zurückgeschlagen werden ; 395 be-
nutzten sie die Wirren nach Theodosius Tod und fielen durch die
kaucasischen Pässe verheerend in Klein- Asien ein*), endlich waren sie
auch im Gefolge Athaulfs (409) Gegner der Weströmer.^) Anderer-
seits dienten sie dem Stilicho^) gegen Rhadagais, dem Honorius*^)
gegen Alarich, und ein Hunnen fürst Uldes war es, der dem Gainas
den Garaus machte und seinen Kopf nach Constantinopel sandte; doch
mufste ebenderselbe 409, als er mit den Skiren zusammen in Thracien
plünderte, von den Feldherm des Anthemius blutig über die Donau
zurückgewiesen werden.
Gleichwohl wäre es verfehlt, aus ihrer mehr sekundären Teil-
nahme an den grofsen Ereignissen der Zeit auf ein Zurückgehen ihrer
Macht zu schliefsen; denn diese sowohl wie die Ausdehnung ihrer
Herrschaft war im Gegenteil in stetem Wachstum begriffen. Zwar
weist ihr Auftreten in Armenien 395 und die Gesandtschaftsreise
des Geschichtsschreibers Olympiodor (412) zu Wasser 8) darauf hin,
dafs der Hauptsitz der Hunnen noch nördlich des Pontus sich
befand, aber es wäre falsch daraus zu folgern, dafs sie nicht auch
inzwischen westwärts vorgedrungen waren. Das beweist, wenngleich
die Nachricht zweier Chronisten 9) , dafs die Hunnen fünfzig Jahre
vor 427 Pannonien in Besitz genommen hätten, entschieden zurück-
zuweisen ist, schon nicht nur der fortwährende Zuzug hunnischer
Hülfstruppen und der Feldzug des Uldes, sondern mehr noch das
*) Vgl. zu diesem Abschnitt die eingehende Abhandlung von Haage
Geschichte Attilas. Progr. Celle 1862 und v. Wietersheim S. 217 ff.
*) Ammian XXXI. 8, 3. und 16, 3: At Gothi Hunis Halanisque permixti
nimium bellicosis et fortibus rerumque asperarum difiicultatibus induratis quos
miris praemiorum illecebris sibi sociarat sollertia Fritigerni.
3) Zosim. IV. 34 ; doch folgt nicht aus c. 22., dafs die Hunnen bereits am
jenseitigen Ufer des Ister safsen. v. Wietersheim S. 2 1 7 und 2 1 8 (vgl. Tillem. VI.
S- 373) bezieht das frgm. 28 des Priscus auf die Zeit Theodos. I. ; doch schon
Dahn bekämpft diese Ansicht a. a. O.
*) Claud. in Ruf. II. 28fr. Socrat. VI. i., Sozom. VIII. i.
*) Zos. V. 37. 45.
*) V. 26. Orosius. ed. Zangemeister VII. 37, 12.
') Zos. V. 50.
■) Olymp, frgm. 18.
*) Marcell. Com. Jordan, c. 32.
329
Vorwärtsdrängen der Westgothen unter Alarich und vor allem der plötz-
liche Einfall des Rhadagais über die Alpen. Waren die Hunnen nun die
Henen der grofsen südrussischen Steppe, Rumäniens und Ungarns bis
zur Donau und aller in diesen Gegenden zurückgebliebenen Völker,
von denen die Ostgothen jetzt am westlichsten safsen, so müfs ihr
seltenes Hervortreten darin seinen Grund haben, dafs ihre Stämme
nicht unter einem Herrscher geeinigt waren, sondern mehreren Fürsten
gehorchten, eine Thatsache, welche aus einer kurzen Bemerkung des
Olympiodor klar erhellt *®), aus der wir zugleich ersehen, dafs der Ein-
flufs Ostroms auf die Südküste des pontischen Meeres damals noch
nicht erloschen war.
Diese Verhältnisse hatten auch noch im zweiten Decennium des
fünften Jahrhunderts statt, da wir Grund haben anzunehmen, dafs damals
mehrere Brüder neben einander über die weit verzweigten hunnischen
Völker geboten; Rua, Octar, Mundzuc und Oebarsius.^^) Von ihnen
war offenbar Rua, den andere Schriftsteller auch Roas, Rugila, Ruga
und Roilus nennen, der bedeutendste, da alle Nachrichten, welche wir
aus dieser Zeit besitzen, sich auf ihn beziehen: Bei ihm war Aetius
wahrscheinlich als Geisel und lernte den etwa gleichaltrigen Attila
kennen, zu ihm eilte ebenderselbe, um dem Tyrannen Johannes Hülfs-
truppen zuzuführen, zu ihm floh er 432, als er den Bonifacius be-
seitigt hatte, und erlangte durch seine Vermittelung den erwünschten
Frieden mit Placidia, welcher dem Occident ein Stück Pannoniens an
der Save kostete.^ ^j Aber auch den Oströmern war Rua bereits ein
gewichtiger Faktor, mit dem sie zu rechnen hatten, denn er empfing ^^)
von ihnen bereits einen Tribut von 350 Pfd. (315000 Mk.), und als
die Römer Flüchtlinge der am Ister wohnenden Amilzuren, Itimaren,
Tonosuren, Boisken *4) und anderer Völker bei sich auf und in ihre
Dienste genommen hatten, drohte er mit dem Abbruch der friedlichen
Beziehungen, welchen eine Gesandtschaft verhindern sollte. Da starb
er im Jahre 434 ^^) und hinterliefs bei seinem Tode kein namenloses
10) frgra. 18. Vgl. Haage S. 4. v. Wietersheim S. 219.
") Zu Oktar vgl. Jord. c. 35. und Socr. VII. 30., zu Oebarsius Priscus
frgm. 8. — V. Wietersheim S. 220.
'*) Vgl. Haage S. 4. v. Wietersheim S. 220 — 222. Zu den Namen vgl.
Socr. VII. 43. Theodoret V. 37.
13) Priscus. frgm. i.
^*) Vgl. zu den Namen Jord. c. 5.: gens Acatzirorum fortissima, frugum
ignara, quae pecoribus et venationibus victitat. und cap. 24.
^B) Tiro Prosper. 434 : Rugila rex Chunnorum cum quo pax firmata moritur,
cui Bleda successit.
330
Volk mehr, sondern unter seiner kräftigen Regierung und umsichtigen
Leitung war die Hunnenmacht aus ihrer Abgeschiedenheit herausge-
treten und fing an sich in die politischen Händel der damaligen Welt
zu mischen. Ein geistesverwandter Nachfolger hatte es daher leicht
das von Rua begonnene Werk fortzusetzen.
Doch bevor wir daran gehen zu erörtern, wer auf Rua folgte
und wie seine Pläne durchgeführt und erweitert wurden, müssen wir
konstatieren, dafs, während im Anfang des Jahrhunderts die Haupt-
macht der hunnischen Herrschaft sich noch im Norden des schwarzen
Meeres befand, sie unter Rua endgiltig ihren Sitz diesseits der Karpathen
in dem heutigen Magyarenlande aufgeschlagen hatte. Und in
der That waren diese Gegenden die einzigen des europäischen Erd-
teils, welche aufser den südrussischen Steppen den Lebensbedingungen
der Hunnen allseitig entsprachen. Denn, wenn sie gewohnt waren den
Blick über unermefsliche Flächen ungehemmt durch irgendwelche Boden-
anschwellungen schweifen zu lassen, hier zwischen Donau und Theiss
und jenseits der letzteren fanden sie ebendieselben Sandsteppen, welche
sich in dem ungarischen Mesopotamien nirgends über 30 m erheben.
Glühte ihnen in den pontischen Steppen im Sommer bei mehr als
24 ®/q C.^6) der Boden unter den Füfsen wie in Africa, die Pufsten Ungarns,
wasser- und baumlos, standen diesen wenig darin nach, denn auch Ofen
geniefst einen Juli von 22,4% C. Mittel wärme; in der öden pontisch-
kaspischen Steppe sinkt im Winter die Temperatur bisweilen auf — 30^* C,
während der Januar gewöhnlich nur — 6,4 ^/q C. aufzuweisen pflegt, kaum
geringer aber sind die Temperaturschwankungen in der Pufsta, wenn
auch Ofen nur einen Januar von — i ,4 ^Jq C, hat ; dagegen stimmen
diese Gegenden in Bezug auf den Niederschlag fast völlig überein,
denn das südliche Rufsland ohne eine beträchtliche Bodenerhebung
vermag die feuchten Wolken nicht zur Condensienng ihres Wasser-
dampfes zu bringen und hat trotz der grofsen Sommerwärme nur
einen mittleren Niederschlag von 489mm. In Ungarn entziehen
die hohen Gebirge, welche es im N., O. und S. wie eine Mauer um-
wallen, den Wolken den gröfsten Teil des Feuchtigkeitsgehaltes und
lassen diesem Lande ebenfalls nur einen mittleren Niederschlag von
452 mm zukommen. Aber auch die Flüsse, welche aufser der tückischen
fischreichen Theiss träge dahinfliefsen : Donau, Szamos, Korps, Maros
und Temes, vermögen durch ihren Wassergehalt den Steppen keine
gröfsere Feuchtigkeit und damit eine freundlichere Pflanzenphysiognomie
**) Vgl. zu diesen Angaben Allgemeine Erdkunde von Han, v. Hoch-
stetter und Pokorny S. 44 und 77.
331
zu geben, da ihre Ufer vielfach zu Sumpf- und Moor geworden sind
und den Anwohnern miasmatische Lüfte zuführen.
Bei einer solchen Bodenbeschaffenheit ist Ungarn von jeher vor-
wiegend ein Land der Viehzucht gewesen, auf dem seit den ältesten
Zeiten stets ein Reitervolk hauste, das mit seinen Rossen wie verwachsen
war und mit Geringschätzung auf alle die herabsah, die nicht beritten
waren. Und ein solches Volk waren eben auch die Hunnen*''), auch
sie waren nirgends besser zu Hause als auf ihren flinken Steppen-
pferden» und es gab kaum eine Beschäftigung, welche sie nicht auf
ihnen zu verrichten pflegten; daher sagt ein alter Bericht von ihnen:
„Die Hunnen wissen nicht zu gehen und schwanken hin und her,
denn ohne Pferd möchte ein Hunne die Erde nicht berühren." *^)
Aber nicht nur für die Rosse boten die weiten Steppen unermefsliches
Weideland, sondern auch für die Nahrung und Kleidung spendenden
Haustiere: Rind, Schaf, Ziege und Schwein; auf deren Vorhandensein
wir, wenn es uns auch nicht bestimmt berichtet wäre^^), schon daraus
schliefsen können, dafs noch heute Ungarn im Verhältnis zu dem
mehr als doppelt so umfangreichen deutschen Reich an diesen Tieren
ungleich reicher ist. Denn während das deutsche Reich 3352000
Pferde^o), 15 777 000 Stück Hornvieh, 25000000 Schafe, 7124000
Schweine zählt, belaufen sich in dem nicht halbsogrofsen Ungarn
dieselben Bestände auf 2179000 Pferde, 5279000 Stück Hornvieh,
15076000 Schafe, 4 443 000 Schweine und übertreffen somit in Bezug
auf die Zahl der Pferde und Schweine das deutsche Reich im Verhältnis
zum Flächeninhalt um ein Bedeutendes. Aber eine ausgedehnte Vieh-
zucht hat von jeher das enge Zusammenleben der Völker, die sie zu
treiben genötigt waren, gehindert, da sie naturgemäfs bei der Aus-
dehnung des Weidelandes, welches die Erhaltung des Viehes erfordert,
auf weitem Raum nur wenigen Heerdenbesitzer den Unterhalt gewährt,
deshalb steht das heutige Ungarn bei seinen 26,2 <^/q des Areals an
Wiesest) in Bezug auf Volksdichtigkeit weit zurück und erreicht kaum
mit seinen 2 702 pro nMl. die halbe Höhe derjenigen Italiens; noch
weniger dicht aber können die Steppen zur Zeit der Hunnen bevölkert
gewesen sein, zumal sie sicherlich mehr als die heutigen Bewohner
^^) Ihre Charakteristik bei Ammian XXXI. 2. und Jordanis c. 24. Vgl.
V. Wietersheim S. 27flF.
*8) Suidas V. axQoa<paXeXq und Hieronymus ep. 60, 17.
*°) Vgl. Müller frgm. hist. Graec. S. 80, wo den Gesandten eine Kuh und
Flufsfische gebracht werden, und S. 92fF. , wo von viererlei Fleischspeisen die
Rede ist.
**) Statist. Skizze der europ. Staaten v. Brachelli 1881 S. 60 und 7.
2») Deutsches Reich 19,5%. Vgl. a. a. O. S. 5 und 58.
332
des Landes Viehzucht trieben, während das moderne Magyarenland
allein 33,7^/0 seines Flächeninhalts auf den Anbau des Brotkoms
verwendet^!*) Indes läfst sich nicht annehmen 22), dafs die wunderbare
Fruchtbarkeit des den Steppen aufgelagerten Lössbodens, insbesondere
im südlichen Teil zwischen Theiss, Donau und Maros, und seine
Produktionskraft in Beziehung auf den Getreidebau 23) den Hunnen
entgangen sei, da sie das Land von ackerbautreibenden Völkern be-
wohnt fanden.
Aber aus der Bodenbeschaffenheit, welche sich bei keinem Lande,
es sei denn, dafs plötzlich eintretende Naturereignisse mitwirkten, in
vierzehn Jahrhunderten in bemerkenswerter Weise verändern kann 24),
erklären sich noch manche andere Eigentümlichkeiten jenes Mongolen-
volkes: Das Wechsel volle Klima des ungarischen Steppenlandes erlaubte
den Hunnen ihre aus der Urheimat mitgebrachte Bekleidungsart 2*):
über linnenem Unterkleid ein Mantel fest aneinandergenähter Tierfelle,
auf dem Kopfe ein Lederhelm und um die haarigen Beine Bocksfelle,
beizubehalten, denn auch hier schützte das dichte Oberkleid im Winter
gegen die strenge Kälte, im Sommer gegen die Folgen schneller Ab-
kühlung. Die nahrungspendende Erde lieferte ihnen auch hier Brot-
korn und vor allem das Fleisch des Herdenviehes, das sie vorwiegend
zu geniefsen pflegten. Der ihnen innewohnenden Lust zum Umher-
ziehen brauchten sie anfangs auch hier keinen Zügel anzulegen, sondern
die Steppe gestattete ihnen mit ihren Filzhütten zu wandern, wohin
es ihnen gefiel; wenn auch allmählich die Begrenztheit Ungarns und
seines Weidelandes sie feste Wohnsitze für Weiber, Kinder, die Unter-
worfenen und Kriegsgefangenen, welche ihnen das Vieh hüteten und
den Boden bestellten, zu nehmen zwang. Aber auch dann blieben
sie die freien Söhne der Steppe, ferchten sich nicht eng wie die
21a) Ebend. S. 5.
^) Allerdings berichtet Ammian a. a. O., die Hunnen kannten den Acker-
bau überhaupt nicht; es geht aber aus Priscus frgm. 8. Müller IV. S. 83 unzweifel-
haft hervor, dafs auch damals in Ungarn Hirse und Gerste gebaut wurde. Vgl.
Kiepert S. 333 und Jung Rom. und Romanen in den deutsch. Donauländern
S. 146 und 181 ff.
23) Das heutige Ungarn hat an Weizen und Mais eine so ergiebige Ernte,
dafs Deutschland im Verhältnis weit hinter ihm zurückbleibt:
Ungarn Deutsches Reich
Weizen 27 Mill. Hect. 41,6
Mais 27 „ „ 0,2
Brachelli S. 6 und 60.
2*) Abgesehen von saecularer Hebung und Senkung an den Küsten des
Meeres.
") Ammian XXXI. 2, 5 und 6.
333
Römer und Griechen in schmalen Strafsen an einander und zogen
sich vorsichtig hinter Mauer und Wall zurück, sondern sie lebten .in
weit sich hinziehenden offenen Dörfern ■'^<*), wie sie dieser Steppe ewig
eigen bleiben und sie die Avaren nachmals hatten und die Magyaren
heute genau ebenso haben. Da femer die Steppe in ihrem Boden
kein Baumaterial lieferte 2^), sb waren sie froh aus leichtem Holz schnell
gezimmerte Hütten herzustellen, und nur die Wohnungen des Herrschers
uud der Grofsen zeigten die Schnitzkunst fremder Bauleute.
Die innigen Beziehungen der Bodenbeschaffenheit aber zum Leben
eines Volkes geben uns endlich noch einen wichtigen Hinweis zur
Erklärung der zukünftigen Unternehmungen der Hunnen, denn es ist
klar, dafs sie bei den Anforderungen, welche sie an die Länder, die
sie bewohnten, ihrer Herkunft und Sitte nach stellten, in dem ganzen
europäischen Erdteil keine anderen Gegenden finden konnten,
welche jenen entsprachen, sondern hier in Ungarn war ihnen gen
Süden und Westen von der Natur selbst ein Damm entgegengestellt,
den sie wohl zeitweise, aber nie dauernd überschreiten konnten.*-^^")
Sie würden nie, indem wir von den Vandalen in Afrika absehen, wie
die Westgothen es thaten, vermocht haben in einer der drei südlichen
Halbinseln des Mittelmeers sich für immer nieder zu lassen, denn jene
wollten sefshaft sein und Ackerbau treiben , den Hunnen dagegen
wären in jenen Gebieten die Lebensadern unterbunden worden, und
sie wären elendig zu gründe gegangen. Da sie das aber selbst fühlten,
gingen ihre Absichten auch unter dem gewaltigen Nachfolger Ruas
nicht darauf aus, jenseits der ungarischen Steppe auf der Balkanhalb-
insel mit ihren mäfsigen Ebenen und ihrer (im Süden) gleichmäfsigen
Temperatur oder in Germanien und Gallien neue Wohnsitze zu suchen,
sondern Raubgier und den Schrecken des hunnischen Namens immer
weiter zu tragen und neue Völker seinem Scepter botraäfsig zu machen
— das waren die Triebfedern zu denjenigen Zügen, welche demnächst
von dem Hunnenkönig zu berichten sind.
Auf Rua folgten im Jahre 434 seine Neffen Attila und Bleda,
die Söhne des Mundzuc oder Mundiuch^s), doch ist schwer zu ent-
25a) Vgl. zu diesen Ausf. die tiefsinnigen Gedanken C. Ritter *s in Europa,
Vorlesungen ed. Daniel. S. loff.
*<*) Hierüber giebt der Gesandtschaftsbericht des Priscus frgm. 8. die an-
schaulichste Darstellung.
5") Ebend. Müller S. 85.
**) Prise, frgm. i a. E. (Vgl. Haage S. 5.) und Jordanis c. 35. Vgl. Prise,
frgm. 12.
334
scheiden, wer von ihnen der ältere war.^ö) Eben so wenig läfst sich
mit Bestimmtheit sagen, mit welchem Rechte sie die Erbschaft des
Oheims antraten, ob dieser keine eigenen Söhne hatte, was bei der
Vielweiberei, welcher die Hunnen huldigten, kaum anzunehmen ist,
oder ob, wie es bei Hirten- und Jägerstämmen häufig vorkommt ^^),
die individuelle Tüchtigkeit den Rechten des Blutes voranging. Aber
die Persönlichkeit des Bleda ist durch diejenige des Attila so in den
Schatten gestellt worden — ein Zug, den sich die Sage im Nibelungen-
liede^*) nicht hat entgehen lassen — , dafs wir von ihm nur wenig
wissen, obwohl er über einen grofsen Teil 3^) der hunnischen Völker
gebot.
Und in der That, nicht nur die Schilderungen der Zeitgenossen,
sondern auch alle Züge und Thaten, welche uns von Attila erhalten
sind, weisen daraufhin, dafs er ein aufsergewöhnlicher Mensch und
mit den Gaben eines Herrschers und Eroberers freigebig von der
Natur ausgestattet war.33) Freilich im Äufseren glich er auf den
ersten Blick seinen mongolischen Stanunesgenossen auf ein Haar;
eine kurze, gedrungene Gestalt mit breiter Brust, massigem Kopfe,
kleinen Augen, spärlichem Bartwuchs, plattgedrückter Nase, häfslicher
Gesichtsfarbe; aber alle diese Merkmale traten bei ihm zurück, wenn
er hochaufgerichtet einherging und die Augen beobachtend hier- und
dorthin herumschweifen ^4) liefs, dann erschien er als der geborene
Herrscher. Als solcher liebte er wohl den Krieg als Mittel der Be-
reicherung und Beschäftigung seiner Volksgenossen, aber mehr denn
mit den Waffen des Krieges zog er es vor, die Schärfe seines Geistes
in der Durchdringung der Absichten anderer und der Gruppierung der
politischen Faktoren seiner Zeit zu erproben; sein Stolz liefs ihn end-
lich gnädig gegen die Hülfeflehenden und treu gegen die sein, welche
seinem Worte vertraut hatten. Aber diese Eigenschaften allein hätten
ihn nicht zum Schrecken seiner Feinde und zum Liebling der Sage^^)
8*) Haage S. 5 halt Attila für den älteren, v. Wietersheim S. 224 den Bleda.
Vgl. Theoph. zu 442, der Bleda ebenfalls als den älteren bezeichnet.
30) Vgl. O. Peschels's Völkerkunde S. 252.
'*) ed. Bartsch Str. 1346 erscheint Blödel in Etzels Gefolge; 1906 — 1909
läfst er sich durch die Aussicht Nuodunges w!p zu gewinnen von Krimhild zum
Mord der Gäste bewegen. Vgl. v. Wietersheim S. 270.
M) Vgl. Prosp. Aquit. 444.
33) Jordan, c. 35. Vgl. Haage S. 6. v. Wietersheim S. 267 ff.
34) Vgl. Priscus bei Müller S. 89.
3*) In der Edda (ed. Sirarock. Vgl. bes. 11. 18 und 19 : Atlakvidha und
Atlamäe. S. 246 ff.) und dem Nibelungenliede hat aber Attila nichts von dem.
Gewaltigen an sich, welches ihm die Zeitgenossen zuweisen, sondern er erscheint
335
und Legende gemacht, wenn nicht sein ganzes Wesen durch den grofsen
Zug, welcher durch alle seine Unternehmungen hindurchweht, geadelt
und gehoben wäre, und nur deshalb, weil er in allen Händeln seiner
Zeit seine Hand im Spiele hat, schlau die Kräfte gegen einander ob-
wägt und das römische Reich nicht nur von Norden her erdrücken,
sondern auch von Osten über den Kaukasus her und im Bunde mit
den südlichen Reichsfeinden auch von der Seeseite her umspannen
will, und diesen Plänen den Versuch der Ausführung folgen läfst,
darum hat er nicht aufgehört in Geschichte, Sage und Legende fort-
zuleben und hat alle seine Zeitgenossen aufser Aetius und Gaiserich
in den Hintergrund gedrängt.
Und zum Unglück für das oströmische Reich wufste Attila,
so lange Theodosius IL regierte, mit diesen beiden ihm ebenbürtigen
Männern ununterbrochene Freundschaft zu bewahren, denn mit Aetius,
welchen er gewifs als Geisel bereits schätzen gelernt und später mehr-
mals am Hofe des Rua gesehen hatte, blieb er auch nach dem Tode
desselben in friedlichen Beziehungen, von deren Herzlichkeit die Ge-
schenke, welche sie sich gegenseitig machten, Zeugnis ablegen: Aetius
sandte dem ungelehrten Hunnenkönige geschäftskundige Schreiber ^6),
welche die in lateinischer Sprache abgefafsten Traktate aufsetzten und
verdolmetschten, und seinen Sohn Carpilio als Geisel 37), Attila dagegen
schenkte dem berühmten römischen Feldherm später den Spafsmacher
seines Bruders Zercon^s) als Zeichen seines Wohlwollens und liefs eine
Schar seiner Krieger als Hülfskorps zu Aetius stofsen, welche diesem m
seinen oben erwähnten gallischen Kämpfen die wichtigsten Dienste
leisteten.39) Es zeugt von der Gewandtheit der Mafsnahmen Attilas,
welchem sein Bruder Bleda zunächst noch immer zur Seite stand,
dafs es ihm, während er sich gegen Ostrom fortgesetzt feindlich
verhielt, gelang mit Westrom in Frieden und Freundschaft zu bleiben *<^),
hier nur passiv und tritt gegen die vor nichts zurückschreckende Krimhild
in den Hintergrund. Dagegen wird auch hier sein Hof und die Ausdehnung
seiner Herrschaft in den glänzendsten Farben geschildert, vgl. Nibelungenlied
XX. 1262. XXI. 1334 und 1335. XXn. 1338. Aufserdem Klemm, Attila nach
Geschichte, Sage und Legende. Leipzig 1827. S. 142 — 157. G. Lange, Unters,
über die Gesch. und das Verhältn. der nord. und deutschen Heldensage 1832.
§. 320 ff. V. Wietersheim S. 270. — In der Legende erscheint er als die Geisel
Gottes, die Strafrute des Himmels für die entarteten Christen. Vgl. Klemm
S. 158—163. v. Wietersheim S. 269.
3C) Priscus frgm. 8. (Müller S. 84.) Vgl. Haage S. 18 und 19.
37) Ebend. S. 81.
'*) S. 92 und frgm. il. Suidas v. ZSQXWV.
39) Vgl. v. Wietersheim S. 211. Haage S. 12 und 13.
^) Vgl. Haage S. 26.
336
obwohl gerade unter der Regierung des Theodosius der Gedanke der
Reichseinheit des römischen Gebiets nicht nur offiziell gepflegt, sondern
auch durch die mehrfachen Hülfeleistungen des oströmischen Kaisers
lebhaft bethätigt wurde. Man sollte daher annehmen, dafs, was dem
einen Reichsteil an Schaden von Attila zugefügt wurde, auch in dem
andern als solcher empfunden wurde, indes die gefährdete I^age, in
der sich, das weströmische Reich bei der Abwehr seiner zahlreichen
Feinde unaufhörlich befand, liefsen dasselbe die Hülfe der Hunnen
dankbar annehmen und Attila ehren.
Auch zeigten sich die Hunnenkönige bis zum Jahre 441, so weit
wir sehen können, Ostrom gegenüber noch mäfsig, obgleich schon
damals ihre unersättliche Goldgier die Erhöhung des Rua gewährten
Tributs verlangte und die Forderung, welche fortan in allen Unter-
handlungen mit den Hunnen typisch ist, die entflohenen Kriegsgefangenen
oder Unterthanen auszuliefern, auch damals schon auftauchte. Gleich
im Beginn ihrer Herrschaft brachte sie die unter ihrem Vorgänger
bereits entstandene Streitigkeit mit Theodosius in Verbindung, deren
Abschlufs durch Rua's Tod verhindert worden war. Darauf ^i) wurden
von oströmischer Seite der Consular und General Plinthas*^) und
der gewandte und kluge Quästor Epi genes**) mit der Abwickelung
dieser Angelegenheit betraut und zu den Hunnen entsandt. Aufser-
halb der Stadt Margus am Ister gegenüber dem auf rumänischer Seite
gelegenen Kastell Constantia**) kamen die römischen Gesandten mit
den „königlichen Scythen" zusammen, welche ihrer Sitte gemafs darauf
bestanden, dafs die Verhandlungen zu Pferde geführt wurden. Sie
einigten sich schliefslich dahin, dafs die Römer in Zukunft nicht nur die
hunnischen Überläufer nicht aufnehmen, sondern auch die früheren zu-
gleich mit den römischen Kriegsgefangenen, die ohne Lösegeld aus
dem Hunnenlande in ihre Heimat entkommen waren, herausgeben
sollten, es sei denn, dafs für jeden der letzteren acht solidi*^) gezahlt
würden. Sodann dürften die Römer sich nicht mit einem barbarischen
Volke verbünden, welches gegen die Hunnen zu Felde liege; ferner
**) Priscus frgm. i.
**) Plinthas war Consul 419. Vgl. Soz. VII. 17 und Marc. Com. 418;
aufserdem Sievers S. 427.
*3) Der NameEpigenes wird auch mit Auszeichnung unter den Editoren
des Codex Theodosianus genannt: I. i, 6. und de Theod. Cod. auctoritate, aber
sowohl 435 als 438 ist der hier erwähnte comes et magister scriniorum und zwar
memoriae.
**) Not. Dign. ed. Böcking S. 483 ff.
•*) I solidus seit Constantin = 11,92 Mrk. Bekker-Marqardt III. 2. S. 18
und 34.
337
sollte der Marktverkehr zwischen den beiden Völkern frei sein. Alle
diese Bedingungen aber waren von der letzten abhängig, welche in
der Verdoppelung des bisherigen Tributes von 350 Pfd. Gold
(630 000 Mk.) bestand. Nachdem Römer und Hunnen sich gegen-
seitig auf diesen Vertrag hin Eide gelobt hatten, trennten sie sich.
Die Römer lieferten darauf die zu ihnen geflohenen Barbaren aus,
unter denen auch Mama und Atacam waren, zwei Knaben aus könig-
lichem Geschlechte, welche als Strafe für ihre Desertion den Tod durch
Kreuzigung erlitten. Das sind die einzigen Beziehungen, welche nach
den dürftigen Quellen der Zeit im Laufe des dritten Jahrzehntes
zwischen Hunnen und Oströmem obwalteten. Es scheint daher bis
zum Jahre 441 Friede an der Donau geherrscht zu haben, eine An-
nahme, die dadurch unterstützt wird, dafs Attila und Bleda diese Zeit
benutzten *ß), um sich alle Völker von den Karpathen bis zum kaspischen
See zu unterwerfen und den Einflufs des Kaisers, der sich unter den
pon tischen Stämmen noch immer geltend machte 4^), ganz zu ver-
drängen, und erst dann traten sie wieder in den Vordergrund, als
Ostrom durch die Bedrängnis des Occidents genötigt wurde, einen
Teil seiner Streitkräfte dorthin zu entsenden.
Denn nachdem einmal die Vandalen das Meer überschritten und
in der Kunde des Schiffsbaues eigene Kenntnisse sich erworben hatten,
fing das mittelländische Meer, auf welchem einst die Flotten der Römer
stolz allein geherrscht hatten, an von Piraten aller Art lebendig zu
werden, zu denen die Vandalen wahrscheinlich das gröfste Kontingent
stellten, obwohl ihr König mit Westrom im Frieden war. Unvermutet
landeten sie an den Gestaden der zahlreichen Inseln, besonders Siciliens^s),
raubten die Städte und Dörfer aus und trieben selbst im östlichen
Teil des Meeres ihr gefährliches Wesen, so dafs uns zum Jahre 438 *^)
berichtet wird, der Seeräuber Cotradis sei mit seinen Raubgesellen
gefangen und hingerichtet worden. Bedenklicher jedoch wurde die
Lage des Westreiches, als Gaiserich mitten im Frieden 439 am 19.
Oktober die Stadt Carthago»^^) eroberte, dessen Bewohner auf das
*^) Das geht aus dem Ende des frgm. i des Priscus hervor, wo es heifst,
dafs Attila und Bleda die scythischen Völker zu unterwerfen beabsichtigten, von
denen die Sorosges genannt werden. Vgl. zur Sache Haage S. 15. v. Wieters-
heim S. 223.
*'') Vgl. Priscus frgm. 8. (Müller S. 82), Theodosius suchte sie durch
Geschenke von Attila abzuziehen.
*^) Prosp. Aquitanus zu 437 und 438.
*^) Marceil. Com. vgl. Suidas v. SsoöoaiOQ. Joh. Antioch. frgm. 194.
^) Prosp. Aquit. Marceil. Com. Idac. Chron.. Pasch. Vict. Vit. I. c, 4.
Proscop. I. 5. Vgl. Papenkordt S. 73. v. Wietersheim S. iQOflf. Sievers S. 459.
22
33&
grausamste behandelt wurden und alle ihre Kostbarkeiten dem Sieger
ausliefern mufsten. Aber nicht sowohl diese Thatsache und die Weg-
nahme des römischen Gebietes an der kleinen Syrte war es, was die
Gebieter von West- und Ost -Rom mit Angst und Schrecken erfüllte,
sondern die berechtigte Furcht, dafs der kühne und beutegierige
Vandalenkönig, im Besitz des besten Hafens an der südlichen Küste
des Mittelmeers, von dem aus man ebenso leicht Gibraltar wie Alexandrien
erreichen kann, nunmehr Rom alle die Schrecknisse reichlich zurück-
zahlen werde, welche dieses einst die phönicische Nebenbuhlerin bis
zur Neige hatte durchkosten lassen; ja, selbst in Constantinopel fühlte
sich Theodosius nicht sicher, sondern liefs auch die Gestade des
Bosporus und goldenen Horns mit festen Mauern umwallen^*), während
die Bewohner Roms wenig später alle ohne Unterschied angehalten
wurden die schadhaft gewordenen Stadtmauern nebst Türmen und
Thoren eiligst wiederherzustellen.^'-)
So konnte man wohl die Hauptstadt des Reiches und die übrigen
festen Plätze vor plötzlichen Überfällen der Vandalen schützen, aber
der Mehrzahl der Bewohner Italiens, das wegen seiner ausgedehnten
Längenerstreckung auch heute mehr als die beiden andern südlichen
Halbinseln Europas eine ungemein weitgespannte Küste als Angriffs-
linie dem Gegner darbietet, war auf diese Weise nicht zu helfen. Als
nun Gaiserich in der That im Anfang des Jahres 440 ^3) mit zahl-
reichen Schiffen in See ging und man in Rom noch nicht wufste,
welche Gegend er zuerst heimsuchen werde, da gestattete Valentinian III.
den Provinzialen , indem er ihnen das Faktum mitteilte und die nahe
Hülfe der Oströmer und des Aetius in Aussicht stellte, ausnahmsweise
die Waffen zu führen, um das unglückliche Volk nicht widerstandslos
dem grimmigen Feinde auszuliefern. Gaiserich erkor sich Sicilien^^)
und die Halbinsel Calabrien als diesmaliges Ziel seines Raubzuges,
fand hier aber in dem Ahnherrn Cassiodors einen sehr schneidigen
und ihm gewachsenen Gegner. ^^)
Gleichwohl rüstete Theodosius inzwischen eine gewaltige Flotte
aus nicht sowohl, um den Weströmern Hülfe zu bringen, deren sie
für jetzt vielleicht nicht bedurft hätten, sondern vor allem, um dem
Seeräuberwesen auf dem Mittelmeer überhaupt ein für alle mal ein
**) Chron. Pasch. 439. Vgl. Hertzberg Gesch. Griechenl. III. S. 455.
^2) Novell. Valentinians III. V. i. 2. März 440.
M) Nov. Valent III. IX. i. 24. Juni.
**) Prosp. Aq. 440. Idac. chron. Vgl. Papenkordt S. 75. Sievers S. 460.
V. Wietersheim S. 192. Mascov S. 415.
^'*) Cassiod. Var. ep. I. 4.
339
Ende zu machen. Denn gerade seine Unterthanen, die griechisch-
sprechenden Oströmer, litten unter diesem Unwesen am meisten, da
sie eben so, wie heute die Griechen und Armenier, geborene Kaufleute
waren und ganz besonders mit der Millionenstadt Rom einen schwung-
haften Handel betrieben, welcher ihnen den bezeichnenden 'Namen
der „Allerweltshändler"^*) eingetragen hatte. Er zog daher nicht
nur die verfügbaren Kriegsschiffe, welche im Mittelmeer und Pontus
stationiert waren, zusammen, sondern nahm auch die Fahrzeuge der
Privatleute, insbesondere die dem Getreidetransport dienenden *')^
für die Unternehmung in Anspruch, und hierdurch gelang es ihm
eine Flotte von iioo Lastschiffen*^) aufzubringen, eine Zahl, wie
sie das Mittelmeer auf einem Punkt noch nicht versammelt gesehen
hatte. An die Spitze der zahlreichen Truppen, welche auf den Schiffen
sich befanden, stellte Theodosius den aus dem Perserkrieg bekannten
Areobind und die Generale Anaxilla, Germanus, Innobind und
Arintheus.*^) Gaiserich aber, welcher inzwischen Libybaeum erobert
hatte und Panormus belagerte, war auf die Nachricht, dafs der Schwieger-
sohn des Bonifacius Sebastianus, ein tapferer Mann, aus Spanien nach
Africa übergesetzt sei*<^), schnell von Sicllien dorthin zurückgekehrt
und knüpfte, als die oströmische Flotte bei Sicilien angekommen war,
erschreckt Unterhandlungen mit den Feldherrn an.**)
Während diese sich in die Länge zogen, wurde das oströmische
Reich, dessen Kemtruppen durch die sicilische Expedition aus ihren
Garnisonen entfernt waren, von Osten und Norden an denjenigen
Grenzen angegriffen, welche von jeher seine volle Aufmerksamkeit und
Wachsamkeit erfordert hatten. Erwägt man nun, dafs die Ziele Attilas
und Gaiserichs auf dasselbe hinausliefen, nämlich das römische Reich
zu demütigen und besonders auszurauben, bedenkt man ferner, dafs die
Hunnen zum teil noch nördlich des Pontus safsen und an der Scheide
Asiens und Europas Nachbarn der Perser waren, welche in demselben
Jahre (440) in Yesdeyerd IL einen neuen König erhalten hatten, so ist
^) Von der Gröfse dieses Handels zeugt Nov. Valent. III. V. , l. 440.
Graecos itaque negotiatores, quos pantapolas dicunt, in quibus manifesum est,
maximam inesse multitudinem magnamque in emendis vendendisque mercibus
diligentiam ulterius non patimur sacrae urbis habitatione secludi. Vgl. Mommsen V.
S. 465 ff. über die Ausdehnung des syrischen Handels.
*'^) Vielleicht bezieht sich hierauf Nov. Theod. II. VIII. 439.
**) Theophan. 441.
^9) Prosp. Aquit. Theophan. Zur Sache vgl. Papenkordt S. 76. Sievers
S. 460. v. Wietersheim S. 192.
^) Prosp. Aquit. 440. Vgl. Vict. Vitens. I. c. 6. Joh. Antioch. frgm. 194.
ß*) Theoph. a. a. O. Prosp. Aquit. 44 1.
22*
340 _^ ^
die Vermutung ®2) nicht zu gewagt, dafs schon damals Gaiserich mit
Attila und dieser mit Persien in Verbindung stand und dafs alle Feinde
des römischen Namens in Norden und Osten sich zu einem gemein-
samen Stofse auf Ostrom zusammenthaten, um ihren südlichen Bundes-
genosseti, Gaiserich, aus seiner Notlage zu befreien. Leider aber
gehen uns über diesen grofsen Krieg die Nachrichten höchst spärlich
und zusammenhangslos zu : Im Jahre 44 1 fielen die Perser mit Sarrazenen
und Zannen und die Hunnen über den Kaukasus in die östlichen Grenz-
lande ein®3), während das Räubervolk der Isauren, welches schon
unter Arcadius dem Reiche so viel zu schaffen machte, die allgemeine
Bedrängnis dazu benutzte, sein altes Handwerk von neuem und unge-
fährdet auszuüben. Gegen die Perser und ihre Verbündeten wurden
als Feldhem die kommandierenden Generale Anatolius und Aspar
geschickt, welchen es, wie es heifst, gelang die Feinde zu einem ein-
jährigen Waffenstillstand zu bewegen, während dem die alten Grenz-
verhältnisse unverändert bleiben und keine neuen Befestigungen an-
gelegt werden sollten.®*)
Aber bevor noch dieser Krieg zum baldigen Ende gelangte,
führten von Norden her die Hunnenkönige Attila und Bleda mit
unzähligen Schwärmen einen Hauptschlag gegen Theodosius, von dem
sich die nördlichen Grenzlande, so lange Attila herrschte, nie wieder
erholt haben.**^) Indem wir uns dabei an die Thätigkeit des Anthemius
erinnern, wie er für die Herstellung einer kolossalen Flottenmacht auf
der Donau östlich vom Cebrus®*) Sorge trug und die grofse Zahl der
®*) Allerdings sagt Jordan, c. 36 erst bei Gelegenheit des Feldzuges von
45 1 : Gizerichus — multis muneribus . . praecipitat, aber einmal ist das Zusammen-
treffen dieser Ereignisse kaum zufällig, sodann geht aus Priscus frgm. 8. (Gespräch
des Prise, und der weström. Gesandten) unzweifelhaft hervor, einen wie weiten Blick
die hochgestelltesten Römer dem Attila zutrauten. Vgl. Haage S. 16. v. Wieters-
heim S. 223.
83) Marc. Com. vgl. Nov. Theod. II. V. 3. 441. Haage S. 9.
8*) Marc. Com. Procop. de bello Pers. I. 2. Euagrius I. 19. Vgl. Sievers
S. 428. S. 442. Zu Anatolius Vergangenheit und Schicksal s. ebend. S. 435 und
436, zu Aspar S. 483 ff.
") Prosp. Aquit. 442. Marc. Com. 441 und 442. Tiro Prosp. 445. Die
Züge Attilas nach der Balkanhalbinsel behandelt Thierry Histoire d' Attila et
de ses successeurs. Paris 1856. I. S. 59 — 63 ganz unzulänglich und unkritisch.
Wie er kurze hist. Nachrichten phantasievoll auszuschmücken beliebt, zeigt seine
Paraphrase des ersten Satzes von Priscus figm. 2. S. 59. u. a.
**) Vgl. in der Darstellung 11. Buch. cap. I. Um die Festlegung dieser
alten Kastelle bemühte sich bereits im vorigen Jahrhundert der Graf Marsigli
in seinem Danubius pannonico-mysicus (17 17. 2. Bd.) und J. B. d* Anville
Geographie ancienne. (Paris 1 769. Vgl. Niebuhr Vorl. über röm. Gesch. I. S. 76 ff.),
in dem laufenden Mannert Geographie der Griech. und Römer. Bd. VII. S. 73.
341
Städte lind Kastelle ins Auge fassen, welche von Singidunum bis zur
Istermündung die Donaulinie deckten, so mufs es billig wunder nehmen,
wie schnell die Hunnen diese Schranke durchbrachen und in Thracien
verheerend einfielen. Waren die Besatzungen etwa mit zum Kriege
gegen die Vandalen verwandt und hatten auch die Wachtschiffe auf
dem Ister eine andere Bestimmung erhalten? So mufs man annehmen,
da man sonst vergeblich nach einer Erklärung der überraschenden
Erfolge der Hunnen ausschaut.
Als Vorwand den Frieden zu brechen, gaben die Hunnenkönige
in einem Briefe an den Kaiser vor, es seien zahlreiche hunnische
Flüchtlinge zu den Römern geflohen und der Tribut sei nicht regel-
recht gezahlt^ß*); es möchten daher von römischer Seite Gesandte ge-
schickt werden, sonst könnten sie, wenn die Römer zögerten oder
zum Kriege rüsteten, ihre Krieger nicht mehr vom Angriff zurückhalten.
Die Regierung in Constantinopel fühlte sich stark genug, die Aus-
lieferung der Flüchtlinge zu verweigern, da sie bisher den Attila noch
nicht als Feind kennen gelernt und seine nachdrückliche Kriegsführung
empfunden hatte. Sie beschlofs daher zur Beilegung der Streitig-
keiten Gesandte abzuschicken. Aber Theodosius und seine Berater hatten
sich in ihren Gegnern schmählich getäuscht, welche die Lage, in
welcher Ostrom durch die Expedition gegen die Vandalen sich befand,
genau kannten und deshalb sogleich, nachdem ihnen der Beschlufs
des Kaisers bekannt geworden war, einige Kastelle am linken Isterufer ö'')
und das wichtige Ratiaria^'*), die Hauptstadt von Dacia Ripensis,
bis 125 und Forbiger Handbuch der Geogr. III. Allein die Entscheidung in
vielen Fragen hat erst F. K a n i t z gebracht, der Serbien und Bulgarien mehrfach
bereiste und nach den verschiedensten Seiten hin durchstreifte. Die Ergebnisse
seiner Forschungen hat er in einer Reihe von Werken niedergelegt, von denen
hier Serbien, hist.-ethnogr. Reisestudien. Leipzig 1868 und Donau-Bulgarien
und der Balkan 1876 am meisten interessieren.
ß^a) Ich nehme gegen die bisherige Anordnung eine Umstellung der
frgm. ib. 2 und 3 (bei Dindorf Hist. Graec. frgm.) vor, weil in frgm. 3 im
Anf. als Grund zum Kriege die auch bei Attila später fortwährend auftauchende
Forderung, die Überläufer auszuliefern, angegeben und am Ende von der Ein-
nahme von Kastellen die Rede ist, wovon frgm. 2. wieder eingangs spricht,
frgm. ib aber fällt in eine spätere Zeit als 3. und 2., weil die Hunnen Naissus,
das auf der Strafse nach Constantinopel an der Nissawa gelegen war, erst dann
einnehmen konnten, nachdem sie durch Eroberung sämtlicher Donaufesten (bis
zur Mündung des Cebrus) sich den Rücken gesichert hatten.
") Vgl. Theophanes zu 442, der Constantia erwähnt, welches Mannert S. 77
mit Contra Margum identificiert.
•'") Hier endete die wichtige den Timok begleitende Strafse von Naissus.
Kanitz Serb. S. 297 — 302. Mannert S. 85,
342
Sitz einer Waftenfabrik und Standort einer Flottenabteilung, bestürmten.
Da erschienen oströmische Gesandte bei ihnen und stellten ihnen vor,
sie hätten durch die Wegnahme des Kastells den Frieden gebrochen.*>^)
Die Hunnen erwiderten, sie hätten dies nur vertheidigungsweise ge-
than, denn der Bischof von Margus sei in ihr Land gekommen, habe
die Königsgräber aufgespürt und die in denselben befindlichen Schätze
geraubt, würden die Römer nicht diese und die zahlreichen Über-
läufer herausgeben, so würden sie den Krieg ohne Zögern fortsetzen.
Dem unnützen Wortstreit über die gegenseitigen Behauptungen und
Vor\vürfe machten die Hunnenkönige dadurch ein Ende, dafs sie
alle ihre übrigen Scharen über den Ister herbeiriefen •^) und zu-
nächst Ratiaria ''*^) eroberten. Aber, da ihnen weder das Vordringen
ungehindert noch der Rückzug sicher erschien, so lange die an der
Donau liegenden festen Plätze in der Hand der Römer waren, so
wandten sie sich mit Sturmeseile am Ister entlang nach Westen,
wo sie den Flufs für weniger gedeckt hielten, und nahmen fast alle
Kastelle, welche hier lagen, mit stürmender Hand ein. Nur wenige
werden uns namentlich aufgeführt "^o*^), wie Viminacium''*), Margus
und Singidunum''2), und nur von Margus "^^j ist uns die Art der
Einnahme berichtet, aus der wir ersehen, dafs die Hunnen neben
kriegerischer Tüchtigkeit und unwiderstehlicher Tapferkeit ihre Erfolge
auch dem Verrate verdankten. Denn eben jener Bischof von Margus
aus Furcht, von den Römern ausgeliefert zu werden, begab sich ohne
Wissen der Bewohner zu den Barbaren und versprach die Stadt in
ihre Hände zu bringen, wenn sie mit ihm glimpflich verfahren würden.
Die Hunnenkönige gingen darauf ein und zogen unter Führung des
verräterischen Bischofs in die Nähe der Stadt, verbargen sich am
jenseitigen Ufer bis zur Nachtzeit und nahmen dann unter allen Schrecken,
**) frgm. 2.
^^) Auch dies spricht für die Umstellung, da frgm. 3. von einer Über-
schreitung des Ister nicht die Rede 'ist.
™) Vgl. Prise, frgm. 8. (Müller S. 93.)
'®») Auch Sirmium wird damals genommen sein, das aber noch zu West-
rom gehörte. Vgl. Priscus frgm. 8. (Müller S. 84.) und v. Wietersheim S. 231.
^') frgm. 2. Vgl. Kiepert S. 331. Boeck. a. a. O, S. 106. und 479. Mannert
S. 78. Kanitz Serb. handelt ausführlich über diesen Ort S. 406 — 420. Er fand
schon '/2 Stunde von Kos toi ac bei dem Dorfe Drmno wertvolle Überreste.
Vim. lag zu beiden Seiten der Mlawa bei ihrer Mündung in die Donau und wurde
durch die langgestreckte Donauinsel Ostrovo gedeckt.
'''^) Marc. Com.
'3) frgm. 2. Heute durch die Ruinen des Schlosses Kulic bezeichnet,
Kanitz S. 13.
343
welche ein nächtlicher Überfall mit sich bringt, die wichtige anj Aus-
flufs des gleichnamigen Stromes gelegene Stadt ein.
Nachdem nun die Hunnen in der Linie der Befestigungen an
der Donau eine weite Bresche gelegt hatten, lag die Balkanhalbinsel
für ihre weiteren Angriffe offen da, und sie zögerten nicht sich an die
Ausführung ihrer eigentlichen Absicht, die Ausraubung derselben, zu
machen. Dazu bot sich ihnen als der von der Natur vorgeschriebene
Weg das Thal des Margus (Morawa) dar, welches, wenn man den Flufs
bis zu seiner (bulgarischen) Quelle verfolgt, zu der Hochebene des Amsel-
feldes bei Prischtina und über dasselbe in das Thal des Axius (Wardar)
auf Thessalonich (Saloniki) zuführt; wenn man dagegen die Richtung
auf Constantinopel einschlagen will, so mufs man vom Margus rechts in
das Thal der Nissawa einbiegen, welche in ihrem weiteren Laufe zu
dem des Hebrus (Maritza) und somit in gerader Linie auf Constantinopel
hinleitet '^*) Diese natürliche Beschaffenheit des Bodens der Halbinsel
giebt daher an die Hand, dafs die Hunnen für diesmal sich den öst-
lichen Teil Thraciens als Schauplatz ihrer Verwüstungen auserkoren
hatten, denn als ihre nächste Waffenthat wird uns die Eroberung von
Naissus (j. Nisch) gemeldet.'^*) Dieses war die Hauptstadt der Provinz
Dardania, welche von einem Präses verwaltet wurde, der jedenfalls
hier seinen Sitz hatte. Es befand sich daselbst eine Waffenfabrik, so
dafs die volkreiche Stadt, abgesehen von ihrer natürlichen Festigkeit,
wohl nicht ganz von Verteidigern entblöfst war. Diesen Ort mufsten die
Hunnen, wenn sie sich den Rücken frei halten wollten, auf jeden Fall
einnehmen; allein ihnen selbst, welche weder Städte zu bauen ver-
standen und noch viel weniger mit den Künsten einer regelrechten
Belagerung vertraut waren, wäre dies trotz ihrer unzähligen Tausenden
nicht gelungen, wenn sie nicht römische Flüchtlinge und barbarisierte
Römer bei sich gehabt hätten, welche BeFagerungsmaschinen zu bauen
im Stande waren oder die in den eroberten römischen Festungen er-
beuteten zu benutzen verstanden. Mit deren Hülfe überbrückten die
Hunnen den reifsenden Gebirgsstrom bis zur Hälfte, um der Menge
den Übergang zu erleichtern und vertrieben durch die Unzahl ihrer
Geschosse die tapferen Verteidiger von den Mauern, während von
der Landseite die Maschinen auf Rädern herangeschleppt wurden und
ihre Führer durch Flechtwerk sich schützten. Aber auch dann noch,
als die schweren Widder zur Breschelegung an die Mauern herange-
''*) Vgl. Guthe-Wagner , Lehrbuch der Erdk. S. 428. und Güldenpenning
Besied, der Meerb. S. 19.
'«) Priscus frgm. ib. Vgl. Müller S. 78. Kiepert S. 331. Not. Dign.
ed. Böcking S. 39. und 243. Mannert S. 93 und 94.
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bracht waren, suchten die Bewohner durch riesengrofse Steine, welche
sie zu diesem Zwecke aufgeschichtet hatten, die Belagerer fem zu halten.
Die grofse Menge der Maschinen jedoch zersplitterte ihre Kräfte und
liefs sie bald erlahmen, auf Leitern erstiegen die Barbaren die Wälle
oder drangen durch die Breschen in die Stadt, deren Widerstand
somit gebrochen war. Nunmehr war der Weg nach Constantinopel
den Hunnen frei,